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Neue Technologien sollen Palliativpatientinnen und -patienten dabei unterstützen, sich zu Hause sicherer zu fühlen. (Symbolbilder: Adobe Stock)

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Early Palliative Care

Palliative Care wird oft mit Sterbebegleitung gleichgesetzt. Doch das greift viel zu kurz. Wenn Palliativangebote frühzeitig in die Behandlung integriert wird, hat das viele positive Effekte: für die Patientinnen und Patienten, die Angehörigen, aber auch für das Gesundheitswesen. Beispielsweise Die frühzeitige Integration palliativmedizinischer Angebote in die Behandlung von Patienten mit bessere Lebensqualität, weniger Notaufnahmen, ein besseres Krankheitsverständnis bis hin zu verlängertem Überleben. In dieser Serie zeigen wir, welche Facetten «Early Palliative Care» haben kann.

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15. März 2021 / Wissen
Ein Band am Oberarm, das Biodaten aufzeichnet und Palliativpatientinnen und -patienten rät, was sie tun können, falls sich Werte verändern. Eine Parisreise durch die virtuelle Brille oder ein 3D-Gespräch mit den Angehörigen, die weit weg leben. Das sind nur einige der Forschungsprojekte am Kompetenzzentrum Palliative Care des Universitätsspitals Zürich. Wir haben mit dem Psychologen Manuel Amann gesprochen, der diese Projekte betreut.
«Palliative Care kann gar nicht früh genug beginnen», sagt Manuel Amann. Der Psychologe ist am Kompetenzzentrum Palliative Care am Universitätsspital Zürich tätig und betreut verschiedene Forschungsprojekte. Ziel dieser Projekte ist, die Lebensqualität der Patientinnen und Patienten, aber auch jene der Angehörigen, zu erhöhen. Was simpel klingt, scheitert jedoch oftmals an fehlenden finanziellen Mitteln. Entsprechend ist noch vieles unerforscht. Für Forschungsgelder etwa aus der Pharmabranche ist Palliative Care schlicht zu wenig attraktiv. Etwas, das Manuel Amann nicht nachvollziehen kann. Für ihn geht es um nichts weniger, als um die Verbesserung einer Zeit, die jedem und jeder bevorsteht.

Ein Drittel seines 60-Prozent-Pensum widmet er einem Forschungsprojekt, das eben erst beim Schweizerischen Nationalfonds eingereicht wurde. Forschungsgegenstand ist ein sogenanntes Wearable, am Oberarm getragene Computertechnologie also, die den austretenden Patientinnen und Patienten der Palliativstation mitgegeben werden könnte. Das Armband zeichnet Biodaten auf und vermittelt dem Träger durch die dazugehörige App niederschwellige Informationen und Tipps, was zu tun ist, falls sich ein Wert verändert. Zudem stellt das System Fragen, beispielsweise, ob die Notfallmedikation bereits eingenommen wurde, und rät entsprechend zu weiteren Massnahmen. «Es geht darum, erste Sorgen abzufangen und das Sicherheitsgefühl der Patienten zu stärken, wenn sie das Spital verlassen haben», erklärt Amann. Das Feedback durch die App führe hoffentlich dazu, dass sich die Patienten nicht komplett auf sich alleine gestellt fühlten. Zwar steckt das Projekt in der Entstehungsphase, die Finanzierung ist noch nicht gesichert. Gleichwohl sei der erwartete Nutzen gross, wie Psychologe Amann versichert. «Die Mehrkosten sind gering, weil kein aufwendiges medizinisches Monitoring nötig ist; zudem können unnötige Rehospitalisationen vermieden werden.»

Würdegefühl durch Biografiearbeit stärken
Ein anderes Forschungsprojekt, an dem Manuel Amann arbeitet, kam erst vor kurzem von der Psychoonkologie ans Kompetenzzentrum Palliative Care. Diese Studie zur Dignity Therapy, der würdezentrierten Therapie nach Harvey M. Chochinov, läuft schon seit 2015 und wurde mehrmals verlängert, Diese Kurzintervention mit zehn Fragen kann dazu beitragen, das Würdegefühl eines Menschen, dessen Ende nahe ist, zu stärken, indem durch gezieltes Nachfragen und Aufschreiben der Erinnerungen, Wünsche und Anliegen des Patienten soll die Wertschätzung für das eigene Leben erhöht, die Sinnfindung unterstützt und die Bedeutung des eigenen Lebenswerks erkannt oder verstärkt werden. «Die Dignity Therapy ist gut erforscht und gehört zu den Interventionen, die sich sehr positiv auf das Wohlbefinden auswirken», erklärt Manuel Amann.

In der aktuellen Studie, deren Sponsor der Professor Josef Jenewein ist, wird nun untersucht, welche Auswirkungen die Intervention für die Angehörigen mit sich bringt. Dazu gehören zwei Fragebögen, das eigentliche Dignity Therapy Gespräch mit der erkrankten Person, sowie die Nachbesprechung des aufgrund des Gesprächs erstellten sogenannten Generativitätsdokuments. Die Angehörigen werden zusätzlich zu zwei weiteren Befragungen eingeladen, die nach dem Versterben des Patienten stattfinden.

Die Kandidatensuche ist eine tägliche Herausforderung, weil die Energie und das Aufnahmevermögen der Patienten hoch genug sein müssen, um die Fragebögen auszufüllen und am Gespräch teilzunehmen, doch muss das Lebensende – bedingt durch eine Krebserkrankung – absehbar sein. Teilnehmende rekrutiert Amann auf der Radioonkologie, der Palliativstation und auf der Dermatologie, doch bevor er in Frage kommende Patienten kontaktiert, bespricht er sich mit der Pflege. «Sie kennen die Patienten am besten und können abschätzen, ob es Sinn macht, auf diese zuzugehen.» Oft hapere es an den Kräften, manchmal sei es auch eine Frage der Persönlichkeit, ob sie sich auf die Studie einlassen möchten. Während die einen mit der Situation im Reinen sind, haben andere Mühe, anzuerkennen, dass das Leben zu Ende geht.

Es sei faszinierend, wie schnell im 30- bis 60-minütigen Gespräch Erinnerungen an Gutes im Leben, an wichtige Erlebnisse, Werte und anderes das Wohlbefinden steigerten, erklärt Amann, der seit August letzten Jahres im Kompetenzzentrum Palliative Care tätig ist. «Das Erinnern an das eigene Leben löst etwas aus, das auch nachher noch weitergeht.» Das Gespräch wird aufgenommen, transkribiert und zu einem vorläufigen Dokument aufbereitet, das Amann gemeinsam mit der Patientin durchgeht und korrigiert, bevor dann die Endversion erstellt wird. Ob der Patient es dann für sich behält oder seinen Angehörigen hinterlässt, ist ihm freigestellt.

Aus dem Spitalalltag ausbrechen
Noch in den Anfängen steckt ein weiteres Projekt am Kompetenzzentrum Palliative Care, dem Palliativmediziner David Blum als ärztlicher Leiter vorsteht. Mittels Virtual Reality sollen Patientinnen insgesamt drei Interventionen erhalten, um aus dem Spitalalltag auszubrechen, notabene im Bett liegend. Eine dieser Interventionen besteht aus einem virtuellen Waldspaziergang, begleitet von meditativer Musik. Für das zweite Erlebnis mit virtueller Brille kann der Patient sich einen Ort aussuchen, den er nochmals besuchen möchte oder an den es ihn schon immer hinzog. «Das kann ein x-beliebiger Ort auf der Welt sein, die Technik dahinter ist Google Streetview», erklärt Manuel Amann. Ein virtuelles Treffen mit Angehörigen in 3D-Technologie ist die dritte Intervention. Das dürfte als wesentlich realistischer empfunden werden als ein zweidimensionaler Video-Call. Jene Intervention, die am besten funktioniert und von den Patienten am besten aufgenommen wird, soll dann als Studie lanciert werden. Auch ältere Patienten stehen neuen Technologien meist positiv gegenüber. «Sie merken, dass es ihnen guttut.»

Palliative Care ist für Psychologe Amann ein neues Arbeitsfeld. Er sieht es als Frage der Persönlichkeit, ob man sich auf ein solches Thema einlassen kann. Ihm hat ein persönliches Erlebnis aufgezeigt, wie sinnvoll ein früher Einbezug von Palliative Care wäre. Als sein an COPD erkrankter Vater hospitalisiert werden musste, wurde nicht über die Option Tod gesprochen. Niemand habe die Tatsache aufgezeigt, dass das Leben seines Vaters zu Ende gehe. Dass er dann so schnell starb, kam für Amann überraschend. «Es wäre hilfreich gewesen, wenn ich mich besser darauf hätte vorbereiten können», meint er rückblickend. «Und sicher hätte auch mein Vater davon profitieren können, wenn man die Lebensqualität mehr in die Zielsetzung einbezogen hätte.» Für ihn ist entscheidend, den Fokus auszuweiten und statt kurativen Ansätzen bis fast zur letzten Minute, um vielleicht eine Woche Lebenszeit mehr herauszuholen, die verbleibende Zeit möglichst positiv zu gestalten. Für Manuel Amann ein persönlicher Antrieb.
palliative zh+sh, Gabriela Meissner