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«Ja, sie wissen, was ich will» - Tun sie das wirklich?

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«Keine lebensverlängernden Massnahmen» wünschen sich die Bewohnerinnen und Bewohner norwegischer Pflegeheime. Nur wissen das ihre Angehörigen häufig nicht. (Bild: pixelio/Martin Jäger)

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06. Mai 2016 / Wissen
Norwegische Wissenschaftler haben die Meinungen von Pflegeheim-Bewohnerinnen und -Bewohnern sowie ihren Verwandten über Advance Care Planning (ACP), Wünsche und Entscheidungen am Lebensende erforscht. Dabei hat sich Erstaunliches gezeigt.

Bewohnerinnen und Bewohner von Alters- und Pflegeheimen machen sich keine grossen Sorgen. Sie sind überzeugt, dass ihre Verwandten und das medizinische Personal sich schon richtig entscheiden werden. Die Verwandten hingegen sind unsicher, was die Wünsche ihres Vaters, ihrer Mutter, ihrer Tante betrifft. Sie empfinden die Entscheidungsfindung als Last. Zudem fehlt in den meisten Alters- und Pflegeheimen eine institutionalisierte, vorausschauende Lebensplanung.

Georg Bollig war als Heimarzt sowie als Berater für Palliative Care in einem Pflegeheim im norwegischen Bergen tätig. Heute lehrt er an der medizinischen Fakultät der Universität Bergen. Zusammen mit einer Kollegin und einem Kollegen hat er für eine qualitative Studie insgesamt 43 Personen befragt: 25 davon waren Bewohnerinnen und Bewohner von neun Alters- und Pflegeheimen in unterschiedlichen Regionen Norwegens. Bedingung für ihre Teilnahme war ihre Urteilsfähigkeit. 18 der Befragten waren Angehörige von Menschen, die in einem Heim leben. In halbstrukturierten Tiefeninterviews wurden sie danach gefragt, ob sie sich Gedanken über das Sterben und den Tod gemacht, ob sie mit ihren Verwandten über ihre Wünsche am Lebensende gesprochen hätten, und ob sie schon in Berührung mit Advance Care Planning gekommen seien.

Das Personal muss Initiative ergreifen

Die Resultate wurden in der Mai-Ausgabe des Palliative Medicine Journals veröffentlicht, und sind online abrufbar. Laut den Autoren zeigt ihre Studie, dass das Personal des Pflege- und Altersheims rechtzeitig auf seine Bewohnerinnen und Bewohner zugehen sollte, um mit ihnen über den Tod, das Sterben und vor allem über ihre Wünsche zu sprechen: Welche Behandlungen kommen im Falle einer lebensbedrohlichen Situation für sie in Frage? Wer soll Entscheidungen treffen, wenn sie dies nicht mehr können? Obwohl einige von den Befragten den Wunsch äusserten, bald zu sterben, sagte niemand, er wolle Sterbehilfe in Anspruch nehmen.

Aus den transkribierten Interviews traten drei zentrale Wünsche zutage: Die Seniorinnen und Senioren wollen nicht alleine sterben und dabei keine Schmerzen erleiden. Zudem wünschen sie keine unnötigen lebensverlängernden Massnahmen. Auch wenn sowohl Bewohnende als auch Angehörige anfänglich zögerten, an diesen Gesprächen teilzunehmen, zeigten sie sich schliesslich dankbar, «etwas beitragen zu können».

Bevor es nicht mehr geht

Viele Menschen sterben in einem Alters- und Pflegeheim, weil es auch die letzte Station in ihrem Leben ist. In Grossbritannien sind es 35 Prozent. Unter den Menschen mit einer Demenz sind es sogar 55 Prozent, die in einer Institution der Langzeitpflege sterben. In Norwegen stirbt knapp die Hälfte der Menschen, 48 Prozent, in einem Alters- oder Pflegheim und nur 15 Prozent zu Hause. Solche Langzeit-Institutionen sollten sich also mit Lebensendplanung befassen, auch wenn sich ihnen Herausforderungen stellen. Eine davon ist ACP. Darunter verstehen die Studienautorinnen einen Prozess, in dem sich ein Mensch mit jemand, der sich um ihn kümmert – einem Verwandten, einer Pflegefachfrau oder einem Arzt –, über seine Wünsche und Präferenzen für seine letzte Lebensphase unterhält.

Seien weder ACP noch Patientenverfügung vorhanden, sei dies für die Bewohnerinnen und Bewohner von Pflegheimen offensichtlich kein Problem, so die Autoren. «Aber für die Verwandten, das Pflegepersonal und Ärzte kann dies zu einem psychologischen Stress führen.» Andere Untersuchungen sprachen von schwierigen Entscheidungsfindungen und Diskussionen oder sogar Konflikten zwischen Personal und Verwandten. In Heimen sei eine systematische Einführung von ACP nötig. Denn sowohl viele Bewohnerinnen und Bewohner als auch ihre Angehörigen brauchen eine Drittperson, die in die Krankheitsgeschichte eingeweiht ist und beratend wirkt. In wiederholten Gesprächen solle eine vorausschauende Planung erstellt werden. «Da viele Bewohnerinnen und Bewohner in Pflegeheimen kognitiv beeinträchtigt sind, sollten die ACP-Diskussionen viel früher im Krankheitsverlauf angesetzt werden», schreiben die Studienautoren.
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