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Die Isolation und den Schmerz wegschreiben

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Drei Blogger_innen, die ihren Umgang mit Krebs mit der Öffentlichkeit teilen. (Bilder: Screenshot @SvenjaWillLeben / Felix Burda Stfitung / Julia Geberth)

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19. September 2017 / Medien
Wie junge Menschen im Internet ihre tödliche Krankheit öffentlich machen und ihr so den Schrecken nehmen.
Seit es das Internet gibt, existieren Blogs von Menschen, die Krebs haben. Betroffene schreiben sich ihre Sorgen und Ängste von der Seele. Das ist nicht abschätzig gemeint: Schreiben hilft ganz sicher beim Verarbeiten einer Diagnose, vor allem einer unheilbaren. Ist sie einmal hingeschrieben, ist sie vielleicht besser fassbar. Ist das Schicksal zudem noch öffentlich, und andere Menschen können darauf reagieren, lösen diese äusserst persönlichen Geschichten noch mehr aus.

Die Krebs-Blogs haben sich inzwischen verändert, auch wegen Facebook. Ihre Macherinnen und Macher nutzen das soziale Medium für ihre Zwecke. Es erlaubt ein kinderleichtes Veröffentlichen von Bildern, Videos und Texten. Mit der 2016 eingeführten Live-Streaming-Funktion ist sogar ein Live-Chat möglich.
«Es tut mir gut, mir alles von der Seele zu schreiben, ohne dabei jemandem in die Augen schauen zu müssen.»
Svenja

Im Zentrum dieses Textes stehen drei Bloggerinnen und Blogger, die auch vor ihrer Erkrankung soziale Medien genutzt haben. Für sie war es deshalb logisch, dass sie auch mit ihrer Krankheit nach aussen treten – oder gerade wegen ihr. Die drei stammen alle aus Deutschland.

Wie eine Selbsthilfegruppe

Unfassbare 87‘000 Personen haben die öffentliche Facebook-Seite «Svenja will leben» abonniert. Verfasserin Svenja schrieb kürzlich in einem Beitrag über die Beweggründe, weshalb sie bloggt: «Es tut mir gut. Es tut mir gut, mir alles von der Seele zu schreiben, ohne dabei jemandem in die Augen schauen zu müssen.» Mitleid wolle sie damit nicht erheischen. Die 33-Jährige leidet seit sechs Jahren an einem Nebennierenrinden-Tumor, der auch in Wirbelsäule und Lunge gestreut hat. Die vielen Kommentare, die jeder ihrer Beiträge erzielt, zeigen auch: Es gibt viele, die ein ähnliches Schicksal teilen. Offenbar tut es sowohl der Bloggerin als auch den Lesenden gut zu sehen, dass sie nicht allein sind mit ihren Problemen. In einer gewissen Weise funktioniert eine solche Community wie eine Selbsthilfegruppe.

Ihre Beiträge, die wegen vieler Flüchtigkeitsfehler rasch hingetippt scheinen, drehen sich oft um die starken Schmerzen, unter denen Svenja leidet. Sie schreibt zum Beispiel: «Die Schmerzen, diese Krämpfe in den Beinen, seitlich am Rücken… Ich werde dabei fast wahnsinnig und bekomme jetzt in diesen Situationen Morphium.» In einem ihrer ersten Posts formuliert sie indirekt den Beweggrund, weshalb sie bloggt: «Ich bin Palliativpatient, aber ich gebe nicht auf! Ich kann nicht geheilt werden, ABER ich möchte noch so viel Zeit bekommen. Zeit!!!» Sie schreit ihren Schmerz und ihre Sorgen mittels Grossbuchstaben und Ausrufezeichen hinaus, teilt sie mit ihren Facebook-Freunden (die sie «Schnuggls» nennt), was ihr bestimmt auch Trost verschafft.

Auffallend an Svenja ist, dass sie eine modische Brille trägt, üppig tätowiert und auf den meisten Bildern sorgfältig geschminkt ist. Erst in letzter Zeit fotografiert sie sich auch ungeschminkt und man sieht ihr ihren schlechten Allgemeinzustand an («Es ist mir auch wichtig ‹den Krebs wegzuschminken›!! Aber das schaffe ich gerade nicht.») Früher hatte Svenja auf Facebook eine geschlossene Gruppe betrieben, in der sie im Namen einer internetbasierten Beauty-Firma Kosmetik-Tipps gab.

Klartext reden

Ein anderer Blogger, der kein Blatt vor den Mund nimmt und bereits über die sozialen Medien hinaus bekannt wurde, ist Benni Wollmershäuser. Der inzwischen 28-Jährige erhielt bereits vor sieben Jahren die Diagnose Darmkrebs. Drei Jahre später startete er mit seinem Blog «Cancelling Cancer» (auf Deutsch: den Krebs auslöschen), den er inzwischen komplett auf Facebook verlegt hat. Er habe andere Blogs entdeckt und wollte, dass seine Familie immer auf dem Laufenden ist, begründet er, weshalb er zu bloggen begann.

Das Besondere an ihm ist, dass er tatsächlich Klartext spricht. In seinen eigenen Worten: «Krebs sollte kein Tabuthema sein und auch über die buchstäbliche Scheiße kann man reden!» Er hat seit seiner ersten Operation, als ihm der bereits zehn Zentimeter grosse Tumor zu einem grossen Teil entfernt wurde, einen künstlichen Darmausgang. Heute ist er wegen Inkontinenz mit zwei Stoma-Beuteln unterwegs, wie er bereitwillig an einer Gala erzählte, als ihm von der Felix-Burda-Stiftung ein Ehrenpreis verliehen wurde. (Der Sohn des deutschen Verlegers Hubert Burda starb ebenfalls an Darmkrebs.) Wollmershäuser posiert auch gerne mal oben ohne mit dem Stoma-Beutel und bezeichnet sich selbst als «Beuteltier».
Dieser Krebspatient ist echt und weiss leider tatsächlich, wovon er spricht. Damit hat er sich eine Fangemeinde von über 10‘000 Followern geschaffen.

Sein Hauptanliegen ist die Prävention. Er rät seinen Leserinnen und Lesern eindringlich: «Hört auf die Warnsignale eures Körpers! Geht regelmässig zum Hausarzt!» Er lässt es aber bei Weitem nicht beim öffentlichen Aufruf und der Aufklärung anderer junger Menschen bewenden, sondern er breitet seine Krankheit – etwa die Nebenwirkungen seiner Chemotherapie oder andere bevorstehende Behandlungen – detailliert im Netz aus, zum Beispiel indem er ein Bild von sich mit einem Ausschlag im Gesicht postet. Zudem erfährt man als Abonnentin seiner Beiträge auch ganz Privates. Etwa, dass er und seine Frau – sie heirateten 2016 – kürzlich umgezogen sind und wann sie abends eine Grillparty feiern. Ganz normaler Facebook-Inhalt also. Hier vermischen sich das Öffentliche und das Private stark. Er selbst meint dazu: «Man sollte sich schon Gedanken machen, was man preisgibt, und sich vor allem jederzeit im Klaren sein, dass eben jeder mitlesen kann.» Dieser Mix verschafft Benni Wollmershäusers Auftritt aber auch die notwendige Authentizität. Dieser Krebspatient ist echt und weiss leider tatsächlich, wovon er spricht. Damit hat er sich eine Fangemeinde von über 10‘000 Followern geschaffen. Seine Beiträge erhalten in der Regel über 300 Reaktionen, manchmal sind es gar 700 Likes.

Manche reagieren negativ

Die dritte Bloggerin, über die ich berichten will, heisst Julia Geberth. Ihre Facebook-Seite nennt sie «Julie vs. Bill», wobei Bill der Name ist, den sie ihrem Krebs gegeben hat. Auf ihrem Titelbild posiert sie mit einem T-Shirt mit der Aufschrift «Kill Bill». In der Info-Rubrik schreibt sie kurz und knapp: «Mein Kampf gegen ein metastasiertes malignes Melanom, Bill. Schonungslos, ehrlich und ohne Blatt vorm Mund. Herzlich willkommen! Join Team Julie». Der Metapher des Kampfes folgend, spricht sie ihre Abonnenten denn auch als «Team Julie» an. Der heute 32-Jährigen wurde mit 25 Jahren ein bösartiger Hautkrebs diagnostiziert. Kurz vor ihrem dreissigsten Geburtstag bemerkte man, dass der Krebs auch in die Lymphknoten, die Lunge, das Zwerchfell und das Gehirn gestreut hatte.

Das Besondere an Julies Blog ist, dass man fast nicht merkt, wie krank sie wirklich ist. Sie sieht gut aus und ist fast immer perfekt zurechtgemacht. Doch ihr Alltag ist von der Krankheit geprägt, wie sie einer anderen Bloggerin in einem Interview verrät: Sie muss alle zwei Wochen in die palliative Chemotherapie, geht zur Psychotherapie, hat mit depressiven Phasen zu kämpfen, ist arbeitsunfähig und musste das Studium niederlegen. Trotzdem macht sie Sport und legt viel Wert auf gesunde Ernährung.
Julie sieht sich selbst als Mahnmal; als eine, die ihren Leserinnen und Lesern deutlich macht, dass auch junge Menschen Krebs bekommen können.

Sie thematisiert mehr als die beiden anderen, dass ihr und ihrem Blog auch negative Reaktionen entgegenschlagen. Im oben erwähnten Interview sagt sie: «Du hast keine Ahnung womit du konfrontiert wirst, wenn du deine Krankheit öffentlich machst. Es gibt auch Leute die sagen, dass ich das aus Mitleid mache, aber das ist absolut nicht der Grund.» Julie sieht sich selbst als Mahnmal; als eine, die ihren Leserinnen und Lesern deutlich macht, dass auch junge Menschen Krebs bekommen können. Alle sollten sich mit dem Thema auseinandersetzen: «Eben weil ich so ein normales junges Mädchen bin. Wenigstens sieht man so, dass es tatsächlich jeden treffen kann. Nicht nur alte Leute.»

Das Wichtigste an Julies Blog – sie hat gut 4’100 Fans – ist aber ihr Optimismus, ihre Lebenslust. Sie kann anderen Mut machen, weil sie einen guten Weg gefunden hat, mit ihrer Krankheit umzugehen. Die ist zwar da, aber nimmt nicht ihr ganzes Leben ein. Sie trifft Freundinnen zum Kaffee, macht Ausflüge, isst Pizza – wie eine ganz normale junge Frau eben. Auch wenn sie logischerweise «schlimme Tage» mit vielen negativen Gedanken hat, gelingt es ihr immer wieder, sich an kleinen, positiven Dingen zu erfreuen und aufzubauen. Und das versucht sie auch anderen zu vermitteln.

Die Geschichte zu Ende schreiben?

Wenn Benni Wollmershäuser nach längerem Schweigen schreibt, «Ja, ich lebe noch», hat dies eine ganz andere Bedeutung, wie wenn es jemand anderer tun würde. Was ist aber tatsächlich mit seinem Blog und seinen Fans, wenn er stirbt? Andere Bloggerinnen sind verstummt, als es ihnen schlechter ging. Über die Beiträge von Dritten erfährt man später von ihrem Tod. Eine weitere Gruppe lässt andere für sich schreiben oder den allerletzten Beitrag veröffentlichen, wenn sie selbst nicht mehr können.

Wollmershäuser beantwortet diese Frage so: Seine Frau würde für ihn schreiben, wenn er nicht mehr könnte – auch nach seinem Tod. Er finde, ohne diese Nachricht würde etwas fehlen. «Der Tod gehört ja zum Leben dazu. Und die Leute sollen ruhig Bescheid wissen.» Nach einem Abschlussposting ist es ihm aber wichtig, dass der Blog unverändert so stehen bleibt, wie er ist. «Damit die Leute dort noch ihre Gedanken hinterlassen können.»
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