palliative zh+sh

Sprunglinks/Accesskeys

Abschiednehmen auf Italienisch

Abschiednehmen auf Italienisch

Weitere Infos

Ihnen soll die Angst vor Hölle und Fegefeuer genommen - und der Sinn von Palliative Care vermittelt werden. In der Pflegewohngruppe «Oasi due» in Zürich-Albisrieden finden maximal acht italienisch sprechende Frauen und Männer ein letztes Zuhause. Bald kommen dort speziell ausgebildete Sterbebegleiter zum Einsatz. (Foto: Stiftung Sawia)

Portrait

Weitere Infos zum Thema

Video zum Thema

08. August 2016 / Region
Caritas Zürich sucht für das Pilotprojekt «Accompagnare la vita» Freiwillige. Sie sollen sterbende und schwerkranke Menschen mit italienischem Migrationshintergrund begleiten.
Der Tod ist für alle gleich. Aber das Reden darüber nicht. Diese Erfahrungen machen Institutionen, die Menschen an ihrem Lebensende begleiten, die ursprünglich aus einem anderen Land stammen. Nun bildet die Caritas Zürich erstmals Freiwillige aus, die Italienisch als Muttersprache haben. Sie sollen in einer Pflegewohngruppe für italienischsprachige Menschen zum Beispiel Sitzwachen in der Nacht, aber auch tagsüber Einsätze leisten. Es gehe darum, der sterbenden Person Zeit und Aufmerksamkeit zu schenken, sagt Valeska Beutel von der Caritas. «Ausserdem entlasten Freiwillige die Angehörigen und das soziale Umfeld der betroffenen Person.»

Da die Italienerinnen und Italiener in der Schweiz in der Bevölkerung zwischen 65 und 79 Jahren die grösste Einwanderungsgruppe ausmachen, stellt das Hilfswerk ein Angebot für sie auf die Beine. In den nächsten Jahren kommen sie ins «fragile Lebensalter», heisst es im Projektbeschrieb. Weil sie in schlecht bezahlten Berufen tätig waren, leben sie in finanziell meist bescheidenen Verhältnissen. Sie sind körperlich früh eingeschränkt, weil sie gesundheitsschädigende Tätigkeiten ausführten. Ihre Deutschkenntnisse sind zudem rudimentär. Die damaligen Bedingungen, etwa der Saisonnier-Status sahen keine Integrationsmassnahmen vor.

Himmel, Hölle, Fegefeuer

Die Freiwilligen werden in einer Pilotphase in einer Pflegewohngruppe der Stiftung Sawia in Zürich-Albisrieden eingesetzt. Die Bewohnerinnen und Bewohner, die dort in sechs Einzel- und einem Zweierzimmer leben, seien unterschiedlich pflegebedürftig, sagt Gruppenleiterin Gerda Fiacco. Einige seien stark abhängig, andere seien kognitiv noch gut beieinander, dritte wohnten vor allem dort, um nicht zu vereinsamen.

Die italienische Bevölkerung gehe in der Regel anders mit Sterben und Tod um als die Schweizer Bevölkerung. «Zum einen ist der Umgang tabuisierter. Zum andern will man das Leben um jeden Preis erhalten. Nicht zuletzt prägen religiöse Vorstellungen von Himmel, Hölle und Fegefeuer das Nachdenken über den Tod», sagt Fiacco. Die religiösen Überzeugungen müsse man als Freiwillige nicht ändern. Aber vielleicht gelinge es jemandem mit demselben kulturellen Hintergrund, etwas Gelassenheit in die Sache zu bringen.

Die «famiglia» bröckelt

Der Mythos von der «famiglia», der grossen Familie, in der die jüngere Generation für die ältere sorgt, ist am Bröckeln. Nicht nur die wirtschaftlichen Zwänge fordern heute, dass meist zwei Ehepartner arbeiten müssen und kaum Zeit bleibt, Angehörige zu pflegen. Sondern auch die Wohnverhältnisse lassen es häufig nicht zu, dass man in einem Zimmer die kranke Nonna unterbringt. «Dieser Mythos hat definitiv einen Knick bekommen. Sonst wären die Menschen ja nicht bei uns in der Pflegewohngruppe», sagt Fiacco. Als weiteren Grund führt sie die zunehmenden dementiellen Entwicklungen an, mit denen man als Laie zu Hause schnell überfordert ist.

Eine zentrale Aufgabe der Sterbebegleiter werde sein, den Betroffenen und ihren Familien Informationen über Palliative Care zu vermitteln, sagt Beutel von der Caritas. Den kurativen Weg zu verlassen und den palliativen einzuschlagen, bedeute für Migranten nämlich häufig, dass das Gesundheitssystem jemanden fallenlasse. Auf lebensverlängernde Massnahmen zu verzichten und vor allem Leiden zu lindern, sei für sie meist ganz schwierig zu akzeptieren.

Lücken schliessen

Bund und Kantone fordern in ihrer Palliative-Care-Strategie, dass alle Menschen am Lebensende Zugang zu Palliativpflege haben und möglichst selbstbestimmt sterben können. In verschiedenen Studien wurden aber Lücken in Bezug auf die aus dem Ausland stammende Bevölkerung festgestellt. Gefordert wird eine sogenannt migrationssensitive Versorgung und die Sensibilisierung von Bevölkerung und Anbietern.

In Zürich will die Caritas nun erstmals Freiwillige als Sterbebegleiter mit italienischer Muttersprache ausbilden. Bereits etabliert hat sich der deutschsprachige Caritas-Grundkurs für Sterbebegleitung, der drei Mal jährlich stattfindet.

Längerfristige Finanzierung nicht gesichert

Die Schulung «Accompagnare la vita» findet an drei Samstagen im September statt und dauert pro Tag 7,5 Stunden. Wer sich dafür interessiert muss neben Italienisch als Muttersprache, Zeit und Empathie mitbringen. Man müsse aktiv zuhören und seine eigene spirituelle Einstellung zurücknehmen können, sagt Beutel. Die Freiwilligen unterrichten wird Caty Scuderi. Sie leitete während zehn Jahren die mediterrane Station im Stadtzürcher Pflegeheim Erlenhof, ebenfalls ein Pionierprojekt.

Dieser erste Kurs für italienischsprachige Sterbebegleiter wird vorerst auch der letzte sein. Für einen weiterführenden Kursbetrieb erhielt Caritas Zürich nicht die notwendigen finanziellen Mittel. Die Erkenntnisse aus dem Pilotprojekt werden aber nachhaltig in den Grundkursen gesichert. Ausserdem profitieren das nationale Caritas-Netz und die Zürcher Spitalseelsorge von den Erfahrungen, die die Caritas sammeln konnte. Die ausgebildeten Freiwilligen werden nichtsdestotrotz in den Betrieb der Pflegewohngruppe «Oasi due» in Albisrieden integriert. «Wir wollen die Freiwilligen in unseren Alltag involvieren», sagt Gruppenleiterin Fiacco. «Und zwar nicht erst, wenn die Menschen sterben. Sie sollen schon früher zu Besuch kommen.»
palliative zh + sh, Caritas Zürich