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«Es ist teuer, die Trauer nicht zu beachten!» – Fachtagung 2017

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Begleiten, verabschieden, erinnern – und weiterleben. Was brauchen betreuende Teams, Angehörige und Freiwillige? Fachtagung 2017 von palliative zh+sh in Zürich. (Bilder: palliative zh+sh, ei+sa)

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Die nächste Fachtagung von palliative zh+sh findet am Mittwoch, 13. Juni 2018 im Alterszentrum Hottingen im Schulthesspark statt.

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17. Juni 2017 / Region
Am 14. Juni 2017 tagten rund 160 Fachpersonen und Freiwillige in Zürich Hottingen und diskutierten darüber, was sie brauchen als Begleitende von Menschen am Lebensende. Vorträge, eine Theatereinlage und vielfältige Workshops sorgten für Anregungen.
«Achten Sie um Gottes Willen darauf, dass Sie sich genug freuen im Leben! Dass Sie genug geniessen!» Die Tagung mit dem Titel «Begleiten, verabschieden, erinnern – und weiterleben. Was brauchen betreuende Teams, Angehörige und Freiwillige?» eröffnete Matthias Mettner mit einem wohlwollenden Grusswort. Der Studien- und Geschäftsleiter von «Palliative Care und Organisationsethik» lud die Teilnehmenden ein, das Leben zu lieben. Wer selber nicht genug geniesse, werde für andere sehr schnell ungeniessbar, fügte er augenzwinkernd hinzu. Mettner lobte die auffallend positive Atmosphäre und den wertschätzenden Umgang der Beteiligten im «Palliative Millieu» und dankte allen, die sich im Rahmen von palliative zh+sh engagieren.

«Unsere Intuition ist der beste Marker, um das Sterben zu erkennen»

Steffen Eychmüller, Leiter des Palliativzentrums am Inselspital Bern und ehemaliger langjähriger Vizepräsident von palliative ch sprach über die Betreuung von Menschen am Lebensende und ihren Angehörigen und stellte dabei die Empfehlungen von palliative ch zur Sterbephase vor, die er mit einem interprofessionellen Team von Fachpersonen, Freiwilligen und Angehörigen erarbeitet hat. Von den Freiwilligen habe das Team in diesem Prozess besonders viel lernen können, sagte er.

Können wir das Sterben diagnostizieren? «Unsere interprofessionelle Intuition ist der beste Marker, um das Sterben zu erkennen», so Eychmüller. Darum habe diese auch stark Eingang gefunden in die Empfehlungen von palliative ch. Auch wenn die Intuition alleine natürlich nicht genüge. Die nationalen Empfehlungen für die Sterbephase seien auch tatsächlich als Empfehlungen gemeint und man sei offen für Rückmeldungen. In Arbeit ist zudem eine Version der Empfehlungen für Angehörige.

Therapie bis zum bitteren Ende

Eychmüller sprach aber auch über die aktuellen praktischen Herausforderungen von Fachpersonen, die Menschen am Lebensende begleiten und betonte: «Es gibt einfach kein DRG für die Sterbephase». Gerade als Abteilung in einem Spital sei man oft gezwungen, Menschen zum ungünstigsten Zeitpunkt aus dem Krankenhaus zu entlassen. Doch Frau H., von der Eychmüller den Tagungsteilnehmenden erzählte, wollte die Station am Berner Inselspital nicht verlassen und das dortige Team zwang sie nicht dazu. «Und plötzlich mussten wir uns nicht nur gegenüber der Krankenkasse, sondern auch spitalintern dafür rechtfertigen, dass unsere Patientin nicht schnell genug stirbt.» Bis zum bitteren Ende werde heute therapiert. «Das Ende der Therapie ist schlecht für das Unternehmen.»
«Der Kanton Zürich ist mit Freiwilligen komplett abgedeckt!»
Elisabeth Müggler

Schwester Elisabeth Müggler, Mitbegründerin des Vereins «wachen und begleiten wabe» sprach über die Rolle von Freiwilligen in der Begleitung von Menschen am Lebensende. Wabe sei dabei ein «Puzzleteil». «Wabe reiht sich ein in ein grosses Netzwerk. Die Zusammenarbeit ist zentral», so Müggler. Das Puzzleteil leistet derweil unbezahlbare, wichtige Arbeit und nimmt seinen Auftrag sehr ernst. Freiwillige, die sich bei wabe engagieren möchten, werden aus- und regelmässig weitergebildet und erklären sich zu einer verbindlichen Mitarbeit bereit. Die Freiwilligen von wabe und vielen anderen Organisationen leisten damit sogenannte «formelle Freiwilligenarbeit». Müggler betonte auch: «Der Kanton Zürich ist mit Freiwilligen komplett abgedeckt!» Die acht im Kanton tätigen Vereine stehen im regen Austausch und helfen sich bei Bedarf aus. Wesentlich für Freiwillige in der Palliative Care sei es, die eigenen Kompetenzen zu kennen und einzuhalten. Lebensgeheimnis, Endlichkeit, Spiritualität, Sinnfragen müssten von ihnen wahrgenommen und oft auch ausgehalten werden, so Müggler. Es gehe darum, «einfach ganz Mensch zu sein».

«Trauer ist nicht nur ein Bauchgefühl»

Viele relevante Daten aus der aktuellsten Forschung brachte die Psychologin und Trauerexpertin Ruthmarijke Smeding mit. Und das hatte seinen Grund: «Viele denken, ein bisschen Bauchgefühl, ein bisschen lieb sein, das passe schon, das reiche locker, um mit der Trauer von Hinterbliebenen umzugehen. Aber so ist das nicht. Trauer ist nicht nur ein Bauchgefühl.» Smeding betonte, wie wichtig es ist, dass auch Begleitende professionell mit Trauer umgehen können, da sie damit auch frühzeitig erkennen können, wenn sich bei jemandem eine komplizierte oder Hochrisiko-Trauer entwickeln könnte.
«In einer ‘Compassionate City’ sind Sterben, Tod, Trauer zuhause.»
Ruthmarijke Smeding

«Es ist teuer, die Trauer nicht zu beachten!» Folgeerkrankungen sowie Arbeitsunfähigkeit und viele andere Auswirkungen seien nicht zu unterschätzen. Smeding zitierte eine Schottische Studie aus dem Jahr 2015, die errechnete, dass für eine frisch verwitwete Mutter mit kleinen Kindern in einem einzigen Jahr Kosten von rund 42 Millionen Franken anfallen. «Da kann das Gesellschaftssystem viel sparen, indem es aufhört, für Trauernde nichts zu tun», sagte Smeding. Und fragte gleich selbst: «Aber wer soll das alles leisten?» Die Idee der «Compassionate Cities» gehe um die Welt. «In einer Compassionate City sind Sterben, Tod, Trauer zuhause.» Hier könne eine Gemeinschaft Lösungen finden, wie Betroffene direkt und aktiv unterstützt werden könnten. Smeding sieht die Freiwilligenarbeit entsprechend als sehr wichtige Säule in der Begleitung Trauernder.

«Wir können uns gegenseitig wertschätzen»

Dass in kleineren Gemeinschaften, den Familien, schon sehr viel Freiwilligenarbeit geleistet wird, um schwer kranke und sterbende Menschen zu begleiten, zeigte das Referat von Iren Bischofberger. Sie leitet das Programm «work & care» am Careum der Kalaidos Fachhochschule Gesundheit und beschäftigt sich seit zehn Jahren intensiv mit der Situation von erwerbstätigen pflegenden Angehörigen. Bei Online-Umfragen, die bei verschiedenen Unternehmen durchgeführt wurden, zeigte sich, dass jeweils mindestens 12 Prozent der Mitarbeitenden betroffen sind. Bischofberger stellte betriebliche Tools in den drei Bereichen Sensibilisierung, Support und Quantifizierung vor, die Betriebe dabei unterstützen, eine gute Praxis im Umgang mit der Vereinbarkeit von Beruf und Pflege ihrer Mitarbeitenden zu erreichen. Sie sprach ausserdem darüber, was betroffene Mitarbeitende tun können, um den Arbeitgebenden die Chance zu geben, auf ihre Situation einzugehen.
«Wir sind auf gutem Weg, aber proaktive, partizipative und flächendeckende Daten und Umsetzung sind nötig.»
Iren Bischofberger

Auch der Bund bleibt nicht mehr länger untätig und lancierte dieses Jahr ein Förderprogramm für pflegende Angehörige, das von 2017 bis 2021 laufen soll. Darin wird auch auf die Situation von Erwerbstätigen, die ein Familienmitglied pflegen, eingegangen. Das Fazit von Iren Bischofberger: «Wir sind auf gutem Weg, aber proaktive, partizipative und flächendeckende Daten und Umsetzung sind nötig.»

In vier verschiedenen Workshops und in den Pausen wurden die Gedanken weitergesponnen, Praxisbeispiele diskutiert, über Strategien und Ansätze ausgetauscht und es wurde etwas beherzigt, das Ruthmarijke Smeding in ihrem Vortrag betont hatte. Begleitende von sterbenden Menschen – egal in welchem Setting – erhalten im Alltag nicht so viel Wertschätzung und Ermunterung, wie ihnen eigentlich guttun würde. Aber: «Wir können uns gegenseitig wertschätzen», so Smeding.
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