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Medienschau März 2019

Medienschau März 2019

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Die Medienschau von palliative zh+sh gibt Einblick in die Berichterstattung zu Palliative Care und verwandten Themen des vergangenen Monats. (Bild: palliative zh+sh, ei)

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Die Medienschau ist eine Momentaufnahme eines Ausschnittes der öffentlichen Diskussion zum Thema und bietet kurze Zusammenfassungen, zeigt Verknüpfungen auf und soll nicht zuletzt unterhalten und zur weiteren Lektüre der besprochenen Beiträge anregen. Wo vorhanden werden die Links zu den Beiträgen deshalb unter «Links zu den Beiträgen» aufgelistet.

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03. April 2019 / Medien
Gegenstände verlegen, einen bekannten Weg nicht finden, Dinge mehrmals hintereinander erzählen: Das sind die klassischen Symptome der Alzheimerdemenz. Doch auch Wesensveränderungen, depressive Verstimmungen oder Antriebslosigkeit können Anzeichen für eine beginnende Demenz sein. Trotz fehlender Heilungsmöglichkeiten ist es wichtig, dass Demenzkranke eine möglichst genaue Diagnose erhalten. Nur so können die Betroffenen ernst genommen, aufgefangen und begleitet werden. Das schreibt unsere ehemalige Kollegin Elena Ibello im «Grosseltern-Magazin» unter dem Titel «Grosi macht komische Sachen». Eine offene Kommunikation ermöglicht es, Betroffenen und Angehörigen gleichermassen, das Leben an die Hand zu nehmen. Menschen mit einer beginnenden Demenz haben enorme Angst, über ihre Aussetzer zu sprechen. Doch auch Angehörigen fällt es schwer, die Betroffenen anzusprechen, wenn ihnen bestimmte Veränderungen auffallen. Nach der Diagnose braucht es Raum, um auszuloten, was die Diagnose für den Alltag bedeutet. Angehörige brauchen wie die Betroffenen Schutz, Trost, Linderung des Leidens. Sie leiden, dass ihre Liebsten sich zunehmend von ihnen entfernen. Ein Abschied auf Raten.

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Dieses Weggleiten vom Leben bei Demenzkranken wird im November an der Olma in St. Gallen eine besondere Plattform erhalten. Demenzkranke am Ende ihres Lebens, ihre Lebensgeschichten und ihre Lieder, werden Teil eines Musiktheaters, wie das «Tagblatt» schreibt. Dahinter steht die Fachstelle Demenz der Fachhochschule St. Gallen, die dieses preisgekrönte Projekt des freischaffenden deutschen Sozialpädagogen und Projektkünstler Stefan Weiller nun erstmalig in der Schweiz umsetzt. Seit beinahe zehn Jahren führt Weiller Gespräche mit sterbenden Menschen im Hospiz zur Musik ihres Lebens. Daraus entstanden ist das Projekt «Und die Welt steht still – Letzte Lieder und Geschichten». Die Geschichten seien so vielfältig wie unsere Gesellschaft. Sie zeugten von Lebensfreude, aber auch von der Angst vor dem Sterben – und offenbarten, dass die letzte Lebensphase nicht immer nur Trauer, Stille und Krankheit, sondern auch Humor, Zuversicht, Liebe und Menschlichkeit bedeute. Die Aufführung findet am 12. November 2019 statt, dem Vorabend des Demenzkongresses zum Thema «End of life care» bei demenzkranken Menschen. Um das Musiktheater regional zu verankern, ist der Autor noch auf der Suche nach Lebensgeschichten von Menschen aus der Region St. Gallen, die in ihrer letzten Lebensphase in Hospizen, Pflegeheimen, Spitälern und von ambulanten Hospizdiensten begleitet werden.
«Durch die Organentnahme bei hirntoten Menschen wird der natürliche Sterbeprozess gestört.» Damit argumentiert der neu gegründete Verein Äpol gegen die sogenannte Widerspruchslösung.

126 Menschen wurden letztes Jahr durch ihren Hirntod zu Organspendern. Das seien zu wenige, findet die Jeune Chambre Internationale (JCI). Sie fordert deshalb mit einer eben eingereichten Volksinitiative, dass die Schweiz zur sogenannten Widerspruchslösung übergeht: So würden alle Personen automatisch zu Organspendern, wenn sie sich nicht explizit dagegen ausgesprochen haben. Wie die «NZZ» berichtet, macht nun ein neuer Verein von Ärzten und Pflegefachleuten namens Äpol, von sich reden, der das Gegenteil will: Sie wollen verbieten, dass Hirntoten Organe entnommen werden. Sie argumentieren, dass dadurch der natürliche Sterbeprozess gestört werde . Statt im Kreise ihrer Angehörigen, würden hirntote Organspender im Operationssaal inmitten aufwendigster Technik sterben. Das sei eine traurige und für viele Menschen verstörende Vorstellung. Aus Sicht von Äpol darf es kein wertvolles (Empfänger) und unwertes (Spender) Leben geben. Zudem hätten es viele Angehörige, die im ersten Schock einer Organentnahme zustimmten, später bereut. Sie fühlten sich um einen wichtigen Moment im Sterbeprozesses beraubt. Äpol betont, es liege kein Beweis vor, dass Hirntote nicht doch etwas empfinden könnten und dass sie unter Umständen leiden würden bei der Operation, die sie töte. Swisstransplant-Direktor Franz Immer kontert, dass eine Vollnarkose bei der Organentnahme sicherstelle, dass der Spender keinerlei Muskelreflexe habe, die über das noch intakte Rückenmark entstehen könnten. Der Herzchirurg warnt zudem vor den Konsequenzen, würden die Organspenden wegfallen. Damit würden die Anreize für den illegalen Organhandel steigen.

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Den Sterbeprozess eines an Prostatakrebs erkrankten Freundes dokumentiert, hat die Autorin Ulrike Lykke Langer. Im Feature «Lass uns übers Sterben reden», das der deutsche Radiosender «MDR Kultur» ausstrahlte, beschreibt sie, wie sie Felix über die Monate hinweg begleitet und realisiert, wie erstaunlich schnell sie sich daran gewöhnt, Felix in seinem schwerkranken körperlichen Zustand zu sehen. Sie versuche, so normal wie möglich damit umzugehen, obwohl es ihr manchmal das Herz zerreisse. Felix ist 48, als ihn die Diagnose trifft. Der Wissenschaftler in Nachhaltigkeitsforschung und Trainer für Gewaltfreie Kommunikation führt einen Internet-Blog, in dem er ausführlich und ungeschönt über sein Leben mit Krebs schreibt. Im Feature kommen Felix, aber auch seine Kinder, sein Bruder, seine zweite Frau zu Wort. Sie alle erzählen, wie sie mit verschiedenen Situationen umgehen, von berührenden und traurigen Momenten. Im Laufe der Zeit stellt die Autorin fest, dass es für sie besser ist, Felix aus der Nähe zu begleiten. Abstand produziere Unsicherheit und innere Distanz. Das direkte Miterleben sei zwar schmerzhaft, fühle sich aber viel lebendiger an.
«Es ist alles gut, es ist okay. Es ist alles besprochen. 9 Jahre sind mehr als alle erwartet hätten.» Blogger Benni Wollmershäuser im letzten Post vor seinem Tod.

Am 22. März 2019 ist Benni Wollmershäuser gestorben. Der 29-Jährige lebte neun Jahre mit Darmkrebs und allen unangenehmen Folgen, die dazu gehörten: «Stoma, Impotenz, Langeweile im Krankenhaus». Wollmershäuser bloggte unter dem Titel «Cancelling Cancer» offensiv über seine Krankheit und liess seine 45‘000 Fans auf Facebook wissen, was bei ihm grad abgeht. Ausserdem rief er sie alle zur Darmkrebsvorsorge auf. Für seine Aufklärungsarbeit erhielt er 2017 einen Ehrenpreis von der Felix-Burda-Stiftung. Er sprach auch mit palliative zh+sh und wurde gefragt, was er mit dem Blog machen würde, wenn es ihm sehr schlecht ginge. Wollmershäuser beantwortet diese Frage so: Seine Frau würde für ihn schreiben, wenn er nicht mehr könnte – auch nach seinem Tod. Er finde, ohne diese Nachricht würde etwas fehlen. «Der Tod gehört ja zum Leben dazu. Und die Leute sollen ruhig Bescheid wissen.» So geschah es auch. Das sind die letzten Zeilen, die Benni Wollmershäuser selbst veröffentlicht hat: «OK das ist er jetzt... Der Abschiedspost. Es geht jetzt doch schneller als gedacht, was aber nicht schlimm ist. Hab viel Flüssigkeit und Blut verloren. Wir machen jetzt nix mehr, nur Flüssigkeit. Ich hab zum Glück keine Übelkeit und Schmerzen. Und wenn doch, bekommen wir die unter Kontrolle. Es ist alles gut, es ist okay. Es ist alles besprochen. 9 Jahre sind mehr als alle erwartet hätten.»

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Spiritual Care ist eng mit Palliative Care verknüpft. Auf der Palliativ-Station der Uni-Klinik erhalten die schwerstkranken Patientinnen und Patienten eine Pflege mit spiritueller Ausrichtung, wie eine Reportage auf «Deutschlandfunk» beschreibt. Nicht Religion und schon gar kein spezieller Glaube steht dabei im Vordergrund. Vielmehr geht es um Fragen nach dem Sinn des Lebens, der Krankheit, des Todes oder einer möglichen Existenz danach. Dienstpläne werden so gestaltet, dass für Gespräche, Berührungen, ein Ritual oder auch ein besonderes Menu oder eine Massage genügend Zeit ist. Gerade nachts kämen Gedanken und Ängste auf, Sinnfragen, die dann so dringlich werden, dass man dabei sein und einfach zuhören müsse, wird eine Pflegefachfrau zitiert. Dabei gehe es nicht darum, Antworten zu geben, sondern einfach dabei zu sein und zu signalisieren: «Ich kann Dir zwar nicht helfen, aber ich kann bei Dir sein in diesen schweren Stunden».
Menschen, die ungewollt kinderlos blieben, haben ein erhöhtes Risiko, an Depressionen zu erkranken. Eine britische Studie zur fehlenden Unterstützung von älteren kinderlosen Menschen durch Angehörige.

In Grossbritannien sind mehr als eine Million kinderlose Menschen über 65 Jahre gefährdet, weil es ihnen an Unterstützung durch Angehörige fehlt. Gemäss einer Studie, von der die britische Zeitung «The Guardian» berichtet, wird sich die Zahl älterer Menschen ohne Kinder bis 2030 verdoppeln. Unter anderem auch, weil die Anzahl homosexueller Menschen wächst. Das Risiko von Isolation, Einsamkeit, schlechterer Gesundheit und Armut ist bei diesen Menschen deutlich akuter. Hinzu kommt, dass oftmals der Zugang zu adäquater Pflege fehlt. Gerade Menschen, die ungewollt kinderlos blieben, haben ein erhöhtes Risiko, an Depressionen zu erkranken. Speziell kritisch ist die Situation für kinderlose Demenzkranke, da Menschen mit Demenz oftmals von ihren Kindern gepflegt würden. Die Autoren der Studie fordern, dass kinderlose ältere Menschen bessere und speziell auf sie zugeschnittene Unterstützung erhalten. Bislang hätten Experten und Forscher diese Gruppe ignoriert.

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Im Mai will das Walliser Kantonsparlament die Sterbehilfe in Alters- und Pflegeheimen diskutieren. Die vorberatende Kommission will die Heime künftig dazu verpflichten, dass diese Sterbehilfe-Organisationen Zutritt zu Heimbewohnerinnen und -bewohnern gewähren müssen, wie «srf.ch» schreibt. Fast alle Alters- und Pflegeheime im Kanton Wallis lehnen den assistierten Suizid ab. Sterben sei ein normaler Prozess, es sei Teil des Lebens, wird der Direktor des grössten Altersheims im Kanton, Reinhard Venetz, zitiert. Im Zentrum stehe stattdessen hervorragende Palliative Care. Die Würde und der Wille der Bewohnerinnen und Bewohner stünden im Leben und im Sterben im Zentrum, entgegnet Daniel Kalbermatten, Leiter des Alters- und Pflegeheims in Brig-Glis. Dazu gehörten auch Selbstbestimmung und Autonomie. Es sei unwürdig, so Kalbermatten, wenn Menschen im hohen Alter ihr Heim verlassen müssten, um freiwillig aus dem Leben zu scheiden.

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Anders im Kanton Solothurn. Das Alters- und Pflegeheim Derendingen-Luterbach (Tharad) will Sterbehilfeorganisationen den Zugang ermöglichen. Im letzten Sommer hat der Kanton neue Richtlinien erlassen. Auslöser dafür seien der gesellschaftliche Wertewandel sowie Anregungen aus den Alters- und Pflegeheimen gewesen. Entsprechend ist der Zugang für Sterbehilfe in Alters- und Pflegeheimen nicht mehr verboten. Der Tod müsse würdevoll passieren, erklärt Tharad-Vorstandspräsident Tony Broghammer. Die Patienten wohnten im Tharad, sie sollten hier auch sterben dürfen. Der Gemeinderat befürwortet das Vorhaben, legt aber Wert darauf, dass kein Sterbetourismus stattfinden dürfe, wie die «Schweiz am Wochenende» schreibt (Artikel nicht online verfügbar). Das letzte Wort haben die Delegierten der Institution.
Selbst entscheiden, wenn der Zustand oder eine Verschlechterung nicht mehr zu ertragen ist. Jürgen und Harald, zwei schwerstkranke Männer im Filmporträt, wünschen sich einen «Notausgang».

Unter dem Titel «Über mein Ende will ich selbst entscheiden» berichtet der deutsche Fernsehsender WDR in der Reihe «Menschen hautnah» über zwei schwerstkranke Männer. Beide sind um die 50, auf Vollzeitpflege angewiesen. Während Jürgen 2004 als 36-Jähriger nach einem Hirnstamminfarkt auf einen Schlag von Kopf bis Fuss gelähmt war und nur dank seinem ausgeprägten Willen zurückfand zu einigen wenigen Bewegungen und zum Sprechen, erhielt Harald im Alter von 27 die Diagnose Multiple Sklerose. Die Krankheit schritt so schnell voran, dass er inzwischen nur noch den Kopf und mit Mühe die rechte Hand bewegen kann. Beide wünschen sich einen «Notausgang», die Gewissheit, selbst entscheiden zu können, wenn sie ihren Zustand oder dessen Verschlechterung nicht mehr ertragen können. Zwischen den eindrücklichen Porträtsequenzen thematisiert der Film die vertrackte rechtliche Situation in Deutschland rund um den Sterbehilfeparagrafen 217. Zwar sind sowohl Harald als auch Jürgen Mitglied einer Schweizer Sterbehilfeorganisation. Der Wunsch zu Hause sterben zu können, haben beide aber noch nicht aufgegeben.

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In der Schweiz und auch weltweit wird mehr unbezahlte als bezahlte Arbeit geleistet. Darunter fallen beispielsweise Kinderbetreuung, Fürsorge für alte Menschen oder die Arbeit in Familie und Haushalt: Die sogenannte Care-Arbeit – das Sorgen und Kümmern – galt lange als selbstverständliche Familienarbeit. Dabei handelt es sich um einen bedeutenden Wirtschaftssektor. 408 Milliarden Franken war die unbezahlte Arbeit in der Schweiz im Jahr 2016 wert. Im Gespräch auf «SRF2 Kultur» debattieren die Theologin Ina Praetorius und der Ökonom Mathias Binswanger darüber, wie die Care-Arbeit von der Wirtschaft besser berücksichtigt werden kann. Ein fundamentales Problem dabei sei, dass die kapitalistisch orientierte Wirtschaft in erster Linie auf Wachstum ausgerichtet ist. Das individuelle Glück des einzelnen Menschen wächst aber nicht gleichzeitig mit.
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