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«Wann und wie möchten Sie sterben?»

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Gibt es Versorgungsmodelle, die auch für die hochaltrige Bevölkerung wegweisend sein könnten? Wer soll und kann in der Behandlungskette koordinieren und welche Finanzierungsmechanismen bieten dafür nachhaltige Anreize? Am Geriatrieforum 2018 werden diese Themen aus unterschiedlichen Blickwinkeln beleuchtet.

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Alle Vorträge und Referate stehen auf der Website des Stadtspitals Waid zum Download zur Verfügung.

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01. Oktober 2018 / Region
Im Januar 2015 wurde das Programm «Koordinierte Versorgung» initiiert. Ziele des Projekts sind die Stärkung des Patientenwillens und eine vorausschauende Planung, die sich an den Bedürfnissen der Patientinnen und Patienten orientiert und die Behandlung und Betreuung berufsgruppen-und sektorübergreifend koordiniert. Wie sieht es damit im Kanton Zürich aus? Am diesjährigen Geriatrieforum am Waidspital gab es Antworten darauf.
Von einem Konzept, dass zunehmend im Alltag Fuss fasst, sprach Prof. Dr. Tanja Krones, Leitende Ärztin Klinische Ethik, Universitätsspital Zürich: Von Advance Care Planning (ACP), der vorausschauende Behandlungsplanung, dem Werkzeug für Patientinnen und Patienten, mit dem sie die Erwartungen, welche sie an ihre Behandlung haben, eindeutig und verständlich formulieren können. «Doch wem nützt die gesundheitliche Vorausplanung? Oder anders gefragt: Wann und wo wollen Sie sterben? Und wann und wie werden Sie sterben?» Krones weiss, warum so sie so deutlich fragt. Denn in der Regel wollen die meisten in hohem Alter, geistig und körperlich gesund und an einem schönen Ort sterben. Die Realität sieht anders aus: Bei uns stirbt man im Spital, urteilsunfähig, ohne vorherige Patientenverfügung und definierten Stellvertreter, manchmal ohne ausreichende Symptomkontrolle, auf der Intensivstation, zunehmend unter Sedierung – und das manchmal auch ohne Kenntnis des Patientenwillens.
«ACP steht im Zentrum eines Kulturwandels»
Prof. Dr. Tanja Krones, Leitende Ärztin Klinische Ethik, Universitätsspital Zürich

Das Beispiel aus der Praxis unterstreicht Tanja Krones Aussage: Rita Schäfer, 86 Jahre, seit vier Jahren im Altersheim wegen schwerer Arthrose. Sie ist dank dem Rollator mobil, ist eine temperamentvolle, kraftvolle Persönlichkeit und sie verfügt über eine Patientenverfügung der Pro Senectute. Vermutlich gut gemeint, hat Frau Schäfer ihr Kreuz bei Ja gezeichnet, wo sie die Anweisung bei einer Prognose irreversibler Schädigung alle diagnostischen und therapeutischen Massnahmen verweigert. Im Speziellen hat Rita Schäfer sich in den Folgefragen ebenfalls für Ja entschieden, wo gefragt wird, ob sie medikamentöse lebensverlängernde Behandlungen wünsche. Das gleiche beim Bedarfsfall betreffend künstlicher Flüssigkeitszufuhr mittels Sonde oder Infusion. Dasselbe bei künstlicher Ernährung und Behandlung mit Antibiotika bei Infektionen. Was im tatsächlichen Ernstfall nun zu tun? Die klassische Patientenverfügung werde zumeist alleine ausgefüllt und ohne adäquate Information und Beratung, so Krones. Entsprechend oft besteht das Risiko, dass im Ernstfall die Patientenverfügung nicht umgesetzt werde, da sie zwar rechtliche Geltung habe, aber unschlüssig formuliert sei. Mit ACP könne man hier entgegenwirken, ist Tanja Krones überzeugt, und: «ACP steht im Zentrum eines Kulturwandels.» Denn mit der klaren Ausrichtung auf den Patienten und dessen Wünsche wird ein neuer Weg beschritten. Natürlich ist ACP kein Allheilmittel, es ist aber auch nicht «das haben wir schon immer so gemacht». Vielmehr lohne es sich, ACP gemeinsam zu implementieren. «Aber es braucht einen grossen regionalen und nationalen Effort zur Vereinheitlichung, Implementierung und Qualitätssicherung.» Gemäss Stand März 2018 bieten bereits drei von fünf Pflegeausbildungsinstitutionen ACP-Vorlesungen an, eine einen ACP-Botschafterkurs und eine hat ACP in den zertifizierten Berater CAS integriert.
«Alle sind begeistert, aber nur bis zu dem Moment, wo Resultate zeigen, dass dadurch einzelne Leistungserbringer weniger verdienen.»
Franjo Ambrož, Direktor Pro Senectute Kanton Zürich

Das Pilotprojekt «Carenet+» hat die Verbesserung der Wirksamkeit, Effizienz und Qualität der Altersversorgung durch gezielte Koordination der Leistungserbringer und Kostenträger zum Ziel. Ebenso sollen die Leistungserbringer und Kostenträger entlastet sowie Doppelspurigkeiten in der Leistungserbringung vermieden werden. Franjo Ambrož, Direktor Pro Senectute Kanton Zürich, hat das Projekt vorgestellt. Es steht unter der Trägerschaft der Pro Senectute Zürich und einer Steuergruppe welche sich aus Spitex Knonaueramt, Ärztenetzwerk DocNet Säuliamt, Spital Affoltern, Krankenkassen, Gemeinden Stallikon und Hedingen, KESB Bezirk Affoltern sowie dem Zürcher Senioren- und Rentnerverband zusammensetzt. Franjo Ambrož zeigt an einem Praxisbeispiel wie durch gezielte Koordination 19'500 Franken eingespart wurden und der Fall mit nur 8'500 Franken direkte Betriebskosten abgerechnet werden konnte: Herr A., 68-jährig, lebt zuhause und leidet an Parkinson sowie einer Hauterkrankung. Sein Lebensunterhalt finanziert sich durch die AHV, Pensionskasse und dem Einkommen seiner Ehefrau. Herr A. hat keine Kenntnisse über Sozialversicherungen. Es kommt zu einer Krise, Herr A. ist auf pflegerische Unterstützung angewiesen. Zeitgleich zieht seine Ehefrau aus der gemeinsamen Wohnung aus, die Finanzierung des Lebensunterhalts wird unklar und auch die Finanzierung der Spitex ist nicht mehr gewährleistet. Es folgt ein hoher Bedarf an Pflege und Haushalthilfe. «Hier kommt Carenet+ zum Einsatz und zwar mit folgenden Leistungen: Teilnahme am Kundenrapport der Spitex, Finanzierung der Pflegeversorgung durch Erschliessung der Sozialversicherungsansprüche, Unterstützung im Trennungsprozess durch koordinierte Zusammenarbeit mit einem Anwalt, moderiertes Round-Table-Gespräch wo mit Familie, Spitex, Hausarzt und Krankenkasse die Aufgaben und Zuständigkeiten besprochen und verteilt werden. Kostenpunkt: 8’500 Franken.» Und welchen Nutzen hat sich für die Gemeinde daraus ergeben? Gespart wurden rund 19'500 Franken indem es keiner Abklärung durch die KESB bedurfte, es Einsparungen bei den Spitex-Kosten gab, eine Beistandschaft vermieden werden konnte und keine stationäre Pflege nötig wurde. Eine solche Kostenersparnis sollte eigentlich Freude auslösen, doch: «Alle sind begeistert, aber nur bis zu dem Moment, wo Resultate zeigen, dass dadurch einzelne Leistungserbringer weniger verdienen.»
Dennoch ist Franjo Ambrož überzeugt, dass eine Weiterführung von CareNet+ richtig ist. Denn aus seiner Sicht gehört der koordinierten und integrierten Versorgung die Zukunft. Und in fünf Jahren wird die Vorgehensweise nach Modell CareNet+ verbreitet und besser finanziert sein. CareNet+ ist ein Projekt mit Modellcharakter. Der Schlussbericht von Carenet+ liegt Ende Oktober 2018 vor.

Das Geriatrieforum 2018 war mit vier Vorträgen aus der Praxis und fünf Fachreferaten dicht befrachtet an Informationen und Erkenntnissen. Die Diskussions- und Fragemöglichkeiten wurden ebenfalls sehr intensiv genutzt. Keine Frage hingegen war die Begeisterung beim sehr zahlreich erschienenen Publikum: Fachleute aus dem Gesundheitswesen, Politikerinnen, Finanzspezialisten und interessierte Laien nutzten das Forum zum regen Austausch und zur Vernetzung.
Alle Vorträge und Referate werden in den kommenden Tagen auf der Website vom Waidspital zum Download zur Verfügung gestellt. Gespannt darf man auch auf die Resultate von der «Do Health Studie» sein, deren erste Erkenntnisse Prof. Dr. Heike Bischoff-Ferrari, Chefärztin Universitäre Klinik für Akutgeriatrie am Stadtspital Waid, am Geriatrieforum vorgestellt hat. Die Studie wird diesen Herbst veröffentlicht.
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