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Medienschau Dezember 2015

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Die Medienschau von palliative zh+sh gibt Einblick in die Berichterstattung zu Palliative Care und verwandten Themen im vergangenen Monat. (Bild: palliative zh+sh)

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08. Januar 2016 / Medien
Wir haben kurz vor Weihnachten bekannt gegeben, dass sich die spezialisierten Palliative-Care-Teams im Kanton Zürich zu einem Verband, dem SPaC, zusammengeschlossen haben. Diese Meldung veranlasste das Regionaljournal von Radio SRF 1 die Arbeit der mobilen Palliative-Care-Teams in einer berührenden Reportage zu beleuchten. Eine Radiojournalistin begleitete Palliative-Care-Spezialistin Corina Günther von OnPac bei einem Hausbesuch. Eine Ehefrau pflegt ihren 81-jährigen Gatten zuhause. Seit 56 Jahren sind die beiden verheiratet und haben sich entschieden, auch die letzten Wochen zusammen zu verbringen. Der Kranke spricht mit hörbarer Anstrengung darüber, wie schön es sei, zuhause sein zu dürfen. Seine Frau sagt mit tränenerstickter Stimme, die Pflege ihres Mannes gebe ihr auch etwas zurück. Beide drücken aus, wie wichtig der tägliche Besuch der Palliative-Care-Fachfrau ist. Die Ehefrau nennt Corina Günther «unseren Engel», der Patient spricht von einem «Aufsteller». Dank der Palliative-Care-Spezialistin kann die Familie auch diese Weihnachten daheim und gemeinsam mit dem Kranken feiern.

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Die NZZ wählte für die Meldung über den Zusammenschluss der mobilen Palliative-Care-Teams einen politisch-kontroversen Ansatz: Gesundheitsdirektor Thomas Heiniger dränge die Gemeinden, die Lücken in der ambulanten Palliativversorgung zu schliessen. Ende August hielt er in einem Brief an die Kommunen fest, sie müssten in der ambulanten Palliativpflege einen spezialisierten Leistungserbringer beauftragen. Zum Zusammenschluss der fünf Teams sagte Andreas Weber, SPaC-Präsident, gegenüber der NZZ: «Unser Ziel ist es, dass es künftig in allen Gemeinden einheitliche Angebote mit kostendeckender Finanzierung gibt.» Die Gemeinden seien über Heinigers Aufforderung allerdings «alles andere als erfreut», schreibt die NZZ und zitiert Jörg Kündig, Präsident des Gemeindepräsidentenverbands. Den Behördenvertretern sei die steigende Bedeutung von Palliative Care zwar bewusst und die Notwendigkeit mobiler Equipen unbestritten. «Einmal mehr liegt aber die Finanzierungspflicht bei den Gemeinden, der Kanton hat sich elegant aus der Verantwortung gestohlen – das stört uns», so Kündig.

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Ebenfalls in der «Neuen Zürcher Zeitung» erschien Mitte Dezember ein lesenswerter Gastkommentar von Michael Wunder, einem Mitglied des Deutschen Ethikrats, zum Thema «Selbstbestimmung am Lebensende». Psychotherapeut Wunder, der ein Beratungszentrum in Hamburg leitet, plädiert für eine neue Kultur des Sterbens, angelehnt an frühere Epochen. Wie zum Beispiel in der Ars Moriendi des späten Mittelalters solle das Sterben und der Tod auch geistig begleitet («heute würden wir sagen spirituell und psychosozial») und möglichst frühzeitig ins tägliche Leben integriert werden. Eine neue Sterbekultur müsse die Antwort sein auf die weitverbreiteten Ängste der Menschen vor allen seelischen Schmerzen, auf die Angst vor der Abhängigkeit und Fremdbestimmung in den letzten Lebenstagen, vor Einsamkeit und vor einer nicht mehr loslassenden Medizin. Die Palliativ- und die Hospizbewegung bezeichnet Wunder als «feindliche Geschwister». Erstere sei das neue Paradigma und der «Stachel im Fleisch der kurativen Medizin», letztere die Bürgerbewegung, die sich gegen das Sterben im Krankenhaus richte. Beide hätten dennoch grosse Gemeinsamkeiten. Nicht zuletzt respektierten beide die Selbstbestimmung als integralen Bestandteil einer palliativen Kultur des Sterbens. Für das Mitglied des deutschen Ethikrats schliesst jedoch eine neue Ars Moriendi die Beihilfe zum Suizid aus. «Es geht um die Begleitung des natürlichen Sterbens, nicht um seine Beschleunigung oder Herbeiführung.»

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Der Kanton St. Gallen ist, was Palliative Care betrifft, gut aufgestellt. Vor mehr als 20 Jahren wurde am Kantonsspital eine der ersten Palliativstationen der Schweiz eröffnet. Als zweiter wichtiger Schritt wurde der palliative Brückendienst geschaffen, der Hausärzte und Spitex rund um die Uhr in der Betreuung Sterbender zu Hause unterstützt. Grundsätzlich sei die palliative Grundversorgung im Kanton gewährleistet. Dieses Fazit zieht Christoph Hürny in einem Gastkommentar in der «Ostschweiz am Sonntag». Hürny ist Präsident des Vereins «Freunde stationäres Hospiz St. Gallen». Er führt in seinem Text weiter aus, weshalb man dennoch ein Hospiz brauche. Während der Arbeit des Brückendienstes habe sich eine Versorgungslücke aufgetan: Sterbende, vor allem jüngere Menschen mit kleinen Kindern, mit komplexen pflegerischen und medizinischen Problemen oder schwieriger psychosozialer Situation. Für diese brauche es eine Langzeitinstitution mit Akutbetrieb, schreibt Hürny. Der Bedarf in St. Gallen und Umgebung liege bei zehn bis zwölf Betten und einer Aufenthaltsdauer von zwei bis drei Monaten. Voraussichtlich 2017 wird nun in einer Villa am Rosenberg in der Stadt
St. Gallen ein Hospiz eröffnet. Im Dezember ist zudem bekannt geworden, dass die gemeinnützige Gesellschaft des Kantons St. Gallen 50'000 Franken an die Einrichtungskosten der Institution gesprochen hat, wie das «St. Galler Tagblatt» berichtete.

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Andernorts in der Schweiz, etwa im Kanton Bern, liegt eine flächendeckende Versorgung mit Palliative-Care-Angeboten noch in weiter Ferne. Nun hat der Kanton Bern aber mehreren Spitälern ein Leistungsmandat erteilt, eine auf Palliativpflege spezialisierte Abteilung einzurichten, unter anderem dem Spitalzentrum Biel, wie das «Bieler Tagblatt» schrieb. «Das Angebot für die Betreuung gewisser komplexer Fälle ist auf Berner Kantonsgebiet ungenügend. Die betroffenen Spitäler sind nicht gezwungen, diesen Auftrag zu erfüllen. Doch haben sie sich einverstanden erklärt, eine entsprechende Abteilung einzurichten», sagte Jean-Philippe Jeannerat, Sprecher der Berner Gesundheitsdirektion gegenüber der Zeitung. Die neue Abteilung, die mindestens acht Betten umfasst, soll 2017 betriebsbereit sein. Neu sollen auch französischsprachige Einwohner des Kantons Bern in Biel von der Palliativmedizin profitieren können. Laut Jeannerat sind Nähe und Erreichbarkeit wichtige Faktoren für Palliativstationen. Bisher mussten sie dafür ins Spital in den Kanton Neuenburg, nach La Chaux-de-Fonds, reisen.

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Im Rahmen der nationalen Palliative-Care-Tage, die am 2. und am 3. Dezember in Bern stattfanden, wurde der Film «Palliative Care – Sterben heute» gezeigt. Das BAG hatte dem Filmemacher Stephan Rathgeb den Auftrag gegeben, das Sterben in der Schweiz und den Grad der Umsetzung der Palliative-Care-Strategie zu dokumentieren. Der Dokfilm stellt der Schweiz kein gutes Zeugnis aus: Emma, eine junge Frau, und Roman, ein junger Mann, berichten, wie ihre Mütter gestorben sind. Emmas Mutter litt an der Nervenkrankheit ALS und musste auf einen Platz in einer Palliativstation warten. Sie wurde in der Zwischenzeit auf einer Lungenstation betreut, wo die Pflegenden nicht merkten, dass die Patientin weder alleine essen noch auf die Toilette gehen konnte. Sie litt ausserdem an Schmerzen und Angst. Romans Mutter wurde aus der Krebsklinik entlassen, weil man ihr dort nicht mehr helfen konnte. «Mit der medizinischen Therapie hörte auch die Betreuung auf», sagt ihr Sohn rückblickend. Sie seien alleingelassen worden mit der Pflege und Betreuung. Seine Mutter, die selber Kurse für Sterbebegleitung geleitet hatte, starb verbittert. 75 Prozent der Menschen wollen zu Hause sterben, aber nur jedem Fünften wird dieser Wunsch in der Schweiz auch erfüllt. Drei Experten suchen im Film Gründe dafür. Laut Pflegeexpertin Isabelle Weibel sind die Angehörigen meist überfordert und wissen nicht, wohin sie sich wenden sollen. Palliativmediziner Roland Kunz sieht die Fragmentierung der Medizin als Ursprung immer nochvieler Probleme: «Jeder Spezialist repariert nur an seinem Organ herum und niemand kümmert sich ganzheitlich um den Menschen.» Dass Kantone und Gemeinden sich gegenseitig die Kosten zuschieben, sei einer flächendeckenden Versorgung auch nicht förderlich. Zudem gibt es laut Kunz viele Krankenkassen, die im Kleingedruckten Palliative-Care-Leistungen in Zusatzversicherungen ausschliessen.

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Über ein in Deutschland erfolgreiches Versorgungsmodell in der ambulanten Palliative Care berichtete die «Westdeutsche Allgemeine Zeitung» (WAZ). Im Kreis Siegen-Wittgenstein in Nordrhein-Westfalen sterben durchschnittlich weniger Menschen, die älter als 64 sind, in einem Krankenhaus als im übrigen Deutschland. 44,1 Prozent waren es dort im Zeitraum von 2011 bis 2013. Die Quote des Bundeslandes lag im Vergleich bei 48,7 und der Bundesschnitt bei 45,7 Prozent. Das Versorgungsmodell in der Palliative Care, das in diesem Gebiet seit 2009 angewendet wird, verzichtet auf eine klare Trennung zwischen der allgemeinen ambulanten und der spezialisierten ambulanten Palliativversorgung. Massgeblich koordiniert wird die Versorgung von Hausärzten, auch wenn Leistungen der spezialisierten Dienste erforderlich werden. Notwendig ist dafür aber eine Weiterbildung der Hausärzte. «Der Hausarzt ist der basisbetreuende Arzt – somit der erste und wichtigste Ansprechpartner für Familien in palliativen Krisensituationen», sagt Regina Mansfeld-Nies, Fachärztin für Anästhesiologie, Gründerin und Vereinsvorsitzende des PalliativNetzes, im Interview mit der WAZ. Der Hausarzt knüpfe den Kontakt zum PalliativNetz, um die Betreuung zu erweitern und zu optimieren. Dieses Modell eigne sich für eine grosse Region, in der eine dezentrale Versorgungsstruktur herrsche. «Die Anzahl der Hausärzte, Pflegedienste, Ehrenamtler und anderer Betreuer ist begrenzt.»

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In den deutschen Medien gaben weiterhin die Folgen des Sterbehilfe-Verbots zu reden, das am 10. Dezember in Kraft trat. In Nordrhein-Westfalen seien bereits zwei Wochen später bei mehreren Ärzten Durchsuchungen und Beschlagnahmungen durchgeführt worden, berichtet das Ärztenetzwerk Esanum. Hausarzt Kurt-Martin Schmelzer sagte im Interview, die Staatsanwaltschaft werfe seinen Kollegen vor, «sterbenskranken Patienten potenziell tödlich wirkende Medikamente verordnet zu haben – trotz Kenntnisse suizidaler Tendenzen». In den bekannten Fällen waren es normale Packungsgrössen üblicher Medizin, die am Lebensende verschrieben werden wie Schmerz- oder Beruhigungsmittel. Palliativmediziner in Deutschland leben nun laut Schmelzers Auffassung gefährlich, wenn sie ihrem Beruf nachgehen. «Auch viele Hausärzte, die Sterbenskranke am Lebensende mit der gängigen Medikation verantwortlich begleiten, stehen nach dem neuen Gesetz ständig mit einem Bein im Gefängnis. Schliesslich besteht bei ca. jedem vierten Totkranken die erklärte Gefahr der Selbsttötung», sagte er. Lege die Staatsanwaltschaft das Gesetz weiterhin in dieser Weise aus, mache dies die Arbeit der Palliativmedizin unmöglich. «Dann wird Sterben wieder in die Klinik verlegt – mit Blaulicht.»

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In der internationalen Perspektive ist vor allem eine Veröffentlichung von Bedeutung: Die internationale Hospice Palliative Care Alliance (WHPCA) hat zusammen mit zwei anderen Verbänden Stellung genommen zu einer Forderung der Weltgesundheitsorganisation WHO. Diese hatte am Weltgesundheitstag, am 12. Dezember, einen weltweiten Gesundheitsschutz (Universal Health Coverage, UHC) propagiert. Alle Menschen sollen Zugang haben zu einer umfassenden und guten Gesundheitsversorgung, ohne dass sie deswegen in finanzielle Not geraten. Die WHPCA betont in ihrem Bericht, dass der Palliative Care in dieser Forderung eine Schlüsselfunktion zukomme. «Menschen sollten Zugang haben zu Palliative Care und Hospiz-Angeboten von guter Qualität, ohne dass sie die Armut gedrängt werden», sagte Sharon Baxter, Vorsitzende der WHCA. Dass diese Gefahr real ist, zeigte die Online-Zeitung «Huffingtonpost» an einem eindrücklichen Beispiel: Eine 50-jährige Witwe, die in Äthiopien lebt, HIV-positiv ist und an Gebärmutterhalskrebs leidet, wird wegen starker Schmerzen ans Bett gefesselt. Sie kann nicht mehr für ihre Kinder sorgen. Sie lebt mit ihnen in einem einzigen Raum und muss ihren Gemüsehandel aufgeben, als es mit ihrer Gesundheit bergab geht. Sie kann nicht mehr für die Miete oder Essen aufkommen. Ihre Kinder müssen die Schule verlassen, weil ihre Mutter das Schulgeld nicht mehr bezahlen kann. Zum Glück existiert in Äthiopien eine Hospizorganisation. Nach einer gründlichen Untersuchung erhält die Witwe schliesslich Morphin-Sirup gegen die Schmerzen und Medikamente gegen andere Symptome. Das Hospiz-Programm unterstützt die Familie zudem finanziell und organisiert in der Gemeinde Hilfe. Nach einem Monat sind die Schmerzen der Frau so unter Kontrolle, dass sie sich wieder selbst um ihre Kinder kümmern kann. Schliesslich kann sie sogar wieder Gemüse verkaufen.

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Zum Schluss noch ein Zückerchen: Die «New York Times» veröffentlicht seit Kurzem eine Essay-Serie zum Thema Lebensende. Sie heisst «The End». Personen, die beruflich mit Sterben und Tod zu tun haben, oder auch Menschen, die einen ihrer Nächsten verloren haben, schreiben wunderbare, ganz unterschiedliche Texte zum Thema. Unter den Essays befindet sich auch der Text «When a Baby Dies» eines auf Palliative Care spezialisierten Kinderarztes. Er beschreibt das kurze Leben von Ethan Butler. Der Junge kommt mit einem Herzfehler zur Welt und wird bereits zehn Tage nach der Geburt am Herzen operiert und auf diese Weise gerettet. Kurz darauf erleidet er einen schweren Hirnschlag. Nur noch Geräte halten ihn am Leben. Die Eltern hätten, wie alle Eltern von schwerkranken Kindern, auf ein Wunder gehofft, schreibt der Arzt. Als er sie fragt, was sie sich wünschen würden, falls kein Wunder geschehe, sagen sie, Ethan solle nicht leiden und nicht bis ans Ende seiner Tage an einer Beatmungsmaschine hängen. Also wird der Junge extubiert, und als er in Atemnot gerät, erhöhen die Palliativmediziner die Dosis seines Schmerzmittels. Als sich das Baby beruhigt hat, nehmen Familie und Pflegeteam es nach draussen, damit es zum ersten Mal die Sonne sehen kann. «Und dann überraschte Ethan alle», schreibt der Arzt. «Er weigerte sich einfach zu sterben: Sein Atem wurde angenehm und regelmässig.» Die Familie kann den kleinen Jungen nach Hause nehmen und Dinge tun, die man normalerweise mit einem Neugeborenen macht. Seine Geschwister können Erinnerungen sammeln. Vier Monate nach seiner Geburt, auf einem Ausflug bei schönstem Wetter zu einem Wasserfall, nimmt Ethan seinen letzten Atemzug. Er liegt im Arm seiner Mutter und sieht ihr dabei in die Augen.
palliative zh+sh, Sabine Arnold