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Unterwegs mit dem Palliative-Care-Konsiliardienst im Triemli

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Aina Zehnder und Yvonne Heuberger (v. l.): Viel unterwegs und mit Kolleginnen anderer Disziplinen im Gespräch. Das ist Alltag für den Palliative-Care-Konsiliardienst am Triemli (Bilder: sa).

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06. Februar 2019 / Region
Bereits im letzten Mai ist der interprofessionelle Konsiliardienst für spezialisierte Palliative Care am Triemli mit dem Qualitätslabel ausgezeichnet worden. Wie arbeitet eigentlich ein solches Team?
Aina Zehnder, Oberärztin für Palliative Care, und Pflegefachfrau Yvonne Heuberger, ebenfalls auf Palliative Care spezialisiert, legen an diesem Tag mehrere Kilometer in den breiten Korridoren des Triemli-Neubaus zurück. Sie steigen die lichtdurchfluteten Treppenhäuser rauf und runter, nehmen nur manchmal den Lift. Sie betreten Büros, Stations- und Patientenzimmer. Häufig kommen sie vergebens: Sie treffen die Ärztin, die sie suchen, nicht im Büro an und versuchen sie telefonisch zu erreichen. Der Patient, den sie sprechen wollen, wird grad gewaschen. Sie müssen später nochmals Treppen steigen.

Vor sieben Jahren haben Rosa Grunder und Silvia Richner den Konsiliardienst für Palliative Care am Triemli aufgebaut. Inzwischen stehen ihnen auf ärztlicher und pflegerischer Seite je 130 Stellenprozente zur Verfügung, die von zwei Ärztinnen und drei Pflegefachfrauen geteilt werden. An diesem Freitag besteht der Konsiliardienst aus Zehnder und Heuberger, stets aus einer Ärztin und einer Pflegefachfrau. Grunder, die auch Pflegeexpertin am Triemli ist, bleibt im Hintergrund, das heisst am Schreibtisch.

Mittags steht das Tagesprogramm auf dem Kopf

Auf ihrem Tagesprogramm stehen an diesem Morgen acht Namen. «Man weiss morgens nie, wie der Tag aussehen wird. Am Mittag steht das Programm meist schon auf dem Kopf», sagt Grunder.

Die Arbeit des Konsiliardiensts für spezialisierte Palliative Care erfolgt in beratender oder empfehlender Form. Ausser in ihren Sprechstunden verordne sie selbst keine Medikamente oder Leistungen anderer Dienste, erklärt Aina Zehnder. Sondern sie gebe ihre Empfehlungen ans behandelnde Team weiter. Die Patientinnen und Patienten werden ihnen aus dem ganzen Spital zugewiesen, meistens mit Krebserkrankungen.

Ein Konsil anregen könne jeder, auch die Pflege, erklärt Grunder. Die Anmeldung erfolgt aber jeweils vom Ärzteteam, in einer standardisierten Form, die neben einer Diagnose- und Medikamentenliste auch eine möglichst konkrete Fragestellung beinhaltet. Das spezialisierte Palliative-Care-Team bespricht jeden Auftrag mit der anmeldenden Ärztin oder dem Arzt und der zuständigen Pflegefachperson vor.
«Das Konsiliarteam für Palliative Care gibt mir Sicherheit und die Möglichkeit, mich auszutauschen, wenn es um Verlegungen oder die Begleitung eines sterbenden Menschen geht.»
Katharina Althaus, Pflegefachfrau Onkologie

Im Stationszimmer der onkologischen Abteilung beraten sich Zehnder und Heuberger mit Katharina Althaus, Pflegefachfrau Onkologie, über einen ihrer Patienten. Herr Z. liegt im Sterben, oder wie es im Fachjargon heisst: Er ist «terminal». Das Temesta wirke beim Patienten, der an Bauchspeicheldrüsenkrebs erkrankt ist, nicht mehr so gut, vielleicht müsse man es mit Dormicum versuchen, rät Zehnder. Der Patient trinke gut, berichtet Althaus. Zum Beispiel Fruchtsäfte, was für den Diabetiker ein lang entbehrter Genuss sei. Die Ehefrau sei von morgens früh bis abends spät an seiner Seite. Zum Schlafen gehe sie aber nach Hause, trotz zusätzlichem Bett im Zimmer. Althaus lobt sie, sie mache es vorbildlich, kümmere sich liebevoll und kenne gleichzeitig ihre Grenzen. «Hoffentlich kann er gut sterben.»

Gefragt, was ihr der Konsiliardienst bringe, sagt sie: «Das zusätzliche Team gibt mir Sicherheit und die Möglichkeit, mich auszutauschen, wenn es um Verlegungen oder die Begleitung eines sterbenden Menschen geht. Zudem rückt es die Angehörigen mehr ins Blickfeld.»

Das Palliative-Care-Konsiliarteam plant erstens Austritte von Palliativpatientinnen und -patienten mit. Es geht darum, eine Anschlusslösung an den Spitalaufenthalt zu finden. Indem man entweder ein Unterstützungsnetz mit Spitex und ambulantem Palliative-Care-Team zu Hause aufbaut, oder es wird ein Platz in einem Hospiz oder Pflegeheim gesucht. Im zweiten Szenario setzen sich Zehnder und ihre Kolleginnen aber auch dafür ein, dass ein Mensch im Spital in Ruhe, ohne störende Symptome, würdig sterben kann. Dabei richten sie ihr Augenmerk ebenfalls auf die Angehörigen. Ein Drittel ihrer Patientinnen und Patienten stirbt im Spital, ein Drittel tritt mit Unterstützung durch ambulante Teams nach Hause aus, ein Drittel wird in ein Angebot der Langzeitpflege verlegt.

Eine weitere Hauptaufgabe stelle die vorausschauende Planung dar, ergänzt Zehnder. Dabei gehe es darum, die Patientinnen, Patienten, Angehörigen und Betreuungsteams in der Entscheidungsfindung zu unterstützen, wie weiter behandelt werden soll.
«Der Vorteil ist, dass wir mit wenig Personal sehr viele Patientinnen und Patienten erreichen.»
Rosa Grunder, Pflegefachfrau Palliative Care

Auf dem Gang vor Herrn Z.s Zimmer sprechen Zehnder und Heuberger mit Frau Z. Sie sagt, sie habe sich beim Stationsarzt dafür eingesetzt, dass ihr Mann nicht mehr austreten müsse. Eigentlich müssten Patientinnen und Patienten das Triemli, das ja ein Akutspital ist, wieder verlassen, wenn sie nicht mehr «akutspitalbedürftig» sind. Dem Konsiliarteam ist es wichtig, Austritt in der terminalen Phase zu verhindern. Dazu ist es nötig, die Diagnose des Sterbens zu stellen.

Frau Z. ist jedenfalls heilfroh, dass ihr Mann im Spital sein kann. Sie mache es ihm so gemütlich wie möglich und muss dabei auch manch bürokratische Hürde überwinden: Das «Chriesisteisäckli» zum Beispiel, das ihm so gut helfe gegen die Schmerzen, durfte sie nicht im Mikrowellenofen wärmen, der fürs Essen gedacht ist. Da kaufte die Ehefrau kurzerhand ein eigenes Gerät und stellte es ins Zimmer des Patienten. Als der Stationsarzt zu bedenken gab, das sei feuerpolizeilich auch nicht grad unbedenklich, schlug Frau B. vor, sie könnte ja einen Feuerlöscher mitbringen. Dies brachte sogar den Patienten zum Lachen. Am nächsten Tag befand sich ein zusätzlicher Mikrowellenofen auf der Station. Zehnder und Heuberger freuen sich über diese Geschichte. Schliesslich ist sie ein praktisches Beispiel für Patientenorientierung, für die sich der Konsiliardienst täglich starkmacht.

Wären sie nicht in einer komfortableren Position mit einer eigenen Palliativstation? Ein Konsiliardienst sei einfach ein anderes Angebot, sagt Rosa Grunder, als alle wieder im Büro sind. Um spezialisierte Palliativmedizin in einem Spital einzuführen wie vor sieben Jahren im Triemli, sei es sicher eine sinnvolle Form. «Der Vorteil ist, dass wir mit wenig Personal sehr viele Patientinnen und Patienten erreichen», sagt Grunder. Auch indem sie Kolleginnen und Kollegen aller Stationen beratend zur Seite stehen, würden sie den palliativen Gedanken und das Fachwissen weiter streuen und somit die allgemeine Palliative Care unterstützen. 2017 betreuten sie rund 470 Patientinnen und Patienten, 2018 waren es 500.

Unterstützung zu Hause aufgleisen, für den Notfall vorausplanen

Nach dem «interprofessionellen Mittagessen», zu dem sich Zehnder, Heuberger und Grunder mit Körpertherapeutin Ester Brun und den beiden Spitalseelsorgern Thomas Grossenbacher und Markus Holzmann getroffen haben, steht das Gespräch mit Herrn Y. und seinen Kindern an. Der ältere Herr leidet an einer schweren Form der Lungenkrankheit COPD und möglicherweise auch an einer leichten Form von Demenz. Die Oberärztin und die Pflegefachfrau setzen sich dem Patienten gegenüber, der auf einem Stuhl am Fenster sitzt. Mit den Kindern neben ihm bilden alle einen Kreis. Heuberger protokolliert das Gespräch auf ihrem Laptop. Zuerst reagiert der Patient ablehnend, so als wolle Zehnder ihm die schwere Krankheit unterstellen. Total hilfsbedürftig sei er noch nicht, sagt er, vielleicht etwas müder, ja, «ich bin aber auch nicht mehr zwanzig». Er habe «tolle Kinder, ein schönes Daheim und einen lieben Hund», kehre also gerne in seine eigenen vier Wände zurück. «Lassen Sie mich das ausprobieren!»

Zehnder nickt zustimmend, natürlich dürfe er das tun. Sein verschlechterter Allgemeinzustand habe einfach in den letzten Wochen zu einer wiederkehrenden Hospitalisierung geführt. Weil eine Atemnot ohne Vorzeichen eintreffen kann, wird den Kindern die permanente Betreuung zu viel, und sie haben bereits eine 24-Stunden-Spitex organisiert. Zehnder schlägt zudem den Einsatz eines spezialisierten mobilen Palliative-Care-Teams vor, das in Notfällen rund um die Uhr erreichbar sei. Schliesslich stimmen Patient und Kinder dieser Lösung zu.

Zehnder tastet sich zum Thema Patientenverfügung vor. Darüber wolle er nicht sprechen, winkt der Patient resolut ab, noch sei es nicht so weit. Zehnder insistiert, denn ein erneuter plötzlicher Sauerstoffverlust liege bei seinem Zustand nahe, und sie zeigt die beiden Pole von «Intensivstation mit künstlicher Beatmung» bis «nur noch Leiden lindern» auf. «Wer entscheidet das?» will die Tochter wissen. «Das ist ein Prozess, in dem sie gemeinsam im Gespräch eine Antwort finden müssen», antwortet Zehnder.
«Es ist wichtig, dort hinzuschauen, wo viele lieber wegschauen möchten und zu versuchen, eine Sprache für Dinge zu finden, die schwer in Worte zu fassen sind.»
Aina Zehnder, Oberärztin Palliative Care

Jetzt eilen die Oberärztin und die Pflegefachfrau in ihre Sprechstunde. Die ambulanten Beratungen durch das Konsiliarteam nehmen zu. Angemeldet werden die Patientinnen und Patienten von Spezialisten wie Pneumologen, Onkologinnen und anderen im Haus. Um 14 Uhr steht ein junges Paar aus Portugal auf dem Programm. Das Beratungsgespräch führt jetzt Pflegefachfrau Yvonne Heuberger.

Die Patientin mit Jahrgang 1977 leidet an Magenkrebs. Die Metastasen im Bauch führen zu einem Stau der Lymphe und dazu, dass sich viel Flüssigkeit in den Oberschenkeln ansammelt. Die gespannte Haut schmerze enorm, sagt sie. Heuberger lässt die Frau ihre Symptome von Schmerzen über Müdigkeit, Übelkeit, Atemnot bis Traurigkeit mit Hilfe einer Skala von 0 bis 10 bewerten, und es wird klar: Die Schmerzen stehen im Vordergrund. Weil die medikamentösen Möglichkeiten beinahe ausgeschöpft sind, suchen die Palliativ-Spezialistinnen zusammen mit dem Paar nach einer Lösung.

Am Schluss verordnet Zehnder der Patientin Stützstrumpfhosen, ein neues, zusätzliches Medikament und ebenfalls die Besuche eines ambulanten Teams. Dank ihrer familiären Situation ist die Frau zwar kaum alleine; Mutter und Cousine wohnen in der Nähe. Aber es könnte sich ja auch einmal ein medizinischer Notfall ergeben. Zudem rät sie dem Ehemann, Kontakt zu einem neuen Hausarzt zu knüpfen, da der alte pensioniert wurde. «Dann müssen sie nicht immer extra zu uns kommen.»

Als sich die Patientin und ihr Ehemann verabschiedet haben, nehmen sich die beiden Kolleginnen Zeit, den Fall zu besprechen. Das junge Alter der Frau und die ausweglose Situation machen ihnen zu schaffen. Aber bald hat sie das nächste Patientenproblem in Anspruch genommen. Bei Dienstschluss werden sie mit ungefähr zehn Patientinnen und Patienten und ihren Angehörigen zu tun gehabt haben. Zehn schwierige Geschichten, die alle mit dem Tod des Patienten oder der Patientin enden werden.

Weshalb sie ihren Job dennoch gerne tun, erklären die Palliativ-Fachfrauen so: Rosa Grunder sagt: «Zu fortschrittlicher Akut-Medizin gehört auch ein fortschrittlicher Umgang mit Grenzen der Behandlungsmöglichkeiten und ein umfassendes Caring.» Aina Zehnder findet ihren Job «spannend und herausfordernd. Zudem ist es wichtig, dort hinzuschauen, wo viele lieber wegschauen möchten und zu versuchen, eine Sprache zu finden für Dinge, die schwer in Worte zu fassen sind.» Yvonne Heuberger ergänzt: «Es ist mir wichtig, dass der Mensch, seine Bedürfnisse und sein Umfeld bei schweren Erkrankungen und in komplexen Situationen am Lebensende wieder ins Zentrum rücken.»
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