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Medienschau Juni 2021

Medienschau Juni 2021

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Die Medienschau von palliative zh+sh gibt Einblick in die Berichterstattung zu Palliative Care und verwandten Themen des vergangenen Monats. (Bild: gme)

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Über die Medienschau

Die Medienschau von palliative zh+sh ist eine Momentaufnahme eines Ausschnittes der öffentlichen Diskussion zum Thema und bietet kurze Zusammenfassungen, zeigt Verknüpfungen auf und soll nicht zuletzt unterhalten und zur weiteren Lektüre der besprochenen Beiträge anregen. Wo vorhanden werden die Links zu den Beiträgen deshalb unter «Links zu den Beiträgen» aufgelistet.

Dokumente zum Thema

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09. Juli 2021 / Medien
Palliative Care ist nun endlich auch in der nationalen Politik angekommen. Nach dem Ja der kleinen Kammer, hat im Juni auch der Nationalrat der Motion «Für eine angemessene Finanzierung der Palliative Care» zugestimmt. Was im vergangenen Monat die Medienlandschaft ausserdem bewegte, haben wir in unserer Medienschau zusammengefasst.
Es sei ein Durchbruch für die Palliative Care, schrieb der nationale Dachverband palliative ch, als Mitte Juni nach dem Ständerat auch der Nationalrat der Motion «Für eine angemessene Finanzierung der Palliative Care» zugestimmt hatte. Damit wird der Bundesrat damit beauftragt, gesetzliche Grundlagen zur Finanzierung der Palliative Care-Versorgung in der Schweiz zu schaffen. Für die Online-Plattform «kath.ch» ordnete Ethiker Markus Zimmermann den Entscheid in die aktuelle Situation ein und kam zum Schluss, dass die Palliative Care-Versorgung neu ganz oben auf der Agenda der Schweizer Gesundheitspolitik stehe, ihre Dringlichkeit werde politisch wahrgenommen. «Es handelt sich zunächst einmal um einen ersten wichtigen politischen Schritt, dem nun viele weitere folgen werden: ein für die Anerkennung und Etablierung der Palliative Care schöner Erfolg.» Für die langfristige Entwicklung von Palliative Care geht Zimmermann davon aus, dass die Versorgung von chronisch kranken und sterbenden Menschen im Sinne einer ganzheitlichen Betreuung verbessert werden dürfte. Im Rampenlicht stehe jeweils die spezialisierte Palliative Care für Menschen, deren Symptome nur durch spezifische Massnahmen zu lindern sind. «Tatsächlich geht es jedoch auch um die allgemeine Palliative Care, die alle schwer kranken und leidenden Menschen betrifft.» Grosse Herausforderungen seien der Aufbau entsprechender Versorgungsstrukturen und die Gewährleistung der Koordination der Versorgung grosse Herausforderungen.


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In einer 140 Jahre alten Villa hat das Hospiz St. Gallen ein neues Zuhause gefunden. Seit dem 22. Juni können dort bis zu elf unheilbar kranke und sterbende Menschen ihr Lebensende selbstbestimmt verbringen. Die Betreuung von Schwerstkranken könne das Personal von Pflegeheimen oder die Angehörigen zuhause überfordern, sagt Hospiz-Geschäftsführer Roland Buschor in einem Artikel der «Ostschweiz». Auf der anderen Seite können Patientinnen und Patienten nicht in palliativen Einrichtungen in Spitälern bleiben, wenn sie nicht mehr rund um die Uhr auf ärztliche Betreuung angewiesen sind. «Diese Menschen zeigen dennoch oft sehr komplexe Krankheitsbilder und benötigen spezialisierte Pflege und Betreuung», erklärt Daniela Palacio, Leiterin Pflege im St. Galler Hospiz. Möglich machen dies der relativ hohe Personalschlüssel der speziell ausgebildeten Pflegefachpersonen, die Kranke mit belastenden Symptomen sowie in anspruchsvollen pflegerischen und psychosozialen Situationen individuell betreuen können.

Das Hospiz St.Gallen wurde vor drei Jahren im Stadtquartier Heiligkreuz dank einer Initiative von Ostschweizer Pflegefachkräften eröffnet. Dahinter steht ein Förderverein, der Betrieb des Hospizes wird massgeblich durch Spenden finanziert. Am neuen Standort profitieren Mitarbeitende und Bewohnende von einer besseren Infrastruktur. Rund die Hälfte der Patientinnen und Patienten verstirbt im Schnitt innert 14 Tagen nach ihrem Eintritt ins Hospiz. 2020 verzeichnete das Hospiz 79 Eintritte, für diese wurden insgesamt 1642 Pflegetage geleistet. Heute stellen 20 Mitarbeitende in rund 10 Vollzeitstellen den Betrieb des Hospizes sicher. Weiter sind 40 Freiwillige im Einsatz, vor allem in der persönlichen Betreuung der Hospizgäste.

In der Villa soll zudem ein Kompetenzzentrum für spezialisierte Palliative Care entstehen: Auch der Palliative Brückendienst (PBD) der Krebsliga Ostschweiz zieht mit ein. Dadurch soll die bereits enge Zusammenarbeit noch verstärkt werden.


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Unweit von St. Gallen, im Fürstentum Liechtenstein, sollen die Hospiz- und Palliativversorgung ausgebaut werden. Bislang verfügt Liechtenstein über kein Hospiz, die Versorgung und Betreuung von Schwerstkranken und Sterbenden wird aktuell dezentral und von verschiedenen Anbietern übernommen, je nach Situation der Betroffenen, wie das «Volksblatt» in einem entsprechenden Beitrag schreibt(Artikel kostenpflichtig). Nun hat die Landtagsfraktion der Vaterländischen Union Liechtenstein ein Postulat eingereicht, um die Situation zu verbessern. «Immer wieder wurden uns Fälle von Betroffenen bekannt, die ihren letzten Lebensweg im Ausland gehen mussten» , erklärte Landtagsabgeordneter Mario Wohlwend anlässlich der Einreichung des Vorstosses. Auf Palliativstationen in Krankenhäusern in der Schweiz oder in Hospizeinrichtungen in Werdenberg, Maienfeld oder Bregenz hätten diese Patienten dann ihre letzten Stunden verbracht. Er frage sich als Laie, warum solche Angebote im Land fehlten. Der Bedarf für Hospizbetten sei vorhanden, doch habe man bei der Politik bislang wenig Gehör gefunden. Doch auch jüngere Menschen oder Menschen mittleren Alters seien auf ein Hospiz angewiesen. Für sie sei ein Alterspflegeheim nicht der geeignete Ort. Die Postulanten plädieren deshalb für ein stationäres Angebot für Menschen aller Altersgruppen. Als möglichen Standort für die benötigten zwei bis drei Hospizbetten sehen sie im Neubau des liechtensteinischen Landesspitals.

«Wenn ich das Gefühl habe, jemand ist wahnsinnig traurig, dann sind auch Tränen wertvoll – mehr kann ich nicht tun.» Sabine Affolter, Sitzwache Spital Männedorf

Mitmenschlichkeit in reinster Form. So bezeichnet die «Zürichsee-Zeitung» die Sitzwache im Spital Männedorf (Artikel kostenpflichtig). Dann wenn nicht medizinische Im Spital geht es nicht immer um medizinische oder pflegerische oder medizinische Hilfe im Vordergrund steht, sondern in erster Linie menschliche Nähe. Die Sitzwache im Spital Männedorf ist ein Verein mit rund 40 Mitgliedern. Ein Anruf aus dem Spital genügt, damit sich ein Mitglied, das gerade auf Pikett ist, aufmacht, um einen Menschen durch die Nacht zu begleiten und so Trost durch Anwesenheit spendet und den Angehörigen – falls vorhanden - Entlastung ermöglicht, damit sie wieder einmal durchschlafen können. Ein bis zwei Einsätze pro Monat leistet etwa Sabine Affolter. Sie kommt als Fremde ins Zimmer und soll doch sofort Vertrautheit und Vertrauen ausstrahlen. Das Einzige, was sie vorher weiss, ist, ob sie einen Mann oder eine Frau hinter der Türe antrifft, manchmal kennt sie noch das Alter oder ob die Person an Demenz erkrankt ist. Auch wenn sie einen Auftrag für die Palliativstation erhält, weiss sie, was sie erwartet. Alles andere überlässt sie ihrem ersten Eindruck. Sie schaue und höre, wie sie die Patienten antreffe.

Wer nun denkt, dass sie einfach drauflos plaudert, irrt. Es sei die stille Präsenz, sie müsse bereit sein, wenn die Patienten aufstehen wollten, Angst zeigten oder den Infusionsschlauch herausziehen wollten. Die 58-Jährige nennt es «Ruhe ins Zimmer bringen». Dabei helfen ihr Einfühlungsvermögen, eine gewisse Beobachtungsgabe und Intuition. Falls gesprochen wird, sei es wichtig, glaubwürdig zu bleiben. «Wenn ich das Gefühl habe, jemand ist wahnsinnig traurig, dann sind auch Tränen wertvoll – mehr kann ich nicht tun.» Die Sitzwache wird nicht als explizite Sterbebegleitung verstanden, auch wenn ein Patient zufällig bei einem Einsatz sterben kann. Der Tod sei ein natürlicher Teil des Lebens. Wenn dieser während einer Sitzwache eintrete, vertraue sie sich, dass sie das Richtige tue.


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Der bekannte französische Sterbehilfeaktivist Alain Cocq ist tot. Er hat sich in der Schweiz beim Suizid begleiten lassen, wie das «Thuner Tagblatt» berichtet. Er war letztes Jahr zweimal in einen Pflege- und Hungerstreik getreten, um sein Recht auf Sterbehilfe durchzusetzen. Auch den französischen Präsidenten Emmanuel Macron hatte er angeschrieben, die Ärztinnen und Ärzte zu autorisieren, ihm das Schmerzmittel Pentobarbital zu verschreiben, damit er «in Frieden gehen könne». Das allerdings verweigerte ihm Macron. Beim 58-Jährigen wurde im Alter von 23 Jahren eine unheilbare und schmerzhafte Krankheit diagnostiziert, die dazu führte, dass er nach eigener Aussage «35 Jahre lang auf der Palliativstation lebte». Dennoch konnte Cocq nicht von einem 2016 in Frankreich verabschiedeten Gesetz profitieren, das eine tiefe und kontinuierliche Sedierung bis zum Tod erlaubt, allerdings nur für Menschen mit nur noch kurzer Lebenserwartung.

Cocq habe eine Tablette genommen, der Tod sei sehr schnell eingetreten, meldeten Freunde von Cocq, nachdem dieser in Bern verstorben war. «Es ist eine sehr gute Sache, dass er so gegangen ist, wie er es sich gewünscht hat.» Das sei besser, als in diesem Zustand am Leben zu bleiben.

«Die ganze Familie war bei ihm, als mein Bruder Tobi gestorben ist.» Friederike (13) über den Tod ihres Bruders

Friederike war acht, als ihr dreizehnjähriger Bruder starb. Die ganze Familie sei bei ihm gewesen, erzählt die heute Dreizehnjährige im «Spiegel». «Er hat sogar noch gewartet, bis Oma gekommen ist. Wir waren bei ihm im Kinderzimmer, lagen zusammen im Bett, und Tobi lag auf uns drauf, auf unseren Beinen.» Friederike schildert in eigenen Worten, wie sie Tobis Tod, die Beerdigung, aber auch das Leben zuvor mit ihrem grossen Bruder erlebt hat, der seit Geburt an einer Stoffwechselerkrankung litt und auf den Rollstuhl angewiesen war. «Sprechen konnte Tobi nicht, aber er hat Laute von sich gegeben. Und Tobi konnte ‹ja› und ‹nein› sagen mit den Augen. Man konnte ihn zum Beispiel fragen: Willst du diesen Joghurt essen? Wenn er die Augen aufgemacht hat, dann wollte er. Und wenn er sie zugemacht hat, dann nicht. So haben wir auch zusammen gespielt.»

Seit einer Weile besucht Friederike eine Trauergruppe. Ihr gefällt besonders, dass sie sich mit anderen austauschen kann, die das Gleiche erlebt haben. «Man versteht sich mit den Leuten gut und man hat auch nicht so das Gefühl, dass man etwas Falsches sagen könnte, weil das ja sowieso jeder kennt.»


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800 Kilometer will der ehrenamtliche Hospizhelfer Gunter Lutzi unter die Füsse nehmen. Während drei Wochen will er auf einer Tour durch ganz Hessen 23 Hospize besuchen und so dringend nötige Spendengelder sammeln. Der 64-Jährige arbeitet seit fünf Jahren ehrenamtlich in einem Hospiz im südhessischen Bensheim. Mit den Hospizgästen unterhält er sich über alles Mögliche, auch der Tod ist Thema. Die Arbeit und das Wirken im Hospiz sind für ihn vor allem von ganz viel Leben geprägt, wie er in einem Artikel in der «Hessenschau» verrät. «Die Arbeit, die hier und in anderen Hospizen geleistet wird, ist sehr wichtig», sagt Lutzi. Nicht zuletzt auch für die Angehörigen, die sich nicht um die Pflege sorgen müssten, sondern wertvolle Zeit mit ihren Liebsten verbringen könnten. Spenden seien elementar für Hospize, doch in der Corona-Zeit sei das schwierig geworden. Seine Tour, so hofft er, verhelfe den Hospizen und der wertvollen Arbeit, die das Personal leiste, zu mehr Öffentlichkeit. Die meisten Etappen will er zu Fuss zurücklegen, manche per Fahrrad, Motorboot oder Oldtimer. Übernachten will er in den Hospizen und dort das Gespräch mit Gästen und dem Personal suchen.

«Ein Hörschatz darf Ratschläge enthalten, den Kindern aber nicht in die Zukunft dreinreden.» David Blum, ärztlicher Leiter des Kompetenzzentrums Palliative Care am Universitätsspital Zürich

Die sehr berührende Geschichte zum Schluss berichtet von einem Projekt, in dem auch die Schreibende dieser Medienschau als Co-Gründerin involviert ist. «Lieber Janis, liebe Ronja, unsere Familienferien auf dem Camping in Avenches, so gern erinnere ich mich daran.» Remo Rosenberger, der diese Sätze zu seinen Kindern sagt, ist 34. Und er wird bald sterben. Die Erinnerung an die Campingferien hat er ins Mikrofon von Franziska von Grünigen gesprochen. Unterlegt mit Musik wird Rosenbergers Erzählung seinen Kindern als Hörschatz, einer Art Hörbuch, erhalten bleiben. Von Grünigen, auch sie Co-Gründerin des gleichnamigen Vereins Hörschatz, begleitete den krebskranken Vater während dreier Aufnahmetage, fragte nach, liess erzählen, half, wenn die Erzählung stockte. Der Verein Hörschatz finanziert und vermittelt sterbenden Müttern oder Vätern von minderjährigen Kindern diese Hörschätze, damit den Kindern die Stimme, die Erinnerungen an Mama oder Papa bleibt. Im «Beobachter» erzählt Rosenberger, wie er die Aufnahmen seiner Biografie erlebt hat. «Mir ist bewusst geworden: Ich hatte ein volles Leben, auch wenn es kürzer ist als das der meisten anderen.»

Zu Wort kommt auch Oliver Wiser, der seine Frau Wanda, die Mutter seiner beiden Kinder, im Dezember verloren hat. Auch sie war an Krebs erkrankt und starb mit 42. Nach ihrem Tod hörten sie zu dritt erstmals in den Hörschatz hinein. Auf dem Sofa sitzend lauschten sie ihrer Stimme. Die Wirkung sei enorm gewesen, erinnert er sich. Es habe sie alle berührt und erschüttert. Seither sind die Kinder ganz unterschiedlich an den Hörschatz herangegangen. Die Tochter wollte mehr über einen bestimmten Lebensabschnitt der Mutter erfahren und fragt seither immer wieder danach. Ihr jüngerer Bruder hat erst ein weiteres Mal gemeinsam mit Papa hineingehört. Seither lässt er ihn wieder ruhen.

David Blum, ärztlicher Leiter des Kompetenzzentrums Palliative Care am Universitätsspital Zürich, begleitet den Verein Hörschatz als wissenschaftlicher Beirat. «Ein Hörschatz darf Ratschläge enthalten, den Kindern aber nicht in die Zukunft dreinreden», erklärt Blum im Artikel. Die «wertschätzende Biografie-Arbeit» habe eine wichtige Rolle bei der Sterbebegleitung. Weil sie das Positive ins Zentrum stelle und den Sterbenden ermöglicht, nochmals etwas zu erschaffen, das bleibt. «Ein Hörschatz kann sinnstiftend wirken für alle Betroffenen.»
palliative zh+sh, Gabriela Meissner