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Medienschau Mai 2021

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Die Medienschau von palliative zh+sh gibt Einblick in die Berichterstattung zu Palliative Care und verwandten Themen des vergangenen Monats. (Bild: gme)

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Die Medienschau ist eine Momentaufnahme eines Ausschnittes der öffentlichen Diskussion zum Thema und bietet kurze Zusammenfassungen, zeigt Verknüpfungen auf und soll nicht zuletzt unterhalten und zur weiteren Lektüre der besprochenen Beiträge anregen. Wo vorhanden werden die Links zu den Beiträgen deshalb unter «Links zu den Beiträgen» aufgelistet.

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16. Juni 2021 / Medien
Es scheint, als habe die Pandemie den Blick auf die Notwendigkeit eines frühen Einbezugs von Palliative Care bei einer unheilbaren Diagnose geschärft. Von einer Problemlösung sind wir aber noch weit entfernt, wie gleich zwei Beiträge unserer Medienschau zeigen.
Dieses Jahr legt palliative zh+sh den medialen Fokus auf Early Palliative Care, einerseits mit einer eigenen Artikelserie, andererseits nehmen wir Medienbeiträge zum frühen Einbezug von Palliative Care im Krankheitsverlauf sehr gerne auf. Es sei schade, dass die Palliativmedizin oft nur als Sterbemedizin betrachtet werde, zitiert das Newsportal des deutschen Senders «MDR» die Chefärztin der Palliativstation der Ilm-Kreis-Kliniken Ilmenau, Heike Schlegel-Höfner. Sie bedauert, dass viele Patienten zu spät auf ihre Station kämen: «Natürlich soll Palliativmedizin auch Sterbende begleiten. Aber sie soll vor allen Dingen Menschen, die noch Leben vor sich haben, Wochen oder Monate, die Chance geben, diese entsprechend ihren Wünschen zu nutzen. Ohne Schmerzen, mit viel Elan und mit Dingen, die sie wieder lernen können.» Zu diesem Schluss kommt auch eine aktuelle Studie mit 500 Patienten an 20 deutschen Krebs-Behandlungszentren, bei der erstmals unheilbar erkrankte Krebspatienten nach ihrem palliativmedizinischen Behandlungsbedarf befragt wurden. Es bestehe eine dringende Notwendigkeit für einen frühen Zugang zu unterstützender palliativmedizinischer Versorgung der Betroffenen, einschließlich psycho-sozialer Hilfe, heisst es in der Studie. Der Artikel zeigt zwar nicht auf, wie dieses Problem gelöst werden kann, er gibt aber einen schönen Einblick, wie Palliative Care auf dieser Station gelebt und eingesetzt wird.

«Es ist zu hoffen, dass sich die Bemühungen der Fachgesellschaften, Begriffe wie Lebensqualität, würdevolles und selbstbestimmtes Leben mit dem Begriff «Palliative Care» zu verbinden, in Zukunft durchsetzen.» Monika Obrist, Geschäftsleiterin palliative zh+sh

Über Early Palliative Care und gesundheitliche Vorausplanung schrieb Monika Obrist, Geschäftsleiterin von palliative zh+sh, in der Zeitschrift «Pflegerecht». Dass Palliative Care ab dem Zeitpunkt einer unheilbaren Diagnose einsetzen soll, darüber sind sich WHO, die Europäische Gesellschaft für Palliative Care EAPC und palliative ch einig. So heisst es etwa bei der WHO, dass «die frühzeitige Bereitstellung von Palliativversorgung unnötige Krankenhauseinweisungen und die Inanspruchnahme von Gesundheitsdiensten reduziert». palliative ch hält folgendes fest: «Die heilende (kurative) Medizin und die Palliative Care, die sich als Bestandteile der modernen Medizin sinn- und wirkungsvoll ergänzen, verfolgen in dieser Lebensphase ein gemeinsames Ziel: die Linderung von Schmerzen und anderen belastenden Beschwerden sowie eine psychologische und spirituelle Begleitung der Patientinnen und Patienten. Idealerweise geschieht dies unter Einbezug der nächsten Angehörigen. Damit profitieren viele schwer kranke Menschen schon in einem frühen Krankheitsstadium von Palliative Care.» Woran es die Praxis scheitere, sei zum einen die trotz qualifizierten Indikatoren fehlende oder zu späte Identifikation von Palliative-Care-PatientInnen. Zum anderen sei es die enge Verknüpfung des Begriffes «Palliative Care» mit Sterben und Tod. «Es ist zu hoffen, dass sich die Bemühungen der Fachgesellschaften, Begriffe wie Lebensqualität, würdevolles und selbstbestimmtes Leben mit dem Begriff «Palliative Care» zu verbinden, in Zukunft durchsetzen», schreibt die Autorin.
Die Frage nach gesundheitlicher Vorausplanung und dem Umgang mit der Endlichkeit des Lebens sei nicht nur eine Frage des Individuums. «Selbst wenn wir als Individuen entscheiden, uns dieser Auseinandersetzung zu verweigern und mit den Konsequenzen auf unsere individuelle Art umzugehen, ist dies eine Entscheidung, die zu respektieren ist, aber von der Gemeinschaft mitgetragen werden muss. » Diese Frage sei während der Pandemie dringlicher geworden. Die gesellschaftliche Debatte darüber müsse dringend geführt werden.


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Es braucht also noch viel, bis Palliative Care zu einem für jede Patientin, jeden Schwerkranken zugänglichen und finanzierbaren Angebot wird. Im Kanton Graubünden wird derzeit über eine Vereinheitlichung von Sterbehilfe in Heimen debattiert. In gewissen Alters- und Pflegeheimen kann man sie in Anspruch nehmen, in anderen nicht. Der Bündner Gesundheitsdirektor Peter Peyer hält die Debatte für nötig, weil es heutzutage eine Realität, dass Menschen am Lebensende selbstbestimmt entscheiden wollten. Man müsse einen gesetzlichen Rahmen schaffen, der diesen letzten Willen auch in Alters- und Pflegeheimen berücksichtige. Peyer ist sich aber bewusst, dass «man das Personal nicht dazu verpflichten könne».
In Zürich gibt es ähnliche Bestrebungen im Kantonsparlament. Palliative zh+sh hat sich in dieser Debatte in der kantonsrätlichen Gesundheitskommission zu Wort gemeldet und vertritt eine klare Haltung: Es wäre fatal, wenn in Heimen die Sterbehilfe als einzige Möglichkeit zur Selbstbestimmung angeboten wird. Vielmehr braucht es gleichzeitig ein umfassendes Angebot an Palliative Care, auch den Einbezug von spezialisierten Palliative-Care-Teams. Die Praxis zeigt, dass Patienten mit starken Schmerzen, Atemnot oder anderen quälenden Symptomen auf Suizidbeihilfe verzichten, wenn ihre Symptome gelindert werden können. Patientinnen, die sich einsam und als Last empfinden, finden durch gute psychosoziale Betreuung ihren Lebensmut wieder. Ebenfalls zeigt sich, dass gut ausgebildete Mitarbeitenden, die zudem fachliche Begleitung und Fallsupervisionen erhalten, mit der Belastung gut umgehen können.


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Es waren belastende Bilder, als zu Hochzeiten der Pandemie Bilder von Krematorien um die Welt gingen, die ihre Arbeit kaum noch bewältigen konnten. Anders im Krematorium St. Gallen. Während der zweiten Pandemiewelle sei die Organisation des Betriebs zwar anspruchsvoll gewesen, wie Geschäftsführerin Ursula Lauper im «St. Galler Tagblatt» erklärt (Artikel kostenpflichtig). Dennoch habe man für die Angehörigen fast alles möglich gemacht, damit sich diese in Würde verabschieden konnten. Lauper erinnert sich an eine Sitzung zu Beginn der Pandemie. Alle Teilnehmenden in Wintermäntel gehüllt, damit man sich im Freien unterhalten konnte. Die rund 20 Bestatter aus den 120 Vertragsgemeinden wappneten sich mit Desinfektionsmittel und Masken. Zu Beginn habe man noch Isolationsanzüge und Gummihandschuhe in doppelter Ausführung getragen. Die Verstorbenen legte man in eine Hülle, die Särge mussten speziell gekennzeichnet werden. Angst habe sie nie gehabt, sich während der Arbeit mit dem Virus zu infizieren. Ihr war viel wichtiger, von Anfang an alles möglich zu machen für jene, die gerade Abschied nehmen mussten. Die anfänglichen Bedenken von einigen aus ihrem Team, habe sich mit der Zeit gelegt.
Die zweite Pandemiewelle machte dem Krematorium organisatorisch zu schaffen. Verglichen mit dem Vorjahr mussten zwischen November und Dezember 650 Verstorbene mehr kremiert werden. Zu normalen Zeiten finden täglich zwischen 7 und 15 Uhr 20 Kremationen statt. Im letzten Winter waren es in Spitzenzeiten deren 39, die drei Anlagen liefen bis um 20 Uhr. Eine Reservationsplattform ermöglichte es den Gemeinden, ihre Verstorbenen online zur Kremation anzumelden. Lauper musste zwei zusätzliche Teilzeitmitarbeitende einsetzen.
Anspruchsvoller geworden sind durch die Pandemie auch die Gegebenheiten im Aufbahrungsraum, wo seitdem nicht mehr als fünf Angehörigen gleichzeitig Abschied nehmen können, was bei buddhistischen oder hinduistischen Gruppen manchmal schwierig sei, so die Geschäftsführerin. Auch sei für viele Trauernde wichtig, die Verstorbenen noch einmal zu berühren. «Viele realisieren erst dann, dass der Körper nun in einem anderen Zustand ist, der Mensch gegangen ist.» Berühren sei bei jenen, die im Zusammenhang mit dem Coronavirus gestorben sind, auch weiterhin nicht möglich. Das Aufbahren und die begleitete Einäscherung – für das letzte Geleit steht immer ein Mitarbeiter daneben, wenn ein Sarg in den Ofen geschoben wird – halte man fest. Denn das Abschiednehmen sei zentral für den Trauerprozess. «Von einer Urne Abschied zu nehmen, ist zu abstrakt.»

«Reden kann Sterben nicht verhindern oder den emotionalen Schmerz lindern, aber es kann die Situation leichter und ertragbarer machen.» Silvia Richner, Palliativmedizinerin

Im Mai fand in Zürich das interdisziplinäre Kulturfestival «Hallo Tod» statt. Der «Tages Anzeiger» stellte aus diesem Anlass die Zürcher Palliativmedizinerin Silvia Richner vor, die das Festival mitorganisierte (Artikel kostenpflichtig). Die 46-Jährige begleitete jahrelang Schwerkranke und deren Angehörige in der letzten Lebensphase und stellte fest, wie schwer es fällt, über den Tod zu sprechen, Klartext zu reden. Wenn sie dann als Ärztin davon anfing, kam es ihr vor, als fliege der Elefant davon, der zuvor alle rund um das Spitalbett erdrückt habe. «Reden kann Sterben nicht verhindern oder den emotionalen Schmerz lindern, aber es kann die Situation leichter und ertragbarer machen.»
Über den Tod zu reden, fiel ihr nie schwer. In ihrem Elternhaus – die Mutter war ebenfalls Medizinerin – kannte man keine Berührungsängste. Und Ihre Mutter war es auch, die ihr einen neuen Blick darauf ermöglichte. Sie betreute ihre Mutter in deren letzten fünf Lebenswochen bei sich zu Hause. Dabei gehörten Gedichte und Musik zum täglichen Leben dazu. «Die kulturelle Auseinandersetzung mit dem Thema hat sie in dieser Zeit genährt und mir aufgezeigt, dass der künstlerische Umgang mit dem Tod ebenfalls eine gewisse Leichtigkeit vermitteln kann.» Dies wiederum erklärt ihr Engagement für das Festival.
Ihrem eigenen Tod stehe sie derzeit noch gelassen gegenüber. Sie spüre, dass da etwas komme, was gut sei. Was sie jedoch bereits jetzt fürchte sei die Angst vor dem seelischen Schmerz, ihre Liebsten loszulassen. Umso dankbarer sei sie, dass ihr kleiner Sohn mit seiner geliebten Grossmutter gelernt habe, wie selbstverständlich das Sterben sei.

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Am bereits erwähnten Festival «Hallo Tod» war auch die Designerin Bitten Stetter mit einer Installation beteiligt. In einem Beitrag von «SRF» wurde ihr Forschungsprojekt «Sterbesettings» vorgestellt, das zum Ziel hat, die Palliativpflege persönlicher zu machen. «Funktionalität hat es genug im Spital. Was fehlt, ist der individuelle Zugang, das Persönliche», sagt Stetter. Statt wie früher Kleider für die Laufstege in Paris, entwirft sie heute Spitalhemden, um Farbe in den sterilen Spitalalltag zu bringen. In einer Ausstellung im Zürcher Stadtspital Waid zeigt sie, wie sie sich die Palliativpflege persönlicher vorstellt. In diesem Care-Atelier können Patientinnen oder Angehörige aus eigens entwickelten Faltbögen beispielsweise Mobiles basteln, die man über das Bett hängen kann. Auch eine «Bettbox» für persönliche Utensilien können gefaltet und bemalt oder verziert werden.
Zum Thema Sterben kam Bitten Stetter, als sie ihre Mutter beim Sterben begleitete. «Als Angehörige wurde ich plötzlich in eine völlige fremde Welt katapultiert. Unweigerlich fragte ich mich als Designerin, warum die Dinge im Spital so aussehen, wie sie aussehen.» Alles sei auf Effizienz ausgelegt. So verwundert es nicht, dass sie auch beim Geschirr eigene Ideen entwickelt hat und statt stapelbaren Plastikbechern Porzellangeschirr vorschlägt. Lebensstil am Lebensende. Das Forschungsprojekt läuft noch bis Sommer 2023.


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Während mehreren Jahren begleitete die freie Journalistin Manuela Enggist die früh an Demenz erkrankte Rita Schwager und ihre Familie. Im vergangenen Februar erschien die Reportage im Magazin des «Tages Anzeigers». Rita Schwager ist vor gut zwei Jahren mit Exit aus dem Leben geschieden, weil sie wollte, dass «diese Krankheit nie mit mir ihr Ende sehen wird». In einem Podcast des «Tages Anzeigers» erzählt Journalistin Enggist nun von dieser langjährigen Begleitung, von bewegenden und bitteren Momenten, aber auch wie unverrückbar die Entscheidung war, ihrem Leben ein Ende zu setzen, solange sie noch urteilsfähig war. In einem zweiten Podcast wird der Reportagetext vorgelesen. Sehr hörenswert.


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Zum Schluss machen wir ausserordentlich gern wieder einmal auf den Podcast «Das letzte Stündchen» von Elena Ibello aufmerksam, die sich seit vielen Jahren sie sich mit Lebensende, Sterben und Tod beschäftigt. In der Mai-Folge spricht Elena Ibello mit dem Zürcher Palliativmediziner und -pionier Roland Kunz und entlockt ihm nicht nur sehr viele eindrückliche Praxisbeispiele, sondern auch sehr persönliche Gedanken über das Sterben, auch über das eigene. Das einzig enttäuschende an dieser zu eigenen Überlegungen inspirierenden Folge: Es ist nach knapp mehr als einem Stündchen vorbei.
palliative zh+sh, Gabriela Meissner