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Spotlight Region: «Wichtig ist die Zusammenarbeit mit
den Eltern» – Über die Arbeit der kispex

Spotlight Region: «Wichtig ist die Zusammenarbeit mit <br>den Eltern» – Über die Arbeit der kispex

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Sibylle Graf von der kispex pflegt die 11-jährige Barbara regelmässig zuhause. (Bild: Mano Reichling, ixedi.ch)

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Palliative Care bei der kispex

40-45 Prozent der Pflegeleistungen erbringt die kispex im Bereich Palliative Care. Viele der betreuten Kinder und Jugendlichen leiden an einer chronischen, in vielen Fällen progredient verlaufenden Erkrankung. Ziel der Pflege der kispex im Bereich Palliative Care ist es, das erkrankte Kind und seine ganze Familie so zu unterstützen, dass sie in der verbleibenden Lebensphase eine möglichst hohe Lebensqualität haben. Wegweisend für alle medizinischen oder pflegerischen Interventionen der kispex sind gemäss ihrem Konzept Palliative Care die Wünsche, die Ziele und der Schutz des Kindes und seiner Familie.
«Zusammen mit den Familien möchten wir den Alltag so gestalten, dass realistische Hoffnung Platz hat, Ängste und Befürchtungen offen ausgesprochen werden und die Familie unsere Unterstützung und Begleitung auch über den Tod ihres Kindes hinweg in Anspruch nehmen können», heisst es im Konzept.

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07. Dezember 2012 / Region
Freiräume sind in Familien mit schwerkranken Kindern rar. Die kispex Kinder-Spitex Kanton Zürich will die betroffenen Familien bei der Pflege ihrer Kinder unterstützen. Die 11-jährige Barbara Dias ist eines von vielen Kindern, das von der spezialisierten Spitex betreut wird.

Sibylle Graf setzt Barbara Dias in ihrem Bett behutsam auf, stellt sich neben sie an den Bettrand und nimmt sie in den Arm. Die 11-jährige Barbara lehnt ihren Kopf an die Schulter der jungen kispex-Mitarbeiterin und schliesst die Augen. «Barbara reagiert stark auf körperliche Nähe. Das beruhigt sie sehr. Wahrscheinlich hilft es, dass sie spürt, dass jemand da ist und sich um sie kümmert», sagt Graf. Barbara ist nicht immer ruhig. Manchmal ist sie auch angespannt, fühlt sich offensichtlich unwohl. In diesen Situationen ist es wichtig, sie zu beruhigen, denn sie ist sehr anfällig auf epileptische Anfälle. «Oft helfen Massagen», sagt Graf. Barbara ist mehrfach beeinträchtigt. Bei ihrer Geburt erlitt sie einen ischämischen Hirninfarkt. Das Mädchen kann sich nur eingeschränkt bewegen, viele ihrer Bewegungen sind unkontrolliert. Sprechen kann sie nicht, abgesehen von einigen Worten, die ihre Angehörigen verstehen. Dennoch versteht auch die kispex-Mitarbeiterin meist, was Barbara braucht und wie es ihr geht. «Für mich ist es nicht immer ganz einfach, das heraus zu spüren, aber man merkt ihr sehr vieles an. Je länger ich sie kenne, desto besser kann ich ihre Mimik und ihre Reaktionen verstehen», sagt Graf.

Barbara sitzt inzwischen in ihrem Rollstuhl und summt gleichmässige Töne. Sie wirkt entspannt und zufrieden. Graf spricht ständig mit Barbara, leise und freundlich. «Nun ist es Zeit für den Zvieri», sagt sie und füllt eine grosse Spritze mit etwas Wasser, steckt sie an Barbaras Magensonde und gibt das Wasser langsam ein. Barbara streckt ihren Kopf etwas nach vorne und öffnet den Mund. – Ein Zeichen dafür, dass sie die Sekrete in Hals und Rachen stören. Bald beginnt Barbara stark zu husten. Weil sie stets viel Sekret hat, muss sie regelmässig abgesaugt werden, damit sie richtig atmen kann. Graf nimmt ein spezielles Gerät mit einem kleinen Schlauch zur Hand und saugt Barbaras Mund und Rachen ab. Seit einigen Jahren ist Barbara zudem auf Sauerstoff angewiesen. Sie ist nie allein. Auch in der Nacht ist immer jemand da, der wenn nötig ihre Sekrete absaugen kann, was in regelmässigen Abständen geschehen muss. «Wir von der kispex sind mehrmals pro Woche während der Nacht bei Barbara. Unser Ziel ist, ihre Mutter zu unterstützen. Wir kümmern uns um Barbaras Symptome und versuchen, ihr Wohlbefinden zu steigern», sagt Graf.

Weniger Komplikationen, seit die kispex hilft

Barbaras Mutter Cristina Dias ist erwerbstätig und kümmerte sich sehr lange ohne fremde Hilfe um ihre bedürftige Tochter. Inzwischen pflegt die kispex ihre Tochter mehrmals wöchentlich und seit einiger Zeit hat Dias einen Lebenspartner, der sich ebenso hingebungsvoll um Barbara kümmert wie sie selber. «Heute bin ich wirklich froh um die Unterstützung der kispex. Vor allem in der Nacht ist sie eine grosse Hilfe. So kann ich hin und wieder durchschlafen», sagt Dias. Die Hilfe der kispex hatte sie erst mit der Zeit zu schätzen gelernt. «Anfangs wollte ich eigentlich keine Spitex. Aber nach den letzten Komplikationen, als ich mit Barbara im Kinderspital war, ging es nicht mehr anders.» Am Anfang sei es für sie schwierig gewesen, sich an die Pflegefachfrauen der kispex zu gewöhnen. «Aber nun habe ich etwas mehr Zeit und kann mehr arbeiten gehen. Auch dank meinem Partner. Ich habe gelernt, zu delegieren.» Die kispex konnte Barbaras Situation wesentlich verbessern. Die Abläufe in der Pflege sind heute genau definiert und dank dem professionellen Umgang mit den Medikamenten und Hilfsmitteln erlitt Barbara immer weniger Infektionen. Seit dem Spitalaufenthalt vor zwei Jahren gab es keine Komplikationen mehr. Auch Dias‘ Partner Ben Stangwald ist für die Familie eine grosse Hilfe. Er kennt Barbara sehr gut und weiss, was sie braucht. In der heilpädagogischen Schule, wo Barbara vier Tage pro Woche verbringt, ist er ihr Lehrer.

Cristina Dias und Ben Stangwald sind nun bereit zum Gehen. Sie nutzen die Gelegenheit, um an diesem sonnigen Samstagnachmittag aus dem Haus zu gehen und verabschieden sich herzlich von Barbara.
Sibylle Graf massiert sie jetzt an den Füssen und redet leise mit ihr. «Mit Barbara kann man viele aktive Sachen machen. Sie mag zum Beispiel Bewegung oder Singen», sagt Graf. Doch weil sie heute beim Absaugen so unruhig gewesen sei, mache sie jetzt mit Barbara Sachen, die sie beruhigen. Auch Haare Bürsten oder den Nacken Massieren sind Dinge, bei denen Barbara sich entspannen kann. Trotzdem soll der Spass nicht zu kurz kommen. Lustig findet Barbara zum Beispiel seltsame Töne. Als Sibylle Graf aus Versehen kurz auf den Sauerstoffschlauch am Boden tritt, beginnt die Flasche sofort hell zu pfeifen. Barbara kann sich kaum halten vor Lachen, als sie das Pfeifen hört. Es ist ein wunderbares Kinderlachen, das in dem endet, was wir Deutschschweizer gerne «Gigele» nennen. Barbara nimmt sofort Kontakt auf mit Graf, die mit lacht und sich über Barbaras Lachen freut.

Eltern und kispex arbeiten zusammen

Als später die Mutter und ihr Freund wieder nach Hause kommen, funkeln Barbaras Augen. Sie freut sich, die beiden zu sehen und wird herzlich umarmt. Nun hustet sie wieder. Dias nimmt ihre Tochter schnell auf ihren Schoss und Stangwald saugt Barbaras Mund und Rachen ab. Es scheint unangenehm zu sein für Barbara, aber als es vorbei und sie von den Sekreten befreit ist, strahlt sie. Ihre Mutter behält sie noch eine Weile auf ihrem Schoss. «Hier sitzt sie gerne, ganz nah bei mir», sagt sie und Stangwald drückt Barbara einen Kuss auf die Stirn. Er betreut Barbara gerne und weiss von zahlreichen lustigen und schönen Momenten mit ihr zu erzählen. «Was ich mit Barbara lerne, ist unglaublich wertvoll. Ich lerne höchste Aufmerksamkeit auf allen Ebenen», sagt er. Auch Dias möchte nichts missen. «Natürlich hätte ich manchmal gerne mehr Zeit für mich. Aber ich wünsche mir vor allem, dass ich so weiterleben kann wie bisher, mit meinem Mann und meiner Tochter. Mir fehlt nichts. Und wir haben auch gelernt, die wenige freie Zeit, die wir haben, bewusst zu nutzen.»

Für die kispex ist das ein zentrales Anliegen. Dass die Familie sich wohlfühlen und hin und wieder abschalten kann. Dazu will die Organisation beitragen. Die Spitex für Kinder im Kanton Zürich gibt es inzwischen seit 17 Jahren. Sie leistet Pflegeeinsätze bei den Patientinnen und Patienten zu Hause, rund um die Uhr. Die Pflegenden sind erfahren in der Pädiatrie und die kispex arbeitet eng mit dem Kinderspital, Kinderkliniken und mit Kinderärzten zusammen. Über 180 Kinder werden zurzeit jährlich von der kispex mit ihren rund 60 Pflegenden betreut.
«Wichtig bei unserer täglichen Arbeit ist neben der Betreuung der jungen Patientinnen und Patienten vor allem die Zusammenarbeit mit den Eltern», sagt Graf. Die kispex-Mitarbeitenden versuchen, auf die Bedürfnisse der Eltern einzugehen und sich mit ihnen intensiv auszutauschen. «Schliesslich sind wir bei ihnen zu Hause und greifen gewissermassen in ihren Alltag ein», so Graf. Man müsse sich bewusst sein, welch ungeheure Leistung die Eltern schwerkranker Kinder täglich erbringen. Man arbeitet also im Team. «Die Eltern wissen meist am besten, wie man mit ihren Kindern umgehen soll. Wir sind in erster Linie die fachlichen Spezialistinnen.» Graf weiss von vielen Situationen, dass es gerade zu Beginn Zeit braucht, bis sich die Familie an die Hilfe von aussen gewöhnt hat. Und hin und wieder ist es aus Sicht der Pflegespezialistinnen und -spezialisten trotz allem nötig, Veränderungen in der Betreuung einzuführen. «Da müssen wir ein Gefühl dafür entwickeln, wann wir auf welche Art eingreifen können», sagt Graf.

Eine gelungene Reise

Gerade bei Palliativpatientinnen und -patienten ist die Zusammenarbeit mit den Eltern eine zentrale Aufgabe für die kispex. Einige kispex-Mitarbeitende haben Zusatzausbildungen in Palliative Care. Ein Palliative-Care-Betreuungsplan ist weit umfangreicher als die übrigen Betreuungspläne bei der kispex. Als sich Barbaras Zustand vor einigen Jahren verschlechtert hatte, wurde auch für sie ein solch umfangreicher Betreuungsplan definiert. Ein dicker Ordner mit allen notwendigen Anweisungen, genau definierten Medikationen und detailliert beschriebenen Symptombehandlungen steht seither im Wohnzimmer der Familie Dias. «Als die Rede davon war, dass man für Barbara eine palliative Betreuung organisieren müsse, war das für mich sehr schwierig. Ich wollte mich nicht damit auseinandersetzen, dass Barbara nicht mehr so lange zu leben hätte», erinnert sich Barbaras Mutter. Besonders schwierig war die Frage, was in einem Notfall bei Barbara unternommen werden soll. In ihrem Ordner gibt es heute eine ärztliche Verordnung, die genau definiert, was zu tun ist: Sauerstoffzufuhr und Absaugen, aber keine wiederbelebende Massnahmen. Zu diesem Entscheid steht die Familie noch immer. «Aber jetzt geht es Barbara zum Glück viel besser», sagt Mutter Dias und nimmt Barbaras Hand.

Fragt man sie nach ihren schönsten Momenten mit ihrer Tochter, erhellt sich ihr Gesicht und ihre Augen richten sich auf Barbara. «Oh, viele!», ruft sie aus. Einer davon war, als sie mit ihrer Tochter und ihrem Partner im vergangenen Sommer zu ihrer Familie in Portugal fahren konnte. «Es war wunderschön, Barbara inmitten der ganzen Familie zu sehen. Alle haben sich unglaublich gefreut und Barbara fühlte sich sichtlich wohl», erinnert sie sich. Es war das erste Mal seit drei Jahren, dass sie ihre Familie in Portugal besuchen konnten.

Alles genau dokumentiert

Sybille Graf notiert im grossen Ordner von Barbara genau, was sie heute mit ihr gemacht hat und wie es Barbara gegangen ist. Das gehört zur Arbeit, damit alle immer über die aktuelle Situation im Bilde sind. «Da wir von der kispex durchschnittlich fünfmal pro Woche bei Barbara sind, kommen mehrere Pflegende regelmässig zu ihr. Aber wir achten darauf, dass es immer dieselben Mitarbeitenden sind, die zu ihr kommen. Es ist wichtig, dass wir zu Barbara eine Beziehung aufbauen können», sagt Graf. Sie reinigt die benutzten Utensilien und verabschiedet sich dann von Barbara und ihren Eltern. «Bis zum nächsten Mal!», ruft sie noch in der Tür und wünscht der Familie ein gutes Wochenende.
palliative zh+sh, Elena Ibello