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«Autonomie und Selbstbestimmung in der Palliativen Geriatrie»

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Anliegen der FGPG in der Palliativen Geriatrie

Die Sorge um hochbetagte Menschen, um Menschen mit Demenz und um ihre Angehörigen und Nahestehenden steht im Zentrum der Bemühungen der Altenhilfe und immer mehr in der Hospizarbeit und Palliative Care – sei es stationär, ambulant oder zu Hause. Oft mit Dankbarkeit der Betreuten, meist ohne gesellschaftliche Anerkennung, immer mit zu knappen (Personal)ressourcen leisten Mitarbeiter und Leitungen gerade in der Altenhilfe einen wesentlichen Beitrag zu einer sorgenden Gesellschaft.

Palliativgeriatrische Kompetenz – fachliche, inhaltliche, soziale, emotionale und ethische Kompetenz – kann zwar nicht die Problem lösen, die durch defizitäre Rahmenbedingungen entstehen, aber sie kann die Reibungsverluste im Alltag erheblich reduzieren. Nur eine kompetente Altenhilfe kann Advokatin für hochbetagte Menschen sein, und Advokatin für die eigene Sache, für angemessene Bedingungen für eine Gute Sorge bis zuletzt.

Die Fachgesellschaft Palliative Geriatrie (FGPG) ist eine gemeinnützige Organisation von AltenpflegerInnen Wissenschaftlern, Ärzten, Hospizen und Palliative Care Fachkräften und Ehrenamtlichen. Sie wurde 2015 anlässlich der 10. Fachtagung Palliative Geriatrie in Berlin gegründet und setzt sich zum Ziel, den überregionalen Austausch im deutschsprachigen Raum und die Weiterentwicklung der Palliativen Geriatrie zu fördern.

Video zum Thema

24. Februar 2020 / Vermischtes
Um ein gemeinsames, länderübergreifendes Verständnis zu erzielen, diskutierten Mitglieder der Fachgesellschaft Palliative Geriatrie (FGPG) im Frühling 2019 die Themen «Selbstbestimmung und Autonomie im hohen Alter». Der Vorstand der FGPG fasste die resultierenden Überlegungen zusammen, ergänzte sie und verabschiedete das nun vorliegende Grundsatzpapier. Einer der Autoren ist Roland Kunz, Chefarzt Universitäre Klinik für Akutgeriatrie und Zentrum für Palliative Care sowie Vorstandsmitglied von palliative zh+sh.
Die Selbstbestimmung als Teil des Autonomieprinzips spiele gesellschaftlich gegenwärtig eine besondere Rolle. Es wird weithin angenommen, dass sie ein wesentlicher Aspekt des Menschseins sei. Damit verbunden sei mitunter eine Überbetonung der Selbstbestimmung, übersehen werde dabei oft die wechselseitige Abhängigkeit von Menschen. Im hohen Alter und in der Demenz nehmen Verletzlichkeit und Abhängigkeit zu, dennoch könne Selbstbestimmung im Sinne von «relationaler Autonomie» gelebt werden. Palliative Geriatrie setzt sich dafür ein, dass hochbetagte Menschen bis zuletzt ein möglichst selbstbestimmtes Leben führen können. Mit ihrem Grundsatzpapier setzt die Fachgesellschaft Palliative Geriatrie nicht nur ein Zeichen, sondern gestaltet die Umsetzung von Autonomie und Selbstbestimmung in der Palliativen Geriatrie aktiv mit.

Verletzlichkeit im Alter
Mensch sein heisse auch, verletzlich sein. Aufgrund vieler Verluste und Leistungseinbussen nähme die Verletzlichkeit im hohen Alter zu. So seien Hochbetagte in körperlicher, seelischer, sozialer und spiritueller Hinsicht vulnerabel, Menschen mit Demenz aufgrund sozialer Ausgrenzung ganz besonders. Bereits beim Einstieg in das Grundlagenpapier der FGPG zeigt sich eine respektvolle Art, mit welcher sie sich dem Thema annähert: «Der Gedanke an das hohe Alter macht vielen Menschen Sorgen, unter anderem, weil sie um ihre Selbstbestimmung fürchten und häufig ein Leben in Abhängigkeit für nicht mehr lebenswert halten.» Palliative Geriatrie nehme diese Sorgen und Ängste sehr ernst und setze sich für ein möglichst selbstbestimmtes Leben bis zuletzt für die Betroffenen ein. In der Medizinethik werde das Respektieren der Autonomie als eines von vier grundlegenden Prinzipien beschrieben. Damit verbunden seien Selbstbestimmung, Urteilsfähigkeit, Verstehen, Freiwilligkeit und Authentizität. Die Begriffe «Autonomie» und «Selbstbestimmung» würden heute oft synonym gebraucht. Die Verfasser des Grundlagenpapiers verwenden den Begriff «Selbstbestimmung» und erklären im Grundsatzpapier ausführlich, warum sie darauf Wert legen.
«Nur nicht zur Last fallen»

Selbstbestimmung und Bezogenheit
Selbstbestimmung wird aktuell grossgeschrieben. Dazu schreibt die FGPG: «Dies übersieht die wechselseitige Abhängigkeit von Menschen und führt zu einer «Vereinseitigung der Wertedebatte zugunsten von Selbstbestimmung». Dies trifft vor allem dann zu, wenn Selbstbestimmung individualistisch statt relational verstanden wird, d.h. wenn das Individuum lediglich aus sich selbst heraus Selbstbestimmung souverän realisieren soll, ohne auf die autonomiefördernde Unterstützung sozialer Beziehungen und Institutionen zurückgreifen zu können.» Werde autonomes Denken und Handeln so individualistisch verstanden, könne dies Menschen überfordern, und zur «Autonomiezumutung» werden. Dies stelle eine Falle für jene Menschen dar, deren körperliche und geistige Fähigkeiten, selbstbestimmt zu leben, abnehmen. Forschungsarbeiten zeigen: Würde im hohen Alter bedeutet für die Betroffenen vielfach «Nur nicht zur Last fallen». Auf sich selbst gestellt seien vulnerable, hochbetagte Menschen dem selbständigen Leben meist nicht mehr gewachsen.

Selbstsorge im Alltag und in gesundheitlichen Belangen
Das Ermöglichen von Selbstbestimmung in alltäglichen Belangen sei ein zentraler Aspekt des würdigen Umgangs mit Menschen und somit ein wichtiger Faktor für die Lebensqualität im Alter. Wenn Menschen die grossen Projekte der Selbstbestimmung nicht mehr realisieren können, werde es umso wichtiger, dass kleine alltägliche Selbstbestimmung möglich bleibe. Viele alte Menschen wohnen heute in Institutionen und Wohngemeinschaften, die besondere Einschränkungen der Selbstbestimmung fordern. «Hier ist es noch viel schwerer, Selbstbestimmung zu wahren, als zu Hause. Oft müssen sich die Bewohner an die Regeln und Routinen der Einrichtungen anpassen, statt umgekehrt», stellen die Verfasser fest. Wenn Selbstbestimmung nicht mehr aus eigenen Kräften gelinge, sei es erforderlich, dass im Alltag Bedingungen geschaffen würden, in denen diese trotz Einschränkungen gelebt werden könne. Die Verfasser weiter: «Die Betreuung in der Palliativen Geriatrie ist problem- und nicht diagnosebasiert; sie orientiert sich am Erleben der Patientinnen und Patienten und ist einem ganzheitlichen, biopsychosozialen und spirituellen Menschenbild verpflichtet. Die Ziele der Behandlung orientieren sich daher nicht vorrangig daran, was machbar ist, sondern vor allem daran, was den alten Patienten selbst wichtig ist.»
«Dank Empathie und Kommunikation Raum für Auseinandersetzung»

Selbstbestimmung und Sterbewünsche
Palliative Geriatrie erkenne an, dass Sterben eine erwünschte Perspektive für ältere Menschen sein und als gute Lösung gesehen werden könne. Alte Menschen hätten oft weniger Angst vor dem Tod als vor der Zeit bis dahin. Dazu die SAMW: «Ältere, meist multimorbide Menschen äussern oft Sterbewünsche. Aufgabe des Behandlungsteams ist es in dieser Situation, den Hintergrund des Wunsches zu ergründen, belastende Symptome zu lindern und allfällige Depressionen zu erkennen und zu behandeln. Sterbewünsche sind nicht primär als Suizidwünsche, sondern als Ausdruck existentieller Not zu betrachten». Hochbetagte Menschen seien besonders vulnerabel und befänden sich häufig in komplexen Situationen, die die Gefahr für Fremdbestimmung erhöhe. Palliative Geriatrie tabuisiert diese Themen nicht. Durch Empathie und Kommunikation schaffe sie – auch wenn sie keine Lösung anbieten kann – Raum für Auseinandersetzung.

Themen umfassend abgedeckt
Das Grundlagenpapier «Autonomie und Selbstbestimmung in der Palliativen Geriatrie» ist ein umfassendes Dokument, dass sich auch den Themen «Vorsorgeplanung», «Selbstbestimmung von Menschen mit Demenz» sowie «Respekt vor den Bedürfnissen der Sorgenden» und «Gesellschaftliche Rahmenbedingungen für Selbstbestimmung» annimmt. Das Grundlagenpapier kann, wenn in gedruckter Form gewünscht, direkt bei der Fachgesellschaft für Palliative Geriatrie bezogen werden. Interessierten steht es als digitale Version auf pallnetz.ch zur Verfügung.
Autorinnen und Autoren des Grundsatzpapiers «Autonomie und Selbstbestimmung in der Palliativen Geriatrie»: Karin Böck, MAS Palliative Care, Stockerau; Assoz. Prof. Dr. Katharina Heimerl, Wien; Dr. med. Roland Kunz, Zürich; Dirk Müller MAS Palliative Care, Berlin; Ursa Neuhaus, lic. phil., RN, EduN, Bern; Hon. Prof. Dr. Dr. Marina Kojer, Wien; Manuela Röker, MAS Palliative Care, Berlin / palliative zh+sh, cbu