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Braucht «Palliative Care» einen neuen Namen?

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20. April 2016 / Wissen
Mediziner_innen aus Kanada zeigten in einer Studie, dass Betroffene Palliative Care als stigmatisierend empfinden und eine neue Bezeichnung befürworten. Die Forschenden fordern nun, dass Gesundheitsfachleute ein breiteres Bild von Palliative Care vermitteln sollen - ob nun mit neuem oder altem «Brand».

Das Wort «Palliative» in Palliative Care löst bei Betroffenen und Betreuenden negative und angsteinflössende Assoziationen aus. Assoziationen mit Tod, Hoffnungslosigkeit und Abhängigkeit. Das zeigt das Ergebnis einer Studie, die diese Woche im Canadian Medical Association Journal CMAJ vorgestellt wurde. Das Stigma, das der Palliative Care gemäss dieser Studie anhaftet, ist ein hartnäckiges: Auch nach positiven Erfahrungen mit einem frühen Einbezug von Palliative Care im Behandlungsverlauf von schwer an Krebs erkrankten Personen bleibt das als negativ empfundene Bild in den Köpfen der Betroffenen bestehen. Viele Teilnehmende der Studie glaubten, dass ein «Rebranding» oder «Renaming» von Palliative Care hilfreich sein könnte, wie die Forschenden um die kanadische Palliativmedizinerin Camilla Zimmermann schreiben. Über eine Namensänderung sei nachzudenken, schreiben sie in ihrem Artikel.

Den Begriff «Supportive Care» beispielsweise empfanden viele Studienteilnehmende als gute Alternative zu «Palliative Care». Doch eine solche Änderung würde keine Wirkung erzielen, solange die Art, wie Palliative Care von Mediziner_innen vorgestellt und umschrieben wird, nicht grundsätzlich verändert würde. Wie Ärztinnen, Ärzte und Pflegende über Palliative Care informierten, habe einen grossen Einfluss auf ihre Wahrnehmung - und damit auch auf die Entscheidungsfindung in Bezug auf die Betreuung für schwer Kranke. Dessen, so die Forschenden, sollten sich Mediziner_innen bewusst sein.

Betroffene und Fachpersonen befragt


Als mögliche Gründe für die negative Wahrnehmung von Palliative Care sehen die Forschenden einerseits ihre Geschichte. Palliative Care ging relativ rasch aus einem ursprünglich für terminal an Krebs erkrankte Menschen entwickelten Konzept hervor. Ausserdem stellen die Autorinnen und Autoren fest, dass die Definition von Palliative Care in verschiedenen Institutionen und Ländern nicht deckungsgleich sei. «Die Wahrnehmung von Palliative Care bei unseren Studienteilnehmenden entsprang zu einem grossen Teil aus ihrem Kontakt mit Gesundheitsfachleuten», schreiben die Forschenden. Deshalb sei es so wichtig, dass Fachpersonen des Gesundheitswesens mit der breiteren Definition von Palliative Care vertraut und in der Lage seien, dieses ihren Patientinnen und Patienten zu erklären. «Aus politischer Perspektive betrachtet zeigt sich klar, dass umfassende Weiterbildung und Information nötig sind, um ein breiteres Verständnis dafür herzustellen, was Palliative Care bedeutet», so Zimmermann und ihre Kollegen.

Die Forschenden befragten für ihre qualitative Studie 48 Patientinnen und Patienten mit fortgeschrittener Krebserkrankung und 23 Fachpersonen. Die Befragten hatten vor den qualitativen Interviews an einem Versuch teilgenommen. Darin waren sie in eine Versuchs- oder eine Kontrollgruppe eingeteilt worden, wobei die Versuchsgruppe frühzeitig Palliative Care erhielt, während die Kontrollgruppe die «übliche Behandlung» bekam. Jene Teilnehmenden, die früh palliativ betreut wurden, wiesen eine bessere Lebensqualität auf und empfanden die Betreuung als sehr hilfreich.

Auch positive Erfahrung ändert oft nichts

Die Interviews im Anschluss zeigten, dass alle Teilnehmenden Palliative Care als Betreuung in den allerletzten Wochen vor dem Tod verstanden und diese Verbindung mit dem Tod Angst und Ablehnung bei ihnen auslöste. «Während dem Versuch entwickelten die Teilnehmenden in der Versuchsgruppe eine breitere und positivere Vorstellung von Palliative Care, aber fanden nach wie vor, dem Begriff hafte ein negatives Stigma an», schreiben Zimmermann und ihre Kollegen. So sagte eine Person, die interviewt wurde, nachdem sie frühzeitig Palliative Care erhalten hatte beispielsweise: «Es ist wie bei jemandem, der mit ganz bestimmten Werten oder Vorstellungen aufgewachsen ist. Palliative Care war in meiner Vorstellung immer bezogen auf die letzte Etappe. Inzwischen weiss ich vom Kopf her, dass Palliative Care nicht heisst, auf der letzten Etappe zu sein, aber emotional empfinde ich den Begriff immer noch als angsteinflössend.»

Gegenüber der Süddeutschen Zeitung SZ, die die Studienergebnisse in einem Artikel aufgenommen hat, sagte Claudia Bausewein, die Leiterin der Palliativmedizin am deutschen Klinikum Grosshadern: «Die Kranken sagen oft, dass sie zunächst nicht hierher wollten - nach ein, zwei Tagen hört man von ihnen: Mein Gott, wäre ich bloss früher gekommen.» Bausewein findet es aber keine gute Idee, den Begriff «Palliative Care» zu ändern. «Für wie blöd würden uns die Patienten halten?» Es gehe doch nicht um Namen, sondern um Inhalte. Und da umfasse die Palliativversorgung längst mehr als Krebsmedizin und Begleitung am Lebensende, wird sie von der SZ zitiert. Die Palliativmedizin trage zur Lebensverlängerung bei und die Lebensqualität steigere sie sowieso, wie zahlreiche Studien und Erhebungen zeigten. Auch sie findet jedoch, dass Fachpersonen besser verstehen sollten, was Palliative Care ist und das auch entsprechend kommunizieren müssten. «Da auch viele Ärzte die Palliativmedizin nur mit dem Lebensende in Verbindung bringen, kommen etliche Patienten spät zu uns und sterben dann auch in Kürze», sagt sie.
CMAJ / SZ