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Netzlounge:
Herausforderungen in der Langzeitpflege heute und morgen

Netzlounge: <br>Herausforderungen in der Langzeitpflege heute und morgen

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Silvia Meier, Leiterin Pflege des KZU, erläutert die aktuell wichtigsten Herausforderungen im Alltag des Pflegeszentrums «Im Bächli» in Bassersdorf. (Bild: palliative zh+sh, ei)

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Die Netzlounge-Foren widmen sich dieses Jahr dem Thema Palliative Care in der Langzeitpflege. Fachleute diskutieren im Plenum unter anderem Fragen wie: Was wird in der Langzeitpflege «noch» gemacht, welche Techniken werden verwendet? Wie verlaufen Verlegungen von Akutstationen ins Pflegeheim oder Hospiz? Wie kann ein Pflegeteam der eigenen Gesundheit Sorge tragen? An jedem Anlass stellt sich eine Institution vor, greift die für sie relevanten Fragestellungen auf und stellt sie im Plenum zur Diskussion.

Nächster Termin: 8. September 2016, 16 Uhr. Mit dem Pallivita Bethanien in Zürich: Kathrin Doering (Leiterin Pallivita), Bärbel Weinstein (Leiterin Wohnen und Pflege Bethanien) und Wilma Müller (Pflegeexpertin, Leiterin Qualitätsmanagement).

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17. Mai 2016 / Region

Isabelle Weibel und Silvia Meier stellten an der Netzlounge vom vergangenen Donnerstag das Pflegezentrum «Im Bächli» vor und erzählten von ihren aktuellen Herausforderungen. Die Einrichtung des Kompetenzzentrums Zürcher Unterland KZU ist gut auf die Bedürfnisse von Palliativpatienten ausgerichtet und pflegt seit langem eine entsprechende Grundhaltung. Mit spezialisierter Ausrichtung und breiter Palliative-Care-Grundhaltung beschäftigt sich auch die neue Fachgesellschaft Palliative Geriatrie FGPG, die sich an der Netzlounge kurz vorstellte.


Die zweite diesjährige Netzlounge zum Thema «Langzeitpflege» startet mit speziellen Gästen aus dem In- und Ausland: Die Gründungsmitglieder der Fachgesellschaft Palliative Geriatrie FGPG stellen ihre neue Organisation vor. Roland Kunz erklärt, wie es zur Zusammenarbeit zwischen ihm und den beiden weiteren Gründungsmitgliedern aus Deutschland und Österreich gekommen ist. Dirk Müller, Projektleiter des Kompetenzzentrums Palliative Care im Unionshilfswerk in Berlin, Katharina Heimerl von der Fakultät für interdisziplinäre Forschung und Fortbildung IFF in Wien und er gründeten nach langjähriger loser Zusammenarbeit die neue Fachgesellschaft. Dirk Müller erklärt: «In Deutschland habe ich beobachtet, dass Palliative Care und Hospizarbeit sehr auf onkologische Erkrankungen ausgerichtet ist und dass das Konzept sehr oft erst dann greift, wenn „der Tod schon an die Türe klopft“, wie Marina Kojer sagt.» Er wollte die Kompetenzen der Palliative Care und jene der Altenarbeit stärker verbinden. «Ich mag von Herzen alte Menschen», sagt er. «Es braucht eine gute Altenpflege. Und dazu brauchen wir alle Formen, auch Pflegeheime.» Dirk Müller will in der SGPG die Perspektive der Pflege einbringen.

Katharina Heimerl bringt die Perspektive der Wissenschaft ein. Sie findet, die Wissenschaft müsse ihre Erkenntnisse der Praxis zugänglich und interessant machen. Das sei eine der Aufgaben der neuen Gesellschaft. Und: «Wir sehen unsere Aufgabe auch darin, so etwas wie Advokat_innen zu sein für alte und demenzkranke Menschen in Palliative Care.» Roland Kunz vertritt die ärztliche Perspektive. Er betont, man wolle mit der SGPG keine Konkurrenz zu bereits bestehenden Fachgesellschaften einrichten, sondern das Spektrum innerhalb des Faches damit erweitern und etwas für die Menschen aus der Praxis in diesem Bereich bieten. Dazu sollen Tagungen im deutschsprachigen Raum organisiert werden, eine Zeitschrift soll Informationen in ansprechender und verständlicher Sprache vermitteln und eine Weiterbildung wird derzeit entwickelt. Palliativmediziner und Co-Präsident von palliative zh+sh Andreas Weber lobt aus dem Publikum die Gründung der neuen Fachgesellschaft und freut sich, dass sich die Gründungsmitglieder hier engagieren. Er gibt gleichzeitig zu bedenken: «Es wäre schade, wenn viele parallele Strukturen innerhalb der Palliative Care entstünden. Toll wäre, wenn diese Anliegen in die bestehenden Palliative-Care-Strukturen Eingang fänden, auch in Sachen Weiterbildung.»

Vertrauen schaffen, gleich zu Beginn

Das KZU Kompetenzzentrum Pflege und Gesundheit betreibt unter anderen das Pflegezentrum «Im Bächli» in Bassersdorf. Dort gibt es vier Betten für Bewohnerinnen und Bewohner in komplexen palliativen Situationen. «Die Grundhaltung im Sinne von Palliative Care pflegen wir im gesamten Zentrum», erklärt die Pflegeexpertin Isabelle Weibel. «Allen Bewohnenden kommt eine lebensqualitätsverbessernde Betreuung zu.» Zusätzlich gibt es vier Betten mit spezialisierter Palliative Care für Bewohnende und Angehörige in komplexen und instabilen Krankheits- und Lebenssituationen. Weibel stellt als Erstes eines der wichtigsten Instrumente vor, das die Fachpersonen des Bächli intensiv nutzen: Das Rundtischgespräch. Noch bevor eine Person mit Bedarf an spezialisierter Palliative Care in das Bächli eintritt oder innerhalb des Pflegezentrums ein Übertritt in die spezialisierte Betreuung stattfindet, gibt es ein Gespräch mit den Betroffenen und Angehörigen, sowie den behandelnden Fachpersonen. Nach dem Eintritt findet ein weiteres Rundtischgespräch statt und anschliessend setzen sich die Betroffenen und Betreuenden in regelmässigen Abständen wieder am Rundtisch zusammen. «Wir haben die Erfahrung gemacht, dass man damit von Beginn an sehr schnell Vertrauen aufbauen kann. Wir schaffen mit diesen Gesprächen die Voraussetzungen, die Betreuung so zu gewährleisten, dass schnell viel Ruhe in die Situation einkehrt», so Weibel.

Ein weiteres Instrument, das an der Netzlounge auf grosses Interesse stösst, ist die «Handlungsempfehlung Sterbephase», mit der die Fachpersonen im Bächli arbeiten. «Wir brauchten im Haus ein Instrument, um die allerletzte Lebensphase so gestalten zu können, dass wir den Bedürfnissen der Betroffenen in jeder Hinsicht gerecht werden können», sagt Silvia Meier, die Leiterin Pflege des KZU. Aus diesem Bedarf entstand ein strukturiertes Dokument, das die betreuenden Fachpersonen darin unterstützt, einen raschen Überblick über spezifische Situationen zu erhalten und entsprechende Lösungen zu finden. «Entgegen der wahrscheinlichen Erwartung ermöglicht uns dieses Dokument eine hohe Flexibilität in der Situation», sagt Pflegeexpertin Weibel. «Je mehr Grundlagen bereits vorgegeben sind, desto kreativer können wir in der konkreten Ausgestaltung der Lösungen in der Situation sein.»

Kreativität ist auf allen Ebenen gefragt

Wichtig ist es Weibel und Meier auch, dass in der Symptomkontrolle kreative Wege gegangen werden können. Dabei geht die Behandlung weit über die Anwendung von Medikamenten hinaus. Durch den Einbezug der Biografie, persönlicher Vorlieben und Erinnerungen sowie sozialen oder spirituellen Wünschen können viele Symptome gelindert werden. Auch hier zeigen sich die beiden Expertinnen überzeugt: «Kreativität ist gefragt.»

Grosse aktuelle Herausforderungen sehen die Vertreterinnen des KZU unter anderem im Pflege- und Betreuungsaufwand, der im Laufe der Zeit zu steigen scheint. Auch das breitere Altersspektrum im Pflegezentrum – insbesondere seit dem Angebot der spezialisierten Palliative Care – ist nicht zuletzt für die Betreuenden eine grosse Herausforderung. Letztlich, so Weibel, sei das Setting trotz allem für jüngere Menschen nicht so ganz stimmig. Aber es fehle an Alternativen für sie. Auch die Komplexität der Situationen nehme insgesamt eher zu als ab, vor allem in den Dimensionen Psyche und Soziales. Ein Phänomen, das die Fachfrauen beschreiben und das bereits bei der ersten Netzlounge für viel Gesprächsstoff gesorgt hat, ist ein «Überraschungseffekt» beim Eintritt in das Pflegezentrum, der sich auch auf die Kosten bezieht. «Für viele Leute ist es einfach nicht einleuchtend, dass sie nach einem Aufenthalt in einer Palliativstation eines Spitals wieder aus- und ins Pflegeheim eintreten müssen», sagt Weibel. «Ich bin halt nicht schnell genug gestorben», sei ein Satz, den sie von Betroffenen schon gehört hätten. Die Kosten für die Betroffenen steigen ab diesem Übertritt markant.

Verträge mit allen Gemeinden im Unterland

Die Finanzierung der komplexen Leistungen war auch in der anschliessenden Diskussion unter den Teilnehmenden erneut ein wichtiges Thema. Der anwesende CEO des KZU André Müller erklärte: «Unsere Gemeinden sind gottseidank grosszügig.» Das KZU habe mit allen 20 Gemeinden des Zürcher Unterlandes Leistungsverträge abgeschlossen. Die Gemeinden, so Müller, seien bereit, in gute Pflegeleistungen zu investieren. Wichtig seien ein intensiver Kontakt sowie gutes Monitoring und Dokumentation. «Leider beteiligen sich – wie überall – die Krankenversicherungen nicht», so Müller. So kennt man auch im Zürcher Unterland die Realität, dass oft viel und sehr komplexer Pflege- und Betreuungsaufwand betrieben wird, der am Ende nirgendwo abgerechnet werden kann. «Wir merken, dass Akut- und Langzeitbereich nach wie vor zwei verschiedene Gärten sind. Da muss sich noch sehr viel ändern», sagt Weibel. Ihre Frage, die sie zum Einstieg in die Diskussion gestellt hat, bleibt offen: «Wohin führt uns die zunehmende Komplexität und wer kann solche Situationen künftig bewältigen?»
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