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«Reden über Schmerz eröffnet Wege»

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Gruppenbild mit nur Damen, ein gefülltes Sphères, engagierte Diskussionen während und nach dem Podium. Auf der Bühne sassen (v. l.): Anne Rüffer, Elena Ibello, Eveline Häberli, Dorothea Elmenthaler und Heidi Dazzi (Bilder: Ilona Schmidt).

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13. Oktober 2018 / Region
Mit einem kurzweiligen, dichten und informativen Podiumsgespräch haben wir Buchvernissage von «Reden über Schmerz» gefeiert.
«Zur Welt kommen ist mit Schmerz verbunden. Sterben ist mit Schmerz verbunden. Von früher Kindheit bis zum Tod erleben wir Schmerz, während des ganzen Lebens, immer wieder, in unzähligen Situationen und unter verschiedensten Umständen.» Verlegerin Anne Rüffer las zu Beginn der Buchvernissage aus dem Vorwort von «Reden über Schmerz», das von Monika Obrist verfasst wurde. Die Geschäftsführerin von palliative zh+sh schloss mit folgendem Satz: «Reden über Schmerz [eröffnet] in der Palliative Care Wege zu einem befreiten Leben.»

Deshalb hat palliative zh+sh zusammen mit dem Sachbuchverlag rüffer & rub diesem in der Palliativmedizin wichtigen Symptom ein ganzes Buch gewidmet; es ist das dritte in der Reihe rüffer & rub cares. Am Freitag wurde anlässlich des Welt-Palliative-Care-Tags im Zürcher Sphères Buchvernissage gefeiert. Die Buchhandlung, die zugleich Bar und Veranstaltungsort ist, war gut gefüllt. Auf dem Podium sassen Palliativpflegefachfrau und Schmerzspezialistin Eveline Häberli, die im Buch porträtiert wird, Psychoonkologin Dorothea Elmenthaler sowie Onkologin und Palliativmedizinerin Heidi Dazzi, die beide mit einem eigenen Kapitel zum Buch beigetragen haben.
«Wir haben nur wenige Worte, um die Vielschichtigkeit des Schmerzes auszudrücken.»
Heidi Dazzi, Onkologin und Palliativmedizinerin

Mitherausgeberin Elena Ibello führte das Gespräch feinfühlig entlang elementarer Fragen wie: Weshalb soll man über Schmerz sprechen? Was ist das Ziel einer guten Schmerztherapie? Welche Rolle spielt die Abhängigkeit bei der Verabreichung von Opioiden? Und was machen Gefühle wie Trauer und Angst mit dem Schmerz?

«Eigentlich haben wir nur wenige Worte, um die Vielschichtigkeit des Schmerzes auszudrücken», gab Heidi Dazzi zu bedenken. «Wir kennen nur die Begriffe Schmerz und weh.» Deshalb müsse sie als Ärztin häufig gezielt nachfragen, was Patienten und Angehörige wiederum belasten könne. Gefragt nach den Schmerzen ihres Mannes sagte eine Frau zum Beispiel: «Er hat einfach ganz starke Schmerzen, das ist doch klar, das sehen Sie ja. Machen Sie endlich etwas, man kann ihn doch nicht einfach so leiden lassen.» Sie gebe Menschen, die ihren Schmerz nicht charakterisieren können, eine Auswahl an Beschreibungen und frage, ob er wie ein Blitz, ein Messer oder eine Kolik sei.

Um Schmerzen «richtig einzustellen» seien Erfahrung und Zeit nötig, so Dazzi. Patientinnen und Patienten hätten zudem häufig grossen Respekt, von Opioiden abhängig zu werden. «Werden solche Medikamente jedoch bei Schmerzen und nicht des Rausches wegen eingenommen, ist die Gefahr der Abhängigkeit viel kleiner.» Ärzte könnten Patienten entlasten, wenn sie die Suchtgefahr relativierten, meinte auch Psychoonkolgin Dorothea Elmenthaler. «Patienten haben Angst vor Kontrollverlust. Wenn man sie gut lenkt, kann man ihnen die Angst nehmen.»
«Schmerzen streuen Sand ins familiäre Getriebe.»
Dorothea Elmenthaler, Psychoonkologin und Psychotherapeutin

Nicht nur wegen der fehlenden Worte falle vielen das Reden über Schmerz schwer, sagte Elmenthaler. Sondern viele hätten auch Angst, sich schwach zu zeigen, dazu sei Vertrauen ins Gegenüber nötig. Wichtig sei das Thematisieren auch, weil der Schmerz Ausgangspunkt sein könne, um über etwas tiefer Liegendes zu sprechen.

Wie die Psychoonkologin in ihrem Text ausführte, hätten Schmerzen zudem spürbare Auswirkungen auf das familiäre Umfeld. «Schmerzen streuen Sand ins familiäre Getriebe.» Nicht mehr darüber zu sprechen, sei aber auch nicht die Lösung, sagte die Psychologin. «Eine gegenseitige Schonhaltung bringt Starre ins System.» Gespräche würden vielmehr den Sand aus dem Getriebe wieder rauswaschen.

Palliativpflegefachfrau Eveline Häberli meinte, das Reden sei nicht jedermanns Sache, deshalb fordere sie manche Leute auf, ihr den Schmerz am Körper zu zeigen und erklären zu lassen. Berühre sie den Patienten, spüre sie zum Teil eine Verhärtung, die sie so nicht erwartet hätte. Wichtig sei zudem die Menschen im Alltag zu beobachten: Wie stehen sie auf? Wie bewegen sie sich? Wenn das Gegenüber aus irgendeinem Grund nicht mehr sprechen könne – zum Beispiel weil es kurz vor dem Sterben steht –, müsse sie ohnehin auf para- und nonverbale Zeichen achten, auf Körperspannung, -haltung oder Mimik.

Nicht zuletzt gehe es darum, Patientinnen und Patienten einen möglichst ungestörten Alltag, so viel Lebensqualität wie möglich zu geben, sagte Häberli. «Schmerzlinderung bringt Ruhe ins gesamte soziale System rund um eine Patientin oder einen Patienten.»
«Während der Krankheit geht es mit der Trauer auf und ab. Am Schluss stellt sich beim Betroffenen meist Ruhe ein.»
Eveline Häberli, Palliativpflegefachfrau und Schmerzspezialistin

Die Trauer während einer Krankheit und vor dem nahenden Tod kann laut Häberli den Schmerz beeinflussen, hat dieser doch immer auch eine psychische Komponente. Die Pflegefachfrau meinte, Patientinnen und Patienten könnten die Angst aber überwinden, indem sie sich selbst und darauf vertrauten, dass ihre Angehörigen auch ohne sie gut weiterleben können. Trauergefühle und Angst würden im Krankheitsverlauf meist wellenartig zu- und abnehmen. «Ganz am Schluss aber stellt sich meist Ruhe ein.»
palliative zh+sh, sa