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Übers Sterben gesprochen

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Der andere Blick aufs Sterben von (v. l.): Autorin Claudia Graf, Verlegerin Anne Rüffer, Palliativmediziner Stefan Obrist und palliative zh+sh-Geschäftsleiterin Monika Obrist. (Bild: palliative zh+sh, ei)

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21. Oktober 2016 / Region
Wie spricht man übers Sterben? Gestern Abend haben im Rahmen der Ausstellung «Noch mal leben vor dem Tod» die Macherinnen eines Buches diskutiert, das sich genau dieser Frage widmet. «Reden über sterben» ist auf Initiative von palliative zh+sh beim Verlag Rüffer & Rub erschienen.
Heute wird so viel kommuniziert wie nie. «Weshalb braucht es ein Buch, dass uns das Reden über das Sterben ans Herz legen will?», fragte Verlegerin Anne Rüffer, die die Gesprächsrunde vom Donnerstagabend moderierte. Im pflegerischen Bereich sei diesbezüglich schon viel passiert, sagte Monika Obrist, Geschäftsleiterin von palliative zh+sh. Es gibt zum Beispiel Konzepte wie Advance Care Planning (ACP), das Entscheidungen am Lebensende erleichtern will. «Nur in den Familien selbst ist noch zu wenig geschehen.»

Der Überbringer der Hiobsbotschaft

Auf dem Podium sass auch Stefan Obrist, ärztlicher Leiter der Palliativstation am Universitätsspital Zürich (USZ). Wenn der Palliativmediziner das Gespräch mit einer Patientin oder einem Patienten einer anderen Station im USZ sucht, sei für viele der Fall schon klar. Stelle er sich vor, erhalte er Reaktionen von «Sie brauche ich noch nicht» bis «Genau das wollte ich schon immer, wenns aufs Ende zugeht». Er sei ja auch der Überbringer der Hiobsbotschaft, so Rüffer. «Ihr Auftauchen bedeutet ja, dass man jemand medizinisch nicht mehr helfen kann.» Obrist hingegen betonte, dass es bei jeder unheilbaren Krankheit sinnvoll sei, so früh wie möglich und bereits parallel zu kurativen Therapien Palliativmedizin anzuwenden.

Claudia Graf war im Buch «Reden über sterben» der Frage nachgegangen, wie in anderen Kulturen über den Tod gesprochen wird. Sie berichtete von den «Death Cafes», die vor allem in Grossbritannien und Nordamerika verbreitet sind, dort tauschen sich Fremde bei Kuchen und Kaffee über das Thema Sterben und Tod aus.

Was heisst leichter sterben?

«Ich habe oft erlebt, dass Menschen leichter gestorben sind, wenn sie zuvor über den Tod sprechen konnten», sagte Monika Obrist, die lange als Pflegefachfrau bei der Spitex arbeitete. Verlegerin Anne Rüffer wollte es genau wissen: «Was heisst das denn, leichter sterben?» Monika Obrist erzählte von einem Patienten mit Herzinsuffizienz, der die Intensivstation verlassen und zu Hause im Kreise seiner Familie sterben wollte. Obrist erlebte diesen Sterbeprozess im Bauernhaus, mit Blick auf den Garten, in Gesellschaft der Angehörigen als sehr friedlich und beinahe als schön.

Das klinge ihr etwas zu romantisch, hakte Rüffer nach. Dieses Ideal vom ruhigen Tod setze Patienten doch auch unter Druck. Ob denn niemand zornig sterbe, wollte sie wissen. «Doch», sagte Stefan Obrist. Natürlich gebe es auch Menschen, die unversöhnt mit ihrem Schicksal aus dem Leben gingen, die zum Beispiel bis zum Schluss eine Chemotherapie oder eine Operation wünschten. Monika Obrist berichtete vom Vater zweier kleiner Kinder, der an einem Hirntumor starb. Dort hätten verständlicherweise auch alle bis am Schluss mit dem Unausweichlichen gehadert. Im Prinzip trete aber jeder so ab, wie er gelebt habe, sagte Stefan Obrist. Es gebe zudem Menschen, die partout nicht übers Sterben sprechen wollten. «Das akzeptieren wir natürlich.»

Das Ideal vom guten Sterben

Am Mittwochabend war im Rahmenprogramm der Ausstellung der Film «Besser sterben – Was man alles darf, wenn man nichts mehr kann» aus dem Jahr 2004 gezeigt worden. Darin porträtierte Filmemacherin Marianne Pletscher die Pflegeabteilung auf dem 5. Stock im Spital Limmattal. Die Filmemacherin, die an diesem Abend auch präsent war, sagte, sie habe in diesem Film ein Ideal vom guten Sterben zeigen wollen.

So gehen die Pflegenden im Film denn auch liebe- und respektvoll mit den Menschen um, die alle am Ende ihres Lebens stehen. Sie haben Zeit zum Plaudern, setzen sich zu ihnen hin, halten ihre Hand. Zu sehen ist auch, wie Roland Kunz, ärztlicher Leiter der Station, mit verschiedenen Patientinnen und Patienten über das Sterben und ihre Wünsche spricht, die sie diesbezüglich haben. Er stand nach dem Film dem Publikum ebenfalls Rede und Antwort. Ob die Pflegenden tatsächlich so viel Zeit für die Patienten hätten? Es komme eben drauf an, wie man die Prioritäten setze, sagte Kunz. «Wenn es einer Stationsleitung wichtig ist, dass um 11 Uhr alle Patienten frisch rasiert sind, dann hat man sicher weniger Zeit für Gespräche.»

Migros oder Coop?

Thematisiert wurde an diesem Abend auch die Sterbehilfe. Viele Patientinnen und Patienten, die in die Palliativstation des Spitals Affoltern eintreten, die Kunz leitet, sagen, sie seien Exit-Mitglied. «Für uns ist das meist eine gute Gelegenheit, über das Sterben zu sprechen.» Gefragt, wie Kunz als Palliativmediziner zum begleiteten Suizid stehe, sagte er: «Ich finde es gut, dass man eine Alternative hat. Wir haben ja auch die Freiheit, im Migros oder im Coop einzukaufen.» In der Palliativstation helfe man sogar den Patienten, den Kontakt zu Exit herzustellen und dulde auch die Vorbereitungsgespräche. Im Spital selbst dürfen jedoch die Patienten nicht mit Sterbehilfe aus dem Leben scheiden. Sie müssten vorher austreten.

Filmemacherin Pletscher outete sich als Exit-Mitglied. Ihr sei klar, dass auch der palliative Weg Selbstbestimmung bedeute, und sie hätte wohl auch keine Mühe damit, pflegerische oder medizinische Hilfe anzunehmen, sagte sie. «Das Einzige, was ich mir nicht vorstellen kann, ist schwer dement zu werden.»
palliative zh+sh, sa