palliative zh+sh

Sprunglinks/Accesskeys

Medienschau September 2021

Medienschau September 2021

Weitere Infos

Die Medienschau von palliative zh+sh gibt Einblick in die Berichterstattung zu Palliative Care und verwandten Themen des vergangenen Monats. (Bild: gme)

Portrait

Über die Medienschau

Die Medienschau ist eine Momentaufnahme eines Ausschnittes der öffentlichen Diskussion zum Thema und bietet kurze Zusammenfassungen, zeigt Verknüpfungen auf und soll nicht zuletzt unterhalten und zur weiteren Lektüre der besprochenen Beiträge anregen. Wo vorhanden werden die Links zu den Beiträgen deshalb unter «Links zu den Beiträgen» aufgelistet

Dokumente zum Thema

Video zum Thema

25. Oktober 2021 / Medien
Palliative Care müsste die Medizin der Zukunft werden. Dies postuliert die Autorin Ruth Schweikert. Sterben ist eine wichtige und selbständige Lebensaufgabe, lautet eine andere Formulierung, die uns beim Blick in die Medien im September aufgefallen ist. Hier ist unsere Zusammenfassung der spannendsten Beiträge.
Aus Sicht der modernen Medizin ist der Unterschied zwischen Kranksein und Gesundsein nicht mehr so klar. In einer Gastkolumne in der «NZZ am Sonntag» (Artikel kostenpflichtig) schreibt die Schriftstellerin Ruth Schweikert, dass wir alle Kranke seien, aber noch nichts davon wüssten. Im Zeitalter der «Medizin 4P – personalisiert, präventiv, prospektiv und partizipativ» seien wir spätestens ab 40 als Dauerpatienten zu betrachten. Denn diese vier Ps bedeuteten zugespitzt formuliert Genomrisikoanalyse, (Selbst-)Überwachung und präventive Medikamenteneinnahme. Der Patient, die Patientin würden insofern partizipieren, als sie ihren Gesundheitszustand permanent evaluieren und bei Bedarf auch selbst medikamentieren. Nicht zuletzt seit Dr. Google und Selbstüberwachungsgeräten habe sich das Wissensmonopol zumindest teilweise zu den Patienten verschoben.

Gleichzeitig schreibt Schweikert über den Tod ihres Lebensfreundes an metastasierendem Lungenkrebs. Dank seiner Angehörigen, Freundinnen und Freunden, Spitex und auch einem «ausserordentlich engagierten Arzt», habe dieser «zu Hause, im Beisein ihm nahestehender Menschen, ohne fürchterliche Schmerzen oder Panik» sterben können. Besagter Arzt, Infektiologe in einem grossen Spital, sei in den letzten Lebenswochen immer für Unterstützung erreichbar gewesen; dank heutiger Technik, ohne vor Ort zu sein. «Er leistete Palliative Care im Wortsinn, eine ummantelnde Fürsorge, so dass ich mehr als einmal dachte: Das ist die Medizin der Zukunft, dahin müsste die Medizin sich entwickeln; wenn die künstliche Intelligenz – wie ein Medizininformatiker hofft – bald diagnostische, therapeutische und administrative Aufgaben erledigt, haben die Ärztinnen und Ärzte wieder mehr Zeit für das Gespräch mit ihren Patientinnen und Patienten.»


***

Sterben ist eine wichtige und selbständige Lebensaufgabe. Das sagte der Flawiler Arzt Thomas Lanter an einem Anlass der ökumenischen Hospizgruppe Flawil unter dem Titel «Was im Leben und im Sterben trägt», über die das «St. Galler Tagblatt» berichtet. Das Forum Palliative Care Flawil habe verdeutlicht, dass Sterben und Sterbebegleitung ins volle Menschenleben hineingreifen. Am Anlass schilderten fünf Personen ihre Erfahrungen mit Sterbenden. Sie werde oft gefragt, wie sie die Arbeit mit Sterbenden aushalte, sagte Stefanie Pilat, die als diplomierte Pflegefachfrau in den vergangenen elf Jahren bis zur Schliessung die Palliativ-Abteilung am Spital Flawil geleitet hat. Trauer habe in ihrem Arbeitsalltag zwar ihren Platz, doch erlebe sie das Begleiten von Menschen, die ihre letzte Lebensphase bewusst, tief und beeindruckend gestalteten als erfüllend. Immer wieder sei es möglich, Wünsche zu erfüllen und in leuchtende Augen zu sehen. Der evangelische Pfarrer Marc Hampton bezeichnete Sterbebegleitung als gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Die ökumenische Hospizgruppe Flawil nehme sich dieser Aufgabe bereits seit 15 Jahren an. Vor drei Jahren entstand das Netzwerk Flawiler Forum Palliative Care, in dem neben der politischen Gemeinde und den beiden Kirchgemeinden Hausärzte und weitere Institutionen vereinigt sind.

«Durch Tiere wird dieses letzte Zuhause noch realer» Sibylle Jean-Petit-Matile, Ärztin und Geschäftsleiterin der Stiftung Hospiz Zentralschweiz

Buddy ist ein Hund. Ein Sozialhund, der einmal pro Woche Patientinnen und Patienten im Hospiz Zentralschweiz besucht. Vorausgesetzt natürlich, diese möchten das. An einem dieser Donnerstage ist auch die «Luzerner Zeitung» (Artikel kostenpflichtig) mit dabei. Buddy legt sich zu einer Patientin aufs Bett. Als er sich anschmiegt, strahlt die schwerstkranke Frau. Auch sie habe früher einen Hund gehabt, erzählt sie und spricht über ihrer Erkrankung, was sich damit alles verändert habe. Als sie müde wird, weist Esther Felber, Buddys Besitzerin, den Hund an, wieder vom Bett zu steigen. Bei der Verabschiedung bringt die Frage, ob sie mit Buddy wiederkommen soll, die Patientin zum Weinen. Sie möge den Hund sehr, doch er hole sie zurück ins Leben, dabei wolle sie doch Abschied nehmen. Eigentlich habe alles Platz, sagt Felber nach dem Besuch. Wichtig sei, dass sie Patienten während des Besuchs für einen Moment ihre Krankheit vergessen können.
Damit Buddy an diesen Nachmittagen ruhig und sanft arbeiten mag, geht seine Besitzerin jeweils am Morgen auf einen langen Spaziergang, wo er sich austoben kann. Auch Training und eine intensive Fellpflege gehören dazu. Für seine Einsätze wurde der Australian Cobberdog währen acht Monaten geschult und absolvierte die Prüfung zum Sozialhund. Inzwischen habe er gelernt, erklärt Esther Felber, dass sobald sie zur Arbeitstasche greife, er im Einsatz sei und sehr sanft sein müsse.

Im Hospiz wird die ehrenamtliche Arbeit des Duos sehr geschätzt. Die Besuche seien ein Glücksfall. Das Hospiz wolle einen schönen letzten Lebensabschnitt, ein Zuhause bieten, sagt Sibylle Jean-Petit-Matile, Ärztin und Geschäftsleiterin der Stiftung Hospiz Zentralschweiz. «Durch Tiere wird dieses Zuhause noch realer.»


***

Die Online-Plattform «swissinfo.ch» berichtet über den begleiteten Suizid eines jungen Japaners, der im Artikel Yoshi heisst. Da in Japan der assistierte Suizid verboten ist, hat sich der Büroangestellte vor drei Jahren bei der Schweizer Sterbehilfeorganisation lifecircle die entsprechende Bewilligung beantragt. Ursprünglich wollte er die Reise in die Schweiz nicht vor 2022 antreten, doch aufgrund seiner Motoneuronenerkrankung – die häufigste Ausprägung davon ist ALS – entschied er sich vor kurzem um, weil sich sein Zustand seit einigen Monaten drastisch verschlimmerte. Die zunehmende Taubheit im Mundbereich führte dazu, dass er keine feste Nahrung mehr zu sich nehmen konnte. Joghurt und Brei, damit hielt er seinen Körper am Laufen. Die Beweglichkeit der Finger nahm ab, und auch seine Rumpfmuskulatur hatte sich deutlich verschlechtert, was dazu führte, dass die inneren Organe weniger Halt haben, die Nerven berühren und starke Schmerzen verursachen. Selbst die starken Schmerzmittel wirkten nicht mehr, so dass er auch nicht mehr richtig schlafen konnte. Er musste das Flugzeug besteigen, bevor er sich nicht mehr bewegen kann. Er habe gespürt, es gehe nun um sein Leben.

Er wolle nicht ohne Würde leben. Das sagte er auch seinen Eltern, die sich seinen Plänen zunächst widersetzten, bei denen der Single Anfangs 40 lebte. Erste Anzeichen der Krankheit erhielt er schon vor fünf Jahren. Im Mai konnte er nur noch kurze Strecken an Stücken gehen, dann verschlechterte sich sein Zustand plötzlich. In Basel angekommen muss er sich im Gespräch einer Ärztin und einem Arzt erklären, die nach insgesamt drei Stunden befinden, dass einem assistierten Suizid nichts im Weg stehe. Im Interview sagt Yoshi auf die Frage, warum er in die Schweiz gereist sei: «Weil ich in Menschenwürde sterben möchte. Atmen, Essen, Stuhlgang haben und Kommunizieren, das sind die Grundpfeiler des Lebens. Da ich das jetzt nicht mehr kann, treffe ich die richtige Entscheidung, das zu beenden.»

«Die Diagnose Demenz ist oft mit einer gewissen Erleichterung verbunden. Endlich haben die verstörenden Symptome einen Namen.» Klaus Bally, Hausarzt

Vor dem Anlass «Demenz meet Basel» gaben Reni Chiudinelli, die ihren an Demenz erkrankten Schwiegervater bis zu dessen Tod betreut hatte, und Hausarzt Klaus Bally dem Lokalsender «Tele Basel» ein Interview. Sehr viele Menschen hätten eine falsche Vorstellung über Demenz, sagt Reni Chiudinelli, das sei für die Betroffenen und ihre Angehörigen sehr diskriminierend, weil es oft mit Ausgrenzung einher gehe. Die Botschaft einer solchen Diagnose sei zwar ernst, erzählt Bally aus seinem Alltag als Hausarzt, doch sei es oft eine gewisse Erleichterung, den verstörenden Symptomen wie dem Verlust von Sprache, Orientierung oder damit einhergehenden Konflikten einen Namen geben zu können. «Viel schlimmer ist das soziale Todesurteil, das damit verbunden ist», so Bally. Es sei Aufgabe der Gesellschaft, dem entgegenzuwirken und demenzkranken Menschen und ihren Angehörigen die Teilnahme am sozialen Leben zu ermöglichen. Auch Chiudinellis Schwiegervater nahm die Diagnose zwar einigermassen gelassen an. «Er war aber sehr traurig, als er realisierte, was er alles verliert.» Als er sich dessen nicht mehr bewusst war, habe er die gute Zeit, die sie mit ihm verbrachte, jeweils sehr genossen.


***

Für das Ostschweizer Online-Kulturmagazin «saiten.ch» hat sich die Autorin Julia Sutter im Hospiz St. Gallen umgesehen und zieht dabei immer wieder Bezüge zum St. Galler Geburtshaus. Beides seien Institutionen, in denen nicht Ärztinnen und Ärzte das Sagen haben, sondern Pflegefachkräfte. Die Autorin hat eigene Erfahrungen mit der Palliativ-Abteilung im Kantonsspital St. Gallen gemacht, wo man ihrer todkranken Mutter und der Familie beschied, man könne leider nichts mehr für sie machen, sie könne nicht länger hierbleiben. Das Pfegefachpersonal auf der Palliativstation habe sich einfühlsam und kompetent nicht nur um die Sterbende, sondern um die ganze Familie gekümmert, doch sei sie im Rückblick froh, dass ihre Mutter im Hospiz im Werdenberg in Grabs sterben konnte. Grosse Dankbarkeit für die Institution Hospiz, spüre sie bei allen Angehörigen, zitiert die Autorin die Leiterin Pflege des Hospiz St. Gallen, Daniela Palacio. Das Hospiz hat 2018 den Betrieb aufgenommen und ist im vergangenen Frühling in die Villa Jacob gezogen.

Ihr sei in den letzten Wochen der zweiten Schwangerschaft klargeworden, «wie nah die Empfindungen rund um Geburt und Tod tatsächlich beieinanderliegen». Es sei ein Warten und Bangen, wie damals am Bett der Mutter. Erst jetzt habe sie verstanden, wie gut es sei, im Moment grösster Durchlässigkeit an einem Ort zu sein, an dem Zeit keine Rolle spiele. Ein Ort der Geborgenheit, an dem alles seinen Gang nehmen darf. Wo der Körper durch möglichst wenige oder gar keine Interventionen aus dem Takt gebracht werde.

Einen Unterschied macht die Autorin aus: Eine Gebärende habe die Freiheit, sich für ein Geburtshaus zu entscheiden, für Todkranke gebe es diese Wahlfreiheit nicht. «Sie kommen ins Hospiz, weil es zu Hause nicht mehr geht, und weil sie auch keine Spitalversorgung mehr benötigen.» Entsprechend schwer falle der Eintritt, allein sei klar, was dieser Schritt bedeute, sagt Palacio. «Aber nach einem ersten Moment des inneren Widerstands kommt meist eine Entspannung und Erleichterung auf, gerade wenn Patientinnen von daheim zu uns verlegt werden.» Und für jene, die aus der riesigen Spitalstruktur in die sieben-Betten-Villa gelangen, kehre endlich Ruhe ein. Keine tägliche Visite mehr, dafür mehr Raum für individuelle Wünsche.
Der Beitrag ist zu lang, als dass er hier hinreichend zusammengefasst werden kann. Das Lesen lohnt sich aber auf jeden Fall.


***

Das gilt auch für den letzten Beitrag in dieser Medienschau, der zwar nicht mehr neu, dafür umso berührender ist. Das «NZZ Folio» hat dafür tief ins Archiv gegriffen und einen Beitrag erneut publiziert, der Ende 1999 erschienen ist und zwei Menschen porträtiert, die sich im Hospiz kennenlernen. Rosa ist 86, Michael 32, und beiden bleibt nur noch wenig Zeit. Sie hat Krebs, der junge Mann ist an Aids erkrankt. Das erste Mal sehen sie sich an einem Grillfest im Hospiz im Park in Arlesheim. Ihre Zimmer liegen auf dem gleichen Stock, doch Kontakt haben sie nicht. Feinfühlig beschrieben werden ihre letzten Wochen und Tage, die so unterschiedlich aufgrund der verschiedenen Lebensalter sind und doch so ähnlich, weil sie beide immer schwächer werden, das Leben mehr und mehr verlassen. Ein ganz wunderbarer Text, der unbedingt gelesen werden muss.
palliative zh+sh, Gabriela Meissner