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Medienschau Januar 2021

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Die Medienschau von palliative zh+sh gibt Einblick in die Berichterstattung zu Palliative Care und verwandten Themen des vergangenen Monats. (Bild: gme)

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Die Medienschau ist eine Momentaufnahme eines Ausschnittes der öffentlichen Diskussion zum Thema und bietet kurze Zusammenfassungen, zeigt Verknüpfungen auf und soll nicht zuletzt unterhalten und zur weiteren Lektüre der besprochenen Beiträge anregen. Wo vorhanden werden die Links zu den Beiträgen deshalb unter «Links zu den Beiträgen» aufgelistet.

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12. Februar 2021 / Medien
Reden wir wegen Corona nicht nur über die hohen Fallzahlen, die vielen Verstorbenen, sondern auch über das eigene Sterben? Es ist eine Frage, die zahlreichen Medien im Januar aufnahmen. Durch diese Auseinandersetzung bekommt das Sterben zu Hause, das sich viele wünschen, einen grösseren Stellenwert und damit verbunden auch die Palliative Care. Nur muss letztere nicht nur finanzierbar, sondern auch für alle erreichbar sein. Zum Beispiel auch für gehörlose Menschen.
Die Alters- und Pflegeinstitutionen sind - wir wissen es - von Corona besonders stark betroffen. Entsprechend ist das Pflegepersonal immens gefordert. Im Frühling startet die Palliative Care des GZO Spitals Wetzikon das Projekt «Palliative Care in Heimen», das zwar bereits vor der Pandemie lanciert wurde, nun aber zur richtigen Zeit kommt, um die Pflegekräfte in Langzeitinstitutionen zu unterstützen. Rund 20 Prozent der Bewohnerinnen und Bewohner kommen am Lebensende in Krisensituationen und sind von starken Schmerzen, Atemnot oder anderen Leiden betroffen, schreibt der «Zürcher Oberländer» in einem Artikel. In solchen Situationen brauche es Spezialisten, und das rund um die Uhr. Mit dem Projekt «Palliative Care in Heimen» will man diese Versorgungslücke durch die Kooperation mit dem spezialisierten Palliative-Care-Team GZO nun schliessen. In einer ersten Phase sollen nun Leistungsangebote erarbeitet werden, wie etwa Schulungen, damit die Pflegeheime in der Lage sind, die allgemeine Palliative Pflege weitgehend selbst abzudecken. «Zusätzlich werden Indikationskriterien aufgestellt, wenn es angezeigt ist, ein spezialisiertes Palliative-Care-Team beizuziehen», so Projektleiter Kurt Schildknecht. Die allgemeine Pflege in den Heimen werde dabei nicht in Frage gestellt, betont Andreas Weber, ärztlicher Leiter Palliative Care am GZO Spital. Vielmehr gehe es um besonders schwierige Situationen, die dank gezielten punktuellen Einsätzen von spezialisierten Teams gut gemeistert werden können.

Der Haken dabei ist, dass der Einsatz eines Palliative-Care-Teams in Pflegeheimen finanziell nicht geregelt ist. Deshalb sollen die bestehenden Leistungsverträge mit den Gemeinden der spezialisierten Palliative Care zu Hause auf die Pflegeheime ausgeweitet werden, da die von Krankenkasse und Gemeinden entrichtete Pauschale bei Heimbewohnenden nicht reicht. Gemäss Weber würde es Sinn machen, wenn diese Zusatzkosten von den Kassen und allenfalls vom Kanton mitfinanziert würden.

Gossau, Bäretswil, Pfäffikon, Wald und Rapperswil-Jona haben sich bereit erklärt, die Kosten für die Einsätze in Pflegeheimen zu übernehmen. Und obwohl in drei Vierteln der Heime die Finanzierung nicht geregelt ist, rückt das spezialisierte Team dennoch aus. Die Gesamtkosten für diese Einsätze belaufen sich auf rund 80'000 Franken. Dabei will die Andreas-Weber-Stiftung den Ertragsausfall im vergangenen Jahr von 60'000 Franken übernehmen. Damit wolle man sich bei den 22 Gemeinden und Städten bedanken, die bereits die kostendeckende Finanzierung der Palliative Care zu Hause seit drei Jahren ermöglichen, sagt Stiftungsgründer Andreas Weber. Im nächsten Frühling soll das Projekt in die Pilotphase gehen. Es bleibt zu hoffen, dass dieses Beispiel im ganzen Kanton Schule machen wird.


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Auch die Stadt Illnau-Effretikon soll im Alterszentrum Bruggwiesen ein Palliative-Care-Angebot aufbauen. Das verlangt die SP-Gemeinderätin Brigitte Röösli mit einer Motion. Wie wichtig Palliative Care sei, habe zuletzt die zweite Corona-Welle gezeigt. Betagte und fragile Menschen hätten kaum eine Chance auf einen Platz auf einer Intensivstation, wenn die Kapazitäten knapp würden, heisst es im Artikel, der ebenfalls im «Zürcher Oberländer» erschienen ist. Wenn Bewohnende von Pflegeinstitutionen an Covid erkrankten und auf eine Spitaleinweisung verzichteten, sei bei einer Behandlung in einem Altersheim eine gute Palliative Care zwingend notwendig, argumentiert Röösli, die in ihrer Funktion als Kantonsrätin bereits auf kantonaler Ebene einen Vorstoss mit ähnlichem Inhalt eingereicht hat. In Illnau-Effretikon hat bisher einzig die Spitex Kempt Vereinbarungen mit ambulanten Palliativteams abgeschlossen, das Alters- und Pflegezentrum Bruggwiesen jedoch nicht. Nun soll der Stadtrat die dafür nötigen Grundlagen schaffen.

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In die gleiche Richtung gehen die Forderungen der neuen Präsidentin des Dachverbands Schweizer Patientenstellen, Flavia Wasserfallen. Sie will erreichen, dass Palliativbetreuung in Heimen besser unterstützt wird. «Für jene Betagten, die im Falle einer Erkrankung auf Intensivmedizin verzichten, muss eine gute palliative Begleitung sichergestellt sein», sagt die SP-Nationalrätin im Interview mit dem «Zürcher Unterländer» (Artikel kostenpflichtig). Auf die Frage, ob derzeit nicht die Gefahr bestehe, dass Betagte aus gesellschaftlichem Druck auf Spitalbehandlungen insbesondere Intensivpflege verzichten, antwortet sie: «Das ist ein grosser Prüfstein für unsere Gesellschaft. Wir müssen uns dazu bekennen, dass jedes Leben gleich viel Wert hat.» Durch die Pandemie sei der Informationsbedarf der Patientinnen und Patienten nochmals gestiegen. Wichtig sei der Klärungsbedarf bei Patientenverfügungen. «Viele wollen wissen, wie sie ihr Selbstbestimmungsrecht ausüben können.» Zudem stellten die Patientenstellen fest, dass auch während der zweiten Welle Behandlungen ausgesetzt würden, obwohl im Gegensatz zur ersten Welle kein Behandlungsstopp verhängt worden sei.
«Bei Patienten, die beatmet werden müssen, musste es oft sehr schnell gehen. Das ist eine Notfallsituation, in der man keine Zeit hat, über die grossen Fragen des Lebens nachzudenken.» Sandra Eckstein, Palliativmedizinerin

An vorderster Covid-Front dabei sind die beiden Palliativmedizinerinnen Tanja Fusi-Schmidhauser und Sandra Eckstein. Während Fusi-Schmidhauser in Lugano bereits vor einem Jahr erste Patientinnen und Patienten betreute, orientierte sich Sandra Eckstein, Leiterin der Palliativabteilung des Universitätsspitals Basel, an den Erfahrungen ihrer Kollegin im Tessin, als das Virus in Basel ankam. Die Verläufe der Krankheit hätten sie überrascht und hätten den Alltag komplett verändert, sagt Fusi-Schmidhauser im Doppel-Interview mit der «NZZ». «Es gab bei uns im Spital in Lugano einen Tag, an dem vier Patienten innerhalb von zwei Stunden gestorben sind. Wir haben sie am Vormittag noch gesehen, und am Mittag waren sie tot.» Eckstein ergänzt, dass vielen Erkrankten keine Zeit blieb, sich mit dem Tod auseinanderzusetzen. Die Basler Palliativärztin erinnert sich an eine betagte Frau, deren Zustand sich rasch verschlechterte, die Patientin nahm das mit grosser Gelassenheit hin. «Für sie war wichtig zu wissen: Ich bin betreut, ich bin versorgt. Meine Angehörigen können Abschied nehmen, die Seelsorge kommt zu mir.» Doch es habe auch hochbetagte Patienten gegeben, die über Wochen auf der Station waren und viel Zeit hatten nachzudenken. «Bei Patienten, die beatmet werden müssen, musste es oft sehr schnell gehen. Das ist eine Notfallsituation, in der man keine Zeit hat, über die grossen Fragen des Lebens nachzudenken.»

Als grösste Herausforderung im Sterbeprozess nennt Fusi-Schmidhauser die psychosoziale Betreuung und die Kommunikation.
In Bezug auf die Triagierung machen sich die beiden Ärztinnen viele Gedanken. «Wir versuchen, gemeinsam mit den Patienten und den Angehörigen zu besprechen, welche Therapien sinnvoll sind. Wir überlegen, was ein Patient nach der Behandlung womöglich für eine Lebensqualität hat und ob sie für ihn angemessen wäre», sagt Tanja Fusi-Schmidhauser. Es gebe Patienten, die sagten: «Ich habe mein Leben gelebt, ich möchte nicht zwei Monate auf die Intensivstation.» Selbst wenn sie Aussichten hätten, sich von der Krankheit zu erholen. Andere wollten unbedingt jede Behandlung, einfach, weil sie leben möchten. Sandra Eckstein hält der aktuellen Diskussion in den Medien und der Öffentlichkeit über zu wenige Betten entgegen, indem sie offene und wertschätzende Gespräche mit den Betroffenen führt. «Dann komme es meistens gut. Ich frage ja nicht: «Finden Sie Ihr Leben noch lebenswert?» Viele Menschen spüren selbst sehr gut, was das Richtige für sie ist in diesem Moment.»
«Unsere Gesellschaft ist bestrebt, auch das Sterben effizient zu erledigen, als wäre es eine Aufgabe, die es abzuhaken gilt». Kommentar in der «NZZ»

Hilft die Corona-Pandemie, dass Tod und Sterben wieder mehr Platz haben in unserem Alltag? Dafür plädiert ein Kommentar, der ebenfalls in der «NZZ» erschienen ist. Die Pandemie entlarve, wie unsere Gesellschaft mit dem Tod umgehe: In den Medien sei er omnipräsent, doch den natürlichen Umgang mit dem Sterben und das Trauern hätten wir verlernt. «80 Prozent der Schweizerinnen und Schweizer sterben heute hinter den Mauern von Spitälern und Alters- und Pflegeheimen. Verstorbene werden so rasch und so unauffällig wie möglich weggebracht. Ihr Zurechtmachen delegieren wir an Bestattungsinstitute. Unsere Gesellschaft ist bestrebt, auch das Sterben effizient zu erledigen, als wäre es eine Aufgabe, die es abzuhaken gilt», prangert die Autorin den Umgang mit Sterben und Tod an. Die massiv gestiegene Lebenserwartung und die Fortschritte in Medizin und Technik vermittelten das Gefühl, der Tod sei auf unbestimmte Zeit hinausschiebbar. Etwas, was einem Unfall, einem Versagen der Medizin gleichkomme.

Um einen Weg zurück zu einem natürlicheren Umgang zu finden, rät sie zu einem ersten Schritt: einer Patientenverfügung, um den Tod zu enttabuisieren und mit Freunden und Familie über die eigenen Vorstellungen des Lebensendes zu sprechen. Auch dem medizinischen Personal schreibt sie eine klare Rolle zu. Diese sollten sich von der Vorstellung distanzieren, dass eine Lebensverlängerung stets im Vordergrund stehen muss, sondern dass sie das Gespräch mit schwererkrankten Patienten suchen und den nahenden Tod ansprechen. In dieser Rolle sieht sie auch die Seelsorgenden. Das Reden darüber helfe, den Tod als so natürlich anzunehmen wie eine Geburt.

«Das Sterben konfrontiert uns damit, dass wir nicht alles im Griff haben können.» Monika Obrist, Geschäftsleiterin palliative zh+sh

Gleich in zwei Hörformaten kam pallnetz-Geschäftsführerin Monika Obrist im Januar vor. Einmal in einem Beitrag von «Radio Top», der wie im vorher erwähnten Kommentar die vermehrte Auseinandersetzung mit Sterben und Tod thematisiert. «Das Sterben konfrontiert uns damit, dass wir nicht alles im Griff haben können», sagt sie im Interview. Zumindest zu Beginn sei es schwierig, offen darüber zu sprechen. Doch: «Je konkreter man für sich die verschiedenen Möglichkeiten durchdenkt, desto weniger erschreckend ist es.» Palliative Care habe viele Möglichkeiten zur Symptomkontrolle, dass niemand an Schmerzen, Angst oder Atemnot leiden müsse. Das seien die medizinischen Möglichkeiten. Daneben seien auch die psychischen und therapeutischen Angebote wichtig, «aber», sagt Obrist, «genau in dem Mass, wie sich das jeder und jede wünscht.»

Zu Gast war Monika Obrist auch in der zweiten Folge des neuen Podcastformats «Das letzte Stündchen», das wir in der letzten Medienschau vorgestellt haben. Im knapp einstündigen Gespräch mit Gastgeberin Elena Ibello erzählt die gelernte Pflegefachfrau und langjährige Spitex-Leiterin, wie sie mit der Aussicht auf ihr eigenes Sterben umgeht. Sie, die so viele Menschen beim Sterben begleitet hat, müsste ja eigentlich angstfrei und gänzlich abgeklärt sei. Doch das ist sie nicht, sondern im Gegenteil ist auch für sie noch sehr viel offen. Es betrübe sie nicht, dass sie letztlich vieles nicht verstehen könnte. Sie lebe mit offenen Fragen, statt fertigen Antworten. Und genau das sei spannend.


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Da glaubt man, schon ganz vieles über Palliative Care zu wissen und ist überzeugt, dass es mit viel gutem Willen und der endlich geordneten Finanzierung für jeden Menschen möglich sei, Palliative Care in Anspruch zu nehmen, da stösst man auf eine ganz andere Problematik: Wie können gehörlose Menschen in einer schweren Erkrankung und in ihrer letzten Lebenszeit begleitet werden? Auf der Online Plattform «Informationsdienst Wissenschaft» wird ein Projekt der bayerischen Hochschule Landshut in Zusammenarbeit mit dem Krankenhaus Achdorf vorgestellt, das die Palliativversorgung gehörloser Menschen verbessern will. Denn: Die Isolation von Gehörlosen im Alltag, erstrecke sich auch auf Krankenhäuser, die die in der Regel nicht an die besonderen Bedürfnisse gehörloser Menschen angepasst seien. Auch der letzte Lebensabschnitt bleibe ein Weg der Isolation: Die wenigsten Fachkräfte für Gesundheits- und Krankenpflege würden die Gebärdensprache oder seien geschult im Umgang mit gehörlosen Menschen.

Das will das Projekt «Deaf Pal – Kommunikation in der Palliativversorgung gehörloser Menschen» nun ändern. Es beinhaltet Lösungsansätze für die allgemeine Aufklärungsarbeit bei gehörlosen Menschen und deren Angehörigen, Vorschläge für eine angepasste technische Infrastruktur und die Schulung des medizinischen Personals. Konkret strebe man an, Materialien für gehörlose Menschen und Versorgende im Krankenhaus zu erarbeiten sowie ein Schulungsmodul (primär für medizinisches Fach- und Pflegepersonal) zu entwickeln, wird eine der leitenden Medizinerinnen des Projekts zitiert. Es beginnt mit kleinen Dingen wie der telefonischen Terminvereinbarung oder dem Aufruf im Wartezimmer: Für gehörlose Menschen eine Herausforderung, die ohne Gebärdendolmetscherinnen oder Angehörige nicht zu meistern ist. «Und genau hier knüpft unser Projekt Deaf Pal an. Wir wollen miteinander daran arbeiten, dass im Bereich der Palliativmedizin auch Gehörlose auf ihrem letzten Lebensweg Beachtung finden und wir die Lebenssituation in diesem Stadium verbessern.» Das Bayerische Staatsministerium für Wissenschaft und Kunst finanziert dieses Projekt mit 250’000 Euro.

«Entscheidend ist, das eigene Leben zu leben. Nicht eines, das irgendwie so passiert ist.» Stefan Weiler, Autor

Das Interview zum Schluss ist wie eine Zusammenfassung aller Themen, die im Monat Januar wichtig waren. Es gebe beim Tod keinen zweiten Versuch, sagt Autor Stefan Weiller im Gespräch mit dem «Stern». Wer nicht Abschied nehmen konnte, kann es nicht mehr nachholen. Weiller hat für seine Bücher «Letzte Lieder» und «Letzte Liebeslieder» Menschen in Hospizen besucht und mit ihnen darüber gesprochen, was wichtig ist, wenn der Tod immer näher rückt. Dabei sei Vergebung ganz entscheidend, von aussen und sich selbst gegenüber. «Die Erkenntnis, dass im Leben nicht alles gelingen kann, dass man nie alles erreichen kann – und trotzdem ist es möglich, am Ende zu sagen: Es war doch okay.» Es sei wichtig, dass man vor dem Tod sich und anderen verzeihen könne – und dass irgendwann ein Einvernehmen bestehe, dass die Dinge des Lebens so sind, wie sie sich entwickelt haben. Zum Tod in Corona-Zeiten sagt Weiller, dass jeder zu den Bedingungen seiner Zeit sterbe. Der Abschied laufe jetzt für viele sehr reduziert ab. Zwar lasse sich körperliche Nähe nicht durch das Virtuelle ersetzen. Doch er stelle eine grosse Bereitschaft fest, sich auf neue Medien und neue Formen einzulassen. Und die Gesprächsqualität verändere sich: «Vor Mikrofon und Kameralinse ist alles sehr direkt und prompt, man kann nicht mehr schweigen. Nicht nur das Miteinander-Reden ist wichtig, auch das Miteinander-Schweigen. Für viele Familien ist das ein Stressfaktor.»

Weiller versteht, dass Schutzmassnahmen für Pflegepersonal und Patienten getroffen werden müssen. Doch gebe es auch betagte Menschen, die sagten: «Ich bin jetzt 90, wovor will man mich noch schützen?» Gerade in der Frühphase der Pandemie hätten viele Tragödien und Traumata stattgefunden, weil keine Abschiede möglich waren. «Ziel muss es sein, dass niemand isoliert sterben muss. Es ist wichtig, dass jeder zu seinem sterbenden Angehörigen gehen kann. Dazu müssen wir Wege finden und offenhalten.»

Der deutsche Autor und Regisseur hat selbst erlebt, wie es ist, wenn kein Abschied möglich ist. Seine Mutter starb über Nacht an einem Herzinfarkt. Sie rief ihn am Vortag an, doch er hatte gerade keine Zeit, mit ihr zu sprechen. Als er am nächsten Tag anrief, war sie bereits tot. «Ich musste es anzunehmen lernen», sagt er, auch wenn das hart klinge. «Das ist meine sehr persönliche Erfahrung mit einem Abschied, den ich mir anders gewünscht hätte.» Und auch etwas anderes hat er gelernt, als er eine 40-Jahre-alte Frau kurz vor ihrem Tod zu einem Gespräch traf. Sie stellte ihm drei Fragen: «Gibt es Orte, die Sie sehen wollen? Dann reisen Sie hin. Hassen Sie Ihren Job? Dann kündigen Sie. Gibt es Menschen, die Ihnen nicht guttun? Dann trennen Sie sich. Diese Begegnung habe ihn dazu gebracht, seinen Job zu kündigen, sich aus belastenden Beziehungen zu lösen und sich auf Kunst- und Kulturprojekte zu konzentrieren. «Entscheidend ist, das eigene Leben zu leben. Nicht eines, das irgendwie so passiert ist.»
palliative zh+sh, Gabriela Meissner