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Medienschau August 2017

Medienschau August 2017

Weitere Infos

Die Medienschau von palliative zh+sh gibt Einblick in die Berichterstattung zu Palliative Care und verwandten Themen des vergangenen Monats. (Bild: palliative zh+sh, ei)

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Weitere Infos zum Thema

Unter dem Titel «Medienschau» bietet palliative zh+sh regelmässig einen (unvollständigen) Überblick über die Berichterstattung in verschiedenen Medien zu Palliative Care und verwandten Themen.

Die Medienschau ist eine Momentaufnahme eines Ausschnittes der öffentlichen Diskussion zum Thema und bietet kurze Zusammenfassungen, zeigt Verknüpfungen auf und soll nicht zuletzt unterhalten und zur weiteren Lektüre der besprochenen Beiträge anregen. Wo vorhanden, werden die Links zu den Beiträgen deshalb in der rechten Spalte aufgelistet.

Video zum Thema

08. September 2017 / Medien
«Inwiefern unterstützt eine Behandlung die Lebensqualität eines Patienten?» Steffen Eychmüller sagte im Interview mit dem Magazin «Vitamin G» des Departements Gesundheit der Zürcher Fachhochschule für angewandte Wissenschaften ZHAW, wir sollten die Medizin «viel utilitaristischer sehen». Das Gespräch wurde auf dem ZHAW-Blog publiziert. Eychmüller wünscht sich «ein pragmatisches medizinisches Konzept, das in jeder Behandlung einen lebensgeschichtlichen, patientenorientierten Teil vorsieht – was tut dem Patienten gut, was ist ihm wichtig, wovor hat er Angst, wie lebt er – und einen Teil, der die medizinische Diagnose betrifft.» Dies bedinge ein partnerschaftliches Vorgehen. «Die Patienten sind die Spezialisten für ihr eigenes Leben, wir Fachpersonen sind Spezialisten für Teilbereiche von Krankheiten und Behandlungsmöglichkeiten.» Das Wissen, dass es mehr brauche als Hightech, sei eigentlich da, so Eychmüller. Aber in der klinischen Praxis werde dem zu wenig Wert beigemessen. Die aktuelle Printausgabe von «Vitamin G», die bereits früher erschienen ist, widmet dem Thema Lebensende einen Schwerpunkt mit lesenswerten Beiträgen.

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Dem deutschen «Spiegel» stand der kalifornische Palliativmediziner Bruce Miller Red und Antwort. Er sagt, in der Palliativmedizin gehe es um ein Wohlfühlen in jedem Abschnitt der letzten Lebensphase. Er arbeite darum viel mit der Stimulierung der Sinne. «Mit Sinnesfreuden lässt sich viel Leid lindern.» Er sagt, das Sterben könne schmerzfrei und würdevoll ablaufen, solange es gelinge, «Menschen kreativ und ästhetisch aus dem Leben zu begleiten». Und er sagt, Menschen, die auf den Tod warten, brauchen Pflege und Fürsorge, und zwar in erheblichem Masse. «Das überfordert Krankenhäuser.» In jungen Jahren erlitt Miller einen schweren Unfall, bei dem er beide Unterbeine und einen Unterarm verlor. «Durch den Unfall lernte ich, dass mein persönliches Glück nicht von zwei funktionierenden Beinen abhängig ist», sagt er heute. Ausserdem erleichtere ihm seine Behinderung oft den Zugang zu den Patienten.

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Damit das Sterben schmerzfrei und würdevoll ablaufen kann, braucht es ausserdem die Auseinandersetzung damit. In einem Beitrag im Blog des Stadtzürcher Schulungszentrums Gesundheit SGZ schreibt Marcel Meier, es sei wichtig, die Vorstellungen innerhalb der Familie zu klären, damit die Sterbephase des Angehörigen ein Prozess werde, den alle individuell begleiten könnten. Meier ist Beauftragter Palliative Care der Pflegezentren Mattenhof und Irchelpark. Der Fachmann bringt Anregungen aus der Fachliteratur, welche Themen in einem Gespräch über das Sterben wichtig sein können und verweist ausserdem auf das Buch «Reden über Sterben» von palliative zh+sh und dem Verlag Rüffer & Rub. Er empfiehlt ein strukturiertes Vorgehen, denn dies helfe, bessere und zufriedenstellende Entscheidungen treffen zu können und entlaste zudem das interprofessionelle Team. Gespräche über das Sterben und die Vorstellungen über den eigenen Tod sollten schon vor dem Eintritt in eine Institution mit der Familie geführt werden, findet Meier. «Wenn dies nicht möglich war, liegt es an der Institution, dazu Raum bereit zu stellen.»

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«Wenn es soweit ist, werde ich nicht "in stiller Trauer" Abschied nehmen, so poetisch das auch klingen mag. Meine Trauer wird laut sein.»
Andrea Keller

Über das Sterben zu reden, den nahenden Tod eines geliebten Menschen zu «besprechen» kann ganz allgemein befreiend wirken – auch wenn es nicht um geplante, gewünschte oder unerwünschte Massnahmen am Lebensende geht. Das zeigt ein Beitrag im Magazin Zürich. Die Autorin Andrea Keller beschreibt, wie ihre schwer kranke Tante Ella sie eines Tages anrief und sofort zur Sache kam: «Hilfst du mir, meine Todesanzeige zu formulieren?» Bei Wein und Zigarette liessen sich die beiden Frauen auf das Thema ein, sprachen über Alltäglich-Banales ebenso wie über den grossen Abschied. Sie lachten und weinten und während dem Gespräch wird der Autorin bewusst: «Wenn es soweit ist, werde ich nicht "in stiller Trauer" Abschied nehmen, so poetisch das auch klingen mag. Meine Trauer wird laut sein. Ich werde heulen wie ein Kind, unkontrolliert, arrhythmisch, werde die Nase hochziehen und dabei auch tatsächlich wieder jenes Mädchen sein, das sich Ella zum Vorbild nahm.» Das Vergängliche, es könne einem schon Angst machen, schreibt Keller. Gerade weil wir nicht darüber reden. Seit jenem Abend wisse sie, wie wichtig und richtig es sich anfühlen könne, die Dinge beim Namen zu nennen.

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Die Ergebnisse einer NFP67-Studie über die Gesundheitskosten in den letzten Lebensjahren wurden von verschiedenen Medien aufgenommen (pallnetz.ch berichtete bereits Ende März darüber). Der Tagesanzeiger betonte dabei die regionalen Unterschiede. In der Romandie und im Tessin sind die Kosten höher als in der Deutschschweiz. Ein Grund könnte sein, dass dort mehr Menschen im Spital sterben und weniger zu Hause oder in einem Heim als in der Deutschschweiz. «Wo es mehr ambulant behandelnde Ärzte und Pflegeheime habe, sinke die Wahrscheinlichkeit im Spital zu sterben», zitiert der Tagesanzeiger einen Autor der Studie des Instituts für Sozial- und Präventivmedizin der Universität Bern. Ein weiterer möglicher Grund für die regionalen Unterschiede sei, dass französischsprachige Fachleute Schmerzen eher aggressiv behandelten.

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«Eine knallharte Rationierung medizinischer Leistungen steht einer Gesellschaft schlecht an, die zu den wohlhabendsten der Welt gehört.»
Simon Hehli

Ein Kommentar zu den Ergebnissen dieser Studie erschien in der NZZ. «Wie viel ist uns ein gewonnenes Lebensjahr wert?», fragt der Autor Simon Hehli und fordert, die Diskussion darüber, welche Behandlungen Menschen im hohen Altern noch erhalten sollen, müsse ohne Tabus geführt werden. «In den zwölf Monaten vor dem Tod sind die Ausgaben für einen Patienten rund zehnmal höher als für den durchschnittlichen Versicherten. Entsprechend liegt dort auch das grösste Potenzial für Einsparungen.» Wer solche Gedanken konkretisieren wolle, lande jedoch schnell bei ethisch schwierigen Fragen: «Wie viel ist uns ein gewonnener Monat wert? Wie viel ein Lebensjahr? Ein Jahrzehnt?» Eine knallharte Rationierung medizinischer Leistungen stehe einer Gesellschaft schlecht an, die zu den wohlhabendsten der Welt gehöre, findet Hehli. Für Betroffene müsse aber nicht immer die teuerste und medizinisch aufwendigste Option die beste sein. «Eine Chemotherapie, die einem 85-Jährigen bloss drei zusätzliche Monate bei schlechter Lebensqualität beschert, ist nicht mehr als eine Tortur.» Es finde diesbezüglich bereits ein Umdenken statt und die Bemühungen sollten in Zukunft noch stärker in Richtung einer hervorragenden Palliative Care gehen, die ein schmerzfreies Sterben in Würde und ohne falsche Genesungshoffnungen ermöglichten. Hehli fordert ausserdem, die Krankenkassen sollten der Forschung noch mehr Informationen zur Verfügung stellen, damit präzisere Prognosen zu Therapieerfolgen möglich würden.

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Die palliative Versorgung verbessern will beispielsweise der Kanton Solothurn. Die Regierung nimmt einen entsprechenden überparteilichen Auftrag zum Thema Palliative Care entgegen, wie die Solothurner Zeitung berichtete. Was im Kanton Solothurn fehle, sei eine flächendeckende Koordination von Angeboten der Palliative Care sowie eine nachhaltige Finanzierung von Diensten und Leistungen, die nicht von der Krankenversicherung abgedeckt sind. Es sei darum zu prüfen, ob eine Koordinationsstelle geschaffen werden soll. Eine Arbeitsgruppe soll den Auftrag erhalten, ein Versorgungskonzept erarbeiten.

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In der Versorgung von pflegebedürftigen Menschen geht der Trend insgesamt Richtung «Home Care», wie auch die Forscherin Iren Bischofberger in einem Blogbeitrag von Careum Forschung verdeutlicht. Die Voraussetzungen werden dafür von der Infrastruktur her immer besser. Jedoch hapert es beim Personal. Es brauche Personen für Handreichungen, Pflege und Behandlung, so Bischofberger. Eigentlich wären auch komplexe Behandlungen zuhause immer besser möglich. Stichwort: «High-Tech Home Care» (HTHC). Während jedoch der medizinische Fortschritt immer komplexere Behandlungen mit entsprechendem Bedarf an Fachpersonal «produziere», kämpften Spitex und Hausarztpraxen seit Jahren mit Fachkräftemangel und Nachwuchsproblemen. Dauerbrenner seien im Bereich HTHC deutliche Finanzierungslücken. «High-Tech wird im Spital gefördert und finanziert, bei High-Tech Home Care verschliessen sich aber Augen und Portemonnaie.» Bischofberger gibt kurz Einblick in einen neuen Ansatz, den das Start-up Unternehmen «Belvita» entwickeln wolle. Die Kombination aus drei Elementen sei vielversprechend: Technisch unterstützte Kommunikationsplattform für Angehörige und Familie, Pflegeteams ohne Hierarchien und vernetzte Nachbarschaftshilfe. «Mit diesem Ansatz, in dem auch High-Tech Home Care mitgedacht ist, wird "high-touch" als soziale Nähe durch die Nachbarschaftshilfe gefördert», so Bischofberger.

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Wie die Langzeitpflege für eine rasch alternde Gesellschaft zu gewährleisten ist, sei eine der komplexesten Fragen für den amerikanischen Arbeitsmarkt.

Die New York Times betrachtete «Home Care» derweil aus der volkswirtschaftlichen Perspektive für Amerika. Denn wie die Langzeitpflege für eine rasch alternde Gesellschaft zu gewährleisten ist, sei eine der komplexesten Fragen für den amerikanischen Arbeitsmarkt. Unter dem Titel «Home Health Care: Shouldn’t it be work worth doing?» kritisiert Eduardo Porter, dass diejenigen, die Betreuung zu Hause ohne spezialisierte medizinische Leistungen gewährleisten, am allerwenigsten verdienen – obwohl sie die meiste Zeit in die Begleitung investieren. Die Fluktuation in diesem Bereich sei darum immens. Wenn nichts getan werde, um mehr Arbeitende auf dieser Stufe für Home Care zu motivieren, würden bis 2040 mindestens 350'000 bezahlte Betreuende fehlen, wird eine Berechnung von Paul Osterman des «Massachusetts Institute of Technology’s Sloan School of Management» zitiert. Osterman sei überzeugt, es könnten unter dem Strich grosse Summen eingespart werden, wenn diese Jobs besser wertgeschätzt und bezahlt würden. Vor allem schlägt er vor, die Betreuenden in zusätzlichen Aufgaben zu schulen; beispielsweise im Managen von Übergängen ihrer Patienten vom Spital nach Hause und umgekehrt, in der Unterstützung der korrekten Einnahme von Medikamenten, in der Aufgabe, die Arzttermine der Patienten im Griff zu behalten und so weiter. Doch natürlich ist die Umsetzung seiner Ideen nicht leicht. Es stellen sich Fragen zur Finanzierung durch die Kassen und nicht zuletzt gehen viele Verbände von Pflegefachpersonen auf die Barrikaden. Porter schreibt, am Ende gehe es nicht ausschliesslich darum, wer die Menschen betreue, wenn sie alt und geschwächt sind. «Das übergeordnete Thema ist die Frage, wie die Amerikanische Gesellschaft künftig aussehen wird. Denn dies sind die Jobs in Amerikas Zukunft.»

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«Sie brauchen eine Umgebung, die Sie fordert. Das ist ganz wichtig. Sonst werden Sie träge, der Sessel ist bequem.»
Inge Jens

Über einen langen Weg der Betreuung zuhause durch eine Angehörige erfuhr man in einem Interview der «Zeit». Inge Jens hat ihren an Demenz erkrankten Mann Walter Jens zehn Jahre lang zuhause gepflegt. Im Alter von fast 90 Jahren hat die Literaturwissenschaftlerin ein Buch darüber publiziert («Langsames Entschwinden», 2016). Im Interview mit der «Zeit» berichtet sie unter anderem darüber, wie das örtliche Spital, in das ihr Mann für einen kleinen Eingriff am Zeh kurzzeitig eintrat, komplett überfordert war mit dem schwer demenzkranken Patienten. Was sich dort abgespielt habe, sei «ein einziger Skandal» gewesen, sagt sie. Das Essen sei ihm mit den Worten «Lassen Sie es sich schmecken» hingestellt worden. Eine Stunde später wurde es wieder – unangetastet – abgeholt. Niemand habe überhaupt gewusst oder bemerkt, dass ihr Mann an Demenz leide. Die Betreuerin, die ihren Mann auch zuhause begleitete, sei darum auch im Spital immer bei ihm gewesen. «Er wäre sonst verhungert, ohne dass es jemand bemerkt hätte», so Jens. Auch wenn sie betont, dass so etwas in einem Pflegeheim sicher nicht passieren würde, würde sie nicht empfehlen, im Alter «rechtzeitig in eine Pflegeeinrichtung» zu ziehen. «Nicht, solange Sie nicht pflegebedürftig sind. Sie brauchen eine Umgebung, die Sie fordert. Das ist ganz wichtig. Sonst werden Sie träge, der Sessel ist bequem.» Aber: «Sie sollten rechtzeitig überlegen, was Sie wollen.» Man müsse sich auf das Alter vorbereiten, dem Sterben müsse man sich stellen.

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In der Betreuung zuhause spielen manchmal auch Kinder und Jugendliche eine wichtige Rolle. Die deutsche Ärzte Zeitung berichtete über einen neuen Report des Zentrums für Qualität in der Pflege ZQP, wonach sich viele junge Pflegende allein gelassen fühlen. 1005 Betroffene wurden befragt, fast jeder Zweite fühlt sich «etwas belastet» und fünf Prozent gaben an, sich «sehr belastet» zu fühlen. Der Vorstandsvorsitzende des ZQP Ralf Suhr sagt, Fachpersonen sollten «für die Situation sensibel sein und darauf achten, wann Hilfe nötig wird».

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Wie herausfordernd die Situation als junge Pflegende, als Young Carer, sein kann, zeigt auch ein eindrücklicher Bericht über eine Betroffene im «Landboten». Melissa Allemann, heute Mutter zweier Kinder, wuchs mit einem schwer beeinträchtigen Bruder auf, den sie intensiv mitbetreute und der im Alter von 17 Jahren starb. Sie erinnert sich an die Jahre, in denen Giorgio Tag und Nacht Pflege und Unterstützung brauchte und wie die Familie die wenigen freien Stunden zusammen verbrachte. «Ich habe nie eine tiefere Liebe empfunden als für Giorgio, bis meine eigenen Kinder auf die Welt kamen», sagt Melissa. Sie weiss heute, im Rückblick, dass sie als Kind vieles nicht gehabt hat. Aber darunter gelitten habe sie nie. Sehr genau erinnert sie sich auch an die letzten Wochen, Tage und Stunden von Giorgio, die tiefe Spuren hinterliessen. Seither begleiten Melissa viele Ängste. «Ich habe Angst vor dem Gefühl, das man in einer solchen Ausnahmesituation hat», sagt sie. Wenn die Ängste überhandnehmen, sucht sie sich professionelle Hilfe.

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Ein ganz anderes Thema wurde in der aktuellen Ausgabe des «Swiss Medical Forum» SMF verhandelt. Karen Nestor, Daniel Büche und andere (Palliativ-) Mediziner_innen gingen in einem Beitrag auf den Umgang mit Sterbehilfe in der Praxis ein. Es sei wichtig, «bei der täglichen ärztlichen Arbeit den rechtlichen Rahmen, in dem sich die Sterbehilfe in der Schweiz bewegt, zu kennen und die dahinterliegenden ethischen Prinzipien zu reflektieren», schreiben die Autoren. Sie klären im Artikel Begriffe der direkt aktiven, der indirekt aktiven sowie der passiven Sterbehilfe und des assistierten Suizids. Beleuchtet wird das Thema aber auch medizinisch-ethisch, wobei die Autoren unter anderem die Stigmatisierung von Alter und Gebrechlichkeit kritisieren. Die Debatte über die Kosten im Gesundheitswesen und die «gleichzeitige Herabwürdigung von Alter und Gebrechlichkeit» berge die Gefahr, dass der Druck auf ältere Menschen steige und sie den assistierten Suizid als Ausweg sähen. Man müsse angesichts der demographischen Entwicklung dringend Gegenvorschläge diskutieren für eine nachhaltige Sozialpolitik, welche die Wahrung der Würde alternder Menschen und eine neue Kultur der Sorge am Ende des Lebens einschliessen würden.

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«Palliativmedizin ist kein Allheilmittel. Das soll uns nicht daran hindern, sie zu optimieren.»
Alberto Bondolfi

Zum Thema Suizid erschien im Tagesanzeiger ein Interview mit Alberto Bondolfi, Professor für Ethik und katholischer Theologe. Er sagt, Suizid entziehe sich dem ethischen Urteil. Bondolfi betrachtet den Suizid «nicht als beste Form des Sterbens, sondern als Ausnahmesituation». In der Regel versuche die Gesellschaft, Suizid zu vermeiden, darum gebe es Präventionskampagnen. «Der Bilanzsuizid ist eine besondere, eine philosophische Form des Suizids. Man sollte versuchen, die Suizidformen nicht zu pathologisieren.» Die verschiedenen Arten von Suizid sollten weder negativ noch positiv beurteilt werden. Faktisch habe der Staat die Klassifizierung von verschiedenen Formen der Suizidhilfe den Vereinigungen wie Exit überlassen. Die Bevölkerung könne nicht erwarten, dass eine Exit-Mitgliedschaft alle Probleme lösen könne. Suizidhilfe sei Menschen vorbehalten, die bis zum Schluss urteilsfähig sind. Also gebe Exit keine umfassende Antwort auf das Sterben im Allgemeinen. «Grundsätzlich bleibt es eine Illusion zu glauben, der Tod sei restlos planbar. Per definitionem ist er nicht komplett organisierbar. Es gehört zu seinem Wesen, dass er plötzlich kommt.» Palliativmedizin sei kein Allheilmittel. Dass der Ausbau der Palliative Care die Zahl der Suizidbegleitungen beeinflussen könnte, glaubt Bondolfi nicht. «Das soll uns nicht daran hindern, die Palliativmedizin zu optimieren.» Bondolfi wünscht sich eine öffentliche Diskussion, bei der nicht «vorschnell nach neuen Gesetzen» gerufen werde. «Eine ethische Diskussion über den guten Tod, über die zu schaffenden Bedingungen, damit die Leute nicht sofort an Suizid denken.» Und er findet, eine solche Debatte müsste auf europäischer Ebene stattfinden.

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Methadon als Krebsmittel: Eine Geschichte, die seit längerem in den Medien diskutiert wird und die durch einen Beitrag im ARD-Magazin «plusminus» begonnen hatte, wurde diesen Monat von dem Magazin fortgeschrieben. Berichtet wurde dabei über die riesige Resonanz, die der Beitrag über den möglichen Einsatz von Methadon in der Krebstherapie ausgelöst hatte. Im Beitrag, der im vergangenen April ausgestrahlt worden war, kamen Krebspatienten zu Wort, die neben der üblichen Krebsbehandlung Methadon einnahmen – und dies nicht nur zur Behandlung von Schmerzen, sondern offenbar auch mit einer starken Wirkung gegen ihre Tumore. Doch noch gibt es zu dieser Therapie keine klinischen Studien, weshalb im Anschluss an diesen Bericht zahlreiche – laut «plusminus» fast sämtliche – Fachgesellschaften aus der Medizin vor dem Einsatz von Methadon in der Krebstherapie warnten. Lukas Radbruch von der Deutschen Gesellschaft für Palliativmedizin DGP riet sogar Krebspatienten mit Schmerzen vom Gebrauch von Methadon ab. «Wie unabhängig sind die Warnungen der Fachgesellschaften tatsächlich?», fragt «plusminus» im neuen Beitrag und geht auf einzelne mögliche Abhängigkeiten ein. Seit der Ausstrahlung des ersten Beitrages zum Thema seien nun trotz aller Warnungen einige Studien beantragt worden, um der Wirkung von Methadon auf Krebs klinisch nachzugehen.
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