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Medienschau Februar 2021

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Die Medienschau von palliative zh+sh gibt Einblick in die Berichterstattung zu Palliative Care und verwandten Themen des vergangenen Monats. (Bild: gme)

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Die Medienschau ist eine Momentaufnahme eines Ausschnittes der öffentlichen Diskussion zum Thema und bietet kurze Zusammenfassungen, zeigt Verknüpfungen auf und soll nicht zuletzt unterhalten und zur weiteren Lektüre der besprochenen Beiträge anregen. Wo vorhanden werden die Links zu den Beiträgen deshalb unter «Links zu den Beiträgen» aufgelistet.

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08. März 2021 / Medien
«Es sterben nicht nur mehr Menschen, es sterben auch zu viele Menschen allein.» Diese Aussage der Limmattaler Ordensschwester und Sterbebegleiterin Elisabeth Müggler trifft die derzeit vorherrschenden Themen auf den Punkt. Das hat Auswirkungen auch auf die Trauernden, auf die Arbeit von Seelsorgern und Bestatterinnen. Und es macht auch ganz viel mit unserer Gesellschaft, über das es sich nachzudenken lohnt.
Sterben wird relativiert. So erleben es Angehörige von Menschen, die an Corona verstorben sind. Man reduziere das Mitgefühl auf Fragen nach Vorerkrankungen und das Alter, erzählt eine Betroffene in einem Artikel in der «NZZ», deren Mutter mit 96 Jahren an Covid-19 verstarb. Als sie es einem Kollegen gegenüber erwähnte, war dessen erste Reaktion nicht, sein Beileid auszudrücken, sondern nach dem Alter zu fragen. Und dann mit «Ja, dann…» zu reagieren, als er die Antwort erhielt. Und es blieb nicht bei diesem Einzelfall. Sie verstehe zwar, dass die Leute den Tod ihrer Mutter relativieren wollten. «Sie haben Angst und wollen sich selbst versichern, dass ihr eigenes Risiko geringer ist und sie sich darum mit anderen treffen dürfen.» Gleichwohl wehrt sie sich auch gegen Aussagen von Politikern, die Gesellschaft hätte verlernt, mit dem Tod umzugehen. Der Tod, so kommt sie zum Schluss, sei nicht für die Trauernden ein Tabu, sondern für diejenigen, die nicht betroffen seien.

Im Kanton Zürich sind 1200 Menschen an Covid gestorben, die meisten von ihnen über 80 Jahre alt. Der Artikel befasst sich mit verschiedenen Facetten der Pandemie und wirft unter anderem die Frage auf, ob die Corona-Opfer und die wirtschaftlichen Folgen der Pandemiemassnahmen gegeneinander aufgerechnet werden dürfen. Verkrampft sei unser Verhältnis zum Tod, nennt es der Winterthurer Pfarrer Thomas Plaz. Er fragt sich, ob wirklich «zu viele» Menschen an Corona sterben oder ob sie nicht eher «zu früh» sterben. Schliesslich sterbe jeder irgendwann. Der Tod sei eine entscheidende Lektion, die Pandemie rücke ihn wieder in die Mitte des Lebens. Theologe Peter Ruch warnt vor den Langzeitfolgen des Lockdowns in Bezug auf die Lebenserwartung der jüngeren Generation, die dadurch negativ beeinflusst werden könnte. Es seien niemals Menschenleben, sondern Lebensjahre, die gerettet werden könnten.

Was hat die Isolation der Bewohnerinnen und Bewohner in Pflegheimen für Auswirkungen? Welche Auswirkungen haben Langzeitfolgen von Corona-Erkrankungen auf Suizidbeihilfe? Der Artikel spricht viele Facetten an. Ob wir darauf alle Antworten finden werden?


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«Es sterben nicht nur mehr Menschen, es sterben auch zu viele Menschen allein.» Das sagt Elisabeth Müggler, Ordensschwester, ausgebildete Pflegefachfrau und Sterbebegleiterin, im Interview mit der «Republik» (Artikel kostenpflichtig). Ihr Rezept gegen die Angst vor dem Tod: «Wir müssen über unsere eigene Endlichkeit sprechen.» Es helfe, die Angst zu benennen, was für eine Angst es sei, wovor man genau Angst habe. Dann könne man sich auch eher Gedanken darüber machen, wie man damit umgehen könne. Dass die Gesellschaft derzeit den Tod eher relativiert und aufs Alter bezieht, kann Elisabeth Müggler zwar verstehen. Trotzdem: «Es ist immer dieses eine Leben, das endet. Für die Familie, die Angehörigen ist es trotzdem immer ein riesiger Abschied, der schmerzt. Selbst wenn der Vater 92 war, ist es trotzdem der Vater, der stirbt. Jedes Leben ist wertvoll bis zum letzten Tag.» Für Angehörige sei es zudem sehr belastend, wenn sie einen Sterbenden nicht bis zu Tod begleiten könnten. Die 80-jährige Ordensschwester, die nach ihrer Pensionierung den Verein Wabe Limmattal zur Begleitung schwerkranker und sterbender Menschen aufgebaut hat, rät dazu, in solchen Fällen das Gespräch mit der Leitung zu suchen und dafür zu kämpfen, dabei sein zu können. Nicht immer klappt das, weiss Elisabeth Müggler und berichtet von einer Situation, die sie kürzlich erlebte. Mit einer Frau, die ihren Mann kurz vor seinem Tod nicht mehr besuchen durfte, zündete sie Kerzen an, sie stellten ein Foto von ihm auf und beteten. «Ich habe ihr geraten, immer wieder zu seinem Bild hinzugehen und sich so mit ihm zu verbinden. Das ist wenig, aber es hat ihr trotzdem geholfen.»

Sie erlebt ältere Menschen oft sehr ruhig im Umgang mit dem Tod. Viele hätten eine Patientenverfügung, hätten sich damit bereits mit dem Thema auseinandergesetzt. Jüngere Menschen, die schwer erkranken, haderten oft mit ihrem Schicksal, was verständlich sei, stünden diese doch mitten im Leben. Besonders schwer sei es, Abschied von einem Kind zu nehmen, daran würden viele zerbrechen. Elisabeth Müggler selbst hat sich mit dem Tod versöhnt, schaut ihn nicht als etwas Negatives an, sondern als Pilgerreise von Gott zu Gott. «Mir wurde das Leben geschenkt, und irgendwann gebe ich es zurück.»
«Ich machte die Ausbildung zum Sterbebegleiter nicht nur, um da zu sein für die Menschen, die ich kennen lerne. Sondern auch, um mich innerlich zu stärken. Ich hatte Angst, dass ich überschwemmt werde von Gefühlen.» Thomas Schmidhauser, Filmemacher und Buchautor

Auch Filmemacher Thomas Schmidhauser hat sich intensiv mit dem Tod auseinandergesetzt. 2017 für seinen Film «Da sein», für den er auch eine Ausbildung als Sterbebegleiter absolvierte. Aus jener Filmarbeit ist nun auch das gleichnamige Buch entstanden. Er habe gemerkt, dass er für den Film nicht wie sonst einfach mit der Kamera auftreten und Menschen befragen könne, sagt Schmidhauser im Interview mit dem «St. Galler Tagblatt» (Artikel kostenpflichtig). Deswegen habe er in eine neue Rolle treten müssen, weg vom Kameramann hin zum Sterbebegleiter. «Aber nicht nur, um da zu sein für die Menschen, die ich kennen lerne. Sondern auch, um mich innerlich zu stärken. Ich hatte Angst, dass ich überschwemmt werde von Gefühlen.» Auslöser für den Film war der Tod seiner Mutter gewesen. Zuvor hatte sich Schmidhauser nicht mit seiner eigenen Sterblichkeit befasst.
Seine Recherchen ermöglichten ihm Begegnungen mit sterbenden Menschen in der ganzen Welt. In den USA etwa traf er einen krebskranken Fotografen, der ihm erzählte, dass sich viele fürchteten, ihn zu treffen. Die Frage «Wie geht es Dir», sei eine der schlimmsten Fragen, die man ihm stellen könne. Was könne er darauf schon sagen, man sehe ihm ja an, dass er bald sterben werde. Er würde sich viel mehr freuen, wenn ihm jemand sage: «Hey, schön dich zu sehen».

In anderen Kulturen, so Schmidhauser, sei der Tod sichtbarer als bei uns. In Nepal etwa sei er 24 Stunden am Tag präsent. Die Toten werden verbrannt, zu den öffentlichen Verbrennungen treffen sich Hunderte von Menschen, die gemeinsam singen und tanzen. «Das gibt eine andere Form von Gelassenheit dem Tod gegenüber.» Als er Bub gewesen sei, habe er beim Tod seiner Tante noch das Kreuz am Leichenzug getragen, ein Pferdefuhrwerk zog den Sarg durch das Dorf. Damals habe es auch in der Schweiz noch mehr Rituale gegeben, an denen man teilnehmen konnte. Dass dies kaum mehr stattfindet, sieht Schmidhauser auch als Ausdruck unserer Angst.

Verbesserungspotenzial im Palliativbereich sieht er insbesondere in der Wertschätzung gegenüber den Pflegenden, die oftmals mangelhaft sei. «Ich möchte, dass an meinem Ende Menschen da sind, die fürsorglich sind, sorgfältig, Menschen, die Zeit haben und in der Lage sind, zu reflektieren, was da passiert. Dass ich eben nicht als Objekt behandelt werde. Und damit das eintrifft, müssen gerade Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von Pflegeheimen entsprechend ausgebildet und bezahlt sein.»


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Wie Menschen am Lebensende begleitet werden, thematisierte auch die «Coop-Zeitung» im Zusammenhang mit dem im September 2020 vom Bundesrat verabschiedeten Bericht «Bessere Betreuung und Behandlung von Menschen am Lebensende». Im Artikel kommt Hannelore Karst zu Wort, deren Mann Karl Karst an Blutkrebs erkrankt war. Zwar konnte er zu Hause wohnen, musste sich jedoch für die medizinische Versorgung, etwa die regelmässig nötigen Bluttransfusionen, ins Spital begeben. Dabei habe es immer wieder ärgerliche Situationen gegeben, die Situation sei für einen todkranken Menschen unzumutbar gewesen, erinnert sich Hannelore Karst. Nach der 25. Bluttransfusion zog sie die Reissleine. Mit einem ambulanten Palliativdienst verbesserten sich die Lebensumstände ihres Mannes massiv. So konnte das Paar seinen Tagesablauf wieder selbst bestimmen, ohne auf Spitaltermine schauen zu müssen. Da Transport und Spitalaufenthalt wegfielen, wurden die Transfusionen entsprechend günstiger. Hannelore Karst fühlte sich zum ersten Mal ernst genommen und hatte die Sicherheit, dass sie sich jederzeit rund um die Uhr an den ambulanten Palliativdienst wenden konnte.

Livia de Toffol vom ambulanten spezialisierten Palliative Care Team Palliaviva sagt über das Gelingen von Pflege und Betreuung zu Hause: «Wir beziehen die Angehörigen von Anfang an mit ein und befähigen sie, richtig zu handeln. Je sicherer sie sich fühlen, desto besser geht es den Patienten.» Hannelore Karst begleitete ihren Mann auf dem Weg, den er für richtig hielt. Das sei für sie immer klar gewesen. So war sie auch bei ihm, als er sein Leben mit Exit beendete. Für die Unterstützung der ambulanten Palliative Care ist sie bis heute dankbar und würde sofort wieder auf dieses Angebot zurückgreifen. «Wenn die Voraussetzungen und der gute Wille da sind, ist für den todkranken Menschen die Pflege daheim unbezahlbar – und für einen selber auch.»


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Die Pandemie hat grosse Auswirkungen auf die Arbeit in Kinderhospizen in Deutschland, wo es bundesweit 18 Kinder- und Jugendhospize sowie rund 150 ambulante Dienste. Deren wesentliche Funktion ist die Entlastung und Stärkung der Familien. Im Hospiz könnten Angehörige durchatmen, Kraft tanken und sich mit anderen Betroffenen austauschen, sagt Dorota Walkusz, Pflegedienstleiterin im niedersächsischen Kinderhospiz Löwenherz. Weil zu Coronazeiten zeitweise der ambulante Pflegedienst ausfällt, Therapieangebote nicht mehr stattfinden und Geschwisterkinder im Homeschooling sind, wäre das für die Familien der schätzungsweise 50'000 Kinder und Jugendlichen in Deutschland mit einer lebensbegrenzenden Erkrankung dringend nötig. Doch auch Hospize sind betroffen, können wegen Corona weniger Plätze anbieten und müssen Therapieangebote einschränken. Dadurch konnten auch weniger Geschwisterkinder anreisen, die von den Angeboten ebenfalls profitieren können. Im ersten Lockdown nahm das Hospiz nur Familien in akuten Krisen oder zur Sterbebegleitung auf. Auch nach den Lockerungen sagten viele Familien von sich aus ab, weil sie eine Ansteckung fürchteten. Nähe, Begegnungen und Austausch, vieles ist nicht mehr möglich, was betroffenen Kindern und Jugendlichen sowie deren Familien guttun und sie entlasten würde.

Die Trauerkultur hat sich durch Corona verändert. Erde ins offene Grab zu werfen, ist mit der sonst üblichen Schaufel, die alle nacheinander in die Hand nehmen, nicht mehr möglich.

Nähe, eine tröstende Umarmung, Begleitung – darauf müssen derzeit auch Sterbende und Trauernde wegen der Corona-Einschränkungen verzichten. Angehörige würden daran verzweifeln, ihre Liebsten nicht begleiten zu dürfen, schreibt das Online-Portal «evangelisch.de». Das sei eine enorme Herausforderung für Seelsorger und Bestatterinnen. Im Artikel wird das Schicksal einer Familie beschrieben, in der erst der 47-jährige Sohn, dann nur kurze Zeit später auch der 79-jährige Vater an den Folgen einer Covid-19-Erkrankung starb. «Ich habe noch nie Menschen so herzzerreißend weinen gehört wie an diesem Tag», sagt Pastor Detlef Richter. Wie solle man da Trost spenden? Statt die Trauernden in den Arm nehmen zu können, musste er das Trauergespräch telefonisch führen. Auch eine Videokonferenz, wie in anderen Fällen, war diesmal nicht möglich.

Aber auch ganz viel anderes fällt weg. Die Trauerkultur der Menschen habe sich verändert, teilt ein anderer Seelsorger, Dominik C. Rohrlack, seine Beobachtungen. «Während des ersten Lockdowns haben viele noch ein starkes Bedürfnis nach Berührung gehabt, wollten mir die Hand schütteln oder sich gegenseitig in den Arm nehmen.». Inzwischen würden die Trauergäste mit der verordneten Distanz selbstverständlicher umgehen. Erde ins offene Grab zu werfen, ist mit der sonst üblichen Schaufel, die alle nacheinander in die Hand nehmen, nicht mehr möglich. Er ermutige die Trauernden, die Erde mit der Hand zu greifen. Denn: Solche Rituale am Grab seien wichtig. Auch das gemeinsame Singen während der Trauerfeier ist derzeit verboten. So geht der Seelsorger Rohrlack mit dem Tablet zu Trauergesprächen und stellt mit den Hinterbliebenen eine Playlist zusammen, die unter anderem davon abhängig ist, welche Titel auf gängigen Streamingdienstleistern verfügbar ist.

«Früher wollte man nicht ins Heim, weil dort das Essen nicht gut sei oder man nicht viele Menschen um sich herum haben mochte. Heute sagen viele Patienten, sie wollen keine Quarantäne und nicht auf den Besuch ihrer Angehörigen verzichten.» Anthea Baumann, Geschäftsleiterin der Spitex Am Alten Rhein

Das «St. Galler Tagblatt» stellte einen anderen Aspekt der Pandemie in den Fokus. Viele Plätze in Alters- und Pflegeinstitutionen bleiben leer. Neueintritte sind kaum zu verzeichnen. Ist ein gewisses Unbehagen vor einer Ansteckung ein Grund? Einen Zusammenhang sieht Daniel Tobler, Leiter Pflegewohnheim Thal-Rheineck, in dem derzeit mehr Betten frei sind, als sonst üblich. Seit Ende Dezember habe es kaum Anfragen gegeben. Er bezeichnet die Situation als schwierig, aber nicht alarmierend. Auch Katharina Linsi, Präsidentin der Spitex Am Alten Rhein, teilt diese Einschätzung. Sie hätten im ersten Lockdown weniger Arbeit gehabt also sonst und konnten entsprechend Personal an Heime ausleihen. Derzeit hätten die Spitex-Mitarbeiterinnen mehr zu tun als im Durchschnitt.

Weitere Gründe fügt Anthea Baumann, Geschäftsleiterin der Spitex Am Alten Rhein, an: «Früher wollte man nicht ins Heim, weil dort das Essen nicht gut sei oder man nicht viele Menschen um sich herumhaben mochte», sagt sie. «Heute sagen viele Patienten, sie wollen keine Quarantäne und nicht auf den Besuch ihrer Angehörigen verzichten.» Heimleiter Tobler versteht die Bedenken. «Manchmal ist ein Heimeintritt aber unumgänglich. Die Spitalaufenthalte werden tendenziell verkürzt.» Aktuell ist seine Institution Corona-frei. Um dies beibehalten zu können, müssen Neueintretende einen negativen Test nachweisen und die ersten sieben Tage einem Isolationszimmer verbringen. Danach gelten die Regeln des Kantons St. Gallen mit zwei Besucherinnen pro Bewohner und Tag, wobei die Treffen nur in öffentlichen Räumen oder im Freien möglich sind. Entspannung erhofft sich Tobler von der Impfung.

Katharina Linsi ist überzeugt, Palliative Care habe einen grossen Einfluss gehabt habe, dass relativ viele Menschen in den Alters- und Pflegeheimen an Covid-19 starben. «Viele Bewohnerinnen und Bewohner waren gut informiert, reagierten schnell, machten ihre Hausaufgaben und erstellten frühzeitig eine Patientenverfügung.» Wer verfügt hatte, dass er oder sie nicht ins Spital eingeliefert werden mochte, konnte im Heim versterben.


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In der wichtigen Geschichte zum Schluss thematisiert die SRF-Doku den Pflegenotstand. «Der Pflegenotstand droht nicht, er ist bereits Realität», heisst es bereits in der Einleitung. 11´000 Stellen sind im Gesundheitswesen derzeit offen. Doch das dürfte erst der Anfang sein. Zu Beginn der Blick in die Notfallabteilung des Kinderspitals Zürich. Dort zu arbeiten sei wie Hochleistungssport. Permanent höchste Konzentration, extrem anspruchsvoll. Entsprechend wichtig ist die Balance zwischen Arbeits- und Ruhezeiten. Doch das ist im Alltag häufig gar nicht machbar. Weil immer wieder Kolleginnen und Kollegen ausfallen, müssen andere einspringen. Das schlechte Gewissen sei gross, wenn man sich nicht melde, sagt Pflegefachmann Gian-Luca de Liquori. Damit türme sich Überzeit auf, die man nie wirklich kompensieren könne.

Szenenwechsel in die Stiftung Alpbach Meiringen. Wenn er auf einem Jobportal den Begriff «Pflegefachfrau» eintippe, dann ergebe das über siebentausend offene Stellen. Das Problem liege auf der Hand: Man bilde 40 Prozent zu wenig Fachleute aus pro Jahr. Auf drei Stockwerken des Neubaus im Alpbach ist Platz für Menschen, die an Demenz erkrankt sind. Kein Tag sei wie der andere, sagt Rosmarie Ritzi, Teamleiterin der Demenzabteilung. «Wir passen uns permanent an, wie es den Bewohnenden geht.» Gefragt sei viel Geduld und Empathie. Eine Problematik in der Betreuung und Pflege von Demenzerkrankten ist, dass im Besa-System Betreuung in Form von Zuwendung, Gesprächen und Beschäftigung kaum vorgesehen ist. Was diese Menschen am meisten brauchen, wird nicht vergütet. Und wenn Arbeit nicht bezahlt werde, sei sie einfach weniger wert, sagt Rosmarie Ritzi.

Sieben Uhr. Frührapport auf der Intensivstation im Kantonsspital St. Gallen. Gerade ist die zweite Corona-Welle im Anrollen. Die Pflege der Covid-Patientinnen und -Patienten, die zwei Drittel der Betten belegen, ist aufwendig. Die Patienten werden immer jünger. Auch die Angehörigen müssen einbezogen werden. Pflegen heisse auch, Anteil zu nehmen, die vielen Schicksale mit zu tragen. Pflegefachfrau Lilith Bleiker hat gerade einen Anruf mit Angehörigen einer schwer kranken, noch jungen Covid-Patientin hinter sich. Nun kümmere sich ein Care-Team um die Angehörigen. Einer ihrer Wünsche sei, dass es auch für die Pflegenden ein Care-Team geben würde. «Das Personalmanagement muss einen viel höheren Stellenwert bekommen», sagt sie. So könnte man die vielen Berufsaussteiger vielleicht eher zurückhalten. Durch die Vakanzen entstünden mehr Komplikationen, nicht nur bei den Patienten, sondern auch bei den Pflegenden.
Der Dok-Film ist eindrücklich. Es steht nichts weniger als die Grundversorgung unserer Gesellschaft auf dem Spiel
palliative zh+sh, Gabriela Meissner