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Medienschau Juni 2022

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Die Medienschau von palliative zh+sh gibt Einblick in die Berichterstattung zu Palliative Care und verwandten Themen des vergangenen Monats. (Bild: gme)

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07. Juli 2022
Bis zum Lebensende in den eigenen vier Wänden wohnen: Das wünschen sich viele Schwerstkranke. Dank mobiler Dienste ist dies immer öfter möglich. Auch im Kanton Schaffhausen, wo die dreijährige Pilotphase zur Palliative Care verlängert werden soll. Dies und weitere Themen in der Juni-Medienschau von palliative zh+sh.
In Schaffhausen können Schwerstkranke mit der spitalexternen Onkologie und Palliativ-Pflege bis zu ihrem Lebensende in den eigenen vier Wänden professionell gepflegt werden. Die Zeitung «Schaffhauser Nachrichten» widmet Anfang Juni dem Thema Palliative Care eine ganze Seite und besucht in ihrer Reportage die Familie Šandera. Vater und Ehemann Ladislav litt an unheilbarem Darmkrebs, als er 84-jährig zu Hause verstarb. «Ich wusste, dass er sterben würde. Ich fand es deshalb keine gute Idee, dass es zu Hause geschehen sollte», sagt Sohn Peter Šandera, Chirurg und seit Kurzem Chefarzt am Kantonsspital Schaffhausen. Doch seine Mutter Eva war da anderer Meinung und setzte sich durch: Ladislav sollte in jener Wohnung gepflegt werden, in der die beiden seit 13 Jahren wohnten. 57 Jahre waren sie verheiratet. Kennengelernt hatten sie sich in einem Deutschkurs in der damaligen Tschechoslowakei. Nach dem Einmarsch der Russen flüchteten sie gemeinsam und kamen nach mehreren Umwegen in die Schweiz. Hier konnten sie ein gutes Leben führen, ihr Familienleben mit zwei Kindern und später sechs Enkelkindern geniessen.

Sein Lebensende kommen zu sehen, war für die Familie schwierig. Ladislav litt neben dem Darmkrebs auch noch an Alzheimer. War er von seiner Frau getrennt, etwa bei einem Spitalaufenthalt, dann war er völlig verwirrt. Diesem Umstand wollte Eva Rechnung tragen – einen Umzug in eine unbekannte Umgebung wollte sie ihrem Mann unbedingt ersparen. Spitex und eine private Organisation unterstützten sie, und in den letzten Monaten kam die Seop, der spitalexterne Onkologiepflegedienst, mindestens einmal am Tag vorbei. Schliesslich durfte Ladislav zu Hause sterben. Seine Frau hat es bisher nie bereut, den Weg mit der Seop gegangen zu sein.

Der Artikel weist darauf hin, dass Ende September dieses Jahr die dreijährige Pilotphase zur Palliative Care im Kanton Schaffhausen ausläuft. Die Evaluation ist inzwischen abgeschlossen, die Angebote wurden offenbar sehr gut angenommen. In einem späteren Bericht der «Schaffhauser Nachrichten» Ende des Monats Juni wird bestätigt, dass der Regierungsrat dem Kantonsrat eine Vorlage betreffend Verlängerung der Pilotphase unterbreiten wird.
«Sexuelle Energie ist die vitalisierendste Energie, die es gibt»
Sexualität kennt keine Altersgrenze. Dies sagt Claudia Pesenti-Salzmann gegenüber dem Magazin «Zeitlupe». Nach einem Masterabschluss in Palliative Care entschloss sich die Pflegfachfrau, in Mailand Klinische Sexologie zu studieren. Ihr Ziel: die zwei für sie zentralen Fachbereiche Pflege und Sexualität zu vereinen. Und so berät sie nun seit zehn Jahren Alters- und Pflegeheime sowie Palliativstationen.

Es störe sie, dass die Pflegefachpersonen zwar danach strebten, ganzheitlich zu betreuen, aber das Thema Sexualität fast immer aussparen. Das Körperbild, die Partnerschaft und das sexuelle Wohlbefinden verändern sich durch Krankheit und Therapien massiv. «Krankheiten oder Operationen hinterlassen Spuren am und im Körper», sagt Pesenti-Salzmann. Im Grunde genommen beginne schon da die Sexualität, wie man sich am Morgen im Spiegel betrachte und wie man sich in seinem Körper fühle. Ist das wirklich ein Thema der Palliative Care? «Sexualität und Sterben sind zwei ganz intime Aspekte des Lebens», sagt die Pflegeexpertin. Nähe und Vertrauen, sich angenommen und aufgehoben fühlen, spielen bei der Erotik wie auch beim Sterbeprozess eine wichtige Rolle. So hat die Fachfrau mehrfach erfahren, dass Sexualität bei Menschen, die den Tod vor Augen haben, ein Bedürfnis ist. Sie habe Situationen erlebt, in welchen Sterbende nur Tage oder Stunden vor ihrem Tod sexuell intim gewesen seien – sich nochmal spüren wollten.

Fakt ist: In Altersheimen wird Sexualität immer mehr ein Thema. Das Bewusstsein, dass Intimität und Erotik ein wichtiger Aspekt des Lebens sind, setzt sich durch. Ob das auch damit zu tun hat, dass die 68-er Hippies Einzug in die Heime finden? «Viele wollen auch heute noch ein Stück Sex, Drugs und Rock’n’Roll leben».

Claudia Pesenti-Salzmann bietet Schulungen für Pflegepersonal an. Dabei will sie auch falsche Vorstellungen ausräumen. «Viele Menschen wissen zum Beispiel nicht genau, was eine Sexualbegleitung ist.» Man betrachte diese leider oft als institutionalisierte Prostitution, dabei sei es eine sehr behutsame Annäherung. Viele Schwerkranke seien vielleicht seit Jahren nicht mehr berührt worden und sehnten sich danach. Ein Problem ist jedoch die Finanzierung dieser Begleitung. Claudia Presenti-Salzmann hofft, dass der Bereich der sexuellen Gesundheit bis im Jahr 2030 in die Betreuungskonzepte der Langzeitpflege integriert ist.

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Die Pläne für das Sterbe-Hospiz in Biel schreiten voran. Mitte Juni fanden eine Informationsveranstaltung und die erste Mitgliederversammlung des Vereins Hospiz Biel statt. Die Schwerpunkte im laufenden Geschäftsjahr sind die Finanzbeschaffung, die Suche nach einer Liegenschaft sowie die Zusammenarbeit mit Organisationen, die sich mit Palliative Care befassen, sowie die Öffentlichkeitsarbeit, um die Bevölkerung für die Fragen rund um die letzte Lebenszeit zu sensibilisieren. Gelegenheit bietet sich am 8. Oktober anlässlich des internationalen Welthospiztags, an dem der Verein zusammen mit der Regionalgruppe «Palliativnetz Biel» auf dem Zentralplatz präsent sein wird. Erste Gespräche mit möglichen Partnern fanden bereits statt, etwa mit den Verantwortlichen des Spitalzentrums Biel und mit der Gesundheitsdirektion des Kantons Bern. Thema waren unter anderem die Kooperation mit dem Spitalzentrum Biel für die medizinische Betreuung von schwerkranken Menschen am Lebensende. Die Gespräche werden weitergeführt und Ergebnisse im Laufe des Jahres erwartet.

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«Palliative Care beginnt bereits bei der Diagnose», sagt der Stellvertretende Chefarzt der Psychiatrischen Dienste Aargau, Dr. med. Rafael Meyer, in einem Interview mit der «Aargauer Zeitung». Doch welche Rolle spielen Psychiatrie und Psychotherapie in der Palliative Care? Das könne ganz individuell sein, meint Meyer. Kurz nach einer niederschmetternden Diagnose könnten sich die Betroffenen in einem Schockzustand befinden. «Oft stehen Existenzängste im Vordergrund. Bei spirituellen Krisen geht es auch um die Sinnfrage: Wie habe ich das verdient? Wieso trifft es ausgerechnet mich?» Es sei die Aufgabe von Psychiaterinnen und Psychotherapeuten, diese Sinnfrage mit den Patienten zusammen anzuschauen.

Die Psychiatrischen Dienste Aargau (PDAG) stellen ihr Know-how dem Kantonsspital Baden und dem Spital Zofingen im stationären Bereich zur Verfügung. «Unsere Fachleute sind dort Teil der interdisziplinären Teams.» Andererseits sind diese Fachleute auch im ambulanten Setting tätig und bieten Sprechstunden an mehreren Standorten an. Beim Thema Palliative Care werde oft übersehen, dass es dabei nicht nur um Begleitung am Lebensende geht. «Palliative Care beginnt bereits bei der Diagnosestellung, respektive im frühen Verlauf, und gewinnt gegen das Lebensende an Intensität», erklärt der Stellvertretende Chefarzt. Dabei sei es wichtig, dass auch die Angehörigen ausreichend mitberücksichtigt werden. Sie sind durch die Situation ebenfalls stark belastet und hadern oft mit denselben psychosozialen und spirituellen Themen wie Direktbetroffene.
«Die Familie mit ALS kämpft für ein selbstbestimmtes Leben»

Ein eindrücklicher Dok-Film auf SRF gibt Einblick in das Leben einer Familie, deren Vater an der unheilbaren Nervenkrankheit ALS (Amyotrophe Lateralsklerose) leidet. Mit 40 Jahren erhält Dennis Schneider die Diagnose. Seine Frau Daniela und er entscheiden sich, trotz verkürzter Lebenserwartung eine Familie zu gründen. Seither kämpfen sie für ein selbstbestimmtes Leben – trotz allem.

Die Geschichte beginnt 2013. Dennis und Daniela werden ein Liebespaar. Sechs Monate später diagnostiziert man bei Dennis die unheilbare Nervenkrankheit ALS mit einer Lebenserwartung von drei bis fünf Jahren. Daniela entscheidet sich, bei Dennis zu bleiben. Die beiden heiraten und gründen eine Familie. Während die Tochter an Lebenskraft gewinnt, baut der Vater ab. Heute ist Tochter Melissa 5-jährig und Dennis fast komplett gelähmt. Er kann noch sprechen, schlucken und mit einem Finger die Maus des Computers bedienen. Sich von der Krankheit einschränken lassen, will der ehemalige Volleyballspieler nicht. Er ist Assistenztrainer beim Volleyballclub BTV Aarau und so oft es geht mit Tochter Melissa draussen unterwegs. «Ich bin ein hoffnungsloser Optimist. Wegen der Krankheit den Kopf in den Sand zu stecken, bringt ja nichts», sagt er. Doch bei jeder Bewegung kommt er sich vor wie «ein Sandsack». Essen und Sprechen werden immer schwieriger – bis es irgendwann gar nicht mehr gehen wird.

Assistenzpersonen und Spitex unterstützen nun die Familie. Davor lastete das meiste auf der heute 34-jährigen Daniela. Die Mehrfachbelastung als Mutter, Arbeitstätige und Pflegerin führten sie in eine Krise. «Manchmal sehe ich keinen Sinn im Leben und denke, dass ich nie glücklich werde im aktuellen Umfeld. Dann wünsche ich mir eine normale Familie.» Mit Hilfe von Psychotherapie und einem Klinikaufenthalt findet die Mutter allmählich zurück ins Gleichgewicht und lernt, sich trotz schwerstkrankem Ehemann und kleiner Tochter ihre eigenen kleinen Auszeiten zu nehmen.
«Woran um Himmelswillen sollen wir noch sterben?»

Ende Juni erschien im «Berner Oberländer» ein längeres Interview mit dem Berner Schriftsteller, Musiker und Kulturpolitiker Urs Frauchiger. Im launigen Gespräch mit dem 85-Jährigen geht es um Alter, Heiterkeit und Tod – und um sein Buch «Woran um Himmelswillen sollen wir noch sterben?». Dieses Buch wird auch Thema sein in im Palliative-Café in der Zwinglikirche Schaffhausen vom 17. August (siehe www.pallnetz.ch). Pfarrer Wolfram Kötter wird aus dem Buch vorlesen, welches der Autor selbst als «Plädoyer für das eigene Leben und den eigenen Tod» beschreibt.

Im Zeitungsinterview spricht Urs Frauchiger unter anderem über den Jugendwahn der aktuellen Zeit. «Das Alter ist doch nichts Furchtbares, das Alter ist wunderschön», sagt er mit Vehemenz. Ein Mensch, der sein ganzes Leben im Hamsterrad gestrampelt habe, merke vielleicht erst im Alter, wie Blumen riechen. Das könne ein grossartiges Erlebnis sein. «Aber es passiert nicht von selbst, man kann dieses Glück nicht um die nächste Ecke in der Apotheke kaufen. Ich muss etwas dafür tun, dann werde ich reich belohnt.» Frauchiger räumt ein, dass das Alter auch mal ein bisschen schwierig sein kann. Doch Krankheiten solle man als Brücken sehen. «Ich finde Brücken eine sehr gute Sache. Sie bewahren uns vor dem Abgrund und führen an einen neuen Ort.» Der Schriftsteller plädiert dafür, diese Brücken zu überschreiten und offen zu bleiben für das, was kommt. Natürlich könne eine Krankheit auch die Brücke zum Tod sein, aber auch dafür müsse man offensein. «Ich weiss nicht, was nach dem Tod sein wird. Ich glaube eher weniger, dass mich der liebe Gott an seine Seite nimmt oder in die Hölle werfen wird.»
Die Entwicklung in der Palliative Care hält Urs Frauchiger für sehr wichtig und sieht darin einen der grössten Fortschritte der Medizin überhaupt. Vielen Menschen würde dabei ein grosses Leid erspart und ein Sterben in Würde ermöglicht. Dabei dürfe müsse man nicht vergessen, dass Leid auch ein Stück weit zum Leben gehöre, und das gelte es zu akzeptieren.
palliative zh+sh / Bettina Weissenbrunner