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Unnötige Behandlungen am Lebensende: Ein hartnäckiges Problem

Unnötige Behandlungen am Lebensende: Ein hartnäckiges Problem

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Ein Drittel der Patientinnen und Patienten in der Analyse bekam in den letzten sechs Lebenswochen noch eine Chemotherapie.


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30. Juni 2016 / Wissen

Seit mindestens 20 Jahren sei die Problematik bekannt. Aber bis heute habe sich daran wenig geändert: An der Tatsache, dass Menschen an ihrem Lebensende oftmals medizinisch behandelt werden, ohne dass sie davon einen Nutzen hätten. Das schreiben australische Gesundheitswissenschaftler in einer neuen Studie.



Die unnötigen medizinischen Behandlungen, die Menschen am Ende ihres Lebens erhalten, nützen ihnen nicht nur nichts, sie verhindern in den meisten Fällen auch, dass die Menschen ihre letzten Lebenswochen in möglichst guter Lebensqualität leben können. Das Problem, so schreiben die Autoren der neuen Studie um die Medizinerin Magnolie Cardona-Morell von der University of New South Wales, müsse deshalb dringend angegangen werden. Die Autorinnen und Autoren der Studie veröffentlichten kürzlich einen Beitrag darüber im «International Journal for Quality in Health Care».

Die lange Liste der unnötigen Behandlungen

Das Forscherteam aus Sydney analysierte verschiedene Studien aus zahlreichen Ländern, die zwischen 1995 und 2015 erschienen sind. Den Fokus legte die Studie dabei auf ältere Menschen mit terminaler Erkrankung. Ihre Schlussfolgerung: 33 bis 38 Prozent der Menschen in ihrer letzten Lebensphase erhielten unnötige Behandlungen. Grund dafür, so glauben die Forschenden, sei einerseits die Verdrängung des Todes durch Ärzte, Angehörige und Erkrankte. Nicht selten komme es vor, dass gerade Angehörige von Schwerkranken von den Ärztinnen und Ärzten erwarten würden, noch möglichst lange alles zu versuchen. Andererseits aber herrsche unter den Ärztinnen und Ärzten nach wie vor die Vorstellung, ihre Aufgabe liege ausschliesslich darin, Leben zu retten. Viele empfinden es darum als eine Niederlage, wenn sie eine Krankheit nicht mehr heilen können. All dies, so die Forschenden, führe oft dazu, dass unnötige Therapien durchgeführt würden, anstatt den Menschen ihre letzte Lebenszeit in Ruhe leben zu lassen.

Die Analyse der Forschenden brachte erstaunliche Zahlen ans Licht: An bis zu 50 Prozent der Schwerkranken wurden Bluttests vorgenommen, ebenso viele wurden geröntgt oder ähnliches. Ein Drittel der Betroffenen erhielt laut der Analyse in der letzten Lebensphase Antibiotika oder andere Medikamente und ebenfalls ein Drittel bekam in den letzten sechs Wochen noch eine Chemotherapie. All dies, obwohl die Erkrankung dieser Menschen nicht mehr heilbar und ihr Lebensende absehbar war. Die Liste endet auch hier noch nicht: 30 Prozent der Patientinnen und Patienten kamen ganz am Ende ihres Lebens noch an die Dialyse, wurden bestrahlt oder erhielten eine Bluttransfusion. 25 Prozent wurden reanimiert, obwohl sie sich dagegen ausgesprochen hatten, und 10 Prozent wurden auf die Intensivstation gebracht.

Wie viel ist akzeptabel?

Diese unnötigen Therapien, so kritisieren die Forschenden, haben nicht nur Auswirkungen auf die Kapazität und die finanzielle Tragfähigkeit des Gesundheitssystems, es sorge auch dafür, dass unrealistische Erwartungen der Gesellschaft an das «Überleben zu jedem Preis» aufrecht erhalten würden. Aber vor allem und noch viel wichtiger: Es bringe eine Gleichgültigkeit oder gar Missachtung gegenüber der Würde des Menschen sowie der Qualität am Lebensende zum Ausdruck.

Aufgrund dessen, dass es für Ärztinnen und Ärzte niemals möglich ist, sichere Prognosen für die verbleibende Lebensdauer von Schwerkranken zu erstellen, aufgrund des sozialen und ethischen Drucks und weil Ansprüche von verschiedene Seiten an die Mediziner_innen herangetragen werden, sei es wohl nie ganz zu vermeiden, dass unnötige Therapien am Lebensende durchgeführt würden, schreiben die Studienautoren. Aber das heisse nicht, dass die Anzahl dieser unnötigen Therapien nicht reduziert werden sollte. Es müsse eine Debatte weitergeführt werden um ein akzeptables und erschwingliches Ausmass an unnötigen Behandlungen am Lebensende.
ISQua / SZ / ei