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Fünf Fragen an Maja Kuhn

Fünf Fragen an Maja Kuhn

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Maja Kuhn

Maja Kuhn arbeitete mehrere Jahre als Ernährungsberaterin im Spital Bülach, wo sie den Aufbau der Palliative-Care-Station miterlebte. Sie war vom Ernährungsberatungsteam für die palliativen Patientinnen und Patienten zuständig. 2014 gründete sie die Fachgruppe Palliative Care des Schweizerischen Verbandes der ErnährungsberaterInnen (SVDE) und leitet diese bis heute. Seit August 2017 ist sie in der Universitätsklinik Balgrist in Zürich tätig.

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31. Mai 2018 / Region
Damit Betroffene (Patientinnen, Patienten und ihre Angehörigen) palliativ betreut und begleitet werden können, braucht es den Einsatz von Fachpersonen und Freiwilligen aus den unterschiedlichsten Bereichen. Pallnetz.ch interviewt regelmässig Menschen aus der Region, die in Palliative Care tätig sind und stellt allen dieselben fünf Fragen. Maja Kuhn ist Ernährungsberaterin mit Erfahrung in Palliative Care und leitet die Fachgruppe Palliative Care des Schweizerischen Verbandes der ErnährungsberaterInnen (SVDE).
1) Wie begleiten Sie Schwerkranke und Sterbende?

Im Idealfall werde ich frühzeitig in die Behandlung miteinbezogen. Dann, wenn eine supportive Ernährungstherapie noch wirksam sein kann. Wenn ich Betroffene in einem frühen Krankheitsstadium behandeln kann, gibt mir das auch die Möglichkeit, den Patienten und wenn gewünscht auch seine Angehörigen kennenzulernen und zu begleiten. Ich möchte erfahren, welche Wünsche sie haben und was ihnen Sorgen bereitet. Essen hat einen wichtigen sozialen und kulturellen Aspekt. Existenz und Verlust werden im Essen sichtbar, da spielen Ängste eine grosse Rolle. Um solche Themen besprechen zu können, muss ein gewisses Vertrauen vorhanden sein. Ich möchte für die Patienten eine verlässliche Bezugsperson sein, die sie mit ihren Bedürfnissen respektiert.
«Existenz und Verlust werden im Essen sichtbar, da spielen Ängste eine grosse Rolle.»


2) Was ist Ihr Ziel bei der täglichen Arbeit?

Die Frage, auf die ich immer eine Antwort suche ist: Wie kann ich die Patientinnen und Patienten unterstützen, um ihr Befinden zu verbessern? Wichtig ist mir, die Ernährungstherapie dem Krankheitsverlauf anzupassen. Geht es darum, die Patientin zu einer bedarfsdeckenden Ernährung zu motivieren oder ist die Krankheit so weit fortgeschritten, dass dies nicht mehr im Vordergrund steht? Ich versuche, den gerade bei Palliativpatienten häufig vorkommenden «Eating Related Distress» zu reduzieren. Gemeint ist damit die psychosoziale Belastung, die durch die Ernährungsprobleme entsteht. Von Angehörigen und Fachpersonen werden Betroffene oft angehalten zu essen, um zu Kräften zu kommen. Aber viele Betroffene schaffen es nicht mehr, ausreichend zu essen oder ihr Gewicht zu halten, auch wenn sie sich bemühen. Dies führt zu enormem Stress. Der Punkt, an dem ich ansetze: Betroffene und Angehörige aufzuklären, welche Auswirkungen eine Krankheit auf Appetit und Gewichtsverlust haben kann. Ich muss in diesen Situationen realistisch bleiben und das auch den Betroffenen vermitteln. Es ist nicht mehr immer alles machbar, der Stoffwechsel verändert sich im Rahmen einer unheilbaren, fortschreitenden Krankheit stark. Dies zeigt sich oft in einer Mangelernährung und Symptomen wie beispielsweise Übelkeit, Erbrechen, Verstopfung und anderen. Die ernährungstherapeutischen Ziele müssen für die Betroffenen sinnvoll und realistisch sein.


3) Was braucht es, damit Sie Ihr Ziel erreichen können?

Ich versuche, den Patienten als den Menschen zu erkennen, der er ist, mit seinem Hintergrund, seinen Essbedürfnissen, seinen Ressourcen, seinen Symptomen und so weiter. Dabei achte ich darauf, mich zurückzunehmen und herauszufinden, was dem Menschen wichtig ist, den ich vor mir habe. Und es braucht dafür unbedingt eine interprofessionelle Zusammenarbeit. Ich versuche, mit anderen Fachpersonen ein tragendes Netz zu knüpfen, damit wir miteinander das Bestmögliche für die Betroffenen machen können. Das ergibt am Ende immer mehr als die Summe aller Fachdisziplinen und das spüren die Patientinnen und Angehörigen.
«Palliative-Care-Fachpersonen sollten ihr Augenmerk auf den gesamten Krankheitsverlauf legen und sich nicht ausschliesslich auf das Lebensende konzentrieren.»


4) Welche Begegnung, welches Ereignis hat Sie zuletzt persönlich berührt?

Vor einer Weile begleitete ich ein Ehepaar, dessen enorme Entwicklung im Krankheitsprozess des Ehemannes mich beeindruckte. Er war einmal ein leidenschaftlicher Esser, aber mit dem Fortschreiten seiner Krankheit veränderte sich das. Der Mann lag lange auf der chirurgischen Abteilung und später auf der Palliativstation eines Spitals. Für seine Ehefrau war es schlimm mit anzusehen, dass ihr Mann nicht mehr richtig essen mochte. Ihre Zuwendung war stark über das Essen definiert. Der Patient litt unter dem beschriebenen «Eating Related Distress». Im Laufe der Zeit und mit sehr viel Aufklärungsarbeit konnte seine Frau immer besser akzeptieren, dass ihr Ehemann nicht mehr so essen mochte wie früher. Diese Akzeptanz war für beide eine enorme Erleichterung und spielte eine wichtige Rolle im Trauerprozess der Frau. Sie hatte andere Wege gefunden, ihre Fürsorge zu zeigen, und das ermöglichte noch viele gute gemeinsame Momente. Sie las ihm beispielsweise aus einem Buch vor oder massierte seine Füsse und konnte auf diese Weise für ihn da sein. Ihre Dankbarkeit berührte mich sehr. Ich war auch beeindruckt, wie sich für das Ehepaar auf der Palliativstation der Fokus änderte und sie dadurch fähig waren, wichtige Dinge miteinander zu klären, was wiederum half Druck abzubauen.


5) Wo sehen Sie Handlungsbedarf in der Palliative Care?

Die Palliativstationen in den Spitälern sind enorm wichtig. Man darf aber nicht vergessen, dass Palliative Care schon bei der Diagnose einer fortschreitenden Krankheit beginnt. Das sollte im Spitalalltag unbedingt gelebt werden. Dazu müssten wir die Sensibilität für Palliative Care erhöhen und deutlich machen, dass es bei Palliative Care in erster Linie um den Menschen geht und um die Frage, was für ihn wichtig ist. Palliative-Care-Fachpersonen sollten ihr Augenmerk auf den gesamten Krankheitsverlauf legen und sich nicht ausschliesslich auf das Lebensende konzentrieren. Ich habe Palliative Care immer als eine besondere Art der Zusammenarbeit erlebt. Ich wünschte mir manchmal, andere Abteilungen würden sich von diesem Teamverständnis inspirieren lassen.
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