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Ein Land ohne Palliative Care

Ein Land ohne Palliative Care

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Vor allem die sehr alten Portugiesinnen und Portugiesen sterben im Spital. Dabei ist bekannt, dass ältere Menschen tendenziell lieber in ihrer vertrauten Umgebung sterben wollen. (Bild: iStock)

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04. April 2016 / Wissen
Portugal hat eine der ältesten Bevölkerungsstrukturen der Welt. Die Menschen dort werden immer häufiger im Spital sterben, wie eine aktuelle Studie zeigt. Dieser Trend missachtet nicht nur den Wunsch der Menschen, zu Hause in ihrer vertrauten Umgebung zu sterben, sondern er überfordert auch das Gesundheitssystem.

Die Mehrheit der Menschen möchte zu Hause sterben. Wo sterben sie aber tatsächlich? Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus England und Portugal haben kürzlich Grundlagenforschung zu dieser Frage geleistet. Als Studienobjekt diente ihnen Portugal, das eine schnell alternde Bevölkerung aufweist. Im Jahr 2050 könnte Portugal nach Japan weltweit die älteste Bevölkerung haben. Die Portugiesinnen und Portugiesen können jedoch nicht von Palliative-Care-Leistungen profitieren. Es gebe hohe Hürden, Palliative Care als Behandlungskomponente ins portugiesische Gesundheitssystem zu integrieren, heisst es in einem Artikel, der im April im Palliative Medicine Journal erschienen ist. Erstens fehle es an Fachpersonen und -organisationen, zweitens würden «health professionals» nicht erkennen, wann Palliativmedizin angezeigt sei, und drittens werde in der pflegerischen Grundausbildung das spezifische Wissen nicht vermittelt.

Die vorliegende Studie hat alle Todesfälle in Portugal zwischen 1988 und 2010 untersucht. Erfasst wurden das Alter der Verstorbenen, die Todesursache und ihr Geschlecht. Aufgrund der vorliegenden Entwicklungen haben die Forscherinnen und Forscher für die nächsten 15 Jahre prognostiziert, wie sich die Zahl der Todesfälle in den Spitälern verhalten wird.

Trend widerspricht Wünschen der Bevölkerung

Die Ergebnisse sind erstaunlich: In Portugal sterben immer mehr Menschen im Spital – und das wird auch in Zukunft so bleiben. Ihr Anteil hat bereits von 1988 bis 2010 massiv zugenommen, von 44,7 auf 61,7 Prozent. Das Land verfügt damit über eine vergleichsweise hohe Rate an sogenannten «hospital deaths». Der internationale Schnitt liegt bei 54 Prozent. Vor allem von den hochaltrigen Menschen in Portugal – jenen also, die älter als 85 Jahre sind – stirbt zurzeit mehr als die Hälfte im Spital. 1988 waren es erst 27,8 Prozent gewesen. Wenn der Trend der letzten fünf Jahre anhält, werden bis ins Jahr 2030 die Todesfälle im Spital nochmals um mehr als ein Viertel zunehmen.

Dies ist umso stossender, als vor allem alte Menschen zu Hause sterben wollen. «Der vorausgesagte Trend des hospitalisierten Todes bringt deshalb nicht nur Probleme, was die Ressourcen der Gesundheitsversorgung betrifft, sondern er läuft auch den Vorlieben der breiten Bevölkerung zuwider», heisst es in der Studie weiter.

Studie gibt WHO-Resolution Auftrieb

Wenn das Worst-Case-Szenario eintrifft, sterben einst 89 Prozent aller Portugiesinnen und Portugiesen in einer Klinik. Im Vergleich zu anderen Ländern ist das aussergewöhnlich. In Deutschland sollte die Anzahl der «hospital deaths» laut Prognosen stabil bleiben. In Grossbritannien, in Kanada und den USA – wo die Pflege zu Hause bereits weiter entwickelt ist - hat eine Trendumkehr bereits stattgefunden. Interessanterweise sterben Krebspatienten in diesen Ländern häufiger zu Hause als Menschen mit anderen Krankheiten. Ganz anders in Portugal: Hier ist der Anteil der Krebspatienten an allen Todesfällen in Spitälern am grössten. Obwohl man weiss, dass die Pflege und Unterstützung zu Hause der bestimmende Faktor ist, weshalb jemand zu Hause stirbt, fehle es in Portugal an ambulanten Pflege-Teams. Generell mangle es an Palliative Care als Bestandteil in der Grundversorgung.

Diese Resultate bestärken deshalb eine Resolution der WHO vom Januar 2014, die Länder zwingen will, eine nationale Palliative-Care-Strategie zu entwickeln, die hauptsächlich auf die Grundversorgung, das öffentliche Angebot und die ambulante Pflege fokussiert. Erstmals wurde in einer Studie gezeigt, was passiert, wenn diese Empfehlungen nicht gehört werden. «Zum ersten Mal wurden Sterberaten für ein Land prognostiziert, das nicht über eine integrierte Palliative Care verfügt.» Global gesehen befänden sich um die 39 Prozent aller Länder in dieser Situation, schreiben die Studienautorinnen. Dies sei verheerend, insbesondere in Ländern mit einer alternden Bevölkerung, in denen Todesraten und die Nachfrage nach Betreuung zunehmen.
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