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Warum wir wirkliches ACP und kein «ACP light» brauchen

Warum wir wirkliches ACP und kein «ACP light» brauchen

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Tanja Krones ist Leitende Ärztin Klinische Ethik und Geschäftsführerin des Klinischen Ethikkomitees am Universitätsspital Zürich

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08. April 2020 / Politik
In der aktuellen Corona-Krise wendet sich Tanja Krones, leitende Ärztin Klinische Ethik am Universitätsspital Zürich, mit einem eindringlichen Votum an die Öffentlichkeit, angeregt durch einen Leitartikel im digitalen Magazin «Republik». «ACP light» - in der Hektik der Pandemie erstellte Patientenverfügungen - berge die Gefahr, nicht den Menschen ins Zentrum zu stellen, sondern das Bedürfnis des Systems nach klaren Anweisungen zu erfüllen.
Liebe Freunde von Advance Care Planning, lieber Herr Binswanger,

Mit grosser Dankbarkeit habe ich mitverfolgt, wie wir uns alle derzeit intensiv darum bemühen, statt einer pandemie- eine patientenzentrierte Triage zu forcieren und in Zeiten der Notstandssituation und Militärrhetorik die Fahne der Patientenautonomie und Patientenwürde hochzuhalten, regional,national und international.

Seit den 90er -Jahren kämpfen engagierte Pflegende, Ärztinnen, Sozialarbeitende, Sozialwissenschafter, Juristinnen, Publizisten, Menschenrechtaktivistinnen gemeinsam dafür, dass wir alle Menschen , die dies möchten, darin unterstützen, ihren Willen bezüglich schwerer gesundheitlicher Krisen gemeinsam mit ihren Liebsten und ihren Vertrauensärzten, unterstützt durch hoch qualifizierte Gesundheitsfachpersonen zu bilden und auszudrücken. Richtig verstanden beruht das Konzept des Advance Care Planning auf einer relational verstandenen, assistierten Autonomie , dem klientenzentrierten Ansatz von Rogers, dem Goal of Care und Shared Decision Making Approach. Es führt nachweislich dazu, dass die Wünsche valide ausgedrückt werden können, Menschen kompetent medizinische Festlegungen treffen können, dass Ärzte und Rettungssanitäter den Willen des Patienten auch in Notfallsituationen besser kennen, die Menschen eher dort sterben können wo sie sich dies gewünscht haben und die Angehörigen nach dem Tod weniger traumatisiert sind. Es führt auch dazu, dass Schwangere, die eine Pränataldiagnostik in Anspruch nehmen, alle Optionen inklusive Austragen des Kindes und eine palliative Geburt angeboten bekommen und so weniger traumatisiert sind.
«Mit weniger Blaulicht am Lebensende können die Gesundheitskosten sinken.»

Im Schnitt leben und sterben Menschen daher so wie Ärztinnen und Ärzte selbst: Mit weniger Blaulicht am Lebensende. Als Nebenfolge können sogar Gesundheitskosten sinken, da in aller Regel eine palliative Pflege, die die meisten von uns, wenn man gut informiert ist bevorzugen, weniger kostet als eine Intensivmedizinbehandlung. Diese Nebenfolge ist jedoch eine Nebenfolge und kein Zweck an sich, der aber in einem solidarischen Gesundheitswesen durchaus ethisch relevant ist.

Das ganze Konzept steht und fällt jedoch mit dem richtigen Verständnis bei Fachleuten und in der Öffentlichkeit und von der richtigen Haltung in Bezug auf eine menschenzentrierte Vorausplanung. Beides kann durch eine mangelnde Information über das Konzept, dessen Praxis und Wirkung einerseits und durch «ACP light», der Gefahr, nicht nur - aber auch - in Pflegeheimen, das Gewicht auf eine «klaren Patientenverfügung» inklusive einer ärztlichen Notfallanordnung zu legen, ohne fachlich qualifizierte Gespräche und aussagekräftige Dokumentation über die persönlichen Vorstellungen von gutem Leben, schwerer Krankheit und Sterben anzubieten, gefährdet werden.
«ACP-Gespräche sind ergebnisoffen.»

Advance Care Planning, richtig verstanden, ist ein patienten- und Public-Health-orientiertes, hochqualifiziertes Konzept im Gesundheitswesen. Es ist ergebnisoffen sowohl bezüglich der vollumfänglich freiwilligen Annahme des Gespräches durch den Menschen, dem das Angebot gemacht wird - in La Crosse, Wisconsin, in einer der Pionierregionen, passiert dies beim Hausarzt beim ersten Check up mit 35 -, als auch bezüglich der Therapieziele und Massnahmen, die in der Vorausplanung gemeinsam besprochen und eindeutig dokumentiert werden. Damit sind sie auch im Notfall und auf der Intensivstation umsetzbar.

Lieber Herr Binswanger, wir haben uns ja persönlich bei der Sternstunde Philosophie kennengelernt, und ich habe diese Begegnung sehr geschätzt. Dort hatten wir unter anderem kurz über das Konzept der Patientenverfügungen im Rahmen der Pandemie gesprochen. Heute habe ich Ihren Beitrag in der «Republik» gelesen:
Binswanger: Patientenverfügungen und das Recht auf Überleben
Ich bin Ihnen für diesen Beitrag sehr dankbar, da er beide Seiten des Problems aufzeigt: Sie zeigen zu Recht die Gefahr des «ACP light» auf, nicht den Menschen ins Zentrum zu stellen, sondern das Bedürfnis des Systems nach klaren Anweisungen zu erfüllen. Dies erleben wir leider auch in Zürich, wenn wir Patienten mit ärztlichen Notfallanordnungen auf der Intensivstation bekommen, ohne das etwas Nachvollziehbares zu den Einstellungen des Menschen bezüglich seinen Vorstellungen zu Leben, schwerer Krankheit und Sterben dokumentiert ist und auch die nächsten An- und Zugehörigen nicht adäquat in den Gesprächen eingebunden waren.
Auf der andere Seite verdeutlicht Ihr Beitrag jedoch ebenso das (Fehl-) Verständnis, es gehe bei Patientenverfügungen primär um ein Ablehnen von medizinischen Massnahmen und damit - einmal plakativ auf den Punkt gebracht - aktuell um eine erwünschte Zwangspalliation aller hochbetagten Menschen, speziell in Pflegeheimen. Beides erscheint all denjenigen absurd, die mit Herzblut seit Jahren und Jahrzehnten für eine hochqualifizierte Vorausplanung kämpfen.
Wie es gemeint ist, kann man in Ansetzen in dem weiteren Beitrag des SRF sehen
«Es gibt in der Schweiz trotz eindringlicher Eingaben der ACP- Community immer noch keinen Tarmed-Tarif für qualifizierte Gespräche zu ACP.»

Diese Bemühungen sind, was das deutsche und Schweizer Gesundheitswesen betrifft, fast oder gänzlich un- oder unterbezahlt. Es gibt in der Schweiz trotz eindringlicher Eingaben der ACP- Community, in der viele hochengagierte (und selbst in ihrem Kernbereich skandalöserweise unterbezahlte) Palliative Care Spezialisten sind, immer noch keinen Tarmed-Tarif für qualifizierte Gespräche zu ACP. Dies müsste auch eine delegierte Leistung umfassen, da die Gespräche nachweislich am besten interprofessionell laufen. Die FMH vertreibt weiter die unsinnigen Lang- und Kurzfassungen der FMH-Patientenverfügung, die uns jeden Tag auf den Intensivstationen vor Rätsel stellen, und ignoriert die Evidenz zu ACP, das Schweizerische Institut für ärztliche Weiter- und Fortbildung SIWF – trotz Integration von ACP in den Lernzielkatalog der Medizinstudierenden - fördert kein Weiter- und Fortbildungsprogramm zu ACP.

Ich würde mir, lieber Herr Binswanger, liebe Kolleginnen und Kollegen, wünschen, dass wir gemeinsam mit und für alle Bürgerinnen und Bürger dafür einstehen, dass alle Menschen auch dann wenn wir verletzlich sind , weil schwer krank, pflegebedürftig, temporär oder dauerhaft nicht (voll) urteilsfähig, jene Behandlung erhalten, die am ehesten unseren persönlichen Wünschen und Vorstellungen des individuellen Menschen entspricht. Und dies ist- nachweislich - bei den meisten von uns kein Versterben auf einer Notfall- oder Intensivstation, so sehr sich die Kollegen auch dort ebenfalls mit Herzblut um ein würdiges, leidensarmes Sterben bemühen.

Mit stets hoffnungsvollen Grüssen
Tanja Krones
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