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Sterben lernen heisst leben lernen

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Julia Kalenberg ermutigt ihre Leserinnen und Leser, offen über Sterben und Tod zu sprechen. Denn dann kann die Zeit des Abschieds für alle Beteiligten eine bereichernde werden.

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copyright Daniela Haldemann

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27. März 2023 / Vermischtes
Wäre es nicht schön, mehr Gelassenheit im Umgang mit dem Sterben zu entwickeln? Eine aktive Auseinandersetzung mit dem Tod bedeute mehr Leichtigkeit im Leben, schreibt Julia Kalenberg in ihrem Buch «Und jetzt zeigst du uns, wie Sterben geht».
«Als wir Kinder waren, brachte uns unser Vater viele nützliche Dinge bei», schreibt Autorin Julia Kalenberg im Vorwort zu ihrem aktuellen Buch. «Er zeigte uns, wie man einen Kastendrachen bastelt oder ein Modellflugzeug, wie man ein Fahrrad flickt oder einen Stock schnitzt, um damit eine Wurst über dem Feuer zu braten.» Als ihr Vater an seinem Lebensende bewundernswert gelassen mit seinem eigenen Ende umging, dachte die Autorin plötzlich: «So, und jetzt zeigst du uns, wie Sterben geht.»

Ihr Vater ist 86 Jahre alt, als er Anfang 2020 die Diagnose Lungenkrebs bekommt. Er war sein Leben lang Nichtraucher. Nach dem ersten Schock und der drängenden Frage «Wie lange hat er wohl noch?» spürt Julia Kalenberg eine grosse Dankbarkeit dafür, dass ihr eine Zeit des Abschieds geschenkt wird. Das Geschenk, diese Zeit bewusst gemeinsam erleben zu können. Dinge zu besprechen. Sich gegenseitig versichern, dass alles Platz hat, alle Emotionen. Als Familie miteinander den Weg gehen und gestärkt aus der Situation hervorgehen.

Eigene Erlebnisse und gesammelte Erfahrungen

Das Buch von Julia Kalenberg ist in drei Teile gegliedert. Im ersten Teil schildert sie eine Reihe von Beispielen, die zeigen, wie der Abschied von einem nahen Menschen gestaltet werden kann. Es ist eine Sammlung von Erlebnissen, Beobachtungen und Gedanken. Dieser Schatz an Erfahrung hat es ihr ermöglicht, gelassen und mit offenem Herzen in dieser speziellen und belastenden Zeit zu handeln. Und nicht in Angst und Schrecken zu erstarren. «Ich konnte hin- , anstatt wegschauen, als mein Vater so weit war. Denn paradoxerweise lässt uns die Vergegenwärtigung des Todes das Leben noch intensiver erfahren.» Julia Kalenberg schreibt Tagebuch. Dies hilft ihr, die Gedanken zu ordnen – und das ermöglicht sie auch ihren Leserinnen und Lesern. Nach jeder Geschichte gibt es Platz für eigene Notizen: Was inspiriert mich an dieser Geschichte? Wie spreche ich mit anderen darüber, was mir wichtig ist? Was möchte ich unbedingt noch machen, bevor ich sterbe? Antworten auf solche und ähnliche Fragen, können zu einer Art Notfallkoffer werden, aus dem wir schöpfen können, wenn es soweit ist, dass wir Abschiednehmen müssen.

Tagebucheinträge lassen in ihre Seele schauen …

Im zweiten Teil beschreibt Julia Kalenberg die letzte Zeit mit ihrem Vater. Sie nimmt die Leserinnen und Leser mit auf den Weg durch schmerzhafte Gefühle, Momente der Nähe und Dankbarkeit. Dazu lässt sie die Lesenden immer wieder einen Blick in ihr persönliches Tagebuch werfen. Sie erfahren, was der Autorin in dieser Zeit geholfen hat, aber auch, was besonders schwierig war. «Ich bin froh, wie ich jetzt in deiner Begleitung lerne, wirklich auf mich zu hören.» Und sie lernt, Hilfe anzunehmen. In den letzten Tagen mit dem Vater hat sie Unterstützung von einem spezialisierten ambulanten Palliative-Care-Team. Eine Last fällt von ihren Schultern. Ruhe kehrte im Haus ein. Die Pflegerinnen kommen einmal im Tag vorbei, erklärten ihr alles, was zu tun ist, und sie kann dennoch vieles selbst übernehmen.

So wie Julia Kalenberg über Sterben und Tod schreibt, spricht und nachdenkt, können es die wenigsten von uns. Im dritten und letzten Teil ihres Buches gibt sie mögliche Gründe an, weshalb die Auseinandersetzung mit Sterben und Tod so schwer sein kann. Und sie teilt Geschichten einiger Personen, die uns helfen können, über die schwierigen Themen zu reden. Die Geschichten inspirieren und lassen Raum für eigene Gedanken. Denn viele Kranke und Sterbende würden gerne über den nahenden Tod sprechen, doch sie können nicht – unter anderem weil sie ihre Angehörigen vor solchen Gesprächen verschonen wollen. Und das Gegenüber verspürt eine Angst, von Sterben und Tod zu sprechen. Angst, etwas Falsches zu sagen. Wir haben nicht gelernt, wie man das macht. «Seid aufgeschlossen für Gespräche über das Sterben», ermutigt uns die Autorin. «Geht – wann immer möglich – offen aufeinander zu, anstatt den anderen «schonen» zu wollen.» Denn dann kann die Zeit des Abschieds eine bereichernde werden.

Julia Kalenberg: Und jetzt zeigst du uns, wie Sterben geht. Zytglogge Verlag. 240 Seiten. ISBN: 978-3-7296-5115-9
palliative zh+sh / Bettina Weissenbrunner