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«Wohin geht die Reise?»

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Das vierte Zürcher Fachsymposium Palliative Care wurde von den Pflegezentren Mattenhof und Irchelpark, palliative zh+sh sowie dem Schulungszentrum Gesundheit SGZ veranstaltet. Es fand im Pflegezentrum Mattenhof statt. Das nächste Zürcher Fachsymposium Palliative Care wird im Oktober 2019 durchgeführt.

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15. Oktober 2018 / Region
Voraussetzungen für eine adäquate palliative Betreuung sind Vernetzung, Kooperation und Zusammensetzung der verschiedenen Player und der unterschiedlichen Berufsgruppen. Das 4. Fachsymposium Palliative Care am Pflegezentrum Mattenhof widmete sich ausgiebig der Vernetzten Versorgung in der Palliative Care und der Frage «Wohin geht die Reise?».
«Wenn ich ein Symposium besuche, so verfolge ich zwei Absichten: Einerseits will ich Neues hören oder etwas aus neuer Perspektive betrachten und andererseits will ich mich vernetzen», bringt Renate Monego, Direktorin Pflegezentren Zürich, die Wichtigkeit des Zusammenkommens in ihrem Grusswort auf den Punkt. «Gerade in Zeiten digitaler Vernetzung ist es mindestens so wichtig, sich «analog» zu treffen.» Dass dieses «analoge Treffen» einem grossen Bedürfnis entspricht, zeigen die sehr zahlreich erschienenen Interessierten. Vernetzung im Grossen wie im Kleinen ist nicht nur gefragt, sondern wird offensichtlich auch gelebt. Was berichten die Fachreferenten darüber?
«Das gemeinsam Erlebte hat uns als Familie zusammenwachsen lassen.»
Sohn des kürzlich verstorbenen Herrn Bürgi

Einen Einblick in die Praxis geben Monika Eigler, Pflegedienstleiterin am Mattenhof, und Marcel Meier, Palliative Care-Beauftragter. Die ersten Erfahrungen seit der Eröffnung der spezialisierten Abteilung Palliative Care im Frühjahr 2018 im Pflegezentrum Mattenhof seien durchwegs positiv. Nebst technischen seien es vor allem die menschlichen Herausforderungen, die das Mattenhof-Team beanspruchen, sei dies mit den Angehörigen oder mit dem Personal. «Interdisziplinarität ist gefordert – von der Pflege, den Ärzten, den Seelsorgern und der Küche», sagt Monika Eigler. Marcel Meier ergänzt: «Das Abgleichen unserer Haltung ist ein steter Prozess. Dafür haben wir mehrere Gefässe wie zum Beispiel den wöchentlichen interdisziplinären Rapport und Rituale eingeführt.» Es sei ihnen allen ein Anliegen, über den Tod hinaus den Verstorbenen Wertschätzung entgegen zu bringen. Diese Wertschätzung hat auch der Sohn des kürzlich verstorbenen Herrn Bürgi erfahren. Da der Sohn nicht am Symposium teilnehmen konnte, wurde er per Video zugeschaltet: «Wir haben diese schwere Zeit als ein beständiges Miteinander mit dem Pflegepersonal erlebt. Niemand war gehetzt, alles verlief ruhig. Das gemeinsam Erlebte hat uns als Familie zusammenwachsen lassen.»
«Gemeinsam, in dieselbe Stossrichtung, koordiniert.»
Monika Lorez-Meuli, Vorstandsmitglied und Geschäftsleiterin palliative gr

Die Reise am Symposium führt vom Kleinen zum Grösseren, vom Pflegezentrum Mattenhof in den Kanton Graubünden, dem Land der 150 Täler und der drei Sprachen. Wie wird hier vernetzte Palliative Care bereitgestellt? «Natürlich haben wir topografisch einige Hürden zu überwinden. Auch die Mehrsprachigkeit ist eine Herausforderung», benennt es Monika Lorez-Meuli, Geschäftsleiterin palliative gr. «Aber wir haben seit Beginn der Umsetzung von Palliative Care sowohl die Politik als auch die Verwaltung immer miteinbezogen – ein weiser Entscheid, wie die Erfahrung zeigt.» Dadurch sei Palliative Care im Kanton Graubünden breit abgestützt und werde von der Politik aktiv unterstützt. So biete der Kanton Hand, indem er wiederholt Defizitgarantien übernehme – aktuell auch für das erste Hospiz, welches mit vier Betten für eine dreijährige Pilotphase im Januar 2019 starten wird. Der Bedarf für ein Hospiz sei ausgewiesen. Es werde in einer stationären Institution mit bestehender Infrastruktur im Grossraum Chur angesiedelt. «Zudem haben wir für das Hospiz einen Zusammenarbeitsvertrag mit dem Kantonsspital Graubünden, eine Vereinbarung mit der Evangelischen Landeskirche und die Unterstützung der Menzi-Jenny-Getrud Stiftung», so Monika Lorez. Im Kanton Graubünden gibt es fünf Teams des sogenannten «Palliativen Brückendienstes», welche auf die Regionen verteilt sind. Im Kantonsspital Chur stellt die Palliativstation 14 Betten bereit und auch das Spital in Scuol verfügt über eine Palliativstation. Der Kanton Graubünden ist ein gutes Beispiel, dass vernetzte Versorgung trotz topografischen und sprachlichen Herausforderungen erfolgreich umgesetzt werden kann. Denn: «Gemeinsam, in dieselbe Stossrichtung, koordiniert. So arbeiten wir, so ermöglichen wir vernetzte Palliative Care.»
«Es braucht mobile Teams, die auf Palliative Care bei Demenz spezialisiert sind und Professionelle und pflegende Angehörige unterstützen.»
Prof. Dr. Thomas Beer, Programmleiter Demenz der Fachhochschule St. Gallen

Vom Grösseren zum noch Grösseren führt die Reise vom Kanton Graubünden zum Thema Demenz, der Erkrankung, die in der Schweiz als dritthäufigste Todesursache genannt wird. Prof. Dr. Thomas Beer, Programmleiter Demenz der Fachhochschule St. Gallen, zeigt anhand eines aufrüttelnden Beispiels, was mit «Vergessene Anforderung: Herausforderungen bei der palliativen Betreuung und Begleitung von Personen mit Demenz» gemeint ist. Im Rahmen seiner Studien besuchte Thomas Beer im Frühling verschiedene Pflegeinstitutionen. Er berichtet: 21 Uhr, Herr Fürst liegt in einem Zweierzimmer. Er ist an Demenz erkrankt. Er ist sterbend. Die Pflegefachperson schaut nach ihm und sagt danach «das dauert nicht mehr lange». Um Mitternacht macht die gleiche Fachkraft ihre erneute Runde, so auch bei Herrn Fürst. «Jetzt dauert es nur noch 10 Minuten», sagt sie im Gang zu einer anderen Pflegefachperson. «Ich war sprachlos», kommentiert Thomas Beer. Wenige Zeit später stirbt Herr Fürst. Einsam. Vergessen. «Herr Fürst war ein Vergessener. Die Pflegefachperson war eine Vergessene», Thomas Beer ist erschüttert. Was fehlt? Was wurde vergessen, dass es so weit gekommen ist? Die vergessenen Anforderungen sind: Politisch/administrative Barriere, die Bildungsbarriere, die Kommunikationsbarriere sowie die Eigenschaften der Health Professionals, ist in «Barriers to palliative care for advanced dementia: a scoping review» aus dem Jahr 2017 festgehalten. Wohin soll nun die Reise gehen? An Demenz erkrankte bräuchten mindestens die gleiche Pflege wie nicht an Demenz Erkrankte. Thomas Beer: «Es braucht mehr Forschung und Ausbildungsprogramme wie zum Beispiel den MAS Dementia Care. Und es braucht mobile Teams, die auf Palliative Care bei Demenz spezialisiert sind und Professionelle und pflegende Angehörige unterstützen.»
«Man muss dafür brennen, Menschen zu befähigen.»
Prof. Dr. med. Jürgen in der Schmitten

Ein weiteres Instrument, damit es auch bei Demenzpatienten zu einem würdevollen Sterben und Tod kommen kann, ist die Advance Care Planning (ACP). Die Reise ist somit beim Grossen angelangt – denn ACP ist ein Werkzeug von klein bis gross, von jung bis alt. Prof. Dr. med. Jürgen in der Schmitten, Leiter des Forschungsschwerpunkts Advance Care Planning, Institut für Allgemeinmedizin, Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf widmet sein Referat den «Erfahrungen zur Schulung und Implementierung von ACP in der Langzeitpflege». Das Potenzial der ACP liege im Gegensatz zu konventionellen Patientenverfügungen darin, dass Menschen in gesundheitlichen Krisen tatsächlich so behandelt würden, wie sie das wollen, auch wenn sie zu diesem Zeitpunkt nicht selber entscheiden können. Die ACP und die Haltung dahinter seien rigoros auf die Patienten und ihren schriftlich und ausführlich festgehaltenen Absichtserklärungen ausgerichtet. Die Patienten seien die Experten – sie wüssten, was gut für sie sei. Die ACP-Beratungsperson muss dafür brennen, ihr Vis-à-vis zu dieser Entscheidungsfähigkeit zu befähigen. Und man müsse als Fachperson, als Institution und als Gesundheitssystem auch dazu entschlossen sein, dies zu gewährleisten. Wolle man dies leben, so brauche es einen professionellen und begleitenden Gesprächsprozess durch entsprechend geschultes Personal. «Nicht zuletzt braucht es auch eine regionale Implementierung», so in der Schmitten. Mit regionaler Implementierung ist eine Träger übergreifende Implementierung gemeint: Ein aufsuchendes ACP-Angebot für alle, qualifizierte Unterstützung durch geschulte Begleiter, eine professionelle Dokumentation mit ACP-Patientenverfügung, Vorsorgeverfügung und Notfallplan sowie Archivierung, Zugriff und Transfer, eine Aktualisierung und Konkretisierung im Verlauf, eine Beachtung und Befolgung durch Dritte und eine kontinuierliche Qualitätssicherung. So sind die Koffer für die Reise gut gepackt.
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