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Neue Richtlinien für eine «ausserordentlich anspruchsvolle Tätigkeit»

Neue Richtlinien für eine «ausserordentlich anspruchsvolle Tätigkeit»

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Eine Ärztin zeigt einen MRI-Scan eines Gehirns, das von einer frontotemporalen Demenz betroffen ist (Bild: fotolia/Atthaphon).

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15. Dezember 2017 / Wissen
Die neuen SAMW-Richtlinien zur «Betreuung und Behandlung von Menschen mit Demenz» liegen vor. Sie sind gut verständich, konkret und können ab sofort bestellt oder als PDF heruntergeladen werden.
Die neuen Richtlinien zum Umgang mit Demenzbetroffenen sind keine Kopfgeburt. Sondern sie stellen konkrete Tipps für medizinische Fachpersonen dar, die mit Menschen mit Demenz zu tun haben. Zudem sind sie gut verständlich und konkret formuliert. Deshalb könnten sie sogar für betreuende Angehörige von Interesse sein.

Die Schweizerische Akademie der medizinischen Wissenschaften (SAMW) hat das Papier vor einem Monat verabschiedet. Nun liegt es in gedruckter Form oder als PDF zum Herunterladen vor. Der Entwurf war von Juni bis August 2017 in der Vernehmlassung. Es seien mehr als achtzig Stellungnahmen eingegangen, schreibt die SAMW in einer Medienmitteilung. Die Richtlinien seien darin grösstenteils als ausgewogen, praxisrelevant und gut verständlich beurteilt worden.

Von der Guideline zum Standesrecht

Entstanden ist das Grundlagenpapier im Rahmen der Nationalen Demenz-Strategie 2014-2019 in Zusammenarbeit mit der Schweizerischen Gesellschaft für Gerontologie. Es richtet sich an Ärzt_innen, Pflegende und therapeutisch tätige Fachpersonen. Mit der Aufnahme in die Standesordnung der FMH, des Fachverbands der Ärzt_innen, werden die Richtlinien für FMH-Mitglieder verbindliches Standesrecht. Ein ergänzender Text für nicht-medizinische Berufe unter Federführung der Schweizerischen Gesellschaft für Gerontologie befindet sich in Planung.

In der Schweiz leben aktuell ungefähr 150‘000 Menschen mit Demenz. Ab 65 Jahren wird es immer wahrscheinlicher, an einer Demenz zu erkranken. Wegen der demografischen Entwicklung wird die Zahl der Betroffenen also weiter ansteigen.

Weshalb medizin-ethische Richtlinien?

Der Verlauf einer Demenzerkrankung ist schwer vorhersehbar und zieht sich häufig über Jahre hin. Wegen der krankheitsbedingten kognitiven Einbussen seien Selbstbestimmung und Symptomlinderung im Behandlungsalltag schwieriger zu erreichen als bei anderen Krankheiten, heisst es in der Präambel der Richtlinien. Bei schwerer Demenz müsse zudem von einer fehlenden Urteilsfähigkeit ausgegangen werden. Das stellt Betroffene, Angehörige und eben auch medizinische Fachpersonen vor anspruchsvolle Entscheidungen und ethische Konflikte.

Ziel dieser Guidelines sei es, für Fachpersonen, die Menschen mit Demenz betreuen und behandeln, eine «praktische Orientierungshilfe in ethischen Konfliktsituationen zu bieten». Das Thema wird nicht nur setting-übergreifend – zu Hause, im Spital, im Pflegeheim –, sondern auch berufsgruppen-übergreifend behandelt. Welches ethische Problem im Vordergrund stehe, hängt laut Verfassern vor allem vom Stadium der Krankheit ab.

Psychopharmaka und Bewegungseinschränkungen

Ein einführendes Kapitel widmet sich deshalb einer Einteilung der Krankheit in Stadien (leichte kognitive und/oder Verhaltensauffälligkeiten, leichte, mittelschwere und schwere Demenz) und formuliert ethische Fragestellungen, die sich im entsprechenden Stadium stellen. Zum Beispiel werden betreffend der mittelschweren Demenz die schwere Belastung der Betroffenen und der Angehörigen durch Verhaltens- und emotionale Störungen thematisiert. «Neben nichtmedikamentösen Interventionen wie Anpassung der Umgebung, der Tagesstruktur und der Kommunikation werden nicht selten Psychopharmaka oder bewegungseinschränkende Massnahmen eingesetzt. Oftmals ist der Übertritt in eine stationäre Pflegeeinrichtung sinnvoll.»

Weiter hinten, wo es um Störungen der Emotionen und des Verhaltens geht, wird dann die Empfehlung abgegeben, nichtmedikamentösen Ansätzen der Pflege und Betreuung Vorrang zu geben vor einer allfälligen medikamentösen Behandlung. Zwangsmassnahmen stellten schwere Eingriffe in die Persönlichkeit dar, heisst es. Sie dürften nicht aus dem Grund angeordnet werden, weil die Betroffenen die Klinikroutine störten, oder um die Arbeit der Betreuungspersonen zu erleichtern. Über bewegungseinschränkende Massnahmen im Pflegeheim oder Spital müsse die gesetzliche Vertretungsperson informiert werden.

… wie in der Palliative Care

Grundsätzlich sollen bei Menschen mit Demenz dieselben Prinzipien wie in der Palliative Care Anwendung finden, heisst es in den Richtlinien weiter. Die Grundsätze heissen:
  • Lebensqualität
  • Gleichbehandlung aller Menschen
  • Interprofessionelle Vernetzung und Kontinuität
  • Offene und angemessene Kommunikation
  • Unterstützung in Entscheidungsprozessen
  • Vorausschauen
  • Multidimensionalität (Körper, Psyche, Soziales und Spiritualität)
  • Einbezug der Angehörigen

Weil Menschen mit Demenz nach und nach die Fähigkeit verlieren, ihr eigenes Leben selbstständig zu gestalten, wird ihre Lebensqualität massgeblich von der Betreuungsqualität bestimmt. Nach einer ganzseitigen Erörterung, was eine gute Betreuungsqualität ausmacht, schreiben die Verfasserinnen beinahe lapidar: «Insgesamt ist die adäquate Betreuung und Behandlung von Menschen mit Demenz eine ausserordentlich anspruchsvolle Tätigkeit. Dafür sind gut geschulte Fachpersonen in ausreichender Zahl erforderlich, gleichzeitig sollen vorbestehende Beziehungen (Angehörige) unterstützt werden.»
Schweizerische Akademie der Medizinischen Wissenschaften SAMW, palliative zh+sh, sa