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Hörschatz: «Was ich euch noch sagen will …»

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Ein wertvolle Erinnerung an Papi oder Mami in Form eines Herz-USB-Sticks.

Portrait

Wanda während den Aufnahmen zu ihrem Hörschatz.

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12. April 2022
Mit einem Hörschatz, einer persönlichen Autobiografie, hinterlassen früh verstorbene Eltern ihren minderjährigen Kindern eine Erinnerung, die für immer bleibt. Eine Ode an das Leben und ein Geschenk für die Hinterbliebenen.
«Mein Leben mit Euch – schön war es …», sagt Wanda ins grosse Mikrofon, das mitten in ihrem hellen Wohnzimmer vor ihr steht. Ruhig ist ihre Stimme, sicher gewählt sind ihre Worte. Wanda ist 42 Jahre alt, Mutter zweier Kinder im Alter von 10 und 12 Jahren. Sie leidet an Magenkrebs im fortschreitenden Stadium und wird daran sterben. Nun spricht sie eine Tonaufnahme, damit ihre Kinder später aus dem Leben der Mama hören, damit sie ihre Stimme nie vergessen werden: Es wird ein «Hörschatz» werden. «Zoe und Jendrik, ihr könnt euch das vorstellen wie ein Hörbuch von den drei Fragezeichen. Es hat spannende Sequenzen drin, wo ihr einiges erfahren werdet – auch über Papi und mich.» Aber nicht nur jetzt sollen die Kids ihr Mami hören, auch über spätere Situationen macht sich Wanda Gedanken: der erste Liebeskummer oder die Hochzeit der Kids. «Vielleicht möchtet ihr dann – wenn ihr schon erwachsen seid – erfahren, was Mami dazu gemeint hätte.» Es sind bewegende Worte, die Wanda an ihre Familie richtet, aber auch lustige Geschichten aus ihrer eigenen Kindheit und wichtige Erlebnisse ihrer noch jungen Familie sind dabei: ein unendlich wertvoller Schatz an Anekdoten und Erinnerungen in Form eines Hörbuches.

Die Idee zum Projekt «Hörschatz» stammt von Gabriela Meissner, ehemalige Kommunikationsbeauftragte von palliative zh+sh, und der Radiojournalistin Franziska von Grünigen. Beide sahen unabhängig voneinander im Fernsehen eine Dokumentation über ein deutsches Projekt, bei welchem sehr persönliche Tonaufnahmen von jungen, bald sterbenden Eltern verwirklicht wurden. Via Social Media lernten sich die beiden Journalistinnen kennen und diskutierten über diese Art von Vermächtnis. Und bald war ihnen klar: Wir packen das an und realisieren ein solches Projekt in der Schweiz. Im Mai 2020 gründeten die beiden Frauen den Verein Hörschatz. «Wir spürten schnell, dass die Idee dieser speziellen Audiobiografien auf Interesse stiess», sagt Gabriela Meissner. Jede Mutter und jeder Vater könnte sich vorstellen, in einer solchen Situation zu sein. Und wenn Kinder ihre Eltern verlieren, dann verblassen die Erinnerungen je nach Alter der Kinder schnell. Mit einem Hörschatz bleibt die Stimme von Mami oder Papi im Ohr und wird zu einer Erinnerung fürs ganze Leben. Inzwischen sind 13 Hörschätze produziert worden, 7 Projekte sind derzeit am Laufen. Die Aufnahmen sind für die Betroffenen kostenlos, denn die Finanzierung erfolgt über Spenden und Fundraising.

Ein Gute-Nacht-Lied zum Abschied

Je nach Verfassung des sterbenden Elternteils dauern die Aufnahmen mehrere Tage. Manchmal müssen auch mal eine Kurznachricht, ein Lied oder eine Gute-Nacht-Geschichte reichen. Oft sind die Eltern nicht mehr in der Verfassung, mehrere Stunden zu reden. Die Audiobiografinnen passen sich ganz der Situation an. «Ich erinnere mich an die Aufnahmen mit einer Mama im letzten Herbst, die in einem sehr schlechten Zustand war. Wir haben dann ein Schlaflied und ein kurzes Vorwort aufgenommen für ihre Kinder», erinnert sich Gabriela Meissner. Für mehr habe die Frau keine Kraft gehabt. «Aber so bleibt den Kindern wenigsten das Lied, das ihr Mami für sie gesungen hat.»

Nach den Aufnahmen werden die Gespräche geschnitten, in Kapiteln arrangiert und mit Musik unterlegt. Das Schneiden macht gut zwei Drittel des Zeitaufwandes aus, denn diese Arbeit muss ebenfalls mit viel Fingerspitzengefühl angegangen werden. Nicht alles, was die Betroffenen erzählen, ist für die Kinderohren passend. Die Mamis und Papis weinen auch mal minutenlang und sind verzweifelt, wenn sie die Botschaften aufnehmen. Aber sind solche Gespräche nicht extrem belastend? «Viele Geschichten gehen einem nahe. Ich trage die Familie einige Zeit im Herzen mit, aber dann muss ich sie auch wieder loslassen», sagt Meissner. Es hilft ihr, dass sie mit einem klaren Auftrag kommt und professionell arbeiten muss, um das Projekt für die Familie bestmöglich zu verwirklichen. «Aber in vielen Teilen sind die Aufnahmen auch sehr lustig und schön, denn es geht primär um das Leben dieser Menschen, die Krankheit ist ja nur ein kleiner Teil davon.» Traurig macht dann nochmals die Nachricht, dass der betroffene Elternteil nun gestorben sei. «An der Generalversammlung des Vereins verabschieden wir uns jeweils mit einem Ritual. Wir schauen gemeinsam Bilder des Verstorbenen an oder Ausschnitte aus den Höraufnahmen, sofern die Familie dies erlaubt und wünscht.»

Für die Familien bleibt ein Vermächtnis zurück, das auf einem wunderschönen hölzernen USB-Stick in Herzform der Familie zugeschickt wird, eingebettet in eine Schatztruhe und versehen mit einem Inhaltsverzeichnis. Auch Zoe und Jendrik begleitet ein solcher Stick mit Mamas Stimme in die Zukunft. Wanda ist 9 Monate nach den Aufnahmen verstorben.
Palliative zh+sh, Bettina Weissenbrunner