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Der Notfallplan im Kühlschrank

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Hilflos in der Krise an einem Freitagabend: Die Tochter einer schwer an Krebs erkrankten Frau bittet eine Spitex-Mitarbeiterin um Unterstützung. Schauspielerinnen des Theaters Knotenpunkt veranschaulichen an der Fachtagung von palliative zh+sh eine Krisensituation. (Bild: palliative zh+sh, ei)

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20. Juni 2016 / Region

Was tun, wenn Palliativpatienten in eine Notsituation geraten? Wie deren Unterstützung sinnvollerweise aussehen müsste, haben sich Palliative-Care-Fachpersonen aus unterschiedlichen Berufen einen Tag lang intensiv überlegt. Einen Notfallplan im Kühlschrank zu deponieren, würde nicht nur die Arbeit der Rettungssanität erleichtern.



Tanja Krones nahm kein Blatt vor den Mund. «Viele Patientenverfügungen helfen uns überhaupt nicht in Notsituationen, sondern vergrössern das Chaos sogar», sagte die leitende Ärztin klinische Ethik am Universitätsspital Zürich in ihrem Referat, mit dem sie die Fachtagung von palliative zh+sh vom 16. Juni 2016 eröffnete. Zur Veranschaulichung berichtete sie von einem Patienten, der in seiner Verfügung sowohl angekreuzt hatte, er verzichte auf lebensverlängernde Massnahmen als auch, er möchte reanimiert werden.

Eine vorausschauende Planung diene nicht zuletzt den Angehörigen, sagte Krones. Denn diesen drohten Traumata und Depressionen, wenn sie bei Entscheidungen am Lebensende nicht begleitet würden. Sie plädierte für eine implementierte Advance Care Planning. ACP heisse für Kranke, dass sie in strukturieren Gesprächen mit dafür ausgebildeten Fachpersonen ihre Wünsche und Werte wiederholt an die Situation anpassten. Ihnen und ihren Angehörigen müsse man die Zustände, die eintreffen könnten immer wieder spiegeln. Implementiert bedeutet, dass ein solches Vorgehen in einer Region verankert und so zum Standard wird, an den sich das gesamte medizinische Personal hält.
«Wenn wir nur für die Urteilsunfähigkeit planen, haben wir in den palliativen Notsituationen keinen Plan.» Andreas Weber

Krones treibt mit einer Gruppe, zu der unter anderen Palliativarzt und Co-Präsident von palliative zh+sh Andreas Weber gehört, das NOPA-Projekt voran. NOPA soll eine differenzierte Patientenverfügung inklusive Notfallplan beinhalten. Patientenverfügungen kommen in der Regel im Fall der Urteilsunfähigkeit zum Tragen. «Unsere Patienten sind in 80 Prozent der Notsituationen jedoch urteilsfähig», sagte Weber, der nach Krones referierte. Er schloss daraus: «Wenn wir nur für die Urteilsunfähigkeit planen, haben wir in den palliativen Notsituationen keinen Plan.» In der Palliative Care sei in Notsituationen selten das Problem, dass Dinge gegen den Willen der Patientinnen und Patienten gemacht würden, weil sie sich nicht mehr äussern können. «Sondern sie werden gemacht, weil die Patienten die Alternativen nicht kennen.»

«Wie eine Lawine»

Das Thema Patientenverfügung und letzte Wünsche der Patientinnen und Patienten beschäftigt Heinz Wagner, Geschäftsführer der Regio 144 AG, ebenfalls. «Glauben Sie mir, kein Rettungssanitäter will jemanden reanimieren, der das nicht will», betonte er sowohl als Podiumsteilnehmer am Morgen als auch als Workshopleiter am Nachmittag. Das Problem der Rettungssanitäter sei, dass sie sich sehr schnell einen Überblick über eine Situation verschaffen und rasch handeln müssen. «Der Rettungsdienst kommt wie eine Lawine ins Haus.» Dennoch müssten ihm Angehörige eine Patientenverfügung oder einen Notfallplan unbedingt zeigen, falls solche vorhanden seien. Allenfalls müssten sie sich vehement wehren, wenn sie im Trubel nicht gehört würden.

Advance-Care-Planning-Expertin Krones schlug in Wagners Workshop vor, dass man ähnlich wie in Neuseeland eine für die Notfallsanität übersetzte Patientenverfügung im Kühlschrank deponieren könnte. «Den hat jeder und den findet man immer», erklärte sie. In einer Art Notfallbox könnten gleichzeitig Notfallmedikamente gelagert werden. Rettungssanitäter Wagner begrüsste diese Idee.

Krise am Freitagabend

Den Tagungsmorgen rundete die Theatergruppe Knotenpunkt mit einem Forumtheater ab. In einer Szene zeigte sie ein Pflegesetting zu Hause: Die Patientin litt an Darmkrebs, war nicht mehr richtig ansprechbar, hatte aber offensichtlich enorme Schmerzen und musste sich dauernd übergeben. Ein Darmverschluss drohte. Es war Freitagabend. Der Ehemann, der sie pflegte, versuchte den Hausarzt zu erreichen, doch der ging nicht ans Handy. Tochter und Sohn stritten sich über den mutmasslichen Willen der Mutter. Der Sohn wollte die Ambulanz rufen. Die Tochter sagte, die Mutter wolle nicht mehr ins Spital, das habe sie mehrmals betont. Die Spitex-Fachfrau – vom Ehemann der Kranken heimlich gerufen – fand keine Reservemedikamente und rief schliesslich den Notarzt.
«Hausärzte müssen sich häufig um ungelöste Familienkonflikte kümmern.» Gregor Stadler

Aus dem Publikum kamen Voten wie: Die Familienmitglieder hätte viel früher miteinander sprechen müssen. Der Hausarzt müsste erreichbar sein und hätte Notfallmedikamente zu Hause deponieren müssen. Gregor Stadler, Hausarzt aus Wetzikon, sagte: «Ich muss eine Lanze brechen für die Hausärzte. Sie müssen sich häufig um ungelöste Familienkonflikte kümmern.» Stadler wurde gleich ins Spiel miteinbezogen und versuchte einerseits die Situation zu beruhigen und andererseits die Angehörigen auf denselben Wissensstand zu bringen. Spitex-Mitarbeiterin Gabriela Lustenberger aus Mettmenstetten – die ebenfalls auf die Bühne gebeten wurde – verbesserte die Situation, indem sie auf die mitgebrachte Notfallbox mit Medikamenten verwies und vorschlug, telefonisch beim Notarzt eine Verordnung zu bestellen.

Aufgrund der anschaulichen Beispiele und in den intensiven Workshops wurde klar: In einer eskalierenden Situation ist man immer schon zu spät. Die Lösungen, die dann noch möglich sind, befriedigen eigentlich nie. Deshalb plädiert auch palliative zh+sh für ein frühzeitiges Gespräch zwischen Patienten, Angehörigen und Fachpersonen über Wünsche und Vorstellungen zum Lebensende. Auch wenn man das Gefühl hat, dafür sei noch genug Zeit.
palliative zh+sh, sa