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Feuer, Federn und Ballons: Trauerrituale für Fachpersonen

Feuer, Federn und Ballons: Trauerrituale für Fachpersonen

Den Zettel, auf welchem der Name des Verstorbenen geschrieben steht, dem Feuer übergeben - eines von zahlreichen Ritualen. (zvg)

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30. August 2022
Der Tod eines nahestehenden Menschen kann sehr schmerzhaft sein. Um Angehörigen den Abschied zu erleichtern, gibt es in der Trauerbegleitung eine ganze Reihe von Angeboten. Doch was ist mit dem Fachpersonal?
Einen Grabredner engagieren, eine Trauerbegleiterin aufbieten, einen Gottesdienst feiern oder einen Ritualgestalter beiziehen: Unzählige Angebote sollen den Angehörigen helfen, den Verlust einer nahestehenden Person zu begreifen und zu verarbeiten. In den ersten Tagen stehen vor allem die Fachpersonen des Palliativteams den Trauernden zur Seite. Sie bieten in dieser Ausnahmesituation Unterstützung und sorgen dafür, dass die Hinterbliebenen genug Zeit haben, sich würdevoll vom Verstorbenen zu verabschieden.

Und das Pflegeteam? Gefühle abschalten und weiter?

Und die Mitarbeitenden eines Palliativteams? Wie gehen sie mit dem Tod eines Patienten, einer Patientin um? Denn gerade die Pflegenden waren in den letzten Lebenstagen und -wochen so nah am Schwerstkranken dran, wie kaum jemand anderer. Es hat sich eine Verbindung aufgebaut. Und jetzt übergehen zum «Cours normal»? Gefühle abschalten und weiter?

Zum Glück ist das heute meist nicht mehr so. Auch für die Angestellten gibt es inzwischen Angebote, wie sie mit der Trauer um einen Patienten umgehen können. Denn Rituale können in dieser Situation Brücken sein – Brücken von der Trauerverarbeitung hin zu den Aufgaben, welche mit den neu eintretenden Patienten warten. Mit Erinnerungsritualen ist es möglich, bewusst in die Trauer hineinzugehen und sie so zu verarbeiten. «Wir nehmen in einem monatlichen Ritual Abschied von den Verstorbenen des vergangenen Monats», erzählt Carmen Kissling, welche die Stationsleitung Palliative Care am Spital Affoltern innehat. Die Namen der Verstorbenen werden vorgelesen und jeder Anwesende des Personals darf etwas zu der Person sagen, wenn er mag. Dieser Gedenkanlass ist interprofessionell, neben den Pflegenden nehmen auch Ärzte oder Physiotherapeuten teil. Begleitet wird die Zeremonie von einer Psychologin aus dem Palliative-Care-Team, die bei dieser Gelegenheit den Angestellten auch dankt und ihnen gegenüber Wertschätzung zeigt. Die Töne der grossen Klangschale setzen Anfang- und Endpunkt des Rituals. «Nicht alle Mitarbeitenden nehmen an diesem monatlichen Austausch teil. Einige haben ihren eigenen Weg der Verarbeitung.»

Im Januar findet dann im Gedenken an die Verstorbenen des vergangenen Jahres ein Jahresritual statt. Dieses ist ein besonderer Anlass für alle Mitarbeitenden und es nehmen auch viele teil. Von jedem einzelnen Verstorbenen – die letzten Jahre waren dies auf der Palliativstation in Affoltern rund 150 Personen – wird der Name vorgelesen. Dann wird der Zettel, auf welchem der Name geschrieben steht, dem Feuer übergeben, welches in einer grossen Schale hell in der Dunkelheit leuchtet. Auch Todesanzeigen und Dankeskarten werden in die Feuerschale gelegt. Begleitet wird das Ritual von Liedern und Gedichten. «Diese Feier ist wichtig für uns, damit wir wieder Kraft tanken können, etwas abschliessen und im neuen Jahr unbelastet wieder anfangen können, sagt die Stationsleiterin. Für Pflegende, die ein besonders nahes Verhältnis zu einem Verstorbenen hatten und denen der Abschied längere Zeit sehr weh tut, ist die Teilnahme an der Abdankung eine weitere Möglichkeit der Trauerbewältigung. Auch eine persönliche Begleitung durch Mitarbeiter des psychologischen Teams kann hilfreich sein.

Federn fliegen am Ballon in den Himmel

Auch im Zürcher Lighthouse wird seit vielen Jahren in Form von Ritualen Abschied genommen. Nachdem ein Patient gestorben ist, geht das Pflegeteam in den Garten, holt Blätter und Blumen, mit welchen es das Zimmer schmückt. Ein kleiner Altar mit persönlichen Gegenständen des Verstorbenen bildet einen intimen Rahmen. Zu leiser Musik macht sich das Personal, das in diesen Stunden im Haus an der Arbeit ist, Gedanken zur Person, schickt ihr gute Wünsche mit oder verweilt einfach einen Moment in der Stille.

Wenn ein Patient ins Lighthouse eintritt, dann hängt jemand eine Feder an ein Mobile. Ist der Patient verstorben und hat das Haus verlassen, nimmt man das Federchen wieder ab und legt es in ein Gefäss. «Alle paar Monate binden wir im Rahmen eines Abschiedsrituals die Federn an Heliumballons», sagt Esther Walz Kalogreakis vom Pflegedienst. Draussen im Garten werden die Namen der Verstorbenen vorgelesen, leise Musik ertönt im Hintergrund, die Ballons schweben dem Himmel entgegen. Unter dem Jahr gibt es alle zwei Wochen ein kleineres Ritual, den «Friitigsstei». In ein Buch werden Name, Geburts- und Todestag eingetragen. Die Angestellten sitzen in einen Kreis, eine Schale mit Steinen in der Mitte, und lassen die vergangenen zwei Wochen Revue passieren. Was haben sie alles erlebt? Welche Personen sind gestorben und was war das Besondere an ihnen? «Wer sich speziell betroffen fühlt, nimmt dann einen Stein aus der Kreismitte, den wir anschliessend in den Garten setzen», erklärt die Pflegefachfrau. «Und irgendwann gehen wir dann an einen Fluss, legen die Steine ins Wasser und verabschieden uns so nochmals.»

Nicht «schnell, schnell», sondern dem Trauern Raum geben

In einem Hospiz oder auf einer Palliativstation sollten Abschiedsrituale einen hohen Stellenwert einnehmen dürfen – inzwischen tun sie dies meist auch. Das Personal wird laufend mit dem Tod von Menschen konfrontiert, die es kennengelernt und über eine gewisse Zeit begleitet hat, denen sie nahe waren. Die Trennung soll deshalb nicht «schnell, schnell» vonstattengehen. Wie meint die erfahrene Pflegfachfrau Esther Walz Kalogreakis? «Dem Abschied Raum geben, sich Zeit nehmen und in einem würdevollen Rahmen achtsam zu sein, das alles gibt Kraft.» Kraft um sich gestärkt den verbliebenen und neuen Bewohnerinnen und Bewohnern des Hospizes zu widmen.
palliative zh+sh / Bettina Weissenbrunner