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Medienschau Juli 2020

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Die Medienschau von palliative zh+sh gibt Einblick in die Berichterstattung zu Palliative Care und verwandten Themen des vergangenen Monats. (Bild: gme)

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Die Medienschau ist eine Momentaufnahme eines Ausschnittes der öffentlichen Diskussion zum Thema und bietet kurze Zusammenfassungen, zeigt Verknüpfungen auf und soll nicht zuletzt unterhalten und zur weiteren Lektüre der besprochenen Beiträge anregen. Wo vorhanden werden die Links zu den Beiträgen deshalb unter «Links zu den Beiträgen» aufgelistet.

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07. August 2020 / Medien
Nicht überall wurde einsam gestorben während der Hoch-Zeit der Pandemie. Vielerorts auf Palliativstationen und anderswo fanden die Verantwortlichen pragmatische und entgegenkommende Lösungen. Gleichwohl sorgt das strenge Besuchsverbot in Langzeitinstitutionen zu ersten politischen Anfragen. Es braucht Antworten, aber vor allem braucht es sichere und verträgliche Konzepte für die kommende Zeit. Unser Blick auf die Medien im Juli.
Wie starben Menschen in den Zeiten des Besuchsverbots? Waren sie einsam, durften ihre Angehörigen sie nochmals in die Arme nehmen? Diese Fragen stellt sich die Autorin eines berührenden Artikels im «Beobachter», während sie sich gleichzeitig an das Sterben ihrer Schwester erinnert, die vor drei Jahren mit 32 an Darmkrebs verstarb. In diese Rückschau flicht sie die verschiedenen Stationen ein, die mit der Erkrankung ihrer Schwester verbunden sind, besucht sie noch einmal und befragt die Verantwortlichen, wie sie mit dem Besuchsverbot umgingen. Beispielsweise die Palliative-Care-Station am Kantonsspital Olten. Der dortige Leiter, Manuel Jungi, räumt gleich mit Vorurteilen auf: «Die Leute kommen nicht nur zum Sterben hierher, wir kämpfen gegen diesen Ruf. Man darf hier sterben, man kann gut bei uns sterben. Aber eigentlich möchten wir unsere Patienten so weit stabilisieren, dass sie wieder nach Hause oder in ein Heim gehen können. Und etwa in der Hälfte der Fälle gelingt dies auch.» Angehörige einzubeziehen, sei sehr wichtig, so Jungi. «Oftmals haben sie eine beruhigende Wirkung, und wir müssen viel weniger Medikamente einsetzen.» Deshalb hätten viele auf der Station trotz dem allgemeinen Verbot Besuche erhalten dürfen.
«Corona kommt und geht. Aber der Abschied von einem Menschen, der in eine andere Welt geht, muss unbedingt sein.» Nina Artinger-Reis, Ärztin

Auch im Universitätsspital Zürich wurde das Besuchsverbot meist erst dann ausgesetzt, wenn der Tod in Stunden bis Tagen erwartet wurde. Jemandem zu sagen, er dürfe nicht zu Besuch kommen, sei eine schwere Entscheidung, die im Team gefällt werde. «Aber mit jedem Besucher gehen wir ein gewisses Risiko ein, einen Krankheitserreger reinzulassen, der das Personal und andere Patienten gefährdet.» Die konkreten Regeln hätten sich immer wieder etwas verändert, sagt auch Christine Rosch, Pflegeexpertin der Intensivstation des Universitätsspitals Zürich. «Aber uns war von Anfang an sehr wichtig, dass Patienten nicht allein sterben und Angehörige noch Abschied nehmen können von ihren Lieben.» Eine weitere Station: die onkologische Abteilung der Klinik Arlesheim. «Corona kommt und geht. Aber der Abschied von einem Menschen, der in eine andere Welt geht, muss unbedingt sein, sagt die dortige Ärztin Nina Artinger-Reis. Die Angehörigen brauchten den Abschied, und der Mensch, der geht, brauche um sich herum Menschen, die ihn lieben. Sie sei erleichtert, kommt die Autorin nach allen besuchten Stationen zum Schluss, dass Besuche bei Sterbenden trotz Corona möglich sind. Gleichzeitig sei sie ich dankbar, dass ihre Schwester nicht hier und jetzt im Sterben liege und entscheiden müsse, wer von ihren Liebsten sie bis zuletzt besuchen dürfe.

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Nicht allein sein zu müssen, das sei ein wichtiger Wunsch bei vielen Sterbenden, sagt Heike Lander, die als Sterbeamme Trauernde und Menschen am Ende ihres Lebens begleitet. Ein weiterer wichtiger Punkt sei Schmerzfreiheit. Das sei mit Palliativmedizin möglich, sagt sie im Interview mit dem «Südkurier». Viele «Reisevorbereitungen» könne man frühzeitig treffen, indem man Vollmachten oder Verfügungen erstellt und mit den Angehörigen bespreche, wie man sich das Lebensende vorstellt. Lander erlebt oft, dass Krankheit und Tod Familien sprachlos macht. «Da ist ein rosa Elefant im Raum, und es wird über ihn geschwiegen.» Die Sterbeamme berät auch Unternehmen zum Umgang mit Krankheit, Trauer und Tod und erarbeitet mit ihnen betriebliche Trauermanagements. Viele Firmen seien nur ungenügend vorbereitet, in solchen Situationen richtig zu reagieren, wenn beispielsweise Angehörige erkranken, Mitarbeitende sterben oder weibliche Angestellte eine Fehlgeburt erleiden.

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Das Besuchsverbot während vieler Wochen in Alters- und Pflegeheimen zeigt auch politische Auswirkungen, wie die «Aargauer Zeitung» berichtet. In den ersten Wochen des Lockdowns regte sich kaum Widerstand, erst nach und nach zeigte sich, wie sehr das Kontaktverbot den Bewohnerinnen und Bewohnern zu schaffen machte. Das sah auch die Aargauer FDP-Grossrätin und Apothekerin Martina Sigg so. «Mit dem Besuchsverbot konnten Risikogruppen geschützt werden», wird sie im Artikel zitiert. Ausserdem sei zu Beginn der Pandemie das Schutzmaterial knapp gewesen. «Es war durchaus sinnvoll, dieses für die Mitarbeitenden zu sparen.» Bei allem Verständnis will die Politikerin nun aber wissen, ob derart einschneidende Massnahmen wirklich nötig waren. In ihrem Umfeld erlebte sie, wie ein Patient sich nach einer grossen Operation nicht richtig erholt hatte und immer schwächer wurde. Mehr als einen Monat musste er auf einen Besuch seiner Liebsten warten. Erst als er im Sterben lag, durfte er sie nochmals sehen. Sigg fordert nun vom Regierungsrat Antworten, ob die Menschenwürde durch eine solche Praxis aufrechterhalten werden könne und ob er anerkenne, dass das Besuchsverbot den kognitiven und körperlichen Abbau der Bewohner beschleunigen könne. Es gehe ihr nicht darum, den Verantwortlichen einen Vorwurf zu machen. Sie wolle mit ihrer Anfrage erreichen, dass der Kanton gemeinsam mit den Heimen und Spitälern für eine allfällige zweite Welle gewappnet sei. Es brauche ein Konzept, das allen Bedürfnissen gerecht werde und Menschen im Spital oder im Pflegeheim nicht diskriminiere.
«Wir haben immer viel zu tun, wir sind oft an unseren Grenzen.» Fabian Fiechter, Intensivpfleger und Fotograf

Starke Bilder von der ersten grossen Corona-Welle in der Schweiz sind Fabian Fiechter, Intensivpfleger am Universitätsspital Basel und Fotograf, gelungen. Die «NZZ» zeigt eine Auswahl der Fotos und lässt sie von Fiechter erklären. Ihm sei klar gewesen, dass die Pandemie dokumentiert werden müsse, auch deshalb, weil es in den Medien kaum Bilder gebe, die authentisch zeigen, was in Deutschschweizer oder in deutschen Spitälern geschehe. Der 39-Jährige erklärt beispielsweise, dass das Wenden eines Patienten gut eine halbe Stunde und viel Personal benötige, bis eine passende Position gefunden sei, ohne dass Schläuche verrutschten oder Druckstellen entstünden. Vieles hat Fabian Fiechter fotografisch festgehalten, beispielsweise, wie akribisch ein Zimmer nach dem Verlassen einer Patientin gereinigt wird, wie eine Pflegende nachts in Vollmontur und mit Taschenlampe einen Patienten berührt. Vieles konnte er aber auch nicht fotografieren, weil er daneben auch als Pfleger gefordert war. Die Pandemie habe ihn gelehrt, demütig und dankbar zu sein, dass es in Basel nicht so schlimm gekommen ist wie im Tessin oder in anderen Ländern. Er sei froh, dass er die Corona-Krise dokumentieren konnte, doch sie habe ihm auch aufgezeigt, dass der Pflegeberuf in der öffentlichen Wahrnehmung deutlich untervertreten sei. «Es gab zwar viel Applaus während der Pandemie, wortwörtlich. Aber was kommt danach? Wir haben immer viel zu tun, wir sind oft an unseren Grenzen. Viele verlassen den Beruf. Darüber sollte die Gesellschaft einmal grundsätzlich diskutieren.»

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Die Palliativ-Landkarte weist einen weissen Flecken weniger auf. Aus dem bisherigen Palliative Forum RhyCare, das lediglich vier Gemeinden des St. Galler Rheintals abdeckte, wird nun das Forum Rheintal. Unter dem neuen Namen Forum Rheintal will sich das palliative Forum weiter um chronisch Kranke kümmern – und das ganze Rheintal erreichen. Damit können die Initiantinnen und Initianten ihr ursprüngliches Ziel erreichen, das sie vor fünf Jahren bei der Gründung angestrebt hatten. Auf Anraten von palliative Ostschweiz konzentrierten sie sich zunächst auf wenige Gemeinden, in der Hoffnung, dass sich auch im Unterrheintal Interessen ein Zusammenschluss formiere. Das geschah jedoch nicht, und inzwischen zeigt sich, dass es einfacher ist, die Unterrheintaler Organisationen in das Forum aufzunehmen, als dass sie ein eigenes gründeten.

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Immer mehr setzt sich die Überzeugung durch, dass Palliative Care nicht mit End-of-Life-Care gleichzusetzen ist. In der Stiftung Scalottas, einer Institution für Menschen mit Behinderung im Domleschg wird Palliative Care jeden Tag gelebt. Es gehe darum, die Menschen dort abzuholen, wo sie sind, sagt Natascha Balestra von der Stiftung im Videobeitrag der «Südostschweiz». Dabei müssten körperliche Aspekte wie auch psychische oder spirituelle Bedürfnisse miteinfliessen, um zu beurteilen, in welchem Bereich sie Unterstützung bräuchten. «Palliative Care ist komplex», sagt Balestra weiter. «Um die individuelle Unterstützung vom ersten bis zum letzten Tag in unserer Institution bieten zu können, benötigt es das Zusammenspiel von vielen Mitarbeitenden aus ganz unterschiedlichen Fachbereichen.» In der Stiftung Scalottas sei Palliative Care eine Grundhaltung.
Nach sechs Monaten mit regelmässiger ambulanter palliativmedizinischer Betreuung zeigte sich bei den Patienten eine signifikant bessere Lebensqualität als bei den Vergleichspersonen.

Dass von Palliative Care bislang vor allem Krebspatientinnen und -patienten profitieren, gab das Bundesamt für Statistik bereits im vergangenen Monat bekannt. Die «Medical Tribune» zeigt nun in einem Artikel auf, dass auch Menschen mit neurodegenerativen Erkrankungen wie Parkinson sehr profitieren, wenn sie Palliative Care erhalten. Dazu untersuchten Forschende der University of Rochester 106 Parkinsonpatienten auf den Nutzen einer Palliativbehandlung während einem bestimmten Zeitraum und verglichen sie mit einer Gruppe von 104 an Parkinson erkrankten Personen ohne diese zusätzliche Behandlung. Ausser an den typischen motorischen Einschränkungen leiden gemäss der Forschergruppe viele Parkinsonpatienten an weiteren Symptomen wie Schmerzen und Demenz, die ihre Lebensqualität mindern und die Angehörigen belasten. Nach sechs Monaten mit regelmässiger ambulanter palliativmedizinischer Betreuung durch Neurologen, Sozialarbeiter, Seelsorger, Pflegepersonal und gegebenenfalls spezialisierte Palliativmediziner, zeigte sich bei den Patienten der Interventionsgruppe eine signifikant bessere Lebensqualität als bei den Vergleichspersonen. Die Belastung der Angehörigen war hingegen in beiden Gruppen ähnlich. die Belas­tung der Angehörigen war in jeder Gruppe dagegen ähnlich. Zudem profitierten die Patienten auch von weiterer Unterstützung wie etwa beim Erstellen der Patientenverfügung und anderen mit dem Lebensende verbundenen Dokumente.

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Nicht für alle ist der Tod auch weiterhin ein Tabu. Manche Menschen konsultieren Sterberatgeberliteratur, diskutieren über Patientenverfügungen, überleben sich einen Beitritt zu einer Sterbehilfeorganisation oder planen ihr Ableben schon fast minutiös. Das Sterben will heute offenbar geplant sein, damit es gelingt, schreibt Nina Streeck, Medizinethikerin und Autorin des eben erschienen Buches «Jedem seinen eigenen Tod. Authentizität als ethisches Ideal am Lebensende» in der «NZZ am Sonntag» (Artikel kostenpflichtig). Zu allen Zeiten habe die Menschheit sich Vorstellungen davon gemacht, was ein gutes Sterben ausmacht. Während im Spätmittelalter die Ars Moriendi, die Sterbekunst dazu anleitete, wie die Seele auf das Kommende vorzubereiten sei, herrscht heute durch die Einflüsse der Hospizbewegung die Auffassung den Sterbenden tue es gut, sich ihren nahenden Tod bewusst zu machen. Immerhin, so zeigt sich die Autorin beruhigt, sei man sich darin einig, dass nur der Einzelne bestimmen könne, was für ihn ein gutes Sterben ausmache. Sie sieht darin aber auch die Problematik, dass sich diese Freiheit in ihr Gegenteil verwandelt, nämlich in einen regelrechten Zwang, bis zuletzt die eigene Authentizität demonstrieren zu müssen. Entsprechend gelte es, das eigene Sterben in Angriff zu nehmen: «Die Patientin aktualisiert die eigene Identität, indem sie auf das Angebot der Palliative Care zurückgreift, der Suizident artikuliert sein selbstbestimmtes Ich in der Planung des eigenen Ablebens.» Zwar bekomme niemand Fesseln angelegt, der Zwang bleibe relativ sanft. Doch wegreden liessen sich derlei Einflüsse nicht.
palliative zh+sh, Gabriela Meissner