palliative zh+sh

Sprunglinks/Accesskeys

«Wir werden nicht mehr als Streichelstation wahrgenommen»

Weitere Infos

Das Spital Männedorf und seine Palliativstation: Pflegefachfrau Anna-Maria Oprandi und Arzt Dominik Schneider vor dem Begegnungsraum. (Fotos: palliative zh+sh, sa)


Portrait

Weitere Infos zum Thema

Dokumente zum Thema

Video zum Thema

14. Juli 2016 / Region
Die Palliativstation des Spitals Männedorf hat kürzlich das Label «Qualität in Palliative Care» erhalten. Bereits der Zertifizierungsprozess habe dem Ansehen der Station genützt – auch spitalintern, sagen Anna-Maria Oprandi und Dominik Schneider vom Leitungsteam.


Der Blick auf den Zürichsee. Der ebenerdige, direkte Zugang zum Park. Das grosse Begegnungszimmer. Die Palliativstation des Spitals Männedorf befindet sich an komfortabler Lage. Sie zügelte 2012, zwei Jahre nach ihrer Gründung, in die ehemalige Privatstation. Organisatorisch gehört sie zur medizinischen Abteilung. Den Palliativpatientinnen und –patienten stehen sechs Einzel- und ein Zweierzimmer zur Verfügung. In einem grosszügigen Begegnungsraum mit Polstergruppe, Esstisch, Küche und Fernseher finden sie Platz, sich mit ihren Angehörigen auszutauschen. Bald sollte noch ein Wand-Bett folgen, sagt Anna-Maria Oprandi, Co-Leiterin Pflege. Damit Angehörige, die nicht im Patientenzimmer schlafen wollen, trotzdem im Spital übernachten können. Besuche sind rund um die Uhr erlaubt.
«Mit der Zeit habe ich für mich gemerkt, dass eine onkologische Behandlung einem Patienten in einer palliativen Situation auf Dauer nicht gerecht wird.» Anna-Maria Oprandi

Vor gut einem Monat hat der Verein qualitépalliative der Männedorfer Station das Label «Qualität in Palliative Care» verliehen. Bei der Anhörung im April stand der Begegnungsraum, in dem sich früher ein Vier-Bett-Zimmer befand, noch im Umbau. Oprandi lacht. «Es wurde immerhin deutlich, dass wir nicht mehr zurück können.» Zusammen mit Annemarie Ritz hat sie nicht nur die Palliativstation aufgebaut, sondern zuvor auch das Onkologie-Zentrum. Mit der Zeit habe sie für sich gemerkt, dass eine onkologische Behandlung einem Patienten in einer palliativen Situation auf Dauer nicht ganz gerecht werde. Da lag für sie das Umschwenken auf Palliativmedizin auf der Hand. Zusammen mit Dominik Schneider, einem von zwei leitenden Ärzten, berichtet Oprandi von der intensiven Zertifizierungsphase, die von Herbst bis April dauerte. Ihre Station schloss schliesslich sehr gut, mit 95 Prozent der erforderlichen Punktzahl, ab.

Patientenzahl bereits gestiegen

Der Zertifizierungsprozess stellte weder alles auf den Kopf noch fügte er viel grundlegend Neues hinzu. «Aber wir haben Organisatorisches geändert, haben standardisiert, was früher nach Bauchgefühl ablief», sagt Schneider. Was sich bereits verbessert hat, ist die Anerkennung der Station, auch spitalintern. «Wir werden jetzt mehr als spezialisierte Station wahrgenommen und nicht mehr als eine Art Streichelstation», sagt Oprandi. Sichtbar wird dies bereits in den Zuweisungen, die über Budget liegen. Wenn es so weitergehe, könnten sie dieses Jahr mindestens 200 Patientinnen und Patienten auf der Palliativstation behandeln, sagt Schneider. Letztes Jahr waren es noch 170 gewesen.

Eine Palliativstation mit Gütesiegel ist für ein Regionalspital in der Grösse von Männedorf sicher auch ein Wettbewerbsvorteil. Es ergänzt das Onkologie-Zentrum, die Innere Medizin und die Radioonkologie ideal. «Wir können alle Phasen von Tumorerkrankungen abdecken. Zuweisende Ärzte sehen ausserdem, dass wir um die Patienten besorgt sind, auch wenn sie in eine schwierigere Phase der Erkrankung kommen, in der die therapeutischen Optionen abnehmen», sagt Schneider. Drei Viertel der Patientinnen und Patienten der Palliativstation leiden an Krebserkrankungen, die restlichen treten wegen eines schweren Schlaganfalls, einer Herzinsuffizienz, einer chronischen Lungen- oder Nervenkrankheit ein.

«Zwei Seelen in meiner Brust»

Schneider ist Internist und Notfallmediziner und wollte sich ursprünglich in Richtung Intensivmedizin weiterbilden. Nach einer Ausbildung zum Schmerzspezialist sei er von Kollegen immer öfter um Rat bei Palliativpatienten gefragt worden. Deshalb absolvierte er selbst noch einen Master in Palliative Care. «Die Akutmedizin liegt mir aber weiterhin am Herzen. Ich habe zwei Seelen in meiner Brust. Die zwei Fachgebiete – Palliativ- und Akutmedizin – profitieren voneinander.» Er leitet die Station zusammen mit Cornelia Dröge, ebenfalls einer Palliativärztin, die ausserdem im Onkologie-Zentrum tätig ist. Sie ist wie Oprandi bereits seit der Planungsphase dabei.

Auf alle Sinne eingehen

Auf der Palliativstation ist es ruhig. «Wir versuchen, jegliche Hektik von unseren Patientinnen und Patienten fernzuhalten», sagt Oprandi. Es sei schon vorgekommen, dass allein dies den Allgemeinzustand einer neu eingetretenen Patientin merklich verbessert habe. In der Palliative Care ist es zudem üblich, interprofessionell zu arbeiten, also auch andere Berufe wie die Sozialarbeiterin, den Physiotherapeuten, die Ernährungsberaterin oder den Seelsorger standardmässig beizuziehen. Hier wendet man zudem die Technik der basalen Stimulation an. Vereinfacht ausgedrückt heisst das, «dass wir auf alle Sinne eingehen», sagt Oprandi. Sie führten eine sogenannte biografische Anamnese durch, in der zum Beispiel nach Lieblingsdüften, Lieblingsfarben oder unbeliebten Sinneseindrücken gefragt werde. Zwar stehen die Wünsche und Ziele des Patienten oder der Patientin im Zentrum. Das Wohl der Angehörigen sei aber ebenfalls Teil der Behandlung, sagt Schneider. «Wenn es ihnen nicht gut geht, können sie auch den Patienten nicht mehr unterstützen.»
«Wir würden gerne auch von ärztlicher Seite ein mobiles Team aufbauen, das die Patienten zu Hause betreut. Hier sind wir noch im Gespräch.» Dominik Schneider

Auf der Palliativstation sterben 35 bis 40 Prozent der Patientinnen und Patienten. Ein Drittel geht wieder nach Hause, ein weiteres Drittel in eine Langzeitpflegeeinrichtung. Eine wichtige Aufgabe des Palliativ-Teams ist es zu regeln, wie es nach dem Austritt weitergeht. Deshalb pflegt es den Austausch mit anderen Anbietern wie Hospizen, Pflegeheimen, der lokalen und der spezialisierten Spitex. «Wir würden gerne auch von ärztlicher Seite ein mobiles Team aufbauen, das die Patienten zu Hause betreut. Hier sind wir noch im Gespräch», sagt Schneider. Das Palliativteam behält auch ausgetretene Patientinnen und Patienten im Auge. Schliesslich kommt es nicht selten vor, dass sie bei einer erneuten Krise wieder zurückkommen. Beim Austritt erhalten sie jedenfalls eine Visitenkarte mit der Direktnummer der Station. «Diese wird benutzt, wenn zu Hause Probleme auftauchen», sagt Oprandi.

Manchmal möchten Patientinnen und Patienten eine Abkürzung und die Assistenz einer Sterbehilfeorganisation in Anspruch nehmen. Auf der Website des Spitals ist unter Palliative Care vermerkt, dass beim Wunsch nach Suizidbeihilfe eine Beratung und Begleitung zwar möglich sei, der Vollzug im Spital Männedorf jedoch nicht. Im Zusammenhang mit der Zertifizierung habe das Spital eine spitalweite Regelung beschliessen müssen, sagt Schneider. «Das war das Resultat: Man darf den assistierten Suizid nicht bei uns umsetzen. Offen darüber reden muss man aber können. Das ist das Wichtigste.»
palliative zh+sh, sa