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Fünf Fragen an Daniel Burger-Müller

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19. Juni 2019 / Region
Damit Betroffene (Patientinnen, Patienten und ihre Angehörigen) palliativ betreut und begleitet werden können, braucht es den Einsatz von Fachpersonen und Freiwilligen aus den unterschiedlichsten Bereichen. Pallnetz.ch interviewt regelmässig Menschen aus der Region, die in Palliative Care tätig sind und stellt allen dieselben fünf Fragen. Daniel Burger-Müller ist Spitalseelsorger am Spital Bülach, Fachverantwortlicher Palliative Care im Dekanat Winterthur und Auditor bei qualitépalliative.
1) Wie begleiten Sie Schwerkranke und Sterbende?
Zuerst versuche ich, heraus zu spüren, wo die Person im Prozess der Erkrankung und in der Konfrontation mit der eigenen Endlichkeit steht. Dann versuche ich eine Beziehungsebene zu schaffen, in der ich der Patientin, dem Patienten, aber auch den Angehörigen Unterstützung im Gespräch anbieten kann. Zur Hauptsache bin also Gesprächspartner für die Betroffenen, deshalb beschreibt es meine Tätigkeit ganz gut, wenn ich sage, dass ich einen Raum schaffen möchte, in dem das, was gerade ist, ausgesprochen werden kann. Das kann beratend oder begleitend sein, manchmal spiegle ich etwas zurück, manchmal habe ich die Rolle des Zuhörers oder aber die eines Zeugen. Denn die Auseinandersetzung mit einer Erkrankung kann happig, schwer, mühsam sein, es macht wütend. Dann bin ich einfach in der Funktion eines Zeugen, dem die Betroffenen all das an den Kopf werfen können. Einer, der ihnen bestätigt, ja, so ist es, so ist auch Mensch sein, obwohl es ganz blöd und schmerzhaft ist. Wenn da ein Gegenüber ist, der das einfach entgegennimmt und zuhört, dann schafft das eine Weite. Man kann wieder durchatmen.
Ein Gespräch kann die Menschen aber auch dazu ermutigen, ihr Leben aufzuräumen, etwas zu hinterlassen, zu klären oder zu bereinigen. Meine Tätigkeit umfasst auch die Begleitung in der Stille. Manchmal vermögen Worte nicht das auszudrücken, was in der Auseinandersetzung mit der Krankheit passiert. Dann kann Stille angemessener sein. Oder ein Lied, das ich für oder mit den Betroffenen singe. Auch Rituale gehören zu meiner Arbeit. Seien es die traditionellen Rituale, eine Segnung oder aber – gerade für jüngere Menschen, die in der kirchlichen Tradition nicht so beheimatet sind - auch neue Rituale. Manchmal sind es Abschiedsrituale, die ich mit den Angehörigen gemeinsam gestalte. Nicht alle sind offen dafür, aber wenn es geschieht, ist es sehr berührend. Rituale schwingen auf einer anderen Ebene als Gespräche. Es wäre schön, ich könnte das öfters machen, aber in unserer Kultur sind Rituale nicht mehr so gewünscht Oder nicht mehr so eingeübt.
«Mein Ziel ist, einen Raum zu schaffen, in dem Menschen in der Auseinandersetzung mit einer schweren Krankheit einen für sie passenden Weg finden.» Daniel Burger-Müller

2) Was ist Ihr Ziel bei der täglichen Arbeit?
Meine Arbeit ist weniger zielorientiert, als in anderen Berufen, die in die Palliative Care involviert sind. Mein Ziel ist, einen Raum zu schaffen, in dem Menschen in der Auseinandersetzung mit einer schweren Krankheit einen für sie passenden Weg finden. Ich bin geprägt von einer mystischen Spiritualität, bei der es um Raum und Leere geht, nicht um Machen, sondern um Lassen. Gott wohnt dort, wo nichts ist. Einfach da zu sein, ist das wichtigste.

3) Was braucht es, damit Sie Ihr Ziel erreichen können?
Das Wesentliche ist, dass ich den Raum in mir bereit habe und ihn pflege. Meine Hausaufgabe ist, diesen Raum so offen und so leer wie möglich zu halten, indem ich meine eigene Spiritualität pflege. Das ist der Boden, damit ich mit dieser Haltung und in diesem Bewusstsein, in die Begegnung mit den Menschen treten kann. Das erreiche ich mit Kontemplation, mit stillen Zeiten, mit täglichen Übungen, die ich in meinen Alltag integriere. Es ist meine Form von Gebet, die mich jeden Morgen auf den Arbeitstag mit den Menschen in der Palliative Care vorbereitet, die mir aber auch als Daniel guttut. Auf der praktischen Seite braucht es eine klare und gute Zusammenarbeit mit den Pflegenden, den Ärztinnen und Ärzten, den anderen beteiligten Diensten und in unserem Seelsorgeteam. Das findet bei uns im Rahmen des interdisziplinären Rapports statt. Keine Berufsgruppe für sich kann den Patienten alles das bringen, was sie benötigen. Es braucht diese Zusammenarbeit. Wenn der Patient vor Schmerzen schreit, ist ein Gespräch mit ihm nicht möglich. Also braucht es erst den Arzt, bevor ich meine Arbeit beginnen kann. Wenn die Pflegenden das Frühstück bringen oder mit ihren Handlungen die Körperaktivität erhalten, dann tragen sie ebenfalls dazu bei, dass der Raum für eine Begegnung geöffnet wird. Ich bin derjenige, der im Gesundheitswesen von der Spiritualität herkommt. Dadurch halte ich das Bewusstsein wach, dass die Spiritualität einen grossen Teil des Lebens ausmacht. Palliative Care ist für mich auch immer Kulturarbeit. Wer in diesem Bereich arbeitet, tut das sicher auch deshalb, weil die Tätigkeit so ganzheitlich und vielschichtig ist.
«Ich bin Zeuge geworden von dieser Not, diesem geballten Aufbegehren. Auch das ist Palliative Care.» Daniel Burger-Müller

4) Welche Begegnung, welches Ereignis hat Sie zuletzt persönlich berührt?
Die Begegnung mit Herrn K. Er war nur ein paar Jahre älter als ich und an einem sehr schnell wachsenden Tumor erkrankt. Sein Wunsch war, möglichst rasch wieder arbeiten zu gehen. Wir führten ein kurzes, vielleicht zweiminütiges Gespräch. Weil ich den Eindruck hatte, dass bei ihm noch vieles ungeklärt ist, ging ich einen Tag später wieder zu ihm. Als ich in sein Zimmer trat, empfing er mich mit den Worten «Oh nein, nicht schon wieder!», also mit einer grossen Abwehrhaltung. Ich musste wieder hinaus, weil er mir nicht erlaubte, den Kontakt weiter zu pflegen. Einige Tage später verstarb er. Diese Begegnung berührte mich deshalb, weil sie seine grosse Not spürbar machte. Ich hatte den Eindruck, ein Gespräch würde ihm guttun, aber er konnte es nicht annehmen. Vielleicht hat es ihn überfordert. Ein Teil der Auseinandersetzung mit der Krankheit umfasst auch Ablehnung und Wut. Mich kann man relativ ungestraft wegschicken, den Arzt oder die Pflegenden nicht. Ich habe seine Wut abgekriegt. Das ist nicht lustig, aber es hat mich berührt, weil ich darin dieses Überrumpelt werden von der Krankheit mit ihrem schnellen Verlauf, all diese Gefühle, die dieser Mann verspürte, wahrnehmen konnte. Das hat sich in diesem «Oh nein, nicht schon wieder!» verdichtet. Das ist kein schönes, sondern ein widerborstiges Erlebnis. Natürlich erlebe ich ganz viele schöne und berührende Begegnungen, auch die gibt es. Aber diese Begegnung hat mich ein Stück weit auch erschüttert. Ich bin Zeuge geworden von dieser Not, diesem geballten Aufbegehren. Auch das ist Palliative Care.

5) Wo sehen Sie Handlungsbedarf in der Palliative Care?
Meine Sorge ist, dass die Ökonomie eine gute Kultur von Palliative Care erschwert. Auf der einen Seite muss ein Spital eine gewisse Rendite erwirtschaften, unter anderem, um auf der Spitalliste bleiben zu können. Es gilt, gesundheitspolitische und ökonomische Zwänge zu erfüllen. Auf der anderen Seite braucht es in der Palliative Care vor allem Zeit, es braucht Raum, um zuhören zu können. Und es braucht ein gewisses Setting. Wenn die Mitarbeitenden stark unter Druck sind, ist es schwierig, eine Kultur von Empathie aufzubauen oder aufrechtzuerhalten. Wenn der finanzielle Druck zu gross wird, wird er zum Hindernis.
Um diese Herausforderung zu meistern, braucht es in unserer Gesellschaft ein verändertes Bewusstsein: Krankheit und Tod sind Lebensprozesse und nicht nur «Fälle» für (palliativ geschultes) Fachpersonal.
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