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Medienschau April 2020

Medienschau April 2020

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Die Medienschau von palliative zh+sh gibt Einblick in die Berichterstattung zu Palliative Care und verwandten Themen des vergangenen Monats. (Bild: gme)

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Die Medienschau ist eine Momentaufnahme eines Ausschnittes der öffentlichen Diskussion zum Thema und bietet kurze Zusammenfassungen, zeigt Verknüpfungen auf und soll nicht zuletzt unterhalten und zur weiteren Lektüre der besprochenen Beiträge anregen. Wo vorhanden werden die Links zu den Beiträgen deshalb unter «Links zu den Beiträgen» aufgelistet.

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08. Mai 2020 / Medien
Die Berichterstattung zu Covid-19 hatte die Medienberichterstattung auch im April fest im Griff. Wie umgehen mit der Trauer, wenn man sie nicht teilen kann? Was tun, wenn keine Verabschiedung möglich ist? Oder wären nicht gerade diese wichtigen Rituale in der jetzigen Situation systemrelevant? Jedenfalls zeigt sich: Palliative Care ist wichtiger denn je.
Es ist fast ein bisschen verkehrte Welt. Angesichts der Corona-Pandemie empfiehlt die Sterbehilfeorganisation Exit die Palliative Care. Patienten mit schweren Covid-19-Komplikationen könnten sie nicht begleiten, erklärt Exit-Vizepräsident Jürg Wiler in einem Artikel in der «BZ Region Basel». Exit empfehle explizit, auf palliative Pflege zu setzen. Sterbehilfe brauche Vorbereitungszeit und sei keine akute Notfallmassnahme. Zudem müsse die Urteilsfähigkeit gegeben sein und das Sterbemittel selbst eingenommen werden. Auch den Arbeitnehmerschutz führt Wiler ins Feld. Da die meisten Freitodbegleiter und etliche Konziliarärzte über 65 Jahre alt seien, gehörten sie selbst zu einer Risikogruppe. Entsprechend führt Exit derzeit auch bei Mitgliedern nur medizinisch dringende Begleitungen durch. Auch Sterbehelferin Erika Preisig kommt im Artikel zu Wort. Von 50 Personen, mit denen Preisig im Zusammenhang mit Patientenverfügungen gesprochen hat, wünschte im Falle einer Infizierung niemand eine Sterbebegleitung, sondern alle Palliativpflege zu Hause oder im Altersheim.

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Diesen Wunsch haben auch betagte Menschen, die in Alters- und Pflegeinstitutionen im Kanton Zürich leben. Viele Pflegezentren haben zusätzliche Plätze geschaffen, zwei Zentren in Zürich wurden mit Isolationsabteilungen ausgerüstet. In einem Anfang des Monats in der «NZZ» erschienenen Artikel zeigten sich die Fachpersonen einigermassen erstaunt, dass nur wenige der schwer erkrankten Covid-19-Patienten auf der Intensivstation im USZ über siebzig Jahre alt waren. Die Vermutung: Manche Corona-Patientinnen und -Patienten bleiben lieber im Heim, um dort gesund gepflegt, oder aber, mit palliativer Behandlung in ihrem gewohnten Umfeld sterben möchten. Ein ähnliches Bild zeigte sich in Winterthur, wo das Alterszentrum Adlergarten um 41 zusätzliche Pflegeplätze aufgestockt wurde. Wie der «Landbote» berichtet, wurde zudem ein spezialisiertes Spitex-Team aufgebaut, das während sieben Tagen pro Woche 24-Stunden-Einsätze leisten kann, um Covid-19-Patienten daheim pflegen zu können. Unter anderem involviert ist das Mobile Palliative Care Team Region Winterthur, die Leitung liegt bei der Spitex der Stadt.

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Im abgelegenen Safiental war bis Mitte April noch kein Corona-Fall bekannt, als die «Südostschweiz» über die Aktivitäten des Vereins Tenna Hospiz berichtete (Artikel kostenpflichtig). In einer ehemaligen Sennerei entsteht dort seit dem vergangenen Herbst pflegegerechter Wohnraum für den letzten Lebensabschnitt, eine «Senioren-WG» mit hoher Kompetenz in Palliative Care, in Demenzpflege und Sterbebegleitung. Zwar ist erst der Rohbau am Entstehen, gleichwohl ist der Verein im Hinblick auf mögliche Covid-Infektionen aktiv geworden und hat zwei mobile Pflegebetten und zwei Hochleistungskonzentratoren für Sauerstoff beschafft, um Überweisungen ins Spital oder in andere Institutionen vermeiden zu können. In Zusammenarbeit mit dem Talarzt könnten so Covid-19-Patienten in den eigenen vier Wänden medizinisch, pflegerisch sowie palliativ zu betreut werden, wie Hospiz-Präsident Othmar F. Arnold erklärt. Auch die Gemeinde Safiental ist involviert. Statt einer Hotline, bei der sich Betroffene melden können, haben die Verantwortlichen das Ganze umgedreht: Sie rufen alle über 65-Jährigen an, um zu fragen, ob sie etwas benötigen.
«Das Hospizpersonal arbeitet ohne Schutzmasken, jedoch verhält es sich in der Freizeit sehr diszipliniert nach den Richtlinien des Bundes». Dieter Hermann, Geschäftsführer Hospiz Aargau

Während in Alterszentren und Pflegeheime striktes Besuchsverbot herrschte, ging das Hospiz Aargau in Brugg einen anderen Weg und liess uneingeschränkt Besuche zu. Es erfolge immer zuerst eine kurze Gesundheits-Selbstdeklaration, und wenn diese in Ordnung sei, dürften die Angehörigen zu den Patienten, erklärt Hospiz-Geschäftsführer Dieter Hermann gegenüber der «Aargauer Zeitung» (Artikel kostenpflichtig). Bei Verdachtsfällen, stelle das Hospiz Schutzausrüstung zur Verfügung. Das Hospizpersonal arbeite ohne Schutzmasken, jedoch verhalte es sich in der Freizeit «sehr diszipliniert nach den Richtlinien des Bundes». Auch der Freiwilligendienst werde nach wie vor aufrechterhalten. Einzig der Trauertreff finde nicht statt. Gleichwohl haben die Verantwortlichen entsprechende Massnahmen ergriffen. «Wir haben bereits Anfang Februar auf das interne Notfallkonzept umgestellt und sind bisher komplett verschont geblieben», so Hermann. Sowohl Personal, Ehrenamtliche als auch Patienten und deren Angehörige seien bis dato frei von Symptomen oder einer Corona-Infektion geblieben.

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Diese Selbstverständlichkeit gelang in den letzten Wochen eher selten. Durch die zahlreichen Restriktionen mussten viele Menschen ihre letzten Lebenstage und -stunden ohne ihre Angehörigen verbringen. Auch die Trauer darf nur noch im kleinen Kreis stattfinden. Fast in jeder Todesanzeige steht der Vermerk «Trauerfeier im engsten Familienkreis». Nicht selten werden Trauerfeiern auf später verschoben. Bei so «verordneten Abdankungen fehle etwas ganz Zentrales, sagt der Berner Pfarrer Bernhard Jungen dem Sender «SRF» in der Sendung «Rendez-vous». Nämlich die Gemeinschaft, die Anteilnahme von vielen, die einen Menschen ein Leben lang begleitet haben. Schwierig sei auch das Fehlen von Berührungen. Die Hand reichen zum Kondolieren gehe ebenso wenig wie die Umarmung zum Trösten. Bei vielen Trauerfeiern entstehe mit dem Versammlungsverbot eine grosse Lücke. «Bei Leuten, die einen grossen Kreis von Freunden, Verwandten und Bekannten gehabt haben, da will dieser grosse Kreis auch Abschied nehmen. Verpasste Trauer nachzuholen, ist nicht so einfach wie wir denken», gibt Pfarrer Jungen zu bedenken.
Die Kirchen der Stadt Luzern halten zudem eine zeitnahe Bestattung für sinnvoll, auch wenn sie nicht öffentlich stattfinden kann. «Trauer kann man nicht einfach verschieben», sagt der christkatholische Pfarrer Adrian Suter in einem Beitrag der «Luzerner Zeitung». Die Beisetzung sei ein wichtiger Teil des Trauerprozesses. Sie ermögliche den Angehörigen, die erste Trauerphase abzuschliessen, den Verlust ein Stück weit zu realisieren, und sei ein erster Schritt zurück in den Alltag. Die Luzerner Seelsorgenden suchen gemeinsam mit den Angehörigen nach einer passenden Lösung, etwa dann, wenn Nahestehende nicht teilnehmen können, weil sie im Ausland leben. Denkbar ist laut Edith Birbaumer, der katholischen Pfarreiseelsorgerin, auch ein Livestream der Abdankung zu Menschen nach Hause, wenn sie nicht teilnehmen können und nennt einen weiteren wichtigen Grund, wieso auf eine Trauerfeier nicht verzichtet werden soll. «Bei Corona-Opfern ist ein Abschied-Nehmen im Spital für die Angehörigen meist nicht möglich. Gerade in solchen Fällen ist eine würdige Trauerfeier im kleinen Kreis umso wichtiger.»

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Kritik an diesen Verboten gibt es auch in Deutschland, etwa von der evangelischen Theologin Margot Kässmann. «Ein Abschied mit Würde auf dem Friedhof gehört auch zum Respekt gegenüber Menschen», sagt Kässmann im Interview mit dem Radiosender Deutschlandfunk Kultur. Gerade während der Corona-Krise solle das Augenmerk nicht nur auf Disziplin und die Einhaltung von Regeln, sondern auch auf Achtsamkeit gelegt werden: «Wir wissen aus der Depressionsforschung, dass seelische Belastungen Menschen in Abgründe ziehen können.» Wenn eine Tochter bei der Bestattung ihres Vaters nicht dabei sein dürfe, sei das eine lebenslange Belastung. Auch der Glaube sei systemrelevant, die Seele der Menschen müsse in der Krise Halt finden. Zudem müsse auch der Abschied von Sterbenden ermöglicht werden, fordert die Theologin.
«Intensivstationen sind nie leer. Da kämpfen Ärzte und Pflegerinnen um das Leben von Menschen. Immer». Maxim Schneider, Mediziner

Die Pandemie hat verschiedene Debatten angestossen. Unter anderem auch die Frage, ob die Angst vor einer Corona-Infektion künstlich geschürt werde. In der Wochenzeitung «Der Freitag» äusserte sich Mediziner Maxim Schneider zu den verstörenden Filmaufnahmen aus italienischen Intensivstationen. Es sei richtig, aus der Intensivstation zu berichten, das sei auch vor Corona passiert. «Intensivstationen sind nie leer. Da kämpfen Ärzte und Pflegerinnen um das Leben von Menschen. Immer», sagt Schneider. Er plädiert dafür, dass vorsichtiger umgegangen werden muss mit dem Thema. Wer diese Menschen eigentlich um ihr Einverständnis gebeten habe, die gefilmt worden seien? Auch die Zuschauer müsse man schützen. «Die meisten sehen auf diesen Bildern zum ersten Mal im Leben einen Menschen, der nackt im Bett liegt, aus dem Schläuche kommen. Solche Dinge passieren aber auf der Intensivstation. Der Einsatz von Beatmungsgeräten ist dort Normalität.» Schneider wünscht sich einen anderen Umgang mit dem Tod. Eine Diskussion über die Frage nach den eigenen Vorstellungen am Lebensende, sei längst überfällig. Gerade bei mehrfach vorerkrankten Menschen nehme er ein Bedürfnis wahr, in Ruhe gehen zu können. Doch fehle es an Wissen über die vorhandenen Möglichkeiten. Oder auch, was es, auf der Intensivstation zu sein. «Im Krankenhaus fehlen die Zeit und das Personal, darüber zu sprechen. Das hat Auswirkungen auf die Art, wie Menschen behandelt werden – und wie sie sterben.»
«Der Tod ist neben der Geburt das einzige Ereignis, dass garantiert alle treffen wird.» Juliane Uhl, Soziologin

Auch die Soziologin und Publizistin Juliane Uhl steht der Medienberichterstattung in der Corona-Krise kritisch gegenüber. Die Zahl der Corona-Toten werde nicht in Zusammenhang mit der Gesamtsterblichkeit betrachtet. «Diese Zahlen hören sich dann immer sehr bedrohlich an, aber wenn man weiss, dass pro Tag in Deutschland rund 2600 Menschen sterben, dann ist das eben nicht mehr so erschreckend», sagt Uhl im Interview mit «MDR Sachsen-Anhalt. Derzeit werde diskutiert, dass Alte und schwerkranke Menschen nicht wegen des Virus sterben sollen. «Aber alte und kranke Menschen sterben nun einmal. Ob das nun ein Corona-Virus, ein Grippe-Virus oder eine Lungenentzündung wäre», sagt Uhl, die sich in einem Krematorium bei Halle für eine bessere Sterbekultur einsetzt. Man müsse fragen, ob die Behandlung, auf die es letztendlich hinausläuft, nämlich die Beatmung an einem Gerät, überhaupt die beste Möglichkeit sei. «Der Tod ist neben der Geburt das einzige Ereignis, dass garantiert alle treffen wird.» Sie plädiere für den Mut, dies anzuerkennen und die Tatkraft, den Tod möglichst lange herauszuschieben durch ein gelingendes Leben.

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Eine Thermoskanne mit heissem Kaffee, ein Sitzkissen, eine Friedhofsbank – und schon ist es möglich, über Trauer zu sprechen. Zumindest in der deutschen Stadt Schwerte. Die 68-jährige Elisabeth Wächter ist eine der Freiwilligen, die zweimal pro Woche auf einer Bank in der Nähe der Friedhofskapelle sitzt, um denen zuzuhören, die trauern. Denen, die allein sind. Und auch denen, die einfach mal jemanden zum Reden brauchen. Beschrieben wird das «Friedensbank – Bank der Begegnung» genannte Angebot auf dem Online-Portal «katholisch.de». Die Trauer komme im Namen ganz bewusst nicht vor. «Der Friedhof ist nicht nur ein Ort für das Gestern, sondern auch ein Ort, an dem es um das Hier und Jetzt sowie das Morgen geht», sagt einer der Projektgründer, Alfons Gruner. Die Friedensbank hier zu platzieren, war laut Gruner eine bewusste Entscheidung. «Viele Menschen sind auf dem Friedhof im inneren Dialog – mit dem Grab, mit den Erinnerungen, die sie haben. Vielleicht möchten sie diese teilen.» Elisabeth Wächter, die auch auf einer Palliativstation im Ehrenamt tätig ist, findet es wichtig, die Themen Tod und Trauer wieder mehr in den Mittelpunkt der Gesellschaft zu rücken. Als Kind sei es für sie selbstverständlich gewesen, dass die Großeltern nach ihrem Tod zu Hause aufgebahrt wurden und sie abends zu ihnen ging, um «Gute Nacht» zu sagen. Dadurch hörten Berührungsängste mit dem Tod auf. Das besonders Gute an der Friedensbank in der aktuellen Zeit: Gespräche können stattfinden, auf der Bank ist der Mindestabstand möglich.
palliative zh+sh, Gabriela Meissner