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Medienschau April 2019

Medienschau April 2019

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Die Medienschau von palliative zh+sh gibt Einblick in die Berichterstattung zu Palliative Care und verwandten Themen des vergangenen Monats. (Bild: palliative zh+sh, ei)

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Medienschau

Die Medienschau ist eine Momentaufnahme eines Ausschnittes der öffentlichen Diskussion zum Thema und bietet kurze Zusammenfassungen, zeigt Verknüpfungen auf und soll nicht zuletzt unterhalten und zur weiteren Lektüre der besprochenen Beiträge anregen. Wo vorhanden werden die Links zu den Beiträgen deshalb unter «Links zu den Beiträgen» aufgelistet.

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09. Mai 2019 / Medien
Die Debatte rund um den strittigen Paragrafen 217, mit dem sich das deutsche Bundesverfassungsgericht im April befasste, fand auch in den Schweizer Medien den entsprechenden Niederschlag. Unser Rundumblick auf die Medien im letzten Monat zeigt: Für sehr viele Patientinnen und Patienten bietet Palliative Care geeignete Alternativen zur Suizidbeihilfe.
Die Stadt Zürich macht vorwärts in Sachen Palliative Care: Anfang April hat das Stadtparlament die entsprechenden Pläne des Zürcher Stadtrates einstimmig unterstützt. In einer dreijährigen Pilotphase sollen verschiedene Massnahmen getestet werden, die das Gesundheits- und Umweltdepartement aufgrund einer Motion von SP und CVP in einem Konzept erarbeitet hat. Dafür wurden 1,4 Millionen Franken bewilligt. Die Palliative-Care-Versorgung ist gemäss Fachleuten zwar gut, weist aber noch Lücken auf. Diese sollen nun geschlossen werden, beispielsweise mit einem ärztlichen Palliative-Care-Dienst, der die mobilen Palliative-Care-Teams unterstützt. Auch verschiedene Bildungs- und Informationsangebote werden geprüft. Massnahmen, die sich bewähren, sollen nach der Pilotphase beibehalten, zitiert das News-Portal «nau.ch» eine Meldung der sda. Erst vor gut einem Jahr hat das Stadtspital Waid ein interdisziplinäres Zentrum für Palliative Care mit zehn Betten eröffnet.

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Gibt es eine schöne Seite der Trauer? Die Wochenendausgabe des «Zofinger Tagblatts» findet: Ja. Weil Menschen heute älter würden und Pflege vermehrt wieder zu Hause stattfinde, habe Sterben und Tod wieder Einzug ins private Wohnzimmer gehalten. Die Palliativbewegung unterstütze diesen Trend. Das im Artikel porträtierte Trauer-Café im luzernischen Reiden bietet trauernden Angehörigen die Möglichkeit den Tod ins ihr Leben zu integrieren. Die drei Initiantinnen des Trauer-Cafés wissen, dass der Schmerz einen erst einholt, wenn Ruhe einkehrt. Denn kurz nach dem Verlust, ist man stark eingespannt. Doch Regeln beim Trauern gibt es nicht. Trauer ist so individuell, wie der Trauernde. «Man kommt nie darüber hinweg. Die Trauer gehört heute zu mir. Der Anspruch, dass das Leben danach gleich oder ähnlich weitergeht, ist nicht realistisch», sagt eine Besucherin des Trauer-Cafés. Sie wolle gar nicht, dass die Schwermut vorbeigehe, denn wenn sie trauere, sei ihr verstorbener Mann sehr nahe bei ihr. Und das wolle sie nicht missen.
Wenn Daten geschützt sind, läuft das Erbrecht ins Leere.

Im digitalen Zeitalter sehen sich Trauernde aber noch von ganz anderen Problemen konfrontiert, wie der Beitrag im «Kassensturz» zeigt. Erbt man auch den digitalen Nachlass, also beispielsweise die Daten auf dem Smartphone eines Verstorbenen? Der Beitrag zeigt die Eltern einer 37-jährigen Frau, die Suizid begangen hat. Auf dem Smartphone, so hofften die Eltern, seien bestimmt noch viele Bilder gespeichert. Ein Andenken, das ihnen viel bedeuten würde. Doch den Code hatte die Verstorbene nirgendwo hinterlassen. Da Smartphones immer besser gesichert sind, erschwert dies auch Spezialisten den Zugang. Denn: Erbrechtlich gesehen haben die Hinterbliebenen zwar ein Anrecht auf die Daten, wenn diese jedoch geschützt sind, läuft das Erbrecht ins Leere.

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Einen ungeschönten Blick auf das, was mit dem Körper passiert, wenn man eines unnatürlichen Todes stirbt, wagt Schriftsteller Linus Reichlin im «Das Magazin» des «Tages-Anzeigers» (Artikel kostenpflichtig). Das Szenario ist ein tödlicher Unfall, der Protagonist wird in der Du-Form angesprochen. Präzis, detailgetreu und minutiös, aber nie würdelos beschreibt der Autor, wie die Feuerwehr deinen Leichnam aus dem Auto schneidet, der Notarzt den Leichenschein ausfüllt, wie du schliesslich – wie immer bei einem unnatürlichen Todesfall – per Body Bag ins Kühlfach gefahren wirst und was in der Zeit bis zur Trauerfeier (deinem letzten sozialen Anlass) und der Einäscherung (Diese Aschemühle ist der letzte Schritt dieses Prozesses: Aus ihr kommen deine fein gemahlenen Knochen heraus, und das bist jetzt du) noch alles so passiert mit dir. Am Schluss überwiegt beim Lesenden eine gewisse Dankbarkeit dafür, dass es Menschen gibt, die Arbeiten tun, die bisweilen an die Grenze des Erträglichen und darüber hinaus gehen.
«Palliative Care in der Schweiz noch nicht nachhaltig und längst nicht in allen Regionen etabliert.» Theologe und Ethiker Markus Zimmermann

Auch wenn die Sterbehilfeorganisation Exit einen Rekordstand an Mitgliedern verzeichnet – einen Konkurrenzkampf zwischen Sterbehilfe und Palliative Care sieht der Freiburger Theologe und Ethiker Markus Zimmermann nicht. Gleichwohl macht Zimmermann im Interview mit dem Katholischen Medienzentrum «kath.ch» einen Nachholbedarf bei der Etablierung von Palliative Care in der Schweiz aus. Im Unterschied zu anderen Ländern wie Belgien, Grossbritannien, den USA oder Australien sei die Palliative Care in der Schweiz noch nicht nachhaltig und noch nicht in allen Regionen etabliert. Es brauche einerseits den politischen Willen, andererseits aber auch die nötige Sensibilisierung in der Bevölkerung und bei den involvierten Berufsgruppen. Den immensen Zuwachs bei Exit sieht Theologe Zimmermann differenziert. Man müsse unterscheiden zwischen der blossen Mitgliederanzahl und jener Zahl Menschen, die Suizidhilfe letztlich auch beanspruchten.

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An einem ganz anderen Punkt steht die Diskussion um Sterbehilfe in Deutschland. In der Woche vor Ostern hatte sich das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe damit zu befassen, in wie weit sterbenskranke Menschen in ihrer Entscheidung frei sind, wie und zu welchem Zeitpunkt sie aus dem Leben scheiden wollen? Hintergrund ist der seit 2015 geltende Paragraf 217 des Strafgesetzbuches wonach die «geschäftsmässige Förderung der Selbsttötung» verboten ist. Bei einem Verstoss drohen Geldbussen oder Gefängnisstrafen. Dagegen sind sechs Verfassungsbeschwerden eingegangen, unter anderem von Ärzten, todkranken Patienten und Sterbehilfeorganisationen. Entsprechend gross war der Widerhall in der Medienlandschaft. Die «Süddeutsche Zeitung» schielte in die Schweiz und konstatierte, dass die Zahl der assistierten Suizide in der Schweiz seit Jahren ansteige: von weniger als 200 bis zu mehr als 1000 im Jahr 2017. Bis auf einen «dürren» Paragrafen im Strafgesetzbuch sei die Sterbehilfe nicht sehr weitgehend geregelt. Bestraft werde nur, wer aus «selbstsüchtigen Beweggründen» jemanden beim Suizid unterstütze. Dies habe die Schweiz zur Destination Nummer eins für Sterbewillige gemacht. An dieser liberalen Praxis würden sich nur wenige Schweizer stören. Auch die Anzahl der Ausländer, die in die Schweiz fahren, um zu sterben, wachse stetig. Dabei machen die Deutschen die grösste Gruppe aus.

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Selbstredend berichteten auch Schweizer Medien über die Verhandlungen in Karlsruhe zur Sterbehilfe in Deutschland. Das «Tagblatt» etwa rückte zum einen die Sterbehilfeorganisation Dignitas, die als Beschwerdeführerin auftritt, ins Zentrum. Zum anderen zeigt der Artikel aber auch das Dilemma der Ärzte. Der Begriff «geschäftsmässig» sei unscharf, er unterstelle zwar keine Gewinnabsicht, beinhalte jedoch, dass jemand oder eine Organisation die Suizidbeihilfe nicht einmalig, sondern mehrmalig leiste.
«Wenn Patienten um Suizidhilfe bitten, zeigt sich auf Nachfrage eine Fülle von Gründen. Palliative Care bietet geeignete Alternativen.» Lukas Radbruch, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Palliativmedizin

Auch auf deutschen Radiosendern wurde das Thema breit diskutiert. In der Diskussionssendung Forum auf «SWR2» ging es um die Frage, ob es ein Recht auf selbstbestimmtes Sterben gebe. Religionslehrerin und Buchautorin Anne Schneider, 2014 an Brustkrebs erkrankt, befürwortet den assistierten Suizid. Ärzte müssten helfen dürfen, um zu verhindern, dass Todkranke sich vor den Zug werfen. Diese Ansicht vertrat auch Jochen Taupitz, geschäftsführender Direktor des Instituts für Medizinrecht der Universitäten Heidelberg und Mannheim. Ärzte sollten das Medikament zum Suizid verschreiben dürfen, forderte Taupitz, wenn sie ihren Patienten aus Gewissensgründen helfen möchten. Durchaus zufrieden mit der aktuellen Situation zeigte sich Lukas Radbruch, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Palliativmedizin und Direktor der Station für Palliativmedizin des Uni-Klinikums Bonn. Zwar erlebe er es, dass Patienten um Suizidhilfe bitten würden. Doch wenn man nachfrage zeigten sich eine Fülle von Gründen, beispielsweise die Angst vor der Zukunft. Da könne die Palliative Care geeignete Alternativen bieten.

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Doch auch die Palliativmedizin kommt bisweilen an ihre Grenzen. Sterbehilfe müsste für Menschen zugelassen werden, die am Ende ihres Lebens extrem leiden, erklärte Palliativmediziner Gian Domenico Borasio gegenüber dem «Deutschlandfunk». Andernfalls laufe man Gefahr, dass diese würdelos leiden müssten oder aber, dass sie durch unbegleiteten Suizid andere Unbeteiligte in Mitleidenschaft rissen. Es gebe Zustände am Lebensende, die man sich nicht vorstellen möchte, so Borasio und nannte als Beispiel Patienten mit amyotropher Lateralsklerose, die ihren Zustand mitsamt der Schmerzen und der Atemnot als entwürdigend empfinden und die sich und ihren Angehörigen die letzten Lebenswochen ersparen möchten. Als Lösung nannte der Palliativmediziner das Modell, wie es in Oregon gehandhabt wird: Dort ist Suizidhilfe grundsätzlich strafbar, ausser sie wird von Ärzten unter Einhaltung ganz strenger Vorsichtsmassnahmen durchgeführt und dokumentiert. Erst nach einem langen Prozess und der Einschaltung zweier verschiedener Ärzte wird am Ende eine tödliche Dosis eines Betäubungsmittels ausgestellt, das der Patient selbst einnehmen kann. Er fände es interessant, dass ein Drittel der Patienten diese Möglichkeit dann doch nicht wahrnehmen würden. Durch eine solche Regelung würden Suizide und vor allem gewaltsame Suizide verhindert.

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Ähnlich argumentiert die deutsche Ärztezeitung in einem Leitartikel. Auch Ärzte hätten wegen des umstrittenen Paragrafen 217 «Justizias Schwert im Nacken». Die Verweigerung des Rezepts rette kein Leben, vielmehr würden die Patienten in den «harten» Suizid getrieben. Fragen über das Ende des Lebens erforderten eine vertrauensvolle Arzt-Patienten-Beziehung, doch werde sich nur ein Patient, der nicht eine Zwangseinweisung wegen Suizidalität fürchten müsse, seinem Arzt öffnen. So gesehen erweise sich Paragraf 217 geradezu als «Palliativmedizin-Erschwerungs-Gesetz».
Wie sich die obersten Richter in Deutschland entscheiden werden, ist nicht abzuschätzen. Die Urteile dürften erst in einigen Monaten vorliegen.
Nur weil Leute sterben heisst das nicht, dass sie plötzlich unbedingt einer fremden Person ihr Herz ausschütten.» Luise Hahn, Psychologin

Die zur «Badischen Zeitung» gehörenden Online-Plattform «fudder» porträtierte im April eine Woche lang junge Menschen, die sich beruflich oder ehrenamtlich mit dem Tod befassen. Unter anderem wird eine 27-jährige Psychologin porträtiert, die auf der Palliativstation der Universitätsklinik Freiburg Menschen begleitet, die bald sterben. Im Austausch mit den Patientinnen und Patienten spüre sie, was es für extremen Schmerz geben könne, erzählt Luise Hahn. Gleichzeitig sei sie dankbar, dass die Menschen in diesen Momenten sie in ihr Leben liessen. Doch nicht jeder nehme das Angebot an, mit ihr zu sprechen. «Nur weil Leute sterben heisst das nicht, dass sie plötzlich unbedingt einer fremden Person ihr Herz ausschütten.» Eigene Erfahrungen mit dem Tod hat sie noch nicht viele gemacht. Doch das heisse nicht, dass sie Menschen in dieser Situation nicht beistehen könne, entkräftet Luise Hahn entsprechende Vorwürfe.
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