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Medienschau Oktober 2021

Medienschau Oktober 2021

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Die Medienschau von palliative zh+sh gibt Einblick in die Berichterstattung zu Palliative Care und verwandten Themen des vergangenen Monats. (Bild: gme)

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Über die Medienschau

Die Medienschau ist eine Momentaufnahme eines Ausschnittes der öffentlichen Diskussion zum Thema und bietet kurze Zusammenfassungen, zeigt Verknüpfungen auf und soll nicht zuletzt unterhalten und zur weiteren Lektüre der besprochenen Beiträge anregen. Wo vorhanden werden die Links zu den Beiträgen deshalb unter «Links zu den Beiträgen» aufgelistet.

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14. November 2021 / Medien
Lieber die Strassenseite wechseln, als auf einen trauernden Menschen zu treffen? Ist Spitalseelsorge ein Auslaufmodell, der Seelsorgende ein Todesengel? Und was leisten Freiwillige als Begleitende von schwerstkranken und sterbenden Menschen? Spannende Fragen, denen sich die Medien im Oktober gewidmet haben. Hier unsere Zusammenfassung.
Eine Reporterin der «Berner Zeitung» (Artikel kostenpflichtig) hat an einem Kurs teilgenommen, der anleitet, wie sterbende oder trauernde Menschen unterstützt werden können. Eine der Kursteilnehmerinnen, Irene, weiss aus eigener Erfahrung, dass trauernde Menschen oft gemieden würden. Sie hat vor einigen Jahren ihre Schwester verloren, die sie zuvor zwei Jahre lang durch eine schwere Erkrankung begleitet hat. Als ihre Schwester gestorben sei, habe sie erlebt, dass in dem kleinen Dorf, in dem sie lebt, jemand die Strassenseite gewechselt habe, um nicht mit ihr reden zu müssen. Das habe sie sehr getroffen. Was Irene erlebt habe, sei kein Einzelfall, erklärt Kursleiterin Annette Berger, die 30 Jahre Erfahrung als Trauer- und Sterbebegleiterin und Therapeutin hat. Den Kurs «Persönlicher Umgang mit Sterbenden, Trauernden und deren Nächsten» führt sie im Auftrag der der Stadt Bern durch, als Teil von «Bärn treit», der Berner Charta für ein gemeinsam getragenes Lebensende. Viele fühlten sich hilflos und überfordert im Umgang mit jemanden, der gerade einen nahestehenden Menschen verloren hat. Man weiche einer Konfrontation aus, flüchte sich in Floskeln. Aktives und mitfühlendes Zuhören sei eine Möglichkeit, wie man Menschen in belastenden Situationen begegnen könne, erklärt die Kursleiterin. Ratschläge hingegen seien kaum je hilfreich. «Etwas, das trauernde Menschen immer wieder verletzt, ist, wenn Aussenstehende sagen, ‹Du musst halt richtig trauern›. Trauern ist ein individueller Prozess, es gibt kein richtig oder falsch.»

Stattdessen würden Sätze helfen, «die nicht anmassen, dass man das Ausmass des Verlusts verstehen kann, die keinen Druck auferlegen, wie der oder die Trauernde zu reagieren hat». Auch ein schlichtes «Ich weiss nicht, was ich sagen soll» könne ein Anknüpfungspunkt sein, um mit einer Person in einer Ausnahmesituation in Kontakt zu treten. Und manchmal gebe es auch einfach nichts zusagen. Dann sei oft einfach die Anwesenheit einer anderen Person eine hilfreiche Unterstützung. Doch auch hier gelte es, die Stille gemeinsam aushalten zu können. Der Kurs mache deutlich, schreibt die Reporterin, dass ein Zusammentreffen mit einem trauernden oder die Begleitung eines sterbenden Menschen immer auch eine Konfrontation mit der eigenen Sterblichkeit und den damit verbundenen Ängsten sei. Das hält Kursleiterin Berger aber für wichtig. «Wenn wir selbst wissen, wie sich Gefühle bei uns äussern, können wir besser damit umgehen.»


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Der Tod sei medial zwar überall präsent, sagt die Theologin Barbara Lehner in einem Interview zu Allerheiligen mit der «Luzerner Zeitung» (Artikel kostenpflichtig). Auch Sterbebegleitkurse, Palliative Care oder gar Kunstschaffende würden zu einem bewussten Umgang mit dem Tod ermutigen, doch sei da auch «das hartnäckige Verleugnen des Todes, geprägt durch den Machbarkeitswahn unserer Zeit». Ob die Coronakrise den Umgang mit dem Tod verändert habe, müsse sich noch zeigen. Die langjährige Trauerbegleiterin stellt aber fest, dass der medizinische Machbarkeitswahn dadurch brüchiger geworden sei. «Menschen haben unter den Einschränkungen gelitten und konnten zum Teil nicht Abschied nehmen oder den Sterbenden nah sein.» Eine neue Akzeptanz sehe sie allerdings nicht, wenn Gegner der Corona-Schutzmassnahmen die Meinung äusserten, dass es natürlich sei, wenn alte Menschen an einer solchen Krankheit stürben. Akzeptanz zeige sich im Umgang mit der eigenen Endlichkeit und nicht mit jener der anderen. Sie selbst hat überraschend ihren Vater verloren, als sie fünf Jahre alt war. «Das hat mich sehr geprägt und zwang mich, nach dem zu suchen, was mich trägt und hält im Leben. Tod und Sterben sind für mich ein Geheimnis. Aber ich habe grosses Vertrauen, dass ich heimgehen werde, ins Licht, in ein grösseres Ganzes.»

Corona hatte aber ihrer Meinung nach einen Einfluss auf die Trauerrituale. Vermehrt würden Bestattungsfeiern in sehr kleinem Rahmen abgehalten. Die Gemeinschaft sei jedoch eine Ressource, jeder Mensch, der zu einer Trauerfeier komme, repräsentiere den Aspekt des Lebens eines Verstorbenen. Auch beim zunehmenden Trend, die Asche zu verstreuen, setzt sie Fragezeichen. So fehle zum einen ein Ort zum Abschiednehmen für jene, die von der Bestattung ausgeschlossen waren. «Zum anderen müssen wir uns als Gesellschaft fragen, ob wir überall Grabstellen haben wollen. Wir haben eine lange Tradition darin, einen Ort für die Lebenden und einen für die Toten zu haben.»

«Man braucht nicht unbedingt mehr einen Priester, aber man braucht ein Ritual.» Barbara Huster, Spitalseelsorgerin

Für die einen Patienten braucht es einen Engel auf dem Nachttisch, andere freuen sich über eine Ikone. Mehr und mehr werde heutzutage eine Art «Patchwork-Spiritualität» angeboten, schreibt das «St. Galler Tagblatt» und hat sich bei den Seelsorgenden im Kantonsspital Münsterlingen umgehört (Artikel kostenpflichtig). Die 58-jährige Barbara Huster war Pfarreiseelsorgerin und Gemeindeleiterin im Bistum Basel und arbeitet seit zehn Jahren in Münsterlingen. In den ersten Jahren habe regelmässig einen Priester für die Krankensalbung bei katholischen Patientinnen und Patienten holen müssen. Heute sei das nur noch ein- bis zweimal pro Jahr der Fall. Nun komme es öfter vor, dass sie gefragt werde, einen Segen zu sprechen. Die Gesellschaft habe sich gewandelt und mit ihr die Spitalseelsorge. «Man braucht nicht unbedingt mehr einen Priester, aber man braucht ein Ritual.» Husters gleichaltrige Kollegin Karin Kaspers-Elekes ist evangelisch. Früher gingen sie – streng nach Konfession getrennt – von Zimmer zu Zimmer. Heute werden sie nicht nur von den Patienten selbst gerufen, sondern auch dann, wenn das medizinisch-pflegerische Team spürt, dass die Kranken etwas benötigen, das über das körperliche Wohlbefinden hinaus geht. «Ich gehe nicht in die Kirche, aber ich glaube schon an öppis», sei ein Satz, den sie sehr oft hörten. Und «öppis» könne sehr viel sein, ein Patchwork aus verschiedenen Traditionen. «Wir sagen den Kranken nicht, was sie zu glauben haben», sagt Karin Kaspers-Elekes. Letztlich sei entscheidend, was, den Kranken guttue. Ein Gebet aus Kindertagen, das das Gedächtnis wieder hochspüle, könne zum Halt werden. «Jeder träumt sich den Himmel ein wenig anders.» Gleichwohl gibt es für Huster Grenzen, etwa dann, wenn es ihrem Empfinden nach zu esoterisch werde. Dann versucht sie, eine Person zu organisieren, die dieses Bedürfnis erfüllen kann. Auch erleben die beiden Seelsorgerinnen häufig, dass sie gebeten werden, die Angehörigen zu einer verstorbenen Person zu begleiten. Der Tod mache vielen Angst, die Gesellschaft habe die Abschiedskultur verloren. Doch wer sich der Spiritualität auseinandersetze, der besitze zum Ende eine Lebensressource, auf die er oder sie zurückgreifen könne.


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Ist die klassische Seelsorge ein Auslaufmodell? Das fragt auch die «NZZ» und interviewt dafür den Theologen Simon Peng-Keller. Für ihn kann die Konfession der Patienten, sie muss aber nicht der Grund sein, um Menschen nach einer schwierigen Diagnose oder am Lebensende seelsorgerlich zu unterstützen. Im Zentrum steht für den Professor für Spiritual Care die vertrauensvolle Beziehung. Bei Spiritualität gehe es letztlich um die Frage des Menschseins. «Und es geht um Transzendenzbezüge. Sie können auf Gott ausgerichtet sein oder offenlassen, worauf sie sich beziehen.» Zudem gebe es auch explizit atheistische Konzepte. Für den französischen Philosophen André Comte-Sponville seien Erfahrungen wie Grundvertrauen oder ein Sich-getragen-Fühlen ohne Gott möglich. Bei Spiritual Care gehe es darum, Menschen in schwierigen Krankheitssituationen zu beraten und zu begleiten. Das könne in solchen Situationen eine Ressource oder eine Belastung sein. Es sei ein Gesprächsangebot, das der Patient ablehnen könne.
Peng bedauert, dass viele den Wandel der Seelsorge noch nicht bemerkt haben. «Selbst religiöse Patienten denken manchmal noch, Seelsorger seien Todesengel – sie tauchen auf, wenn das letzte Stündlein schlägt.» Die moderne Spitalseelsorge stehe längst an einem anderen Ort, arbeite patienten- und bedürfnisorientiert. Zudem würden Spitalseelsorger nicht missionieren, sie seien für alle da. Spiritual Care im modernen Sinn sei dann angezeigt, wenn es deutliche Zeichen von spirituellen Belastungen gebe. In der Palliative Care habe sich die Erkenntnis durchgesetzt, dass eine Schmerztherapie auch spirituelle Nöte wahrnehmen muss, die das Schmerzerleben verstärkten. Der Theologe schlägt vor, die Spitalseelsorge als eigenständige Profession im Gesundheitswesen zu positionieren und sich damit von der Vorstellung verabschieden, dass Spiritual Care primär ein konfessionelles Angebot ist. «Spitalseelsorge ist spezialisierte Spiritual Care. Wie die Ernährungs- oder die Sozialberatung ist sie ein spezialisierter Dienst, der denjenigen Patienten zur Verfügung stehen sollte, denen das wirklich hilft und die das auch wirklich wollen.»


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Das Spital Männedorf geht in Sachen Palliative Care neue Wege. Seit Anfang November betreut ein mobiles Team Patientinnen und Patienten zu Hause, wie das «SRF-Regionaljournal» berichtet. Das zunächst als Pilotprojekt lancierte Angebot soll den Übergang von der Spitalpflege zur Betreuung zu Hause optimieren. Doch das Angebot steht nicht nur Patientinnen und Patienten des Spitals Männedorf zur Verfügung, wie Chefarzt Dominik Schneider erklärt. Auch andere Betroffene vom rechten Zürichseeufer in einer Palliativsituation können von dieser Betreuung profitieren. Die Anmeldung erfolgt über den Hausarzt, doch auch die Bezugspersonen eines unheilbar erkrankten Menschen können den Dienst anfordern. Zunächst besteht das Team aus zwei Anästhesistinnen, die ein 40-Prozent-Pensum erfüllen, jedoch rund um die Uhr erreichbar sind. Grundsätzlich soll das gesamte Palliative-Care-Angebot, wie beispielsweise ein Therapiehund, auch zu Hause möglich sein.
«Man sollte sich nicht zu gut sein, Hilfe zu beanspruchen.» Hermann Lauk, betreuender Angehöriger

Freiwillige begleiten Sterbende – im Kanton Aargau besteht seit 11 Jahren ein entsprechendes Ausbildungsangebot der Aargauer Landeskirchen. Die Zahlen, die der Bericht der «Aargauer Zeitung» auflistet, sind beeindruckend: Im Schnitt werden jährlich 500 Personen begleitet. In zehn Jahren summierten sich die geleisteten Stunden an Freiwilligenarbeit auf über 60'000 Stunden, was bei einem Stundenansatz von 30 Franken mehr als 1,8 Millionen Franken entsprächen. Ebenfalls auf die zehn Jahre gerechnet wurden 945 Personen ausgebildet, 415 Pflegefachpersonen, 530 Freiwillige. Hermann Lauk gehört zu jenen, denen die Unterstützung von Freiwilligen Entlastung bot und Freiräume schuf. Lauk umsorgte seine todkranke Frau während zwei Jahren. «Palliative Care kann Zeit schenken!» Und es sei wunderbar, dass es Menschen gebe, die Zeit schenken wollten. Er habe in diesen Zeiten auftanken können. «Man sollte sich nicht zu gut sein, Hilfe zu beanspruchen.» Und das rechtzeitig, bevor man selbst zu erschöpft sei.


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Den Abschluss machen wir mit einem Interview mit dem Palliativmediziner Michael de Ridder, das in einem Sonderheft der «Annabelle» (nicht online erhältlich) erschienen ist. Der 74-jährige Internist hat lange in der Berliner Charité gearbeitet, später ein Hospiz gegründet und hat unter anderem Bücher zur ärztlichen Sterbehilfe in Deutschland geschrieben. Er war zudem auch Kläger gegen den Strafrechtsparagrafen 217, der in Deutschland ärztliche Suizidhilfe verbot. Man gewöhne sich zwar an den Tod, weil das Sterben im Spital alltäglich sei, sagt de Ridder im Interview. Das müsse aber nicht heissen, dass man ungerührt bleibe. «Auch im hektischen Klinikbetrieb hielt ich immer inne, wenn jemand starb. Ich empfand so etwas wie Ehrfurcht dafür, dass da gerade jemand vor mir sein Leben beendete.» Dass viele Ärztinnen und Ärzte den Tod als Niederlage empfinden, darüber sagt der Palliativmediziner, dass für ihn bei diesen Berufskolleginnen und -kollegen der Zweifel fehle, das Nachdenken darüber. «Wenn wir beide heute durch die Intensivstation der Berliner Charité gingen, dann würden wir feststellen, dass ein Drittel der Patientinnen und Patienten ältere, multimorbide Schwerstkranke sind, die keine Aussicht auf Heilung haben. Trotzdem werden sie mit einem kurativen, also auf Heilung abzielenden Ansatz behandelt. Da sollte man sich doch fragen: Tue ich mit dem, was ich dem Patienten oder der Patientin an Beatmung, an Infusionen, an Chemotherapie zukommen lasse, wirklich etwas Gutes?»
In Deutschland sei es – anders als in der Schweiz – so, dass Angehörigen im Fall einer Urteilsunfähigkeit nur dann in die Behandlungswünsche miteinbezogen würden, wenn einer der Angehörigen eine Vollmacht habe. Beim Überbringen von schwierigen Diagnosen hält de Ridder es für das Wichtigste, dass er den Patienten und den Angehörigen gegenüber wahrhaftig bleibt, ohne ihnen jedoch die Hoffnung zu nehmen. Das sei eine heikle Balance, deshalb sei seine Botschaft: Dass zwar aufgrund der weit fortgeschrittenen Erkrankung keine Heilung mehr erreicht werden könne, dass aber sehr viel für die Lebensqualität und das Wohlbefinden getan werden könne. Die meisten Leute wüssten gar nicht, dass die Palliativmedizin heute weitreichende Möglichkeiten habe, um schwere Krankheitssymptome wie Schmerzen, Übelkeit oder Panikzustände zu lindern. Zwar könnten Schmerzen nicht immer und nicht in jedem Fall gelindert werden, wichtig sei jedoch zu wissen, dass nur bei etwa 15 Prozent aller schwerstkranken Sterbenden der Schmerz eine zentrale Rolle spiele. Er hat festgestellt, dass manche Menschen leichter sterben als andere. «Viele werden am Ende von Schuldgefühlen geplagt, vielleicht auch wegen eines ungelebten Lebens; das steigt im Sterbeprozess hoch und bedarf der Bewältigung.» Mindestens ebenso wichtig wie eine gute ärztliche und pflegerische Versorgung sei deshalb eine einfühlsame Umgebung. Im Hospiz gehe es nicht nur um beste medizinische Versorgung, «sondern um Herzlichkeit, Zuwendung und Kommunikation».
palliative zh+sh, Gabriela Meissner