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Wie Kinder trauern

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Kinder müssen mit allen Sinnen begreifen können, dass jemand gestorben ist. Videostill aus «Was brauchen trauernde Kinder?» von Sarggeschichten (Bild: Screenshot).

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21. Januar 2020 / Wissen
Belastende Themen wie Sterben, Tod und Trauer von Kindern fernzuhalten, ist falsch. Vor allem, wenn ein geliebter Mensch wie die Grossmutter oder ein guter Freund der Familie gestorben ist. Denn Kinder müssen Abschied nehmen können, den Tod mit allen Sinnen begreifen und lernen, dass es in Ordnung ist, traurig zu sein – und im nächsten Moment fröhlich.
Als unsere Nachbarin bei einem Verkehrsunfall starb, nahmen mein Mann und ich uns Zeit, unseren damals 4-jährigen Jungen in Ruhe darüber zu informieren. Es war nach dem Nachtessen, als ich ihm erzählte, dass die Nachbarin mit dem Velo verunfallt war. Sie war mit einem Tram zusammengestossen und danach im Spital gestorben. Mir versagte die Stimme, und ich musste weinen. Unser Sohn reagierte wütend. «Warum macht dich das wütend?», fragte ich. Er wolle nicht, dass wir Eltern traurig seien, sagte er. Später zog er sich in sein Zimmer zurück, um zu zeichnen. Er wollte dem Nachbarn zum Trost eine Zeichnung schenken, sagte er und fragte mich, welche Nummer das Tram gehabt habe, mit dem die Nachbarin kollidiert war.

Was nun, wenn unsere Eltern eines Tages sterben, also die geliebten Grosseltern unseres Sohnes? Viele Online-Ratgeber befassen sich mit diesem Thema. Mir gefallen die Tipps auf Familienhandbuch.de, ein sensibel gemachtes Video auf Sarggeschichten.de oder ein Text auf der Website von Pro Juventute.

Abschiede sind wichtig

Klar ist vor allem eines: Trauer oder negative Erlebnisse von Kindern fernzuhalten, erachten Expertinnen und Experten als nicht zielführend. Von einem nahen Menschen – oder einem Haustier – müssen Kinder Abschied nehmen können. Ging dem Tod eine längere Krankheit voraus, gibt es für sie Gelegenheit genug, in einer für sie angemessenen Form Abschied zu nehmen. Im Film «Was brauchen trauernde Kinder?» von Sarggeschichten.de erzählen eine Mutter und ein noch kleiner Junge von einem möglichen Abschiedsritual. Die sterbende Grossmutter und der Enkel hielten je ein Ende eines Bandes, das schliesslich durchgeschnitten wurde. Das Stück der Grossmutter wurde in den Sarg gelegt, das andere Band behielt der Junge als Erinnerung. Ein älterer Junge erzählt, dass er seine verstorbene Zwillingsschwester noch ein paar Mal im Leichenschauhaus besucht und ihr sogar über den Kopf gestrichen habe. Kalt habe sie sich angefühlt, so habe er besser verstanden, dass sie jetzt wirklich tot sei.

Die Expertin im Sarggeschichten-Video sagt, Kinder müssten mit allen Sinnen begreifen, dass ein Mensch gestorben ist, «auch mit dem Herzen». Den Kindern zu sagen, sie sollten den Verstorbenen so in Erinnerung behalten, wie er im Leben war, sei schwierig. Denn ein lebendiger Mensch gehört weder in einen Sarg noch in eine Urne.

Pro Juventute schlägt verschiedene Abschiedsrituale vor, die man mit Kindern durchführen kann: Den Sarg gemeinsam mit Kreide anmalen, dem Verstorbenen einen Abschiedsbrief oder eine Zeichnung in den Sarg legen, einen Luftballon mit einer Botschaft an den Verstorbenen fliegen lassen.

Verschiedene Vorstellungen vom Tod

Für jüngere Kinder ist der Tod keine unverrückbare Tatsache. Im Kindergartenalter ist der Tod für sie noch reversibel. Sterben bedeutet weggehen, also kann man auch wieder zurückkommen, Tote haben noch Gefühle, Leben und Tod können getauscht werden. Jüngere Schulkinder interessieren sich dann für sachliche Details, etwa für den Grund des Sterbens oder dafür, was mit dem Körper danach passiert. Für sie ist das Thema noch nicht emotional belegt und sie können ungehemmt fragen. Kinder stellen ohnehin gerne Fragen zu den Themen Verlust, Trauer und Tod. Es sei wichtig, «die Fragen mit Geduld und so wahrheitsgemäss wie möglich zu beantworten», heisst auf Familienhandbuch.de. Erst mit neun bis zwölf Jahren begreifen sie, dass der Tod nicht umkehrbar und das Leben definitiv beendet ist.

Wichtig im Gespräch mit Kindern über Sterben und Tod ist zudem, auf Beschönigungen zu verzichten. Opa ist nicht «friedlich eingeschlafen», sondern gestorben. Kinder verstehen den symbolischen Gehalt solcher Formulierungen nicht und könnten sogar Angst davor entwickeln, abends einzuschlafen.

Inzwischen gibt es etliche Kinderbücher, die sich auf spielerische oder auch explizite Art und Weise mit den Themen Sterben und Tod beschäftigen. Zu meinen Favoriten gehört «Opas Insel» von Benji Davies: In dieser Geschichte bleibt der Grossvater nach einer (fiktiven) Schiffsreise, die er gemeinsam mit dem Enkel gemacht hat, auf einer paradiesischen Insel zurück. Der Enkel sorgt sich: Bist du nicht einsam? Er sieht den Opa aber im Kreis vieler Tiere stehen, und eine Antwort erübrigt sich (weitere Buchtipps unter dem Button «Links zum Thema»).

«Kinder springen durch Trauerpfützen»

Trauerexpertinnen weisen auch daraufhin, dass Kinder in vermeintlich traurigen Situationen, zum Beispiel kurz nach einer Beerdigung, wieder fröhlich spielen oder eben vergnügt den tödlichen Velo-Unfall zeichnen können. Kinder begreifen nicht die ganze Tragweite eines Verlustes, sie «springen durch Trauerpfützen», wie es die Expertin im Sarggeschichten-Video anschaulich formuliert. Dass Kinder nicht so viel Trauer zeigen, dürfe einen als Erwachsenen nicht irritieren, sondern sei normal. Anderswo heisst es, Kinder würden in Schüben oder auf sprunghafte Weise trauern. Auf der Website von Pro Juventute steht: Die «Gefühle [der Kinder] wechseln immer wieder ab. Dadurch dass die Trauer immer wieder unterbrochen wird, kann sie länger dauern als bei Erwachsenen».

Wie trauern geht, lernen Kinder durch Nachahmung. Deshalb ist es für Eltern wichtig, ihre Kinder an der eigenen Trauer teilhaben zu lassen, zu zeigen, dass es in Ordnung ist, zu weinen und traurig zu sein.

Deshalb kann ein Kind auf eigenen Wunsch auch an einer Beerdigung oder Trauerfeier teilnehmen, abhängig von seinem Alter, frühestens ab vier Jahren, so der Tipp von Familienhandbuch.de. Die Expertinnen halten es aber in dem Fall für wichtig, dem Kind zuvor den Ablauf einer Trauerfeier zu erklären und jemand Vertrauten zur Seite zu haben, der im Notfall mit dem Kind die Zeremonie verlassen könnte. Allenfalls ist es auch sinnvoll, mit dem Kind allein am Grab oder offenen Sarg Abschied zu nehmen und Zeichnungen oder Erinnerungsstücke in den Sarg zu legen. Nach der Feier soll das Erlebte nachbesprochen werden.

Natürlich können Eltern auch speziell geschulte Personen beiziehen, welche die Kinder im Trauerprozess begleiten. Für die deutschsprachige Schweiz gibt es seit gut drei Jahren einen Verein namens Familientrauerbegleitung mit Sitz in Luzern. Einerseits vermittelt diese Organisation Trauerbegleiterinnen für die Einzelbetreuung in den Familien. Andererseits existieren in der Deutschschweiz inzwischen drei Trauergruppen für Kinder. «In den Gruppen sehen die Kinder, dass sie mit ihren Gefühlen nicht allein und deswegen komisch sind», sagt Vereinspräsidentin Eliane Bieri in einem Interview mit dem Regionaljournal Zentralschweiz. Diese Kindertrauergruppen hätten zwar einen traurigen Hintergrund, aber es hätten darin nicht nur schwere Gefühle Platz, und häufig werde auch gelacht.
palliative zh+sh, Sabine Arnold