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Ein Lohn für pflegende Angehörige

Ein Lohn für pflegende Angehörige

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Ruedi Kunz, Geschäftsführer AsFam. (zvg)

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17. November 2022
300 000 Angehörige leisten in der Schweiz rund 80 Millionen Pflegestunden im Jahr – fast immer unentgeltlich. Doch dies müsste nicht sein, denn die Grundpflege ist nicht zwingend von Fachpersonen auszuführen. Der Verein AsFam, Assistenz für Familien mit pflegenden Angehörigen, ist eine jener Organisationen, die den pflegenden Angehörigen einen Lohn zahlt. Ein Gespräch mit Geschäftsführer Ruedi Kunz.
Herr Kunz, wie sind Sie auf die Idee gekommen, eine Spitex-Organisation zu gründen?
Ruedi Kunz: Die Idee kommt ursprünglich von einem Professor aus Glarus. Er ist Dozent an der Hochschule St. Gallen und von Beruf Anwalt. Da er selbst im Rollstuhl sitzt, ist er auf Pflege angewiesen. Er ist per Zufall darauf gestossen, dass man eigentlich seit 2006 die Möglichkeit hätte, pflegende Angehörige zu entlöhnen. Aber niemand hatte das bisher gemacht. 2018 liess er dies nochmal mit einem Bundesgerichtsentscheid bestätigen und startete mit einem eigenen Projekt. Uns fragte er an, ob uns dieses nicht für die Region Zürich interessieren würde. So machte ich mich an die Arbeit.

Dann war AsFam bei den ersten, die ein solches Projekt starteten.
Meine Frau und ich kannten die Realität von Pflegenden direkt. Sie kümmerte sich über Jahre um die Eltern. Wir konnten uns dies leisten, weil ich in meinem damaligen Job gut verdiente – und sie nicht zwingend einer bezahlten Arbeit nachgehen musste. Mir war aber klar, dass das längst nicht bei allen so ist.

Wie haben Sie es geschafft, eine Zulassung als Spitex-Organisation zu bekommen?
Wir haben ein Gesuch an die Gesundheitsdirektion des Kantons Zürich gestellt. Ende August 2020 haben wir hier die Zulassung bekommen. Nach und nach sind wir dann gewachsen. Inzwischen arbeiten wir auch in den Kantonen Schaffhausen, Aargau, Thurgau, Baselland, Baselstadt, Neuenburg, Fribourg und im Wallis. Und derzeit sind wir mit den Kantonen Bern, Waadt und Genf in Verhandlungen.

Welche Kriterien muss ein Angehöriger erfüllen, damit er sich bei Ihnen anstellen lassen kann?
Wir können Personen ab 18 Jahren einstellen, selbst wenn sie keine Vorkenntnisse haben. Die Angestellten erhalten einen Arbeitsvertrag, Lohn und angemessene Sozialversicherungsbeiträge. Und es besteht die Möglichkeit von Weiterbildungen. Doch die meisten Angehörigen wissen ohnehin längst, was sie wie machen müssen. Dann steht mehr der psychologische Halt, den sie bei uns haben, im Vordergrund. Inzwischen dürfen wir auch Pensionierte einstellen. Das ist richtig so, denn gerade ältere Leute, die sich um einen Ehepartner kümmern, sind doppelt bestraft. Sie haben vielleicht ihren Job aufgegeben und erhalten als Folge weniger Rente von AHV und Pensionskasse.

Sie sprechen von psychologischem Halt. Was bieten Sie denn nebst einer Bezahlung ihren Angestellten?
Wir haben rund 30 professionelle Pflegefachleute, die bei uns fest angestellt sind und die pflegenden Angehörigen betreuen. Dies ist mit das Wichtigste für die Angehörigen. Zu wissen, dass eine Betreuungsperson da ist, die man jederzeit bei Problemen kontaktieren kann, wird sehr geschätzt. Wir stellen den pflegenden Angehörigen auch gratis einen Entlastungsdienst zur Seite, damit ihre Angehörigen betreut sind, wenn sie selbst einen Arztbesuch oder sonst einen wichtigen Termin haben. Es ist uns ein echtes Anliegen, unsere angestellten Pflegenden ganzheitlich zu unterstützen.

Wie viel verdient ein Angestellter bei Ihnen?
Die pflegenden Angehörigen erhalten 33.50 Franken pro Stunde.

Wie haben die Krankenkassen auf Ihre Forderung nach Bezahlung reagiert?
Ganz unterschiedlich. Die einen sprachen von Anfang an von einem Modell der Zukunft und motivierten uns, weiterzumachen. Andere waren der Ansicht, diese Idee gehöre nicht in unser Gesundheitswesen. Bis heute ist die Haltung der Kassen sehr unterschiedlich. Wir sind zwar inzwischen bei allen akzeptiert – bei den einen Zähne knirschend, bei den anderen wohlwollend.

Die Krankenkasse bezahlt für die Grundpflege. Was ist Grundpflege und was Betreuung?

Jemanden zum Arzt fahren oder für ihn einkaufen gehen, das gilt als Betreuung und kann nicht verrechnet werden. Grundpflege heisst, jemanden am Morgen aufnehmen, waschen, anziehen, beim Rasieren helfen etc. Und Tätigkeiten wie Mahlzeiten eingeben. Unsere Mitarbeiter müssen einen Tagesrapport schreiben, damit wir ausweisen können, was genau sie gemacht haben.

Und wie finanzieren Sie sich als Firma?
Aus der Differenz von Krankenkassenbeitrag von 52.60 Franken pro Stunde und dem Gehalt des Angestellten. Dies reicht aber meist noch nicht aus, weshalb wir je nach Kanton eine Restkostenfinanzierung erhalten.

Wie viele Leute haben Sie derzeit angestellt?
Wir haben nun 320 pflegende Angehörige in 9 Kantonen angestellt. Dazu kommen 47 interne Mitarbeiter in Administration, Pflegefachbereich und Entlastungsdienst.

Die Leute werden immer älter und die Pflegeplätze rar. Wird die bezahlte Arbeit von Angehörigen ein Modell der Zukunft sein?
Ich denke schon. Die herkömmlichen Spitexdienste sind überlastet. Die Heime sind überlastet. Und die Leute tendieren dazu, so lange wie möglich zuhause leben zu wollen. Und genau dies können wir mit unserem Modell unterstützen.

Inzwischen gibt es mehrere Firmen wie Ihre auf dem Markt. Auch Caritas hat ein Pilotprojekt gestartet. Eine Konkurrenzsituation?
Es gibt 300 000 pflegende Angehörige in der Schweiz. Ob die von AsFam angestellt sind oder sonst wo, ist mir egal. Ich möchte einfach, dass diese Leute endlich wertgeschätzt sind, Unterstützung und einen Lohn bekommen.
palliative zh+sh / Bettina Weissenbrunner