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Medienschau Januar 2018

Medienschau Januar 2018

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Die Medienschau von palliative zh+sh gibt Einblick in die Berichterstattung zu Palliative Care und verwandten Themen des vergangenen Monats. (Bild: palliative zh+sh, ei)

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Die Medienschau

Die Medienschau ist eine Momentaufnahme eines Ausschnittes der öffentlichen Diskussion zum Thema und bietet kurze Zusammenfassungen, zeigt Verknüpfungen auf und soll nicht zuletzt unterhalten und zur weiteren Lektüre der besprochenen Beiträge anregen. Wo vorhanden werden die Links zu den Beiträgen deshalb unter «Links zum Thema» aufgelistet.

Dokumente zum Thema

Video zum Thema

09. Februar 2018 / Medien
Anfang Februar hat das St. Galler Hospiz seine Türen definitiv geöffnet. Zehn Jahre lang hat der Verein hinter dem Hospiz nach geeigneten Räumen gesucht. Immer wieder seien sie abgeblitzt, weil die Leute die Sterbebegleitung mit der Sterbehilfe, wie sie Exit oder Dignitas praktizieren, verwechselten, sagte Roland Buschor, Geschäftsführer des Hospizes gegenüber dem Ostschweizer Fernsehen tvo. Das Hospiz bietet sieben Plätze. Das Haus wurde mit viel Liebe, «viel Geschenktem und wenig Gekauftem» heimelig und liebevoll eingerichtet, das ist im Fernsehbeitrag von Ende Januar tatsächlich zu sehen. Buschor zeigt ein Patientenzimmer, das dann schon ein bisschen mehr nach Pflegeheim aussieht, dafür befindet sich darin ein Bettsofa. «Angehörige und Freunde sollen unkompliziert übernachten können», so Buschor. Das momentane Haus an der Waldstrasse, ein ehemaliges Kapuzinerhospiz, das der katholischen Kirche gehört, ist nur ein Provisorium. 2019 zieht das Hospiz definitiv in die Villa Jakob am Rosenberg um. Für die Patientinnen und Patienten sei dies jedoch keine provisorische Station, sagt Buschor. Deshalb hätten sie sich speziell viel Mühe mit der Einrichtung gegeben.
«Für die Patientinnen und Patienten ist dies keine provisorische Station.»
Roland Buschor, Geschäftsführer des Hospizes St. Gallen

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Vor gut einem Jahr nahm auch im St. Galler Rheintal ein Hospiz seinen Betrieb auf: In Grabs entstand in den Räumlichkeiten des Pflegeheims Werdenberg eine Institution mit fünf Betten, schreibt der «Werdenberger & Obertoggenburger». Total sind 45 Menschen ein- und 41 ausgetreten, unheilbar kranke Menschen, die sich in ihrer letzten Lebensphase befinden. «Es geht uns trotz allem darum, Leben zu vermitteln», sagt Pflegeleiter Daniel Schmitter. Zum Beweis zeigt ein Bild in der Zeitung, wie eine Pflegefachfrau mit Kindern einen Geburtstagstisch deckt. Mit den sieben Plätzen in St. Gallen und den fünf in Grabs sei der Bedarf abgedeckt. Der St. Galler Kantonsrat hat im letzten September zugestimmt, die Hospize in St. Gallen und Grabs mit total 300 000 Franken zu unterstützen. Damit sei ein grosser Teil der Finanzierung gesichert. Neben der öffentlichen Hand kommen auch Krankenkasse und Patient_innen für die Kosten auf. Von den 677 Franken Vollkosten pro Person und Tag seien jedoch immer noch 165 Franken ungedeckt. Mittelfristig müsse diese Lücke mit Spenden, längerfristig jedoch von den Krankenversicherern gedeckt werden, fordert Mathias Engler, Gesamtleiter Pflege und Hospiz. Er hat die Versicherer angeschrieben mit der Bitte, ihre Beiträge vorausgreifend zu erhöhen, da mit dem Hospizmodell die Kosten gesamthaft sinken würden. Von der Hälfte erhielt er abschlägige Antworten, die anderen haben bisher noch nicht geantwortet.

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Im Kanton Bern stehen die Zeichen wieder mehr auf Palliative Care als auch schon. Ende Januar teilte die Gesundheits- und Fürsorgedirektion mit, sie wolle im Herbst nun doch einen Modellversuch für spezialisierte mobile Palliativdienste starten. Nun führt sie ein Bewerbungsverfahren für interessierte mobile Teams durch, die am Versuch teilnehmen wollen. Das Ziel sei, mobile Dienste zu fördern, die schwer kranke und sterbende Menschen ausserhalb eines Spitals oder einer spezialisierten Institution betreuen und pflegen, heisst es in einer Medienmitteilung des Kantons Bern. Vor einem Jahr hatte Gesundheitsdirektor Alain Schnegg (SVP) das Pilotprojekt aus Spargründen zurückgestellt, was ihm grosse Kritik eintrug. Inzwischen habe der Grosse Rat, also das Kantonsparlament, die nötigen Gelder bewilligt. Ein weiteres Zeichen für die Palliative Care setzte das Parlament mit einem Vorstoss einer grünen Politikerin, der teils als Motion, teils ans Postulat überwiesen wurde, wie die «Berner Zeitung» meldete. Als Postulat überwiesen wurde die Forderung nach einer stationären Palliativversorgung für Kinder.

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Microsoft gewährt seinen Angestellten neu bis zu vier Wochen bezahlten Pflegeurlaub pro Jahr, schreibt der «Tages-Anzeiger». Dieser könne bezogen werden, wenn ein enger Verwandter – der Ehemann, die Schwester, der Vater – ernsthaft erkranke und Hilfe benötige. Bislang gab es gesetzlich nur bis zu drei Arbeitstage, wenn das eigene Kind krank ist. Der Softwarehersteller Microsoft beschäftigt in der Schweiz 600 Angestellte. Laut dem Personalverantwortlichen Jochen Schmidmeir rechne man mit zwei bis drei Fällen pro Quartal. Auch der Bundesrat hat endlich erkannt, dass die bestehenden Regeln nicht genügen und das Bundesamt für Gesundheit (BAG) mit einer Untersuchung beauftragt, wie eine bessere Lösung aussehen könnte. Im Vergleich mit dem Ausland steht die Schweiz nämlich schlecht da. In Frankreich erhalten Arbeitgeber drei Wochen bezahlte Ferien, um ihre Eltern zu pflegen, in den Niederlanden sechs Wochen pro Jahr. Der «Tages-Anzeiger» hat einige grössere Unternehmen befragt, und viele gaben an, solche Fälle unkompliziert und grosszügig zu handhaben. Es sei dennoch wichtig, eine umfassende gesetzliche Regelung für Pflegeurlaub einzuführen, sagt Valérie Borioli Sandoz vom Arbeitnehmerdachverband Travailsuisse. Denn Betroffene gerieten sonst in die Lage des Bittstellers.
«Die Einführung einer umfassenden gesetzlichen Regelung für Pflegeurlaub ist wichtig. Betroffene geraten sonst in die Lage des Bittstellers.»
Valérie Borioli, Leiterin Gleichstellungspolitik Arbeitnehmerverband Travailsuisse

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Das Sterben steht heute in starkem Zusammenhang mit therapeutischen Entscheidungen, ist die Hauptaussage eines Artikels, den der Palliativmediziner und Geriater Roland Kunz sowie Theologe, Ethiker und Gerontologe Heinz Rüegger in der schweizerischen Ärztezeitung publiziert haben. In knapp 60 Prozent der medizinisch begleiteten Todesfälle gingen dem Sterben «end-of-life decisions» voraus, zeigten aktuelle Studien. Diese Entscheidungen fallen nicht mehr in die Zuständigkeit der behandelnden Ärzt_innen, sondern unterliegen der Verantwortung der Patienten. Und diese Tatsache kann auch Stress bedeuten, wie Juristin Regina E. Aebi-Müller herausgefunden hat: «Die zu starke Betonung der Patientenautonomie läuft Gefahr, sich gegen die Betroffenen zu wenden.» Wenn der Betroffene nicht mehr urteilsfähig ist, müssen die Angehörigen für ihn entscheiden. Die Zürcher Medizinethikerin Tanja Krones rechnet, dass bis zu einem Drittel der für Stellvertretungsentscheide verantwortlichen Angehörigen dabei traumatisiert werden. Deshalb müsse vor allem eine offene Gesprächskultur entwickelt werden, vor allem in Spitälern und Heimen, plädieren die Verfasser des Artikels, eine Gesprächskultur, die das Sterben nicht tabuisiere, sondern selbstverständlich zur Sprache bringe. Dazu gehöre auch, dass das Sterben nicht als Scheitern der ärztlichen Kunst angesehen werde, sondern ganz und gar zum Leben gehöre. Ältere Menschen würden zudem lieber Werthaltungen und Ziele formulieren als explizite Entscheidungen zu treffen.

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Wie sinnvoll sind teure Medikamente am Lebensende?, fragt der «Beobachter» in einem grossen Artikel zur Palliative Care und nimmt die Antwort gleich vorweg: nicht sehr sinnvoll. Palliativmediziner Gian Domenico Borasio erzählt von einem 32-jährigen Patienten mit aggressivem Krebs. Chemotherapien waren ohne Erfolg und trotzdem wollten die Onkolog_innen den Kampf nicht aufgeben. Sie schlugen ein neu zugelassenes Medikament vor, das die Krankenkasse über 100 000 Franken kostete. Zudem hatte es «horrende» Nebenwirkungen, wie Borasio erzählt. Der Patient starb drei Tage später, qualvoll. 25 bis 30 Prozent der Patient_innen würden am Lebensende übertherapiert, so der Palliativmediziner, der am Universitätsspital Lausanne arbeitet. Er spricht Klartext: «Die verzweifelte Hoffnung von Schwerstkranken und ihren Familien wird von der Gesundheitsindustrie instrumentalisiert – um höhere Renditen zu erzielen.»
«Für Ärzte ist es viel einfacher, den Patienten alle möglichen Therapien anzubieten, als mit ihnen den Tod zu besprechen.»
Margrit Kessler, Expräsidentin der Stiftung für Konsumentenschutz

Für viele Ärzt_innen sei es ausserdem einfacher, den Patienten alle möglichen Therapien anzubieten, als mit ihnen den Tod zu besprechen, vermutet Margrit Kessler, Expräsidentin der Stiftung für Konsumentenschutz. Zudem hätten Mediziner nicht den Mut, genau zu erklären, was die wirklichen Nutzen und Nebenwirkungen der Therapien seien, sagt Roland Kunz, Geriater und Palliativmediziner am Waidspital.

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Ein Altersheim am Anschlag? Nachdem die «Rundschau» in einem Senevita-Altersheim in BL eine 24-Stunden-Reportage gedreht hatte, schien alles in Ordnung: Die Pflege wird intensiv gebraucht, ist aber immer noch motiviert. Die Pflegefachfrau zum Beispiel, die nachts für 70 Bewohnende verantwortlich ist, sagt, sie sei zwar «ganz schön beansprucht, aber nicht am Limit». Nachdem die Filmaufnahmen im Kasten waren, zogen mehrere Interviewte ihre Aussagen zurück, darunter die Heimleiterin, die nicht mehr im Film vorkommen wollte. Ausserdem meldeten sich vier Personen aus dem Umfeld von Senevita-Heimen in BL, Pflegende und ein Angehöriger, und deren Bericht steht in krassem Gegensatz zum Augenschein. Sie sprechen anonym von «unwürdigen und desaströsen Zuständen», verursacht durch Stress des Pflegeteams. Den Bewohnenden würden abends Schlaftabletten verabreicht, Windeln würden nicht gewechselt und, wenn zu wenig Personal da sei, auch nicht geduscht. Senevita, der zweitgrösste private Anbieter in der Schweiz, wurde 2014 von der französischen Orpea-Gruppe geschluckt, einem der weltweit grössten Player im Pflegemarkt. Die Investoren wollten keine schwarze Null, sondern Gewinn sehen, heisst es bei internationalen Gewerkschaften, deshalb werde systematisch beim Personal gespart. Auch bei der Unia sind offenbar übermässig viele Meldungen aus Senevita-Institutionen eingegangen. Hannes Witter, CEO von Senevita, weist die Kritik zurück. Laut Umfragen seien die Bewohnenden zufrieden, deren Lebensqualität stehe im Zentrum, die Leitung nehme kritische Rückmeldungen ernst, beim Personal halte man sich an kantonale Vorgaben.

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Wir sterben immer langsamer, schreibt der «Tages-Anzeiger» in seinem Gesellschaftsteil. Ausgangspunkt ist die Feststellung einer vermehrten Auseinandersetzung mit dem Tod in den letzten Jahren. Das sei die «Entdeckung des Sterbens» sagt Theologieprofessor Markus Zimmermann von der Universität Freiburg. Seit gut zehn Jahren steigt die öffentliche Aufmerksamkeit für das Lebensende. Demzufolge fänden auch populärkulturelle Bücher, die sich mit dem Sterben beschäftigen, reissenden Absatz, heisst es im Artikel weiter. Auch die Wissenschaft setze sich vermehrt mit dem Sterben auseinander, schreibt die Tagi-Journalistin und zitiert als Beweis das Nationale Forschungsprogramm zum Thema Lebensende. (Mit der nationalen Palliative-Care-Strategie bringt sie es nicht in Zusammenhang.) Der Gedanke, dass die neue Fokussierung auf das Sterben paradoxerweise mit dem medizinischen Fortschritt zu tun hat, ist aber natürlich richtig – und interessant. Dieser macht das Sterben langsamer. Wir sterben nicht mehr plötzlich und heftig bei einer Geburt oder Grippe, sondern werden wahrscheinlich wegen einer oder mehrerer Krankheiten einen langen Sterbe- und vielleicht Leidensweg einschlagen. Sehenswert ist übrigens die Karikatur von Felix Schaad zum Thema «Sterben, das letzte grosse Abenteuer» auf der Tagi-Frontseite oder in der Online-Ausgabe: Touristen halten im River-Rafting-Boot den tosenden Todesfluss Styx auf ihren Smartphones fest. Das Boot steuert – natürlich – der Sensemann.
Die Wahrscheinlichkeit, durch einen Autounfall oder im Wochenbett aus dem Leben gerissen zu werden, ist geringer geworden. Stattdessen werden viele von uns wegen Krebs oder einer anderen Krankheit einen langen Sterbe- und vielleicht Leidensweg durchmachen. (Tages-Anzeiger)

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Weshalb der Tod cool geworden ist, beschreibt die Guardian-Autorin Marisa Meltzer in einem lesenswerten, langen Essay. Die Beschäftigung mit dem Tod gelte in der westlichen Welt grad als ziemlich hip. Es gibt Kunstaustellungen und Partys auf Friedhöfen, super-ökologische Bestattungen, zum Beispiel in einem Pilzanzug, Sterbe-Doulas, oder der neuste Trend aus Schweden heisst «döstädning» (auf Deutsch «Todesputzen»). Das bedeutet, aufzuräumen, alles Überflüssige zu entsorgen, bevor man stirbt, damit die Hinterbliebenen das nicht mehr tun müssen. Zudem gibt es inzwischen unzählige Bücher, die sich mit dem «guten» Sterben beschäftigen. Es kann nicht falsch sein, dass wir in unserer westlichen Kultur einen neuen, unverkrampften Umgang mit dem Tod und dem Sterben finden. Aber diese ganzen Trends, so gibt auch Meltzer zu bedenken, üben auch einen Druck auf uns aus: Wir müssen ziemlich viel (Geld) investieren, um so gut zu sterben wie wir gelebt haben.

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Der Verein Deutsche Sterbehilfe hat ein Kniff gefunden, um von der Schweiz aus operieren zu können. Im Januar hat er seinen Schweizer Ableger gänzlich von sich abgekoppelt, wie der «Tages-Anzeiger» schreibt. Die treibende Kraft hinter dem Verein ist Roger Kusch, ehemaliger Hamburger Justizsenator. Das deutsche Parlament verabschiedete Ende 2015 im Strafgesetzbuch den Paragrafen 217, der die «geschäftsmässige Suizidhilfe» verbietet. Es sei eine eigentliche «Lex Kusch», schreibt Michael Meier, Religionsexperte des Tages-Anzeigers. Denn dieser Verein sei der einzige gewesen, der in Deutschland Menschen organisiert in den Tod begleitet.
«Von der Strafe ausgenommen sind Angehörige oder Nahestehende von Suizidwilligen […]. Sie alle bleiben straffrei, weil sie nur einmal und nicht geschäftsmässig Suizidhilfe leisten.»
Roger Kusch, Verein Deutsche Sterbehilfe

Mit dem nun unabhängigen Schweizer Ableger will Kusch den Paragrafen 217 unterlaufen. Sein Kniff ist, dass das Verbot nur die geschäftsmässige, also wiederholte, Suizidhilfe betrifft. Ausgenommen von der Strafe seien Angehörige oder Nahestehende des Suizidwilligen. Sie bleiben straffrei, weil sie diesen Dienst nur einmal leisteten. Nach Abklärung des Suizidwunsches und der Untersuchung durch einen Arzt, reist zum Beispiel die Ehefrau ein zweites Mal alleine nach Zürich, um das tödliche Mittel für den in Deutschland gebliebenen Mann abzuholen. Weil das in der Schweiz von Sterbehilfe-Organisationen verwendete Natrium-Pentobarbital in Deutschland verboten ist, weicht Kusch auf ein anderes verschreibungspflichtiges Mittel aus. Der Suizid wird dann wiederum in Deutschland, im Zuhause des Sterbewilligen, vorgenommen, nicht zu einem voraus festgelegten Termin. Der Verein schliesst jedoch nicht aus, dass er den assistierten Suizid für Deutsche künftig ganz in der Schweiz durchführen wird. Bisher hatte er jedoch keine zahlbare Sterbewohnung gefunden.

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Dass die Schweiz mehr denn je das Mekka für sterbewillige Deutsche ist, zeigt auch der Winterthurer «Landbote» im Januar in einer ausführlichen Multimedia-Reportage. Detailliert werden in dieser Longform verschiedene Sichtweisen gezeigt – wenn auch einzig aus dem Lager derjenigen, welche den assistierten Suizid befürworten. Roger Kusch wird als «Kämpfer» eingeführt und interviewt. Eine deutsche Aktivistin erzählt von ihrem Engagement für die legalisierte Selbsttötung. Und ein krebskranker 70-Jähriger nimmt sich im Sterbehaus von Dignitas in Pfäffikon ein Tag nach dem Interview das Leben. Er sagt, er fürchte die Qualen des Sterbens in den sechs bis acht Wochen, die ihm noch bleiben würden. Und eine Witwe kommt zu Wort, deren Mann an multipler Sklerose litt. Dieser wollte die Reise in die Schweiz nicht mehr auf sich nehmen und nahm sich heimlich in Deutschland in einem Hotel selbst das Leben. Dargelegt wird auch die rechtliche Situation in Deutschland und der Schweiz. Christoph Rehman-Sutter, Bioethiker und ehemaliger Präsident der nationalen Ethikkommission, ordnet die Unterschiede ein. Er sagt, in Deutschland werde aus historischen Gründen derart empfindlich auf das Thema reagiert. Wegen der Gräuel des Nationalsozialismus «gibt es eine grosse Empfindlichkeit, wenn etwas in diese Richtung gehen könnte, selbst wenn es vom Staat organisiert ist».

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Pionierin in der Sterbehilfe sind die Niederlande. Dort ist seit 2002 sogar die aktive Sterbehilfe erlaubt, wohingegen in der Schweiz nur die Hilfe zum Suizid – wie sie Exit oder Dignitas praktizieren – zugelassen sind. Demzufolge diskutiert man in den Niederlanden bereits den nächsten Schritt intensiver: Ob der Freitod auch für alle jene erlaubt sein soll, die zwar gesund, aber ihres Lebens müde sind, also der sogenannte Alters- oder Bilanz-Suizid. Wie Esbeth Gugger, SRF-Korrespondentin in Amsterdam, ausführt, ist die Selbsttötung in den Niederlanden «kalte Normalität». Bereits 30 bis 40-Jährige würden mit ihrem Hausarzt darüber sprechen. Nun fordern Politiker, dass das entsprechende Gesetz so gelockert wird, dass auch Senioren, die ihr Leben als beendet anschauen, mit Hilfe von dritten aus dem Leben scheiden dürfen. Ein 71-Jähriger war seiner fast 100-jährigen Mutter behilflich, ihren Sterbewunsch zu erfüllen, und hielt dies in einem Dokumentarfilm fest. Er wollte damit eine Diskussion lostreten. Zudem gibt es einen Verein namens «Kooperation letzter Wille», dessen Mitglieder sich für nur 180 Euro zwei Gramm eines tödlichen Medikaments liefern lassen können, samt Mini-Safe zur sicheren Aufbewahrung. Politisch habe der Wind jedoch wieder gedreht, schreibt Gugger: Premierminister Mark Rutte musste die Christenunion ins Boot holen, um eine mehrheitsfähige Regierung bilden zu können. Die Chancen auf eine weitere Liberalisierung der Sterbehilfe sind somit gesunken.
«Viele Leute sprechen schon mit 30, 40 Jahren mit ihrem Hausarzt über Euthanasie.»
Elsbeth Gugger, SRF-Korrespondentin in Amsterdam

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Wer sagt am präzisesten voraus, wann ein Patient stirbt? Eine Katze, ein Doktor oder gar ein Algorithmus? Siddharta Mukherjee der Autor von «The Emperor of All Maladies», eines internationalen Bestsellers über Krebs, führt in einem absolut lesenswerten Essay in der «New York Times» aus, wie stark sich Ärzte irren können, wenn es um dem mutmasslichen Todeszeitpunkt eines schwer kranken Patienten geht. Der Tod, so Mukherjee, bleibe auch für ihn als Arzt «eine Black Box». Weitaus präziser sagte eine Katze, die in einem Pflegeheim lebte, voraus, wann eine Patientin oder ein Patient sterben wird. Zu wem sie sich hinlegte, der verschied ein paar Tage später. Zu guter Letzt schreibt der Autor über einen Algorithmus, den ein Team von Informatikern an der Stanford University entwickelte. «Sie hatten lediglich die medizinischen Akten als eine Art Zeitmaschine benutzt. » Sie fütterten eine Software mit objektiven Kriterien eines Patienten wie der Diagnose, der Zahl der Scans, der Spitalaufenthalte, der Art der Behandlungen, den medizinischen Beschreibungen. Dazu verwendeten sie die Daten von fast 160 000 Patient_innen. An weiteren 40 000 überprüften sie den Algorithmus. Dieser sagte in neun von zehn Fällen richtig voraus, dass die betroffene Person in den nächsten drei bis zwölf Monaten sterben wird. Die Software zog also aus den zig Daten Rückschlüsse – und lernte. Das frustrierende sei nun, so Mukherjee, dass man nicht sagen könne, nach welchem System es gelernt habe. Er könne sich ausserdem nicht mit dem Gedanken anfreunden, dass Computer Todeszeitpunkte besser bestimmen könnten als Ärzte. Interessant sei zudem, weshalb man diese Gabe bei einer Katze besser akzeptierbar sei.
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