palliative zh+sh

Sprunglinks/Accesskeys

Essen und Trinken bei schwerer Krankheit

Essen und Trinken bei schwerer Krankheit

Weitere Infos

Essen und Trinken spielen im Leben eine grosse Rolle. Menschen mit fortgeschrittenen chronischen Erkrankungen, in höherem Alter und am Lebensende berichten: «Jede Mahlzeit schmeckt gleich, jede ist fad.»

Die Autorin

Isabelle Weibel

Isabelle Weibel


Die Dipl. Pflegefachfrau mit MAS Palliative Care ist Co-Leiterin der klinischen Pflegespezialistinnen im KZU (Kompetenzzentrum Pflege und Gesundheit) in Bassersdorf. Dort macht Isabelle Weibel auch Coaching, Schulung und Beratung u.a. in der Umsetzung von Palliative Care an der Basis. Seit bald 40 Jahren arbeitet Weibel im Pflegeberuf in den verschiedensten Fachbereichen und Rollen. Neben anderen Ämtern ist sie Mitglied im Vorstand von palliative zh+sh.

Weitere Infos zum Thema

Dokumente zum Thema

Video zum Thema

01. Mai 2018 / Wissen
In unserem Leben dreht sich viel ums Essen. Das ändert sich auch nicht, wenn wir erkranken oder uns auf das Ende unseres Lebens zubewegen. Trotzdem bleibt dann auch in Bezug aufs Essen nichts, wie es war. Isabelle Weibel begegnet diesem Thema in ihrer täglichen Arbeit immer wieder. Zur Ernährung in der Palliative Care sagt sie: «Für Menschen mit einer fortgeschrittenen chronischen Erkrankung oder in höherem Alter kann das Essen zur Belastung werden.» Aber es könne auch gut tun. Wie das gehen könnte, berichtet die spezialisierte Pflegefachfrau in ihrem Gastbeitrag.
Frau Munz* hatte eine Krebserkrankung. Die letzten Wochen ihres Lebens verbrachte sie auf der Palliativstation einer Institution. Sie litt unter starker Übelkeit. Das lag teilweise sicher an ihrer Krankheit. Vermutlich aber auch daran, dass sie das Leben aus verschiedenen Gründen im wahrsten Sinne des Wortes «satt» hatte, wie die Tochter von Frau Munz berichtete. Medikamente halfen nur bedingt. Damit Frau Munz nicht ständig erbrechen musste, wurde ihr eine Magensonde über die Nase gelegt. Während ihren letzten Tagen nahm sie nichts mehr zu sich. Darunter litt die Tochter, die oft zu Besuch war, mehr als Frau Munz. Sie fühlte sich hilflos und hätte ihrer Mutter gerne irgendetwas Gutes getan – wenn wir gesund sind, tun wir das oft, indem wir einander bekochen, etwas Süsses backen oder einfach etwas Feines mitbringen. Plötzlich erinnerte sich die Tochter, dass ihre Mutter den Griessbrei nach Art ihrer Grossmutter besonders mochte. Sie kochte den Brei zu Hause, brachte ein Schüsselchen davon mit und fragte am Abend: «Hättest Du Lust auf Grosis Brei?» Die Mutter nickte, nahm nur ein Löffelchen davon und sagte: «So etwas Feines habe ich noch nie gegessen!» Und zu diesem Zeitpunkt war das wohl wirklich so. Die beiden Frauen lächelten einander an und die Tochter beschrieb später diesen Moment als mystisch und unvergesslich. In jener Nacht verstarb Frau Munz.
Essen und Trinken haben in unserer Gesellschaft einen hohen Stellenwert
und werden direkt mit dem Leben in Verbindung gebracht.

Ein Leben lang beschäftigen wir uns täglich mit Themen rund um Essen und Trinken. Mit einer gesunden Ernährung halten wir uns fit und stark. Manchmal sind bestimmte Nahrungsmittel und Getränke für uns Seelentröster. Sie können gute Gefühle auslösen und sind meistens ein grosser Genuss. Wenn ein lieber Mensch extra für uns gekocht hat, so essen wir auch mal über den Hunger hinaus. Wir pflegen soziale Kontakte an einer geselligen Tafelrunde und feiern Feste mit Speis und Trank. Manchmal entscheiden wir uns für eine Fastenzeit und viele Menschen bevorzugen aus einer Überzeugung heraus eine bestimmte Art der Ernährung. Essen und Trinken haben in unserer Gesellschaft einen hohen Stellenwert und werden direkt mit dem Leben in Verbindung gebracht. Das alles spielt bis ans Lebensende eine Rolle, in immer wieder abgewandelter Form.

«Jede Mahlzeit schmeckt gleich»

Die Ernährung kann aber auch zur Belastung werden. Folgende Beispiele mögen hinken, aber sie sollen ansatzweise darstellen, was kranke Menschen oft dauerhaft erleben: Haben Sie schon einmal das Essen wirklich genossen, als Sie stark erkältet waren? Konnten Sie dann schmecken, was Sie in den Mund nahmen? Mit wie viel Lust essen Sie bei Halsschmerzen? Kennen Sie das Gefühl, essen zu müssen um wieder auf die Beine zu kommen, wenn Sie sich krank und schlapp fühlen? Haben Sie es auch schon mal bereut, als sie jemandem zuliebe zu viel gegessen haben und sich im Nachhinein schlecht fühlten?

Menschen mit fortgeschrittenen chronischen Erkrankungen, in höherem Alter und am Lebensende berichten immer wieder Folgendes: «Jede Mahlzeit schmeckt gleich, jede ist fad. Wenn ich nicht sehen würde, was auf meinem Teller liegt, wüsste ich nicht was ich esse.» Das liegt nicht an den Künsten der jeweiligen Köche, sondern schlicht daran, dass die Geruchs- und Geschmackswahrnehmung der Betroffenen altersbedingt und durch Medikamente abnimmt. Sie sagen: «Ich möchte das Essen am liebsten wieder ausspucken, anstatt es zu schlucken.» Oder: «Wenn ich nur schon ans Essen denke, werde ich müde.» Ein krankheitsbedingt trockener Mund und mögliche Kau- und Schluckstörungen verhindern ein genussvolles Essen und Trinken. Bereits das Kauen kann beispielsweise bei Erschöpfung oder steten Atemschwierigkeiten sehr anstrengend sein, was die Freude am Essen erlöschen lässt.

Autonomie respektieren

Von klein auf lernen wir, dass Liebe durch den Magen geht, und diese Form der Liebe möchte man einander bis ans Lebensende geben. Im Alter und am Lebensende sind verringerter Appetit und vermindertes Durstgefühl normal. Viele fühlen sich durch Betreuende bevormundet, wenn sie ständig daran erinnert werden, dass sie mehr essen und trinken sollten, weil vielleicht der Kräfteverlust deutlich geworden ist. Bei Angehörigen macht sich dann verständlicherweise die Angst vor dem Verlust des Kranken breit. Es ist aber auch eine Art von Liebe zu akzeptieren, dass es in der letzten Lebensphase nicht mehr um eine ausreichende Ernährung des Körpers geht, sondern lediglich darum, allfällige Gelüste zu stillen.
Oftmals reicht es dem kranken Menschen, wenn er ein bis zwei Löffelchen von einem Lieblingsgericht oder -geschmack zu sich nehmen kann.

Natürlich ist jede Situation einzigartig und es gilt mit Fachpersonen zu prüfen, ob der Appetit- und Lustlosigkeit eine Ursache zugrunde liegt, welche behoben werden kann. Nicht aber um jeden Preis. Es muss und darf der Autonomie der betroffenen Person Rechnung getragen werden. Wenn diese auf ihre Art kundtut, dass sie nur noch das Wenige zu sich nehmen möchte, das ihr in ihrer Situation gut tut, gilt es, das zu akzeptieren. Menschen, die sich selber nicht mehr klar äussern können, verleihen ihrem Willen respektive Unwillen nicht selten auf andere Art Ausdruck. Sie spucken die Nahrung aus, kneifen ihren Mund zusammen, schimpfen und anderes mehr.

Kleine Freuden bereiten

Trotzdem bleibt es ein Anliegen von Betreuenden, dem kranken Menschen das Leben noch etwas zu «versüssen». Und wie das Beispiel von Frau Munz zeigt, kann das durchaus auch gelingen, wenn jemand kaum mehr essen mag. Ein paar Tipps sollen helfen herauszufinden, was wir tun können, um zur Lebensqualität bezüglich der Ernährung in der Palliative Care beitragen zu können.

Die Kunst liegt vielleicht darin, nicht enttäuscht zu sein, wenn man extra eine feine Mahlzeit zubereitet hat und diese dann nicht aufgegessen wird. Kennen Sie die in Mode gekommene Form des «Apéro riche»? Genau solche Mini-Portionen sind richtig für Menschen mit schwerer Krankheit. Oftmals reicht es dem kranken Menschen, wenn er ein bis zwei Löffelchen von einem Lieblingsgericht oder -geschmack zu sich nehmen kann.


Diese Tabelle
soll ein paar Ideen aufzeigen. Sie ist nicht vollständig.
Isabelle Weibel, palliative zh+sh