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Letzte-Hilfe-Kurse boomen

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In der Kursausschreibung heisst es schlicht: «In diesen Letzte-Hilfe-Kursen lernen interessierte Bürgerinnen und Bürger, was sie für die ihnen Nahestehenden am Ende des Lebens tun können.» (Bild: Adobe Stock)

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29. Januar 2019 / Region
Ein niederschwelliges Angebot führt Menschen behutsam an die Themen Lebensende, Sterben und Tod heran. Die eintägigen Kurse, die von der reformierten Landeskirche Kanton Zürich koordiniert werden, sind in der Regel sofort voll. Nun expandieren sie in die ganze Schweiz.
Letztes Jahr fanden 18 Letzte-Hilfe-Kurse im Kanton Zürich statt, angeboten von Kirchgemeinden. Sie waren immer schnell ausgebucht, und es gibt eine lange Warteliste. Insgesamt haben bisher um die 450 Personen teilgenommen. Sie waren im Alter von 18 bis 94 Jahre. «Stark vertreten war aber die Gruppe der 55- bis 65-Jährigen. Überwiegend waren es Frauen», sagt Matthias Fischer.

Der Seelsorger ist in der reformierten Kirche Kanton Zürich für Palliative Care und Spiritual Care zuständig und im Vorstand von palliative zh+sh. Er habe den Auftrag, den palliativen Gedanken in den Kirchgemeinden zu verbreiten. Zusammen mit seiner Kollegin Eva Niedermann – ursprünglich Pflegefachfrau mit MAS in Palliative Care und in der reformierten Kirche Kanton Zürich verantwortlich für den Bereich Alter und Generationen – hat er die Kurse in die Schweiz geholt.

Ermutigung und Selbstsorge

In der Kursausschreibung heisst es schlicht: «In diesen Letzte-Hilfe-Kursen lernen interessierte Bürgerinnen und Bürger, was sie für die ihnen Nahestehenden am Ende des Lebens tun können.» Die Kursleiterinnen und -leiter bilden stets ein Tandem aus einer medizinisch/pflegerischen Fachperson mit Ausbildung in Palliative Care und einer Fachperson aus der Seelsorge, Sozialarbeit oder psychologischer Begleitung, die ebenfalls in der palliativen Grundhaltung geschult ist. Sie vermitteln Grundwissen über das Sterben und Sterbebegleitung. «Im Kern geht es darum, Menschen zu ermutigen, sich Schwerkranken und Sterbenden zuzuwenden, und ihnen zu versichern, dass sie bereits viele Ressourcen mitbringen», sagt Fischer. Gleichzeitig soll auch die Selbstsorge im Zentrum stehen. Man kann jemanden nur unterstützen, wenn man dabei die eigenen Grenzen kennt.

Der Titel des Kurses spielt mit dem Begriff der ersten Hilfe. Einen Nothelferkurs hat jeder schon mal absolviert, musste dann aber kaum bei einem Notfall tatsächlich Hilfe leisten. Bei der letzten Hilfe ist es nun umgekehrt: Angehörige, Freunde und Nachbarn konnten sich bisher auf die Betreuung eines Menschen am Lebensende nicht vorbereiten. «Die wenigsten können der Begleitung todkranker Angehöriger oder Freunde ausweichen», heisst es in einem aktuellen Artikel in der «Zeitlupe», der aus einem Kurs berichtet.
«Menschen, die bereits jemanden begleitet haben, wollen im Kurs überprüfen, ob sie alles richtig gemacht haben – und gehen gestärkt wieder raus.»
Matthias Fischer, reformierte Kirche Kanton Zürich

Den Teilnehmenden werden die palliativen Grundgedanken vermittelt, erklärt Matthias Fischer. Es geht also um Ganzheitlichkeit, Lebensqualität, die Grundhaltung in der Palliative Care, zu der auch das wichtige Thema Ernährung gehört. Angehörige sind verunsichert, wenn jemand nicht mehr essen und trinken mag. «Menschen sterben nicht, weil sie nicht mehr essen und trinken. Sondern sie essen und trinken nicht mehr, weil sie sterben.» Solche prägnanten Aussagen sollten den Teilnehmenden in Erinnerung bleiben, hofft Fischer. Zudem lernen die Kursabgängerinnen und -abgänger die regionalen Angebote der Palliative Care kennen und den Bedarf dafür einschätzen.

Neben Menschen, die sich auf die Begleitung von ihnen nahestehenden Personen vorbereiten wollen, besuchen auch solche den Kurs, die das bereits einmal getan haben. «Sie wollen überprüfen, ob sie alles richtig gemacht haben – und gehen gestärkt wieder raus.» Dritte machen sich Gedanken über ihr eigenes Lebensende und darüber, wer sie einmal begleiten solle.

Wer hat’s erfunden?

Ins Leben gerufen hat den Letzte-Hilfe-Kurs der Palliativmediziner Georg Bollig. Er formulierte die Idee 2008 in seiner Abschlussarbeit seines Masters of Advanced Studies in Palliative Care, als es ihm darum ging, ein einfaches Mittel zu finden, um der breiten Bevölkerung den palliativen Grundgedanken zu vermitteln. Die Thesis ist heute unter dem Titel «Palliative Care für alte und demente Menschen lernen und lehren» als Buch erhältlich. Die ersten Kurse fanden 2014 in Norwegen, und 2015 in Deutschland und Dänemark statt.

Die reformierte Landeskirche Zürich ist die Kooperationspartnerin dieses niederschwelligen aber genialen Angebots, das sich inzwischen schnell europaweit verbreitet. Die Power-Point-Folien, die den Kursleiterinnen und -leitern zur Verfügung gestellt werden, sind jeweils den nationalen Gegebenheiten angepasst. Ebenso müssen gewisse Regeln eingehalten werden: Die Leitung erfolgt jeweils in einem Tandem. Die vier Module des Kurses werden an einem Tag durchgeführt – der zeitliche Rahmen bewegt sich zwischen 4 und 6 Stunden. Die Kurse müssen ausserdem für die Teilnehmenden gratis sein. Eine internationale Arbeitsgruppe koordiniert die nationalen Projekte. Diese ist kürzlich der European Assiociation for Palliative Care (EAPC) angegliedert worden. Zudem ist daraus eine Forschungsgruppe hervorgegangen, in der Eva Niedermann die Schweiz vertritt.
«Für uns als Kirche ist es eine Riesenchance zu merken, dass wir Teil einer sorgenden Gemeinschaft sind.»
Pfarrer Matthias Fischer

Nun finden die Letzte-Hilfe-Kurse auch in anderen Kantonen statt: Am weitesten ist Graubünden, wo 2019 acht Kurse geplant sind, ebenso stehen einzelne Kurse im Aargau, in Basel und Bern auf dem Programm. «Auch nicht-kirchliche Organisationen signalisieren ein grosses Interesse, sich an der Ausbreitung des Kurses zu beteiligen», sagt Matthias Fischer. «Wir sind mit verschiedenen Interessenten im Gespräch, auch mit regionalen Sektionen von palliative ch.» Es werden kontinuierlich Kursleitererinnen und Kursleiter ausgebildet und somit entsteht auch hier in der Schweiz in raschen Schritten ein Netzwerk «Letzte Hilfe».

Gerade weil Teilnehmende der Letzte-Hilfe-Kurse ermächtig werden, sich in der Pflege und Sorge Schwerkranker und Sterbender zu engagieren, erfährt auch die Idee der Caring Communitys Auftrieb. «Als Kirche übernehmen wir Mitverantwortung in einer sorgenden Gemeinschaft, in der unterschiedliche Professionen gemeinsam mit den vielen Freiwilligen als Zivilgesellschaft unterwegs sind, füreinander da zu sein.»
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