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Fünf Fragen an Sabine Millius

Fünf Fragen an Sabine Millius

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Die spezialisierte Palliativpflegefachfrau Sabine Millius arbeitet heute vor allem als Dozentin für Palliative Care. (Bild: zvg)

Portrait

Steckbrief Sabine Millius

Name: Sabine Millius
Alter: 39
Beruf: Palliativ-Pflegefachfrau, heute Dozentin
Arbeitsort: freiberuflich in der ganzen deutschsprachigen Schweiz; 30 Prozent am Institut Neumünster angestellt, Kompetenzzentrum für Lebensqualität im Alter; im Stundenlohn bei der Spitex Zollikerberg
Ausbildung: MAS Palliative Care, Kursleiterin «Letzte-Hilfe-Kurs», Höfa 1: Pflege chronisch kranker Menschen, Pflegefachfrau BScN.

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22. Juni 2020 / Region
Damit Betroffene (Patientinnen, Patienten und ihre Angehörigen) palliativ betreut und begleitet werden können, braucht es den Einsatz von Fachpersonen und Freiwilligen aus unterschiedlichen Bereichen. Pallnetz.ch interviewt regelmässig Menschen aus der Region, die in Palliative Care tätig sind und stellt allen dieselben fünf Fragen. Palliativ-Pflegefachfrau Sabine Millius ist als Dozentin
in der ganzen deutschsprachigen Schweiz unterwegs.
1) Weshalb arbeiten Sie in der Palliative Care?
Ich begann mich sehr früh mit dem Thema auseinanderzusetzen, bereits 2003, kurz nach meiner Lehre. In der Ausbildung zur Pflegefachfrau und auch danach arbeitete ich auf einer medizinischen Abteilung, dort betreuten wir häufig schwerkranke und sterbende Menschen. Die Betroffenen – dazu gehören auch die Angehörigen – befinden sich in einer Krisensituation, sie brauchen neben fachlicher auch menschliche Unterstützung. Ich merkte, dass mir diese Art von Pflege am Herzen lag und fragte mich, wie wir sie besser gestalten können. Die Begeisterung für die Palliative Care ist nie mehr erloschen.

2) Was ist Ihnen bei der täglichen Arbeit am Wichtigsten?
In der Vermittlung der Palliative-Care-Themen ist es mir ein Anliegen, mit der Gruppe zusammen am Thema zu arbeiten, gemeinsam Ideen zu entwickeln. Ich liefere keine pfannenfertigen Anweisungen und Antworten, sondern es geht darum, sich untereinander auszutauschen und miteinander auf Lösungen zu kommen. In der Palliative Care ist es wichtig, dass sich jeder seiner eigenen Haltung bewusst wird. Ich weiss aus der Praxis, dass im Alltag der Austausch oft fehlt darüber, wie man auf schwerkranke und sterbende Menschen und ihre Angehörigen zugehen soll. Fundiertes Fachwissen anzuwenden, ist wichtig und natürlich auch Teil meiner Weiterbildungen, aber es ist auch der Raum nötig, um sich auszutauschen.
«Häufig sind auch Fachpersonen der Meinung, Palliative Care bedeute einfach Sterbebegleitung.»

3) Was tun Sie konkret, um dies zu erreichen?
Zuerst möchte ich vor allem herausfinden, wo die Gruppe bezüglich Palliative Care steht. Welche Missverständnisse sind noch da? Häufig ist auch unter Fachpersonen nicht klar, was Palliative Care genau bedeutet, viele denken immer noch, es gehe nur um Sterbebegleitung. Danach arbeite ich viel mit Diskussionsrunden, Gruppenarbeiten und ganz praxisorientiert. Diesbezüglich hilft mir, dass ich zwanzig Jahre Praxiserfahrung habe. Anhand von Fallbeispielen lasse ich theoretische Inhalte erarbeiten. Froh bin ich auch immer über Praxisbeispiele, die aus der Gruppe kommen. Ich unterrichte nur punktuell frontal.

4) Welche Geschichte ist Ihnen in besonderer Erinnerung?
Eine Geschichte, die ich auch häufig im Unterricht brauche, um zu erklären, was ganzheitlich und multidimensional in der Palliative Care bedeutet. Sie zeigt, dass Fachpersonen manchmal falsch einschätzen, was Patientinnen und Patienten am Wichtigsten ist. Ein Mann mit einem metastasierenden Karzinom befand sich in der terminalen Phase. Er litt unter massiven Bauchkrämpfen, unter Erbrechen, auch von Stuhl. Wir von der Pflege hatten das Gefühl, dass diese Symptome ihn am meisten belasten. Wenn man ihn aber fragte, was ihn am meisten plagt, antwortete er, dass er als Selbstständiger sein Geschäft noch nicht verkaufen konnte. Das wollte er unbedingt noch vor seinem Tod regeln, damit seine Frau das nicht danach tun muss. Dieses Beispiel öffnet einem die Augen, dass man gezielt nachfragen muss.
«In der Grundversorgung ist die interprofessionelle Zusammenarbeit noch nicht angekommen.»

5) Woran mangelt es in unserer Branche?
Häufig mangelt es an Pflegepersonal, das führt zu einem grossen Zeitdruck und verkleinert die Räume, die man für einen gemeinsamen Austausch hätte. Zudem ist in der Grundversorgung die interprofessionelle Zusammenarbeit noch nicht angekommen. In der spezialisierten Palliative Care funktioniert das Interprofessionelle gut, alle Beteiligten befinden sich auf der gleichen Ebene. In der Grundversorgung hingegen erlebe ich häufig ein Hierarchiedenken. Das ist sehr schade, denn jeder in der Pflege und Betreuung Beteiligte sollte seine Sichtweise einbringen können, jede Pflegende, jeder Seelsorger. Und die Hausärztinnen und -ärzte sind auch noch nicht wirklich mit im Boot. Hier besteht deutlicher Nachholbedarf.
palliative zh+sh, Sabine Arnold