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Eine Ausstellung für mehr Sterbewissen

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Schriftstellerin Romana Ganzoni, Palliaviva-Vertreterin Sabine Arnold und Designerin Bitten Stetter im Gespräch mit Moderatorin Monika Schärer (von links). (Bilder: Friedhofforum/Gabriela Meissner

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Buch zur Ausstellung

Das Buch zur Ausstellung "The End - My Friend? Umsorgt in den Tod" kann für CHF 10 beim Friedhofforum bezogen werden: 044 412 55 72 oder

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08. September 2021 / Region
Kommt der Tod als Freund, wie es Gedichte oder die bildende Kunst bisweilen darstellen, oder ist er vielmehr «nichts, was uns betrifft», wie der antike Philosoph Epikur es beschrieb? Mit der Ausstellung «The End – my Friend?» will das Friedhofsforum Zürich diesen Fragen nachgehen. Letzte Woche fand die Vernissage statt.
Ein lauschiger Spätsommerabend, ein Podium auf rotem Teppich vor einer violett beleuchteten Brunnenfigur, gut gelaunte Menschen mit Getränken in der Hand – es hätte auch ein Konzertabend, eine Lesung oder einfach eine Party sein können. Doch der Donnerstagabend letzte Woche gehörte ganz dem Tod. Das mag kaum erstaunen, wenn das Friedhofforum Zürich zur Vernissage einer neuen Ausstellung einlädt. Das Ambiente, das sommerlich-launige Gefühl mitten in der Stadt, die vielen Menschen nahmen dem Thema jedoch die Schwere. Gewollt, denn das Reden über den Tod muss wieder in der Gesellschaft Platz finden, so der Tenor des Abends. Die neue Ausstellung im Friedhofforum Zürich «The End – My Friend?» begegnet dem Tod von verschiedenen Seiten und will genau das: den Diskurs anregen. Reto Bühler, Leiter des Friedhofforums, sagte bei der Begrüssung, dass der Tod im vergangenen Jahr stark durch die Pandemie ins Zentrum gerückt sei. «Wir hatten dreimal so viele Tote als sonst.» Es liege also nahe, mit dieser Ausstellung genauer hinzuschauen, was der Tod für Sterbende, aber auch für Angehörige bedeute.

Als Kind vom Tod traumatisiert
Der Untertitel zur Ausstellung heisst denn auch «Umsorgt in den Tod». Das «Umsorgt» verstehen die Ausstellungsmacher nicht nur durch die medizinische Betreuung, sondern auch die künstlerische Annäherung durch Literatur sowie das Neu-Denken von Objekten, die am Lebensende verwendet werden. Auf diesen Säulen beruht auch die Ausstellung, die bis zum Frühjahr 2022 zu sehen ist. Mit Sabine Arnold, Kommunikationsbeauftragte des ambulanten spezialisierten Palliative-Care-Dienstes Palliaviva, der Designerin Bitten Stetter und der Schriftstellerin Romana Ganzoni nahmen an der Vernissage die entsprechenden Vertreterinnen der drei Säulen auf dem Podium Platz. Sie sei als Kind vom Tod eines Schulfreundes regelrecht traumatisiert worden, sagte Romana Ganzoni, Preisträgerin des Bündner Literaturpreises 2020, im Gespräch mit Moderatorin Monika Schärer. «Er hatte Blutkrebs, allein schon das Wort ist schrecklich, wurde eines Tages mit der Ambulanz abtransportiert und kam tot nach Hause», erinnerte sich Ganzoni. Sie habe nicht einmal seinen Sarg gesehen, weil sie nicht an die Beerdigung durfte. «Man wollte uns Kinder schützen, aber das war komplett verkehrt.»

Sterben als Lebensphase
Im Buch, das ergänzend zur Ausstellung entstanden ist, hat die Bündner Autorin einen Beitrag über das Sterben ihres Vaters verfasst. Er sei der erste Tote, den sie gesehen habe. Damals war sie 26, ihr Vater 54, so alt wie sie heute. Sie bedaure, dass es damals noch keine Palliative Care gegeben habe. «Nachdem klar war, dass mein Vater sterben wird, hat man ihn einfach vergessen.» Aus heutiger Sicht kaum nachvollziehbar. «Hinter Palliative Care steht die einfache Idee, den Patienten ins Zentrum zu stellen und ihn zu fragen, was er in der aktuellen Situation benötigt, um noch gut leben zu können», erklärte Sabine Arnold, Vertreterin von Palliaviva. «Eigentlich wundert es mich, dass diese Frage nicht auch sonst in der Medizin zentral ist.» Bitten Stetter kam durch die Erkrankung ihrer Mutter in Kontakt mit dem Lebensende. Unvorbereitet wie fast alle Angehörigen in solchen Situationen. Als Designerin sah sie sich genauer an, welche Produkte bei der Pflege am Lebensende zum Einsatz kommen und stellte fest, dass Spitalhemd, Schnabeltasse oder Mundpflegestäbchen nicht für die Patienten, sondern in erster Linie designt wurden, um die Pflege zu erleichtern. «Und in erster Linie für die kurative Situation, nicht für das Lebensende», so Stetter. Doch sei das Sterben kein Ereignis, sondern eine Lebensphase. Als Ersatz für die uniformen blaugeblümte Spitalhemden, die der Patientin die Kontrolle über die Rückenansicht verhindern, entwarf die einstige Modedesignerin individuelle Kaftane, die sich aber dennoch für pflegerische Massnahmen eignen. Statt des unansehnlichen Plastikgeschirr setzt sie auf Keramik. Beides ist in der Ausstellung zu sehen.

Das Leben wird kondensiert
Kommunikationsfachfrau Arnold gab zu bedenken, dass nicht alle Menschen, selbst solche, die das Sterben vor Augen haben, über den Tod sprechen wollen. «Manche Patienten genieren sich vor den Nachbarn, wenn das Auto von der Palliativ-Spitex vor der Tür steht.» Umgekehrt erlebe sie Angehörige, die wunderschöne Geschichten von den letzten Tagen und Stunden ihrer Liebsten erzählen. Das Leben werde in der letzten Lebenszeit kondensiert, die Liebe spiele eine grosse Rolle. Zum Abschluss stelle Monika Schärer den Podiumsteilnehmerinnen die zentrale Frage der Ausstellung, ob sie den Tod als Freund sehen würden. Romana Ganzoni zeigte sich pragmatisch: «Der Tod kommt sowieso, ob man mit ihm befreundet ist oder nicht.» Sie sehe ihn nicht negativ, hoffe aber auf ein Sterben mit wenig Schmerzen. Sie wünsche sich, umsorgt zu sterben, beantwortete Sabine Arnold die Frage. Bitten Stetter nahm noch einmal das von ihr bereits früher im Gespräch postulierte «Sterbewissen» auf. Es brauche mehr Wissen und mehr Reden über den Tod, denn: «Einen Freund kennt man ja.»
palliative zh+sh, Gabriela Meissner