Letzte Woche hat eine spezielle Zeitschrift Vernissage gefeiert. Der «Zeitgeist» ist eine junge Publikation, die auf die Erzähl- und Lesebedürfnisse hochbetagter Menschen eingeht. Die erste Ausgabe widmet sich dem Thema «Ende und Anfang».
Die kleine Bühne in der Cafeteria des Alterszentrums Laubegg ist mit Bildern von Cervelats tapeziert. Gefeiert wurde vor einer Woche die erste reguläre Ausgabe der Zeitschrift, die sich laut Untertitel dem Storytelling, also dem Geschichtenerzählen, und der altersgerechten Gestaltung widmet. Auf dem Cover prangt der doppelköpfige Gott Janus. Er blickt nach vorne in die Zukunft und gleichzeitig zurück in die Vergangenheit, auf dem Teller vor ihm die Schweizer Nationalwurst. Sie hat zwei Enden – oder zwei Anfänge?
Martina Regli (29) und Carolyn Kerchof (27) sind die Köpfe hinter dem Zeitgeist. Man merkt, sie haben Ahnung von Gestaltung und Vermittlung. Regli hat Vermittlung von Kunst und Design an der ZHdK studiert. Sie arbeitet bereits seit Längerem im Alterszentrum Laubegg. Früher als Aktivierungstherapeutin und jetzt an mehreren Projekten. Der «Zeitgeist» ist als Kerchofs Masterarbeit im Fach Design an der Zürcher Hochschule der Künste (ZHdK) entstanden. Damit hat sie bereits drei Preise abgeräumt: den Social Impact Award, dessen Booster Prize und eine Auszeichnung an der Women’s Business Conference. Das Forschungsinteresse der beiden Frauen besteht darin herauszufinden, wie ein Medienprodukt gestaltet sein muss, damit auch alte Menschen damit klarkommen. Für diese spielten nicht nur Kriterien wie Schriftgrösse und Papier eine Rolle, sagt Kerchof ein paar Tage nach der Vernissage, sondern zum Beispiel auch der Kontrast von Bildern, der Zeilenabstand, die Längen oder die Platzierung der Texte.
Kerchof und Regli haben hohe Ziele: Sie wollen herausfinden, was hochaltrige Menschen in Zürich gerne lesen, was sie erzählen möchten und was andere, etwa auch Junge, von ihnen wissen wollen. Entstanden ist eine ansprechend gemachte – man könnte fast sagen knackige – Zeitschrift voller Geschichten, die alles andere als altbacken und verstaubt daherkommen (siehe Text rechts).
Kalte Füsse
Die Zeitschrift «Zeigeist» entsteht in enger Zusammenarbeit mit den hochaltrigen «Expert_innen». Jede einzelne gelayoutete Seite präsentieren die jungen Gestalterinnen jeweils in mehreren Varianten einer Gruppe von ihnen. Auch beim Schreiben der Artikel scheuen sie keinen Aufwand. Diese entstehen, in dem eine junge und eine oder mehrere alte Personen mehrmals zusammensitzen. Gemeinsam besprechen sie die Texte, verändern und verbessern sie. «Einen Text zusammen zu schreiben, tut gut», sagt Kerchof. Die betagten Geschichtenschreiber oder -erzählerinnen «sollen Freude haben am Produkt.» Falls diese kalte Füsse bekämen, dürften sie ihre Texte bis ganz zum Schluss zurückziehen. Zwei Mal sei das schon passiert. Einmal sogar am Tag, als die Dateien in die Druckerei geschickt werden sollten. Natürlich sei das ärgerlich, aber einfach Teil der Abmachung, sagt Regli. «Der Prozess des Zeitschriftmachens ist wichtiger als die Veröffentlichung.»
Der «Zeitgeist» erscheint sechs Mal jährlich. Jede Ausgabe ist einem Thema gewidmet; das nächste heisst «Bauchgefühl». Die Zeitschrift kann für 60 Franken abonniert werden. Ein Schnupperabo für drei Ausgaben kostet 30 Franken. Die Bewohnenden des Alterszentrums Laubegg beteiligen sich freiwillig und auf unterschiedliche Weise am Projekt. Sie nehmen an Diskussionsrunden teil, die dann im Heft ihren Niederschlag finden. Sie liefern Geschichten oder schreiben sie gar selbst auf. Oder sie helfen beim Versand mit. Und dann gibt es natürlich auch die, die den «Zeitgeist» «nur» lesen. All die Geschichten vom Anfang bis zum Ende.