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Palliative Care im neuen Namen verankert

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Die Mitarbeitenden von Palliaviva präsentieren sich mit dem neuen Logo. (Bilder: sa)

Ilona Schmidt

Ilona Schmidt
Seit sechs Jahren Geschäftsleiterin von Palliaviva.

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09. April 2019 / Region
Aus Onko Plus wird Palliaviva: Zum 30-Jahr-Jubiläum gönnt sich die Stiftung für spezialisierte Palliative Care zu Hause einen neuen Namen und ein frisches Erscheinungsbild. Aus der Pionierleistung zweier Pflegefachfrauen ist eine Organisation geworden, die rundum die Uhr schwerkranke Patientinnen und Patienten sowie deren Angehörige begleitet und eng mit Hausärzten und den lokalen Spitexorganisationen zusammenarbeitet.
Schwerkranken Menschen ein gutes Leben in ihren eigenen vier Wänden ermöglichen, war vor 30 Jahren noch eine Pioniertat. Dafür leisteten die beiden Pflegefachfrauen Barbara Arnold und Agnes Moser beinahe Übermenschliches: Jeweils eine von ihnen arbeitete für ihren Onkologiepflegedienst von Mittwoch bis Mittwoch Tag und Nacht durch und übergab dann der Kollegin. Die Folgewoche nahm sie sich nicht etwa frei, sondern arbeitete zusätzlich in einem Spital, um das tägliche Brot zu verdienen. Mit diesem Angebot wollten die beiden «Onko-Schwestern» eine Lücke stopfen, die durch die Auflösung eines ähnlichen Angebots der Krebsliga entstanden war. Bald zeigte sich, dass die Privatfirma, mit der sie ihren Pflegedienst betrieben, nicht die geeignete Lösung war. Die dringend nötigen Spendengelder konnten sie auf diese Weise nicht einnehmen. Bei Onkologen, Hausärzten und Finanzspezialisten machten sie sich für ihr Anliegen stark und hatten Erfolg. Am 6. April 1989 gründeten 13 Personen in Zürich die «Stiftung Pflegedienst für Krebspatienten».
Die Begleitung von Patientinnen und Patienten mit einer nicht-onkologischen Erkrankung stand von Beginn an ausser Frage
Obwohl sich der Name explizit auf die Pflege von Krebspatienten bezog, stand es ausser Frage, dass die Pflegefachfrauen von Beginn an auch Patientinnen und Patienten mit einer nicht-onkologischen Erkrankung begleiteten. 30 Jahre und zwei Namensänderungen später – der Bezug zu Krebserkrankungen blieb als Onko-Spitex und später Onko Plus hartnäckig erhalten – hat sich am Ziel der Stiftung nichts verändert: eine möglichst hohe Lebensqualität von schwerkranken Menschen zu ermöglichen, die zu Hause leben möchten, und dabei neben körperlichen auch seelischen und spirituellen Bedürfnissen nachzukommen. Daran sind mittlerweile 16 Mitarbeitende beteiligt, zwölf davon in der Pflege, die im Knonaueramt, am linken und rechten Zürichseeufer, in der Region Pfannenstiel, im Limmattal und im Zürcher Unterland für die jährlich über 460 Patientinnen und Patienten im Einsatz sind. Nur etwas wird neu. Zum Jubiläum vollzieht der Pflegedienst unter dem neuen Namen Palliaviva auch äusserlich sein Bekenntnis zu Palliative Care. Im Interview erklärt Palliaviva-Geschäftsleiterin Ilona Schmidt, was Sterben zu Hause bedeutet und warum die Palliaviva-Mitarbeitenden bei Gesprächen nicht auf die Uhr schauen.


Palliaviva – oder bis vor kurzem noch Onko Plus – ist ein spitalexterner Dienst für schwerkranke und terminale Patientinnen und Patienten. Welche Menschen nehmen diesen Dienst in Anspruch, wie kommen sie zu Ihnen und wie funktioniert diese Pflege und Betreuung?
Ilona Schmidt: Wir sind ein spezialisierter mobiler Palliative-Care-Dienst und betreuen Menschen mit einer fortgeschrittenen unheilbaren Erkrankung unabhängig von ihrer Diagnose in ihrem Zuhause oder auch in Langzeitinstitutionen. Dabei legen wir den Schwerpunkt nicht nur auf die physische Behandlung, sondern auch auf den psychologischen, spirituellen oder sozialen Bereich, einfach überall dort, wo es eine Spezialisierung braucht. Was ganz wichtig ist für das Verständnis: Wir sind eine Ergänzung zur lokalen Spitex und zum Hausarzt. Palliative Care ist immer Teamarbeit und benötigt ein umfassendes Betreuungsnetz. Die Patientinnen und Patienten kommen einerseits durch Zuweisungen von Spitälern und Palliativstationen zu uns, andererseits befragen heutzutage viele Betroffene Dr. Google, um sich eine Zweitmeinung zu bilden, und finden uns auf diesem Weg. Erkrankte bekommen zum Teil von Ärztinnen und Ärzten zu hören: «Wir können nichts mehr für Sie tun, jetzt sind Sie palliativ». Das ist schade, denn es stimmt nicht. In der Palliativpflege verschiebt sich lediglich der Schwerpunkt von der kurativen Pflege hin zur Sicherung der Lebensqualität. Palliative Care wird noch zu stark gleichgesetzt mit Sterben.

Aus dem 1989 gegründeten Pflegedienst für Krebspatienten wurde die Onkospitex, dann Onko Plus und nun zum 30-Jahr-Jubiläum legt sich die Stiftung einen neuen Namen und ein neues Erscheinungsbild zu. Warum der Name Palliaviva?
Letztes Jahr haben wir zusammen mit dem Team und dem Stiftungsrat einen Strategieprozess aufgenommen. Das Stete im Gesundheitswesen ist der Wandel, gerade auch im Palliativbereich. Das Innehalten und Überlegen, wer wir eigentlich sind, was wir tun und wohin wir uns entwickeln wollen, löste einen spannenden Prozess aus. Am Ende war klar, dass das, was hier entstanden ist, auch einen neuen Namen verdient. Die prominente Erwähnung von Palliative Care in unserem neuen Namen ist ein klares Commitment dazu, dass wir alle Menschen unabhängig von der Diagnose betreuen. Wir wollen die Entwicklungen mitgestalten, die im Gesundheitswesen passieren. Der neue Auftritt vermittelt den Spenderinnen und Spendern noch transparenter, wofür ihr Geld eingesetzt wird.

Und wofür steht das «Viva» im Namen?
Mit einer unheilbaren Krankheit ist man sehr problemorientiert, hat Schmerzen, verspürt Angst. Umso wichtiger ist es, diesen Menschen bis zum Schluss eine gute Lebensqualität zu ermöglichen. Oft sind es kleine Wünsche, die man erfüllen kann: im Garten sitzen, Freunde treffen – im Zentrum soll das Leben stehen.
«Wenn der Partner zu Hause stirbt, egal ob in der Stube oder im Schlafzimmer, dann erhält dieser Raum eine andere Bedeutung.»
32 Prozent Ihrer Patientinnen und Patienten sind letztes Jahr zu Hause gestorben. Was bedeutet diese Zahl?
Man muss sie etwas differenzieren. Ein weiterer Teil unserer Patienten ist in einem Heim verstorben. Das weisen wir separat aus, obwohl eine solche Institution durchaus auch als Zuhause betrachtet werden kann. Bei manchen ist es ist es übrigens der ausdrückliche Wunsch, nicht zu Hause zu sterben. Man darf dabei gewisse Aspekte nicht ausser Acht lassen. Wenn der Partner zu Hause stirbt, egal ob in der Stube oder im Schlafzimmer, dann erhält dieser Raum eine andere Bedeutung. Manche Angehörigen können es sich nicht vorstellen, danach weiter in diesem Haus wohnen zu bleiben. Oder Betroffene möchten ihrem Partner nicht zumuten, dass ein Zimmer mit ihrem Sterben verbunden ist. Das braucht klärende Gespräche, um eine partnerschaftliche Lösung für einen Sterbeort finden.

Dennoch wächst in unserer Gesellschaft der Wunsch, zu Hause sterben zu können.
Ich glaube, es gibt nicht diesen einen Grund dafür. Vermutlich würden mehr Menschen im Spital sterben wollen, wenn das möglich wäre. Man kann auf den Knopf drücken, und sofort ist jemand da. Diese immense Sicherheit hat man sonst nirgendwo, wird aber durch das DRG-System, die Fallpauschalen, verhindert, welche die Aufenthaltsdauer beschränken. Wir brauchen also andere Möglichkeiten. Die heutigen Angebote von Spitex und spezialisierten Palliative-Care-Diensten bringen das Spital gewissermassen nach Hause. Viele unserer Patienten haben zunächst den Wunsch zu Hause zu sterben und kommen später aus ganz verschiedenen Gründen wieder davon weg.

461 Menschen hat Palliaviva letztes Jahr betreut, Tendenz steigend. Das Team ist rund um die Uhr zu erreichen. Wie ist das zu schaffen?
Mit Zahlen ist das schwierig festzumachen. Wir sind ja nicht allein für die Betreuung verantwortlich, dahinter steht ein ganzes Netz. Zentral ist die Unterstützung der Angehörigen. Sie sind die wichtigsten Menschen in diesem Netz, wenn sie wegbrechen, geht gar nichts mehr. Koordinationsaufgaben sind ebenfalls ein wichtiger Teil unserer Aufgabe. Wir setzen uns mit Patientinnen und Patienten und ihren Angehörigen zusammen, schauen Bedarf und Probleme an, evaluieren aber auch die vorhandenen Wünsche und Ziele. Aufgrund dieser Ausgangslage gilt es dann, ein Netz aus Angehörigen, dem Hausarzt, Physiotherapeutinnen oder Ernährungsberatern aufzubauen, damit es uns nicht täglich braucht. Im Normalfall gehen wir einmal wöchentlich bei einem Betroffenen vorbei, sind aber telefonisch für die Spitex, die Patientinnen und Patienten und die Angehörigen erreichbar. Das kann je nach Symptomlast auch variieren.
«In den Gesprächen geht es oft um ganz existenzielle Fragen. Das kann man nicht so leicht beantworten, wie die Frage nach dem Mittagessen.»

30 bis 40 Prozent Ihrer Einnahmen sind über Spenden generiert. Wohin geht die Entwicklung in Bezug auf die Finanzierung?
(lacht) Tja, wenn ich eine Glaskugel hätte… Der Spendenanteil fliesst vor allem in die Angehörigenbetreuung ein, die im KVG so nicht vorgesehen ist. Wie lange eine Leistung oder ein Gespräch dauern darf, ist stark reglementiert. Wird jemand zu Hause gepflegt, fehlt allen Beteiligten schlichtweg die Zeit für die Unterstützung der Angehörigen. Das ist aber ein absolut zentraler Punkt, denn ohne sie geht nichts. Keine Pflegende von uns geht in ein Zuhause, ohne die Angehörigen zu fragen, wie es ihnen geht und was sie brauchen. Unsere Stiftung hat den Anspruch, dass bei Gesprächen keine Uhr ticken soll. Denn dabei geht es oft um ganz existenzielle Fragen, beispielsweise was man sich noch wünscht, wo man sterben möchte, was man in Kauf nehmen mag, um dieses Sterben zu ermöglichen. Das kann man nicht so leicht beantworten wie die Frage nach dem Mittagessen. Bei aller Wirtschaftlichkeit, der auch wir verpflichtet sind: Für diesen Teil muss man sich Zeit nehmen können. Dass dafür in näherer Zukunft im KVG eine Abgeltung möglich wird, halte ich für unrealistisch. Ich finde aber, finanziell haben wir im Kanton Zürich schon sehr viel erreicht, nicht zuletzt mit der Gründung des Verbands aller spezialisierten Palliative-Care-Leistungserbringer (SPaC). Mit praktisch allen Gemeinden in unserem Einzugsgebiet konnten wir Leistungsvereinbarungen abschliessen und erhalten so eine Pauschale für unsere spezialisierten Leistungen. Die meisten unserer Spenden sind übrigens Gedenkspenden. Das ist eine Form der Anerkennung unserer Arbeit, die wir zurückerhalten und natürlich auch sehr schätzen.

Durch die intensive Betreuung entstehen auch enge Beziehungen zu den Patientinnen und Patienten. Wie geht man im Team damit um, wenn diese Beziehungen durch den Tod zu Ende gehen? Gibt es Rituale, die Sie im Team pflegen?
Als Organisation hat man eine wichtige Verantwortung, solche Gefässe anzubieten. Entsprechend hat die Psychohygiene bei uns verschiedene Standbeine. An monatlichen Sitzungen und Supervisionen haben wir die Möglichkeit zur Thematisierung. Auch Einzelgespräche bieten wir an. Weiter führen wir Trauerrituale durch, bei denen wir uns von Verstorbenen verabschieden können. Zur individuellen Verarbeitung pflegt auch jeder und jede Mitarbeitende einen persönlichen Ausgleich. Sei das nun joggen zu gehen oder ein Glas Wein zu trinken, wenn ihnen ein Patient oder eine Patientin sehr ans Herz gewachsen ist.

Wie geht es mit den Angehörigen weiter, wenn jemand stirbt?
Unser Kontakt mit den Menschen aus dem Betreuungsnetz ist unterschiedlich intensiv. Natürlich können sich die Angehörigen aktiv bei uns melden. Aber insbesondere bei einer längeren Begleitung rufen wir in der Regel sechs bis acht Wochen später an und erkundigen uns, wie es ihnen geht. Falls Unterstützung nötig ist, vermitteln wir diese. Etwas darf nicht vergessen: Die Angehörigen sind über Monate in einem Netz eingebunden, das mit dem Tod eines Menschen wegfällt.

Nicht alle Menschen lassen sich auf den palliativen Weg ein. Wie handhabt Ihre Organisation Wünsche nach assistiertem Suizid?
Dazu haben wir eine klare Haltung, die wir im Team ausgearbeitet haben. Es ist der freie Entscheid eines Menschen, wie er aus dem Leben scheiden möchte. Wenn wir direkt angesprochen werden, fragen wir nach der Motivation. Das kann beispielsweise die Angst vor Schmerzen sein. Entsprechend versuchen wir, Alternativen aufzuzeigen, damit jemand alle nötigen Informationen hat. Es geht nicht darum, ihn umstimmen zu wollen, sondern ihm einfach sämtliche Möglichkeiten aufzuzeigen. Aktive Handlungen zum assistierten Suizid, beispielsweise Infusionen legen, unternehmen wir keine. Wer einen Termin mit Exit abmachen möchte, muss selbst anrufen.
«Das romantische Sterben gibt es nicht.»
Wann würden Sie die Betreuung eines Patienten als rundum gelungen bezeichnen?
Man darf sich nichts vormachen: Das romantische Sterben gibt es nicht. Aber ich denke, wenn Betroffene und Angehörige sich in dieser Zeit sicher fühlen, wenn das Betreuungsnetz weiss, was in welchem Fall zu tun ist, wenn man besprochene Ziele erreichen kann, dann ist das aus meiner Sicht eine gute Betreuung. Sicherheit, Autonomie und Selbstbestimmung sind die drei wichtigsten Pfeiler, die aber durchaus individuell sind und die auch immer wieder diskutiert werden müssen. Man wächst und verändert sich mit einer Krankheit. Dinge, die vielleicht vor einem Jahr noch undenkbar waren, werden durch den Prozess zu einem möglichen Ziel. Auch im scheinbaren «Dahinvegetieren» ist Würde möglich.

Wohin soll sich Palliaviva entwickeln?
Wir möchten auf dem Weg, auf dem wir uns befinden, weiterwirken und wachsen und mit unseren Teams eine möglichst flächendeckende Versorgung in den Bezirken erreichen. Die interdisziplinäre Zusammenarbeit soll zu einer Selbstverständlichkeit werden, bei der man voneinander profitieren kann, was letztlich die Betreuung der Patientinnen und Patienten laufend optimiert.
«Es ist nicht zu beziffern, was von Angehörigen an Pflege geleistet wird, und doch finanziell absolut keine Beachtung findet.
Zum Schluss eine persönliche Frage: Sie sind seit sechs Jahren Geschäftsleiterin bei Palliaviva, vorher waren Sie als Pflegedienstleiterin im Zürcher Lighthouse tätig. Warum engagieren Sie sich speziell in diesem Bereich?
Da steckt keine dramatische Geschichte dahinter. Mein Weg in die Palliative Care geschah eher zufällig. Nach meiner Ausbildung zur Pflegefachfrau war mir klar, dass ich mich im Managementbereich weiter entwickeln möchte. Nach einigen Jahren als Stationsleiterin im Universitätsspital Zürich suchte ich nach einer Stelle in einer kleineren Institution, die mir mehr Gestaltungsmöglichkeiten bietet. So kam ich durch den Wechsel ins Lighthouse in die Palliative Care. Was mich schon immer fasziniert hat, ist das Thema Krisen und wie der Mensch damit umgeht. Bei der Palliative Care gefällt mir das interprofessionelle Denken, das man in anderen Bereichen eher weniger erlebt. Die Philosophie des patientenorientierten Modells entspricht mir, aber auch der Einbezug der Angehörigen. Es ist nicht zu beziffern, was von Angehörigen an Pflege geleistet wird, und doch finanziell absolut keine Beachtung findet. Das ist ein Grund, mich hier auch weiterhin mit Freude zu engagieren.
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