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Medienschau September 2016

Medienschau September 2016

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Die Medienschau von palliative zh+sh gibt Einblick in die Berichterstattung zu Palliative Care und verwandten Themen im vergangenen Monat. (Bild: palliative zh+sh)

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Unter dem Titel «Medienschau» bietet palliative zh+sh regelmässig einen (unvollständigen) Überblick über die Berichterstattung in verschiedenen Medien zu Palliative Care und verwandten Themen. Für den Ferienmonat Juli liefern wir hier eine etwas kürzere Fassung als üblich.

Die Medienschau ist eine Momentaufnahme eines Ausschnittes der öffentlichen Diskussion zum Thema und bietet kurze Zusammenfassungen, zeigt Verknüpfungen auf und soll nicht zuletzt unterhalten und zur weiteren Lektüre der besprochenen Beiträge anregen. Wo vorhanden, werden die Links zu den Beiträgen deshalb in der rechten Spalte aufgelistet.

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06. Oktober 2016 / Medien
In der Schweiz sorgten im September besonders die Ergebnisse einer Studie für Gesprächsstoff: Die Studie, die das LINK-Institut im Auftrag von «Exit» durchgeführt hat und zutage brachte, dass die meisten Menschen in der Deutschschweiz sich wünschen, dass ihr Arzt oder ihre Ärztin sie zu sämtlichen Optionen am Lebensende unvoreingenommen berät und ihnen bis zum Tod beisteht. Das heisse auch, über die Sterbehilfe zu informieren, kommentierte Exit. Die SRF-Radiosendung «Rendez-vous» nahm das Thema auf und stellte fest: «Die Forderung kommt nicht bei allen Ärzten und Ärztinnen gut an.» Daniel Büche beispielsweise, Palliativmediziner in St. Gallen, sagte gegenüber SRF, Ärztinnen und Ärzte müssten die Menschen nicht über die Möglichkeit der Suizidbeihilfe zu informieren. Das sei nicht ihre Aufgabe.

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Ein wenig anders nimmt der Zürcher Palliativmediziner Roland Kunz in einem Online-Beitrag von SRF dazu Stellung. Auch er ist der Meinung, dass Ärztinnen und Ärzte mitnichten verpflichtet sind, bei der Beihilfe zum Suizid Unterstützung zu bieten. Doch sei es richtig und wichtig, dass Ärztinnen und Ärzte über Sterbehilfe sprechen, wenn das die Patientin oder der Patient wünsche. «Das heisst aber nicht, dass jeder Hausarzt ihm [dem Patienten] eine profunde Beratung zum Thema anbieten muss, sondern ihn vielleicht an eine andere Stelle weiterverweist.» Für Kunz ist derweil bei den vorliegenden Studienergebnissen vor allem Eines wichtig: Dass die Menschen offenbar «die Erwartung haben, dass sie von ihrem Arzt frühzeitig, ehrlich und vorausschauend beraten werden.» Dass also grundsätzlich auch über das Sterben gesprochen wird. Wichtig wäre laut der Studie ausserdem, mehr über die Angebote der Palliative Care zu informieren.

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Auch in der Fernsehendung «Club» am selben Tag wurde über die Sterbehilfe diskutiert. Die Frage, um die sich die Diskussion drehte: Ist Sterbehilfe eine Zumutung für die Angehörigen? Moderatorin Karin Frei diskutierte mit Betroffenen, einem Ethiker, einer Fachfrau, dem ehemaligen Zürcher Stadtarzt Albert Wettstein und mit Heidi Vogt von Exit Zürich. Eine spannende Diskussion, die intensive Einblicke in die Erlebnisse von Menschen gewährte, die ihre jeweiligen Partner durch Suizidbeihilfe verloren haben. Deutlich wurde unter anderem, dass es für sie besonders schwierig war, über die Suizidpläne ihrer Partner zu sprechen: im Arbeitsumfeld, im sozialen Umfeld, in der weiteren Familie. «Was soll ich meinen Arbeitskollegen sagen?», fragte Urs Saladin, dessen an MS erkrankte Frau sich mit Hilfe von Exit das Leben nahm. «Meine Frau macht in ein paar Wochen exit?» Der Umgang mit dem Thema im Umfeld gestaltet sich fast in jedem Fall schwierig. Aber auch der eigene Umgang mit dem Entscheid des Partners ist alles andere als leicht. Ethiker Jean-Daniel Strub meinte, Entscheidungen am Lebensende seien ganz allgemein für das Umfeld schwierig nachzuvollziehen. «Die Errungenschaft der Selbstbestimmung am Lebensende und in anderen Lebenssituationen ist nicht nur einfach. Darum braucht es im Umgang damit sehr viel Sorgfalt.» Einig waren sich alle Diskussionsteilnehmenden insbesondere in einem Punkt: Angehörige müssen intensiv begleitet werden.

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Zwei Tage zuvor – am Morgen vor dem Schweizer «Tatort» zum Thema Sterbehilfe – fand der «philosophische Stammtisch» der «Sternstunde Philosophie» im Fernsehen auf SRF1 statt. Dort sprachen vier Philosophen über das Thema Freitodbegleitung und über den sogenannten «Sterbetourismus». Mit einem der vier Philosophen erschien auf SRF News Online auch ein Interview zum Thema. Peter Schaber geht darin unter anderem auf die Rolle der Sterbehelferinnen und -helfer ein und erklärt, für diese müsse die Begründung des Sterbewunsches von Sterbewilligen immer nachvollziehbar sein. Denn sie müssten ihre Tätigkeit selber verantworten können. «Und das können sie nur, wenn sie aus Gründen handeln, die sie selbst als gute Gründe ansehen.»

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Den Fokus weg vom «Dauerthema Sterbehilfe» führte die «Schweiz am Sonntag» mit Heike Gudat. Die Palliativmedizinerin präsentierte die Ergebnisse einer Studie, die sie mit ihrem Forschungsteam durchführte. Es ist eine der umfangreichsten Untersuchungen weltweit, die nach den Sterbewünschen von Todkranken fragt. Über acht Jahre interviewten die Forschenden 62 unheilbar kranke Menschen immer wieder, 250 Gespräche wurden insgesamt geführt.
Um die Intentionen von Äusserungen über Sterbewünsche zu verstehen, sind Gespräche unerlässlich.
Heike Gudat

Es zeigte sich, dass Sterbewünsche sehr oft geäussert werden und dabei hypothetisch, ambivalent oder auch konkret sein können. Um die Intentionen zu verstehen, seien Gespräche unerlässlich, sagt Gudat gegenüber der Schweiz am Sonntag. Wie die Studie aber zeigt, fehlen genau diese wichtigen Gespräche. «Der Tod ist für viele Mediziner eine Bedrohung; und keine Option», sagt Gudat. Aus den Ergebnissen ihrer Studie hat sie darum eine Checkliste erarbeitet, mit deren Hilfe Sterbewünsche von Betroffenen relativ rasch analysiert werden können. Dadurch soll unnötiges Leiden erspart werden. Die Schweiz am Sonntag schreibt, Heike Gudat zwinge «eines der besten Gesundheitssysteme der Welt, seine Grenzen anzuerkennen.»

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Ein Beispiel für die Probleme in Sachen Finanzierung spezialisierter Palliative Care zeigt sich aktuell im Aargau. Wie das Regionaljournal von Radio SRF berichtet, kämpft das Hospiz Aargau mit finanziellen Problemen. Das liegt an ungedeckten Kosten, wie sie Hospize in der ganzen Schweiz kennen – obwohl die Pflegefinanzierung Sache der Kantone ist. Der Kanton Aargau stellt laut dem Bericht von Radio SRF in Aussicht, die Finanzierungslücke zu schliessen. «Es wäre denkbar, dass es in Zukunft einen Palliativ-Zuschlag geben könnte», sagt Balz Bruder, Sprecher des Aargauer Gesundheitsdepartements. Das brauche aber noch viel Zeit. Insbesondere müsse man zuerst Grundlagen erheben zum Bedarf bei Palliative Care. Das Hospiz Aargau habe derweil «die Finanzen geprüft und sich neu aufgestellt». Geschäftsführer Dieter Hermann ist zuversichtlich, dass das Hospiz den Betrieb weiterführen kann.

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Ein anderes bekanntes Problem in der Betreuung am Lebensende ist eines, das ebenso nicht zuletzt im Zusammenhang mit den Finanzen steht: «Das Hin und Her am Ende des Lebens», wie die Plattform «Medinside» ihren Artikel überschreibt. Gemäss einer aktuellen Studie von Helsana werden die meisten Menschen in den letzten Lebensmonaten verlegt und hospitalisiert, fast jeder siebte Mensch erlebt eine belastende Verlegung am Lebensende. Was die Studie ebenso zutage fördert: Die Zahl der Verlegungen und Hospitalisierungen schwankt in der Schweiz je nach Region. «Sie war seltener in Gegenden mit einem dichteren Spitex-Angebot. Und sie war höher in Regionen mit einer vergleichsweise grossen Zahl an ärztlichen Grundversorgern.» Medinside schlussfolgert: «Man kann sich also fragen, ob durch Anpassungen der Versorgungsstrukturen für chronisch Kranke und für sehr alte Menschen das Leben erleichtert werden könnte – und dies womöglich bei sinkenden Gesundheitskosten.»

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In Deutschland erschienen kürzlich zwei neue Bücher zum Thema Palliative Care und medizinische Betreuung am Lebensende. Eines löste in den Medien ein besonderes Echo aus: Das Buch «Patient ohne Verfügung. Das Geschäft mit dem Lebensende» des Palliativmediziners Matthias Thöns. Der «Deutschlandfunk» schreibt in einem Online-Beitrag darüber: «320 Seiten inklusive eines 50-seitigen Anhangs […] hat das Buch – auf mehr als der Hälfte schildert Matthias Thöns Fälle aus seinem Berufsalltag. Vom Lungenversagen über Wachkoma und Dialyse bis hin zu unerträglichen Schmerzen […]. Ist das nicht zu viel? Würden nicht zwei, drei Fälle zur Illustration reichen? Nein, sie reichen nicht!» Erst die Fülle der Grausamkeiten verdeutliche die Dimension des Problems, so der Deutschlandfunk. Denn geschildert werden im Buch Fälle von Betroffenen, die meist gegen ihren Wunsch am Leben erhalten werden und die umfangreiche Therapien über sich ergehen lassen müssen. «Es ist schockierend, immer und immer wieder zu lesen, wie sehr manche Patienten leiden, damit Ärzte und Kliniken abkassieren können», heisst es im Online-Beitrag. Denn das ist der Vorwurf von Thöns: Dass diese Praktik bewusst angewandt wird, damit Leistungen verrechnet werden können.

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Diesen Ball nahm auch die Sendung «Monitor» sowohl auf dem Fernsehsender WDR als auch auf ARD auf. Monatelang, so heisst es in der Anmoderation, seien Journalisten inkognito unterwegs gewesen, um bei Deutschen Pflegediensten zu recherchieren. Das Team schilderte einen fiktiven Pflegefall und suchte bei fünf verschiedenen Anbietern Beratung. Alle boten an, den Patienten aufzunehmen – obwohl dieser in seiner Patientenverfügung festgehalten hatte, er wolle keine intensivmedizinischen Massnahmen am Lebensende. Wirklich erstaunlich: Einige ermutigten die Interessenten sogar dazu, die Patientenverfügung zu missachten oder gar zu vernichten. Zu Wort kommt im Beitrag auch Matthias Thöns, der Autor des Buches «Patient ohne Verfügung». Er sagt: «Patienten werden zunehmend als Objekte angesehen, an denen Geld verdient werden kann.» Patientenverfügungen würden nicht beachtet oder so lange uminterpretiert, bis es für die behandelnden Mediziner_innen stimme. Thematisiert wird auch ein vorgelagertes Problem in Deutschland: Das «fragwürdige Finanzierungssystem» befördere nämlich diese Praktiken. Auch Der SPD-Gesundheitspolitiker Karl Lauterbach meint: «Da muss man unbedingt etwas ändern.»

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Das zweite Buch, das in Deutschland zu reden gab, ist das des Palliativmediziners Sven Gottschling. Es trägt den Titel «Leben bis zuletzt. Was wir für ein gutes Sterben tun können». Im Interview mit der SWR2-Radiosendung «Impuls» thematisiert er genau das, was Heike Gudat aufgrund ihrer aktuellen Forschung so wichtig findet: Das Reden über Sterbewünsche. Gottschling sagt im Interview, obwohl nur ganz wenige Menschen tatsächlich einen anhaltenden, festen Sterbewunsch hätten, spiele Sterbehilfe in seinem Alltag eine grosse Rolle. Sehr viele Menschen, die schwer krank seien, äusserten den Wunsch nach Beihilfe, sagt er. «Wir wollen aber die Gründe erfahren.» Und meistens seien das Angst vor Schmerzen und anderen Symptomen. Diese könne die Palliativmedizin meist sehr gut lindern. «Wenn die Menschen spüren, dass wir sie unterstützen und in keiner Situation fallen lassen, nehmen sie die Hilfe meistens sehr gerne an.» Er sagt, es sei für ihn ein Glück zu sehen, wie Menschen am Ende ihres Lebens oft noch einmal aufblühten, wenn belastende Symptome gelindert werden können.

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Auch in einem Interview mit der «Pharmazeutischen Zeitung» beteuert Gottschling, dass Symptome wie Schmerzen meist gut in den Griff zu kriegen seien. Oder besser: wären. Denn «die sehr guten schmerztherapeutischen Möglichkeiten stehen jedoch leider im krassen Gegensatz zur Lebenswirklichkeit.» Über 70 Prozent der lebensbegrenzend kranken Erwachsenen und fast 90 Prozent der Kinder in Deutschland sterben nicht beschwerdearm.
«Die sehr guten schmerztherapeutischen Möglichkeiten stehen leider im krassen Gegensatz zur Lebenswirklichkeit.»
Sven Gottschling

Gottschling sieht den Grund dafür in der Tatsache, dass die Mediziner_innen, die aktuell in Entscheidungspositionen sind, nicht auf dem aktuellen Stand des Wissens zum Thema Schmerz- und Palliativmedizin seien. Er setzt darum auf den Nachwuchs. Und wagt im Interview einen allgemeinen Ausblick: «Ich denke, es wird in Zukunft zwei grosse Standbeine der Medizin geben: die Palliativmedizin und die Geriatrie.»

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Einen Rückblick unternahm die BBC-Radiosendung «Great Lives» mit einem Gespräch über das Leben und Wirken von Dame Cicely Saunders. Mit der Schauspielerin und Autorin Maureen Lipman und dem Professor David Clark, der nicht nur über End of Life Care sondern auch über Cicely Saunders‘ Lebenswerk forscht, führte BBC-Mann Mathew Parris ein intensives Gespräch. Lipman ist eine Bewundererin von Saunders und sagt über sie: «Sie veränderte das Gesicht der Medizin, das zwar ein positives Gesicht war, aber es war abgewandt von unheilbarer Krankheit.» Saunders habe sich diesem Teil des Lebens zugewandt und viel für die Sterbenden geleistet, zu ihrer Zeit und bis heute. Ein interessantes Gespräch, das auch auf jene Eigenschaften Saunders‘ eingeht, die ihr Umfeld forderten und herausforderten.

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Was macht eigentlich gute Pflege in einem Heim aus? Dieser Frage ging eine Fernseh-Dokumentation auf SWR nach. Warum ist gute Pflege keine Selbstverständlichkeit? In der Dokumentation kommen zahlreiche Beispiele zur vor, in denen Betreute vernachlässigt oder sogar erniedrigt wurden. Die Pflegefachkraft Manuela Heyne wollte als Pflegeexpertin in einem Heim Missstände beheben – in der Annahme, sie sei genau dazu angestellt worden. Doch am Ende scheiterte sie fatal am Widerstand ihres Arbeitgebers und galt im Team bald als Nestbeschmutzerin. Heute setzt sie auf den Nachwuchs und arbeitet in der Ausbildung Pflegender. Heyne sagt: «Pflege ist ein Dienst am Menschen. Das hört sich sehr antiquiert an, aber etwas anderes ist es nicht.» Porträtiert im Film wird auch das Maria-Martha-Stift am Bodensee, das es offenbar schafft, seinen Bewohnenden ein Gefühl von Heimat zu vermitteln, und «gute» Pflege zu leisten. Die Heimleiterin Anke Franke ist überzeugt, dass die Grundvoraussetzung dazu ein gutes Team sei. Mitarbeitende mit einer Grundhaltung, die den Menschen in den Mittelpunkt stelle. Alles andere, das Fachliche, das könne man lernen. Dazu gehört für Franke aber auch, dass sie ihre Mitarbeitenden «hegt und pflegt». Gute Pflege, so schlussfolgert der Pflegeexperte und Sozialpädagoge Claus Fussek, der die Pflegesituation in Deutschland immer wieder lautstark kritisiert, sei machbar und bezahlbar. «Die guten Beispiele zeigen, dass es geht!»

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Ebenfalls auf SWR zeigte ein Dokfilm, wie individuell die Pflege und Begleitung alter Menschen organisiert sein sollte. Und wie schwierig und komplex es ist, die «passende Lösung» für eine Familie zu finden. Ein 80-jähriger demenzkranker Mann wird beispielsweise von seiner Frau zuhause gepflegt. Die Frau läuft am Limit, die Söhne haben nur wenig Zeit und versuchen, Unterstützung zu organisieren. Schnell stellen sie fest, dass die Heime in der Umgebung nicht auf die Bedürfnisse ihres Vaters ausgerichtet sind und dass die Mutter sich nicht recht vorstellen kann, fremde Hilfe im eigenen Haus anzunehmen. Zwei weitere Beispiele erzählen von Ängsten und Widerständen, von fehlenden Unterstützungsangeboten und davon, wie sich am Ende doch Möglichkeiten ergeben, die in der jeweiligen Situation Sinn machen. Und wie sich auch das Verhältnis zwischen Tochter und Mutter, Vater und Sohn entspannen kann, wenn Hilfe und Unterstützung den Alltag erleichtern. «Ich habe die Angst vor Altenheimen verloren», sagt ein Sohn am Ende des Films. «Ich besuche meinen Vater hier bei ihm zuhause.»
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