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Aus dem Leben erzählen: Videobotschaften für die Nachwelt

Aus dem Leben erzählen: Videobotschaften für die Nachwelt

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«Erbstreitigkeiten können heftig sein und jahrelang andauern. Dabei entstehen sie meistens aus einem einfachen Missverständnis. Ein Video zum Testament kann dies vielleicht verhindern», sagt Anja Hürlimann. (Bild: pixabay)

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Anja Hürlimann
Die 37-jährige Videojournalistin lebt mit ihrem Mann und zwei Kindern in Bad Ragaz. Seit 2012 arbeitet sie selbständig. Mit ihrem Projekt «Video-Lebensgeschichte» hat sie kürzlich eine Idee verwirklicht, die ihr schon lange am Herzen lag. Sie sagt: «Wenn sich zeigen sollte, dass die Nachfrage nach diesen Videos genügend gross ist, werde ich die Video-Lebensgeschichten zu meiner beruflichen Priorität machen. Ich liebe es, von Menschen die Geschichten ihres Lebens zu hören.»

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02. Februar 2017 / Vermischtes
Eine «digitale Zeitkapsel»: Videos, in denen Menschen ihren Hinterbliebenen aus der eigenen Lebensgeschichte erzählen, können wertvolle Erinnerungsstücke sein. Aber auch als Konfliktprävention für die Zeit nach dem eigenen Tod können solche Videos helfen, wenn sie einem Testament beigelegt werden. Die Videojournalistin Anja Hürlimann realisiert mit ihrem Projekt «Video-Lebensgeschichten» neuerdings solche Videos.
Sie produzieren Videos für Menschen, die ihr Testament machen wollen. Löst das Video bald das Papier ab?

Nein, natürlich braucht es in jedem Fall ein schriftliches Testament. Aber ein Testament bleibt eben immer ein Stück Papier mit einem juristischen Text. Dabei richtet es sich im Normalfall an Menschen, die einem lieb sind. Testamente werden schnell zum Brandherd für Konflikte. In einem Video kann ich als Erblasserin meiner Familie sagen: «Schaut, das und das ist mir sehr wichtig. Diese und jene Gedanken habe ich mir gemacht, als ich dieses Testament geschrieben habe.» So müssen die Hinterbliebenen weniger spekulieren über die Hintergründe zum Testament. Und vielleicht kann ich als Erblasserin so am besten verhindern, dass meine Familie nach meinem Tod in Streit gerät.


Rechtsanwalt Titus Bosshard über Potenzial und Grenzen eines Video-Testaments

Ihr Angebot nennt sich «Video-Lebensgeschichten». Das klingt nach mehr als Video-Testament.

Ja, ich produziere auch Videos, in denen Menschen ihre Lebensgeschichten erzählen, um sie ihren Angehörigen und Freunden zu hinterlassen. Menschen, die vielleicht etwas älter sind und auf ein bewegtes Leben zurückschauen, möglicherweise Kinder und Enkelkinder haben, haben meist sehr viel Wertvolles weiterzugeben. Aber nicht allen liegt es, ihre Lebensgeschichte niederzuschreiben. Und wenn darum eine Geschichte gar nicht erzählt wird, finde ich das schade. Das Buch schliesst sich, die Person ist verstorben, irgendwann sind die Erinnerungen und die Geschichten weg. Ich helfe diesen Menschen, ihre Geschichten in einem relativ kurzen Video festzuhalten.

Und diese Menschen sprechen dann einfach in Ihre Kamera?

Wir machen das in Form eines Interviews, damit die Erzählungen ein wenig geleitet sind. Denn die Videos werden meist nur etwa 20 bis 30 Minuten lang. Das ist vielleicht wenig für ein ganzes Leben, aber um einen Eindruck von einer Person zu erhalten, reicht es tatsächlich. Ich gehe für das Interview zu der Person nach Hause oder an einen anderen Ort, der ihr wichtig ist, wo wir über ihr Leben reden und Fotos anschauen, die auch im Film vorkommen können. Das Video unterlege ich dann beispielsweise mit der Lieblingsmusik dieser Person und wir filmen wichtige Erinnerungsstücke ab. Mit dem Medium Video gibt es sehr viele verschiedene Möglichkeiten. Das ist ja das Schöne. Die Enkelkinder beispielsweise können das später anschauen und sagen: «Oh, schau! Das ist meine Oma! Die hat auch immer so geschaut wie meine Mama, wenn sie nachdachte.» Oder: «Ah! Meine Oma hatte auch gern Tomatenspaghetti!» Ich denke, wenn du etwas über deine Vergangenheit, über deine Ahnen weisst, dann erfährst du auch etwas darüber, wer du selber bist.
«Das Buch schliesst sich, die Person ist verstorben, irgendwann sind die Erinnerungen und die Geschichten weg.»

Sie arbeiten schon lange als selbständige Videojournalistin. Wie sind Sie dazu gekommen, solche Videos anzubieten?

2012 starben meine Eltern kurz nacheinander. Zuerst m eine Mutter, ein Monat später mein Vater. Da kam ich erstmals in Kontakt mit einem Testament und mir kam sogleich der Gedanke, dass es sehr schön wäre, zu dem Testament noch eine Videobotschaft meiner Eltern zu haben. Ausserdem erlebte ich bei meiner krebskranken Mutter, als sie dem Sterben immer näher kam, wie ihr Bedürfnis wuchs, mir aus ihrem Leben zu erzählen und alte Fotos anzuschauen. Das fand ich schön. Aber auch für sie schien es sehr befreiend zu sein. So entstand die Idee zu den Video-Lebensgeschichten. Bis ich allerdings mit der Umsetzung begann, verging relativ viel Zeit.

Weshalb?

Ich habe inzwischen mein zweites Kind bekommen, das Leben war teilweise hektisch. Jetzt sind wir vor einer Weile an einen viel ruhigeren Ort gezogen, die Kinder sind nicht mehr ganz so klein. Kurz nach dem Umzug dachte ich: «Jetzt kann ich die Idee umsetzen.» Und dann ergab es sich, dass ich das Konzept in meinem privaten Umfeld gleich zweimal durchspielen konnte. Einmal bei einer Frau, die kürzlich erfuhr, dass sie Alzheimer hat, und einmal bei einem Vater von drei Kindern, der seinen Nachlass regeln wollte. Ein klassischer Unternehmer, der sein ganzes Leben lang gearbeitet und sich viele Gedanken darüber gemacht hat, wie er sein Vermögen vererben will. Bei diesen beiden Gelegenheiten merkte ich, dass die Idee tatsächlich Potenzial hat.

Woran haben Sie das gemerkt?

Den beiden Menschen hat es offensichtlich gutgetan, für sie persönlich wichtige Dinge auf Video festzuhalten. Es kam bei beiden Gesprächen eine sehr schöne Stimmung auf und die Frau mit ihrer Diagnose fand es offenbar schön, aus ihrer Kindheit und ihrem gesamten Leben zu erzählen, solange sie sich noch so klar an alles erinnern kann. Ihren Film zeigte sie dann bald danach an einem Fest zu ihrem 85. Geburtstag, was die Gäste wunderbar fanden. Allein dafür hat sich dieser Film gelohnt. Eine solche Videobotschaft kann für diejenigen, die nach dem Tod eines Menschen zurückbleiben, ein wertvolles Vermächtnis in Form einer digitalen Zeitkapsel sein, das finde ich wunderschön.
«Als meine Mutter dem Sterben näher kam, wuchs ihr Bedürfnis, mir aus ihrem Leben zu erzählen und alte Fotos anzuschauen. Das fand ich schön.»

Haben Sie für Ihre Familie auch so eine Botschaft produziert?

Nein. Ich habe das Gefühl, ich sei momentan noch nicht in der Lage, grosse Lebensgeschichten zu erzählen. Hätte ich jetzt oder morgen eine Diagnose, würde ich das jedoch sofort machen und alles aufnehmen, was ich meinen Kindern weitergeben wollte. Solange man jung und gesund ist, kann man sich solche Gedanken vielleicht in dem Ausmass gar noch nicht machen, wie wenn man in seinem Leben schon einen Schritt weiter ist. Aber wenn ich morgen sterben würde, hätte ich kein Video über meine Lebensgeschichte oder zu meinem Testament gemacht, das wäre schade.
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