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Medienschau Januar 2019

Medienschau Januar 2019

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Die Medienschau von palliative zh+sh gibt Einblick in die Berichterstattung zu Palliative Care und verwandten Themen des vergangenen Monats. (Bild: palliative zh+sh, ei)

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Die Medienschau

Die Medienschau ist eine Momentaufnahme eines Ausschnittes der öffentlichen Diskussion zum Thema und bietet kurze Zusammenfassungen, zeigt Verknüpfungen auf und soll nicht zuletzt unterhalten und zur weiteren Lektüre der besprochenen Beiträge anregen. Wo vorhanden werden die Links zu den Beiträgen deshalb unter «Links zu den Beiträgen» aufgelistet.

Dokumente zum Thema

Video zum Thema

08. Februar 2019 / Medien
In einem Interview mit dem «Tagesanzeiger» beleuchtet die Kulturwissenschaftlerin Corina Caduff den gesellschaftlichen Umgang mit Sterben und Tod. Dabei macht sie auch vor sich selbst nicht Halt und berichtet, dass ihre Eltern ihr ein Drehbuch überreicht haben, in welchem sie bis ins Detail festgehalten haben, was nach ihrem Tod geschehen soll. Caduff’s Reaktion: «Für mich kam es nicht überraschend. Das entspricht einem typischen Verhalten der Nachkriegsgeneration, die sehr auf Selbstbestimmung bedacht ist. Diese Generation führt seit Jahren einen vertieften Diskurs über Exit. Aber noch gibt es nicht ausreichend Diskursraum für ganz normale Sterbegedanken im Alter.» Für Corina Caduff funktionieren religiöse Deutungsmuster heute kaum mehr, was die Menschen auf sich selber zurückwerfe. «Wie kann ich im Alter Sterbegedanken äussern, ohne dass diese sogleich mit Exit oder Sterbehilfe assoziiert werden? Hinzu kommt, dass man heute auch für mehr Verständnis für den Alterssuizid wirbt. Das alles verstellt einem gesunden, unaufgeregten Gespräch über Alter und Sterben den Weg.» Vertieft geht die Wissenschaftlerin auch auf Abschiedsrituale ein, deren Veränderungen und Entwicklungen über die Jahre und Jahrzehnte. «Auch da leben wir in einer experimentellen Phase. Dazu gehört, dass Experimente auch schiefgehen können. Klar ist aber, dass wir Rituale brauchen, Glaube hin oder her. Gerade im Moment der Trauer benötigen wir Stabilität und Zugehörigkeit.»

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Eine Journalistin der «Zürichsee Zeitung» hat die Pflegefachfrau Sabrina Küng von Onko Plus zu zwei Patientinnen begleitet. Sie erfährt dabei hautnah, dass Schmerzen lindern, drängende Fragen beantworten, über das Sterben und den Tod sprechen zum Berufsalltag der spezialisierten Spitex gehören. Die erste Patientin, welche an einer chronischen Lungenkrankheit leidet, hatte über längere Zeit Angst zu ersticken. Schliesslich hatte ihre Tochter die Idee, Onko Plus zur Unterstützung zu engagieren. «Seither habe ich weniger Angst», sagt die 69-Jährige. Nach der Besprechung der Medikamentendosierung, erkundigt sich Sabrina Küng nach den Ergebnissen des letzten Arztbesuchs und misst den Sauerstoffgehalt im Blut der Patientin. Letzterer ist etwas tief. Küng erinnert die Patientin an die Atem-Anweisungen, welche sie in der Physiotherapie erhalten hatte. Kurze Zeit später, steigt der Sauerstoffgehalt, Küng ist zufrieden und verabschiedet sich und macht sich auf zur nächsten Patientin, eine 80-jährigen Frau, die an einem Lebertumor leidet. Sabrina Küng hat vor ihrer Tätigkeit bei Onko Plus auf der Onkologieabteilung eines Spitals gearbeitet. Natürlich sei die Arbeit mit schwer kranken oder sterbenden Menschen bisweilen belastend, sagt sie. Doch das Wissen, dass sie diesen Menschen helfen könne, die letzte Lebensphase ihren Wünschen entsprechend zu gestalten, helfe ihr über vieles hinweg. Supervision und der Austausch im Team seien ebenfalls hilfreich, genauso wie die Möglichkeit, im Notfall auf zwei Konsiliarärztinnen zurückgreifen zu können.

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Auch im Kanton Solothurn gibt es seit längerem Palliative-Care-Teams bei der Spitex, wie die «Solothurner Zeitung» berichtet. Weiter schreibt die Zeitung, dass der Verein «Palliative SO» im vergangenen Jahr im Auftrag des Kantons erstmals ein Pilotprojekt mit einigen Organisationen gestartet hat. Mit bei diesem Pilotprojekt sind auch die Spitex Aare Nord SO und die Spitex Bucheggberg, welche beide von Mili Marti geführt werden und die per 1. Januar 2019 fusioniert haben. Im Pilot einigte man sich auf drei Werkzeuge: das Rundtischgespräch, den Betreuungsplan und das SMIS (Swiss Medical Internet Service), ein Programm zur digitalen Erfassung der Krankengeschichte und zur Vernetzung. Ziel ist es, Spitex, Hausärzte, Spitäler und weitere Stellen zu vernetzen. Die webbasierte Plattform dient als gemeinsame Ablage für Informationen wie zum Beispiel Betreuungsplan, Medikationsplan und dgl. «Das ist ein zukunftsträchtiges Projekt», findet Mili Marti. Das Projekt soll auf den ganzen Kanton ausgeweitet werden. «Alle tragen ihre Anmerkungen ein, der Patient selber, berechtigte Nachbarn, Angehörige, Seelsorger etc. Daneben wird ein Fach-Chat geführt, über den aber dem wegen des Datenschutzes nur Ärzte und Pflege kommunizieren.» Der Sterbende stehe im Mittelpunkt. «Wenn wir von der Spitex ein Problem erkennen, können wir dem Arzt eine Nachricht senden. Er kann ein neues Medikament verordnen. Wir erhalten eine SMS und sehen, dass er das Medikament verordnet hat, und wir passen die Therapie sofort an», erklärt Susi Glutz, Leiterin des Palliative-Care-Teams der Spitex Aare Selzach. Aber noch harze es, es brauche viel Überzeugungsarbeit etwa in der Ärzteschaft.

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«Hier ist ihr Alltag nicht mehr geprägt von Entscheidungen, sondern nur noch durch ihre Bedürfnisse und Wünsche.» Claus Maier, Pfleger im Hosipz Grabs

Das «Tagblatt» widmete sich in der Berichterstattung anfangs Januar ausführlich dem Hospiz in Grabs und titelte «Der Tod ist nicht nur traurig». Zu Wort kam Pflegefachmann Claus Maier, der bereits vor seinem Engagement im Hospiz in Grabs über 1000 Menschen beim Sterben begleitet hatte. Nicht immer habe er es geschafft, all seinen Patienten die Angst vor dem Tod zu nehmen, sagt er. Und nicht immer konnte er ihnen hundertprozentige Schmerzfreiheit garantieren. Er habe die Erfahrung gemacht, dass «Wer sich bis zum Schluss gegen den Tod wehrt, der hat es schwerer als jemand, der seinen Tod akzeptiert hat und den Tod als Erlösung sieht.» Wo viel Schatten, da viel Licht – das trifft auch auf das Hospiz in Grabs zu. Sorge, Angst und Unsicherheit liegen in der Luft. Aber auch Erleichterung und viel Liebe. «Nach einer langen Zeit des Leidens, zahlreicher Therapien, Spitalaufenthalte und immer zwischen Hoffen und Bangen haben die Patienten keine Lust mehr, sich beraten und belehren zu lassen. Und müssen es auch nicht. Hier ist ihr Alltag nicht mehr geprägt von Entscheidungen, sondern nur noch durch ihre Bedürfnisse und Wünsche.» Und das ist auch für die Angehörigen eine grosse Erleichterung. Sehr viele berichten davon, dass sie die Erfahrung mit dem Tod auf diese Weise rundum positiv erleben durften. Ergänzend zum umfassenden Artikel über das Hospiz in Grabs hat das «Tagblatt» bei Marion Leal, der Leiterin der Krebshilfe Werdenberg, nachgefragt. Die Krebshilfe und der Zweckverband Pflegeheim Werdenberg, wo das Hospiz angesiedelt ist, arbeiten intensiv zusammen. Marion Leal ist sehr froh über das Angebot, würde sich aber wünschen, dass auch in Liechtenstein drei bis vier Betten zur Verfügung stünden, um sterbenden Menschen die Möglichkeit einer professionellen Betreuung in ihrer letzten Phase zu ermöglichen.

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Auch in der Stadt St. Gallen gibt es seit über einem Jahr ein Hospiz. Bis es in die «Villa Jacob», seinen definitiven Standort, einziehen kann, ist das Hospiz im ehemaligen Kapuzinerhospiz an der Waldstrasse 3 untergebracht. Dieses wird dem Verein «Hospiz St. Gallen» von der Katholischen Kirchgemeinde St. Gallen zur Verfügung gestellt. Von Anfang an war klar, dass es sich dabei um eine temporäre Lösung handelt, ist im «Tagblatt» zu lesen. «Das Angebot läuft gut und die Auslastung ist hoch», sagt Roland Buschor, Geschäftsführer des Hospizes. Das Sterbehospiz wird so lange dort bleiben, bis die Villa Jacob bezugsbereit ist, denn die Eigentümer wollen die Villa Jacob dem Verein «Hospiz St. Gallen» zur Verfügung stellen. Nun liegt auf dem städtischen Amt für Baubewilligungen ein Baugesuch für deren Umnutzung der Villa Jacob auf. Wie aus dem Baugesuch hervorgeht, soll der Bezug des Hospizes voraussichtlich Ende 2019 sein. Aktuell laufen also die Vorbereitungen rund um die Villa Jacob. Ein erster Akt dafür war schon vor eineinhalb Jahren vollbracht worden: Es war ein Spektakel, so das «Tagblatt», als die rund 3600 Tonnen schwere, denkmalgeschützte Villa Jacob auf Reisen ging. Sie wurde in einer fast zehnstündigen Aktion um rund 20 Meter nach vorne verschoben. Gut anderthalb Jahre ist das nun her. Nun sollen die Umbauarbeiten des geschichtsträchtigen Gebäudes im April beginnen. Momentan befindet sich die Villa Jacob noch im Rohbau. «Wenn es keine Einsprachen gibt und wir die Baubewilligungen erhalten, beginnen wir so schnell als möglich», sagt Michael Steiner der Wildegg Immobilien AG. Wann das Sterbehospiz definitiv seinen Betrieb in der Villa Jacob aufnehmen kann, ist indes noch nicht festgelegt.

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«Gab es schon Menschen, die eingeschläfert wurden?» Viertklässler der Grundschule Gardelegen

«Hospiz macht Schule» ist ein Projekt des ambulanten Hospizdienstes und der evangelischen Grundschule im deutschen Gardelegen. Das Projekt läuft eine Woche lang, wie die «Volksstimme» berichtet. Jeder Tag steht unter einem anderen Thema, symbolisiert durch einen Koffer mit Aufkleber. «Werden und Vergehen», war am Montag das Motto, «Krankheit und Leid» am Dienstag. Dann folgten die weiteren Themen «Sterben und Tod», «Traurigsein» und zum Schluss – sehr wichtig: «Trost und Trösten». Die Schüler der vierten Klasse diskutieren ausführlich über Tod und Sterben. Als die Ärztin Dr. Urte Kreissl bei ihnen zu Gast war, prasselte ein wahres Trommelfeuer an Fragen auf die Medizinerin nieder. Die Fachärztin für Innere Medizin und spezialisierte Palliativmedizinerin gab Antworten und erzählte von ihren persönlichen Erfahrungen. «Gab es schon Menschen, die eingeschläfert wurden?» – eine Frage, bei der die Erwachsenen zuerst schmunzelten, dann aber sehr ernst wurden. «Einschläfern sagt man bei Tieren», sagte Urte Kreissl. «Bei Menschen spricht man von aktiver Sterbehilfe. So etwas gibt es in Deutschland nicht.» Sie erzählte, wie in der Nazizeit viele Kranke getötet wurden und dass es wegen dieser Verbrechen in Deutschland voraussichtlich auch in Zukunft keine aktive Sterbehilfe geben werde. Aber sie sprach auch davon, dass bei schwer Kranken, beispielsweise bei Patienten die lange im Koma liegen, manchmal bestimmte Medikamente nicht mehr gegeben oder die Maschinen, die sie am Leben erhielten abgeschaltet würden. Auch dies sei eine Form von Sterbehilfe. Die Kinder nahmen es neugierig und interessiert auf. Sie wollten wissen, was bei Krebs passiert, und lernten, wie die bösen Krebszellen Kinder – Metastasen – bekommen und sich vermehren, ob es Krankheiten gibt, von denen man auf jeden Fall stirbt, ob die Ärztin schon beim Tod eines Menschen dabei war und ob sie auch selbst schon mal krank gewesen sei. Betreut wird das Projekt von einem fünfköpfigen Team zusammen mit Thomas Rehbein, dem Koordinator des ambulanten Hospizdienstes. Er ist begeistert, wie gut die Kinder mitmachen und wie interessiert sie sind.

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«Wenn ich sterbe, werde ich ein Adler.», Keno

Der «WDR» strahlte im Januar den Film «Kenos kurzes Leben – wenn Kinder sterben müssen» in seiner zweiten, erweiterten Fassung aus. Im Frühjahr 2010 traf Menschen «hautnah»-Autor Jan Schmitt den achtjährigen Keno und seine Mutter Karin zum ersten Mal. Wenige Wochen zuvor hat sie die Prognose bekommen: In spätestens drei Jahren soll Keno tot sein. Ihr Kind, das bislang ganz normal lebte, lernte, spielte. Alles fing mit einem Schielen an, dann sanken die Leistungen des Jungen in der Schule. Keno wurde an den Augen operiert, aber sein Zustand verschlechtert sich weiter. Es folgten Untersuchungen und weitere Tests. Schliesslich kam heraus, dass er an «Adrenoleukodystrophie» leidet. Die extrem seltene Erbkrankheit führt dazu, dass Kinder nach und nach nicht mehr sehen, hören und sprechen können. Die aktualisierte Version der Dokumentation «Wenn ich sterbe, werde ich ein Adler», die im Februar 2016 erstmals ausgestrahlt worden war, knüpft da an, wo die erste Fassung aufgehört hatte: Nach dem Tod von Keno. Wie geht es der Mutter, welche sich vorerst darauf verlassen hatte, dass ihr Sohn nur noch drei Jahre zu leben habe, diese Voraussage aber um Jahre überlebt hat? Wie kam sie all die Jahre zurecht und auf welchen Grundlagen fällte sie Entscheidungen, die Kenos Leben beeinflussten? Im Frühling 2018 wird Kenos Urne vor der Küste der Insel Norderney beigesetzt. Die Mutter sagt: «Die Seebestattung ist für Keno der richtige Ort. Er ist hier geboren. Bei strahlendem Sonnenschein. Und er ist jetzt zurückgekehrt, bei strahlendem Sonnenschein. Unbeschreiblich. Ja, ich kann loslassen. Jetzt ist alles so stimmig, alles so rund. Es passt alles. Keno gehört hierher. Dieses Bild des Adlers, des Freiseins – jetzt ist der Kreis rund.»

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Nicht aus Sicht der Mutter, sondern aus Sicht der Tochter hat Monika Pilath ihr Essay «Mama, wir müssen reden»in «Die Zeit» veröffentlicht. In ihren Überlegungen setzt Pilath sich damit auseinander, warum es so schwierig ist, mit den eigenen Eltern über deren Pflege zu sprechen. Sie schreibt davon, wie herausfordernd es ist, den richtigen Moment zu erwischen, die Eltern auf ihre mögliche Pflegebedürftigkeit anzusprechen. Und auch darüber, wie es schmerzt, schon wieder einen solchen Moment verpasst zu haben. «Im Freundeskreis hatte ich die Fragen, die ich stellen wollte, längst diskutiert. Das Thema drängte sich immer öfter in die Gespräche, seit ich die 40 überschritten hatte. Plötzlich ging es beim Feierabendbier auch um Inkontinenz und Demenz, Pflegequalität und Pflegestufen. Und vor allem um unsere Angst davor, mit unseren eigenen Eltern über deren Pflege zu reden. Warum ist das so? Es ist doch völlig klar, dass Mama und Papa irgendwann Hilfe brauchen, auch bei den scheinbar einfachen Dingen des Alltags. Beim Aufstehen, beim Anziehen, beim Waschen, beim Einkaufen, beim Putzen, beim Kochen, beim Wäschewaschen, bei der Steuer, beim Begleichen von Rechnungen. Warum schweige ich? Ich habe doch sonst keine Scheu, meine Meinung zu sagen. Persönliches zu fragen. Aber Pflege? Warum ist es so verdammt schwer, darüber mit Mama zu reden?» Gegliedert in fünf Gedanken, legt Monika Pilath ihr Inneres nach aussen, macht öffentlich, was wohl vielen auch am Herzen liegt: «Erster Gedanke: Das ist der Schlusspunkt meines eigenen Kindseins.» über «Dritter Gedanke: Kinder aufzuziehen heisst, Menschen ins Leben zu begleiten. Es ist eine Anstrengung, die beflügelt. Eltern zu pflegen heißt, sie in den Tod zu begleiten.» bis zu «Unsere Eltern werden alt und gebrechlich und brauchen unsere Hilfe. Es kann schmerzhaft sein, über Erwartungen zu sprechen, über Wünsche, Ängste, Hoffnungen. Schmerzhafter ist es, dies nicht zu tun.»

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Dreizehn Jahre lang bewegten sich die Zahlen in eine Richtung: nach oben. «Weniger lebensmüde Schweizer: das Ende des Sterbehilfe-Booms – eine Alternative wird beliebter» titelte die «Limmattaler Zeitung» und schrieb, dass Jahr für Jahr mehr Leute, die in der Schweiz wohnten, ihr Leben mit den Diensten von Sterbehilfeorganisationen beendeten. Nun sei die Zahl zum ersten Mal nicht mehr angestiegen. Im Jahr 2003 erreichten die assistierten Suizide eine Grössenordnung, die sie für das Bundesamt für Statistik relevant machten. Erstmals wurden sie in einer eigenen Kategorie erfasst. Damals nahmen sich 187 Menschen mit Wohnsitz in der Schweiz mit der Hilfe einer Freitodorganisation das Leben. In den darauffolgenden dreizehn Jahren fand eine Verfünffachung statt. Im Jahr 2015 starben 965 Personen, indem sie einen Giftbecher einer Freitodorganisation tranken oder eine zur Verfügung gestellte Infusion aufdrehten. Doch nun haben die Statistiker einen Knick in der Kurve festgestellt. Zum ersten Mal seit dem Beginn der Statistik sind die assistierten Suizide zurückgegangen: auf 928 Fälle. Es handelt sich um eine Reduktion von vier Prozent gegenüber dem Vorjahr. Die neusten Zahlen stammen von 2016. «Der Exit-Vorstand nennt als einen der Gründe für den Rückgang die besser ausgebaute Palliativmedizin», ist im Artikel festgehalten. Monika Obrist, Präsidentin von palliative ch, weist darauf hin, dass das Palliative-Care-Angebot in den vergangenen fünf Jahren schweizweit in allen Leistungsbereichen ausgebaut worden sei. Viele Leute hätten dadurch gemerkt, dass es diverse Möglichkeiten gebe, das Leben trotz Krankheit mit hoher Lebensqualität zu gestalten. «Man muss weder leiden bis zum Ende noch das Ende selber aktiv herbeiführen», sagt sie. Deshalb gehe sie davon aus, dass die Zahl der assistierten Suizide nicht mehr ansteigen und sich auf dem heutigen Niveau einpendeln werde.

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Während Palliative Care immer besser in der Grundversorgung verankert ist und sich gut etabliert hat, bilden sich auf der anderen Seite neue Forderungen rund um das Thema «Patientenautonomie». Nüchtern betrachtet gehört auch der Wunsch und die Ausführung des assistierten Suizids zur Autonomie. Die «Basellandschaftliche Zeitung» berichtete, dass Baselbieter Politiker Druck auf Spitälern und Heimen machten, so dass diese mit Sterbehilfeorganisationen kooperieren müssten. Was in den Westschweizer Kantonen Waadt, Neuenburg und Genf schon Tatsache ist, könnte nun in Baselland folgen: Dass Spitäler und Pflegeheime gesetzlich verpflichtet werden, Sterbehilfsorganisationen Zugang zu ihren Räumlichkeiten zu gewähren. Nun könnte Baselland als erster Deutschschweizer Kanton dem Westschweizer Vorbild folgen. Die Sicherheitsdirektion (SID) erarbeitet derzeit eine Vorlage zur im Juni 2018 überwiesenen Motion. Die Motion fordert, gesetzliche Grundlagen zu schaffen, um Sterbehilfsorganisationen an den Kosten der vorgeschriebenen strafrechtlichen Untersuchungen eines jeden Falles zu beteiligen. In Basel-Stadt gab es die politische Debatte bereits: Im Herbst 2015 scheiterte eine Motion mit nur einer Stimme Unterschied. Das Basler Gesundheitsdepartement hält auf Anfrage der «Basellandschaftlichen Zeitung» fest, dass «wir nach wie vor dagegen sind, Heime oder gar Spitäler zu zwingen, Sterbeorganisationen im Haus tätig werden zu lassen». Auch die Gesundheits-Institutionen selbst sind skeptisch. «Das Kantonsspital Baselland anerkennt und respektiert, wenn schwerkranke Patienten ohne Aussicht auf Heilung den Wunsch nach assistiertem Suizid äussern», schreibt das KSBL zwar. Aber man verstehe sich primär als Institution, die die Gesundheit ihrer Patienten wiederherstellen wolle. Eine interne Ethik-Richtlinie halte deshalb fest, dass am KSBL grundsätzlich keine Suizidbeihilfe geleistet werde. Der Fokus liege auf palliativer Pflege.

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«Es ist nicht Teil der ärztlichen Tätigkeit zu töten.», Jürg Knessl, Arzt und Ethiker

Ende Januar führten die «Schaffhauser Nachrichten» ein Interview mit dem Arzt und Ethiker Jürg Knessl. Der orthopädische Chirurg setzte sich darin engagiert für einen sehr differenzierten, sprachlichen Umgang im Zusammenhang mit assistiertem Suizid ein. Auf die Frage, ob eine terminale Sedation nicht human sei, antwortete er: «Doch, sehr – aber auch wieder stark aktiv. Wenn die Gesellschaft dieses Vorgehen will, ist das als aktive Sterbehilfe diskutabel. Was wir aber derzeit erleben, ist eine Vermischung und eine schleichende Gleichsetzung mit der klassischen Sterbehilfe: Sterbehilfe war lange die «Hilfe beim Sterben» und nicht die «Hilfe zum Sterben», wie der Begriff zunehmend interpretiert wird. Wenn wir verhindern, dass eine sterbende Person erstickt oder unter Schmerzen einen qualvollen Tod erleidet, ist das etwas anderes, als wenn wir kranken Personen die Möglichkeit des Suizids bieten. Das ist nicht Sterbehilfe, sondern die Ermöglichung des Todes als Lösung.» Für ihn sei diese Differenzierung so wichtig, «weil dieser Unterschied nicht verwischen darf, sonst gehen wir wie in den Niederlanden dazu über, auch schwer psychisch beeinträchtigte Personen zu töten, die zwar behandelt werden könnten, aber leiden. Wenn wir den Suizid zum Kardinalsweg aus dem Leben erheben, verhindern wir damit zugleich, dass die Forschung in diesem Bereich vorangetrieben wird.» Würde ein Patient ihm gegenüber seinen Sterbewunsch äussern, so gilt für Knessl diesen ausdrücklichen Wunsch des Patienten auf jeden Fall zu respektieren. Dies im Hinblick und im Einklang mit den geltenden Vorgaben der FMH bezüglich Patienten, die an einer schweren, unheilbaren Krankheit leiden und bei denen der Tod nahe ist. Aber: «Die aktive Sterbehilfe möchte ich nicht leisten, wie es auch die FMH-Standesordnung vorsieht. Es ist nicht Teil der ärztlichen Tätigkeit zu töten.»

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«Swissinfo» veröffentlichte in seiner Rubrik «Standpunkte» zuerst die Meinung des Schweizer Autors Matthias Ackeret «Die Sterbehilfe in der Schweiz ist längst ausser Kontrolle». Als Antwort auf Ackerts Standpunkt publizierte «Swissinfo» wenige Tage später die Haltung von Jürg Wiler, Verantwortlicher bei «Exit». Dieser sagte: «Sterbehilfe: Die Zahlen sprechen für die Seriosität der Organisationen». Ackeret beschrieb vorerst, wie es überhaupt möglich wurde, in der Schweiz Sterbehilfe zu leisten: «Sterbehilfe – oder Freitodbegleitung – wie sie die beiden grossen Sterbehilfeorganisationen Exit und Dignitas praktizieren, ist eine Schweizer Eigenheit und ist nur dank des Strafgesetzbuchartikels 115 StGB möglich. Nach diesem wird Suizidhilfe ausschliesslich bestraft, wenn sie «aus selbstsüchtigen Beweggründen» erfolgt. Fehlen diese, bleibt der Helfende straflos. Gemeint sind ethische, humane und vor allem nicht kommerzielle Gründe. Diese Bestimmung, die vor achtzig Jahren ins Schweizer Strafgesetzbuch aufgenommen wurde, widerspiegelt den damaligen Zeitgeist. Damit wollte der Gesetzgeber jene Taten von der Strafverfolgung ausnehmen, «die für alle Teile nur Gutes wirken». Beispielsweise wenn ein Freund einem Offizier, der wegen eines «gemeinen Verbrechens» in die Untersuchungshaft musste, eine Pistole in die Zelle brachte, damit sich dieser selber richten kann.» Aus Ackerets Untersuchungen geht hervor, dass 2017 Exit 734, die «Konkurrenzvereinigungen» Dignitas 222 und Eternal Spirit 73 Menschen in den Tod begleiteten. «Über den Daumen gepeilt: Täglich starben also in der Schweiz fast drei Personen durch Freitodbegleitung. Tendenz steigend. Ganz banal gefragt: Ist das normal? Oder anders formuliert: Ist die Sterbelust im reichsten Land der Erde wirklich so hoch? Viel höher als in ärmeren Ländern?» Jürg Wiler hält in seiner Replik fest: «Zu den Fakten aus Sicht der grössten Suizidhilfeorganisation der Schweiz: Freitodbegleitungen in der Schweiz finden nicht in einem rechtsfreien Raum statt. Gemäss Strafgesetzbuch ist die Freitodbegleitung erlaubt, sofern sie nicht aus selbstsüchtigen Gründen erfolgt. Das Schweizerische Bundesgericht hat in einem Entscheid weiter festgelegt, welche Voraussetzungen erfüllt sein müssen, damit eine Begleitung zulässig ist. So muss ein Arzt die Urteilsfähigkeit bei jedem Fall schriftlich bestätigen. Der Sterbewunsch ist dann autonom, wenn er unbeeinflusst von Dritten oder unter Druck gefasst worden ist. Zudem sollen die Bedingungen der Wohlerwogenheit und Konstanz sicherstellen, dass der Entscheid durchdacht ist und nicht das Resultat einer momentanen depressiven Verstimmung oder Krise. Hoffnungslose Prognose, unerträgliche Beschwerden oder unzumutbare Behinderung sind Bedingungen, die nicht gesetzlich vorgeschrieben sind, sondern die «Exit» selber in die Statuten aufgenommen hat.»
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